Die Saison der Utah Jazz hing schon am seidenen Faden, als sie noch lange nicht begonnen hatte. Am 4. Juli, dem Indepence Day, gab es in Salt Lake City nichts zu feiern: Gordon Hayward hatte sich zu einem Wechsel entschieden, die Jazz standen also auf einmal ohne ihren einzigen All-Star da. Nun waren sie nicht etwa auf einmal eine Trümmertruppe, aber man dachte auch, dass für sie so ziemlich alles richtig laufen müsste, damit sie im Westen erneut um die Playoffs würden mitspielen können.
Vor allem hing dabei viel von Center-Star Rudy Gobert und der Defense ab. Wie gut die Offense aussehen würde, war unklar - aber defensiv hatte Utah weiter das Personal, um furchterregend zu sein. Gobert wiederum sollte auch vorne mehr Verantwortung bekommen und dadurch endgültig als der Star anerkannt werden, der er letzte Saison bereits war.
Das dachte man - bis Gobert sich am 10. November im Spiel gegen Miami verletzte und die Prognose erhielt, dass er mehrere Wochen ausfallen würde.
Utah Jazz: Wo kommt das Scoring her?
Utah stand danach bei einer 5-7-Bilanz, offensiv funktionierte nur wenig, was kein Wunder war. Rodney Hood hat mal starke Spiele, oft taucht er aber auch einfach ab (und ist häufig verletzt). Ricky Rubio versuchte Anfang der Saison ein Scorer zu sein, dies ist aber nicht seine Natur. Derrick Favors oder Joe Ingles sind solide dritte oder vierte Optionen, aber keine Go-to-Guys. Joe Johnson war mal einer, mittlerweile ist er aber 36 Jahre alt und stand bisher nur in 7 Spielen zur Verfügung.
Es war also eine relativ prekäre Situation, der sich Coach Quin Snyder stellen musste. Als Lösung stellte sich letztendlich ein Move heraus, den er schon im besagten Miami-Spiel getätigt hatte: Für Hood rückte Rookie Donovan Mitchell in die Starting Five. Das hat sich mittlerweile nicht nur als richtige Entscheidung herausgestellt - man könnte es vielmehr als Rettung der (bisherigen) Saison bezeichnen.
Donovan Mitchell: Im Draft abgerutscht
Bis auf den 13. Platz rutschte Mitchell im Draft, wo ihn Denver zog und umgehend für Tyler Lydon und Trey Lyles zu den Jazz weiterschickte. Dort dachte GM Dennis Lindsey, dass er einen potenziellen Wing-Stopper gedraftet hatte - zumindest wurde Mitchell im Vorfeld des Drafts von den meisten Scouts so beschrieben. Offensiv wurde ihm Potenzial attestiert, aber auch noch viele Hausaufgaben.
Mitchell selbst betonte immer wieder, dass für ihn die Defense Priorität habe, weil "Offense kommt und geht." Man konnte aber schon in der Summer League den Eindruck erhalten, dass er das nicht ganz so wörtlich nimmt. Über fünf Spiele nahm er durchschnittlich 18,2 Würfe pro Spiel und traf davon 39,6 Prozent. Besonders bei seinen beiden Auftritten in Las Vegas (25 FGA, 36 Prozent FG) nahm es extreme Ausmaße an.
Nun könnte man meinen, das sei ja nur die Summer League gewesen, aber der Rookie hat auch in der echten NBA kein Gewissen: Mitchell nimmt mit 15 Würfen aktuell die meisten aller Neulinge, obwohl er nur 41,5 Prozent davon trifft und somit fast 9 Prozentpunkte schlechter trifft als etwa Kyle Kuzma. Mitchell hat mit 220 bisher die neuntmeisten Fehlwürfe aller NBA-Spieler in dieser Saison fabriziert.
Donovan Mitchell: Jeder Wurf ist ein guter
Die Sache dabei ist aber: Snyder ermutigt ihn dazu. Utahs Kader strotzt vor Defensivkompetenz, vorne aber fehlt es an Firepower - und insbesondere an Dynamik. Diese liefert Mitchell wiederum in Massen. Wenn er attackiert, macht es das Spiel für alle anderen leichter, selbst wenn er nicht jeden Wurf trifft und teilweise noch zu sehr mit dem Kopf durch die Wand will.
"Donovan ist jemand, für den es in Louisville soweit ich weiß keinen einzigen schlechten Wurf gab", sagte Snyder kürzlich zu FanSided. "Er hat einfach hart gespielt und ständig attackiert. Wir wollen, dass er das hier auch tut, aber es stehen auch noch andere Leute auf dem Court. Er soll seinen eigenen Wurf suchen, aber auch Plays für andere machen."
Es ist eine ungewöhnliche Situation für einen Rookie: Obwohl die Jazz siegeshungrig sind, darf und soll Mitchell Fehler machen, er hält den Ball teilweise in der Crunchtime als Point Guard in der Hand und erhält sehr viel Verantwortung. Er findet dabei nicht immer die richtige Balance, es gab auch schon Spiele wie gegen Philly, als er 3/21 aus dem Feld traf und dabei einen einzigen Assist spielte. Aber es gibt auch genügend Gegenbeispiele.
Donovan Mitchell: Mehr als nur Ballern
3,2 Assists pro Spiel klingen nicht unbedingt herausragend, allerdings passt ligaweit kein Team häufiger als Utah - oft kommt es daher auch zustande, dass Mitchell eine Lücke reißt, den Pass spielt und dieser danach noch auf den anderen Flügel geschwungen wird, wo der offene Schütze abdrückt. Das taucht dann nicht im Boxscore auf, geht aber von ihm aus. Erfreulich ist zudem die angesichts der hohen Usage niedrige Turnover-Rate von nur 11 Prozent, die Mitchell bisher aufweist.
Mitchells Calling Card ist bisher aber natürlich das Scoring. Und während sein Saisonstart ein wenig nach "High Volume, Low Efficiency" aussah, scheint er sich mittlerweile immer besser in der Liga zurechtzufinden. In den letzten fünf Spielen (Utah gewann vier davon) hat Mitchell im Schnitt 26,6 Punkte bei starken Quoten (52,3 Prozent FG, 46,7 Prozent 3FG bei 9 (!) Versuchen) aufgelegt, wobei nicht nur sein 41-Punkte-Spiel gegen New Orleans begeisterte.
Er vereint starke Balance, einen fiesen ersten Schritt und massive Athletik mit einem mehr als ansehnlichen Jumpshot - wenn man ihn aktuell spielen sieht, fragt man sich doch regelmäßig, wie so jemand bis auf Position 13 beim Draft fallen konnte. Davon nehmen mittlerweile auch einige Stars in der Liga Notiz.
"Er ist wirklich gut. Er könnte der Steal des gesamten Drafts sein und ist aktuell auf jeden Fall unter den zwei oder drei besten Rookies der Liga", lobte beispielsweise OKC-Forward Paul George am Dienstag, nachdem Mitchell gegen die Thunder abermals 31 Punkte aufgelegt hatte.
Dosenöffner in der Jazz-Offense
Insgesamt hat sich bei den Jazz Vieles zum Guten gewendet, seitdem Mitchell permanent startet. Von den letzten neun Spielen wurden lediglich zwei verloren, nun ist auch Gobert wieder da und findet ein Team vor, das sich nicht erst wieder rankämpfen muss, sondern mittendrin ist im Playoff-Rennen (derzeit Platz 7). Grundlage dafür ist Jazz-untypisch nicht nur die wie üblich bärenstarke Defense (Rating 99,3; Platz 3 über die letzten zehn Spiele), sondern auch die Offense (115,4; ebenfalls Platz 3).
Das liegt freilich nicht nur an Mitchell. Der scheinbar ewig verletzte Alec Burks zeigte zuletzt, dass mit ihm doch noch zu rechnen ist, und lieferte den Jazz den so dringend benötigten Punch von der Bank. Favors sprang für Gobert beeindruckend gut ein, Ingles traf fast die Hälfte seiner Dreier, auch Hood hatte starke Spiele, wenn er denn fit war. Für sein Spiel scheint es perfekt zu passen, dass er nun Scoring von der Bank liefern soll - und wenig sonst. Rubio hat natürlich auch seine bekannten Qualitäten als Vorbereiter und Passgeber.
Kein anderer Spieler bei den Jazz aber verfügt über das Potenzial, die Offense zu tragen, und das Nacht für Nacht. Auch bei Mitchell wird sich erst zeigen müssen, ob er früher oder später in die Rookie-Mauer kracht, es ist gut möglich - aktuell hat er mit 28,7 Prozent eine höhere Usage-Rate als beispielsweise John Wall, was ihn angesichts des heftigen Spielplans noch heimsuchen könnte.
DeMarcus Cousins: "Utah hat einen Star bekommen"
Ebenso hängt die Saison der Jazz deutlich mehr an Mitchell, als man das im Voraus hätte annehmen können. Während Utah dank der Defensivstärke eine recht hohe Baseline hat, ist Mitchell die Wild Card, die das Potenzial um ein Vielfaches steigert. Auch, aber lange nicht nur auf diese Saison bezogen. Nach dem Hayward-Abgang hofft man am Salzsee natürlich, dass Mitchell zum neuen Star auf dem Flügel reifen könnte.
Einige gehen davon aus. "Ganz ehrlich: Utah hat einen Star bekommen", sagte Pelicans-Center DeMarcus Cousins kürzlich, nachdem ihn Mitchell in der Crunchtime ein ums andere Mal umkurvte wie eine Fahnenstange. Der junge Mann wird langsam anerkannt in der Liga. Auch wenn das gar nicht unbedingt nach seinem Geschmack ist.
"Ich bin einfach ein Junge, der unterschätzt wird", sagte der 21-Jährige kürzlich zu Basketball Insiders. "Ich liebe diese Rolle. Ich gehe einfach nur raus und arbeite jeden Tag hart an mir. Ich will nicht, dass irgendjemand härter arbeitet als ich. Ich will Leuten zeigen, dass sie falsch liegen." Es ist noch früh, aber dass Mitchell auf dem richtigen Weg ist, weiß nicht nur DeMarcus Cousins.