Die NBA hat den Ruf, ihre Superstars zu beschützen. Das ist ganz normal und nicht verwerflich, schließlich hat jede Liga der Welt, egal welcher Sportart, kein Interesse daran, dass sich ihre Aushängeschilder verletzen, frustriert sind oder schlechte Laune verbreiten.
Dieses Vorgehen sieht man selbstverständlich auch auf dem Parkett. Ein MVP hat bei den Schiedsrichtern ein anderes Standing als ein Rookie und muss - überspitzt formuliert - nur einmal zucken und böse zum Offiziellen gucken, um einen Pfiff zu bekommen. Dass das trotz gegenteiliger Beteuerungen der Liga-Chefs so ist, gefällt nicht jedem - ist aber, wie gesagt, normal und beileibe kein NBA-Phänomen.
Nun könnte man also denken, dass der vierfache MVP, dreifache Champion und globale Superstar LeBron James in die Kategorie der schützenswerten Spieler gehört. Doch beim Finals Rematch gegen die Warriors in der Oracle Arena war das Gegenteil der Fall. Mal wieder. Aus welchen Gründen auch immer werden James in großer Regelmäßigkeit Pfiffe verweigert.
Warriors vs. Cavaliers: Klare Fehlentscheidung in der Schlussphase
In der Crunchtime gab es zwei umstrittene Situationen in zwei aufeinanderfolgenden Possessions der Cavs. Beide Male suchte James gegen seinen direkten Verteidiger Kevin Durant den Drive. Beim ersten Mal ging er am linken Flügel Richtung Baseline. KD griff mit seinem Arm in LeBrons Laufweg, traf diesen an Brust und Bauch. James verlor das Gleichgewicht und den Ball - Einwurf Warriors beim Stand von 95:92 bei noch 1:10 Minute auf der Uhr. James beschwerte sich lautstark, natürlich vergebens. Man muss aber sagen: Bei der Linie, die die Refs in den Situationen zuvor gepfiffen hatten, war das gerade noch vertretbar.
Wenig später hatte James wieder den Ball, immer noch lag sein Team 92:95 hinten, war also noch im Rennen. Erneut zog er gegen Durant zum Korb - und wurde mehrfach getroffen. Einmal im Dribbling, zweimal beim Korbleger-Versuch an Arm und Schulter. Ein kontrollierter Abschluss war so nicht möglich, der Ball flog wieder ins Aus und wurde nach einer Video-Review den Warriors zugesprochen. Die Entscheidung.
Der Blick in Richtung der Refs war diesmal nicht wütend, sondern resigniert und fragend. Offenbar war James nicht mal mehr überrascht, dass ihm die Freiwürfe genommen wurden. "Ich wurde bei der letzten Aktion zweimal von KD gefoult", erklärte er nach dem Spiel nüchtern. "Aber was soll's. Da kann man wohl nichts machen."
Durant: "LeBron ist viel zu stark für solche Plays"
Durant hatte eine andere Meinung: "LeBron ist viel zu stark für solche Plays, viel zu kräftig. Das ist kein Foul." Er argumentierte also, dass für James aufgrund seiner unglaublichen Physis andere Regeln gelten sollten, da es sonst unfair sei und er die Treffer gegen sich ja ohnehin nicht so merke wie andere. Das ist natürlich weit hergeholt: Denn die Regel, dass starke und große Spieler für ein Foul härter getroffen werden müssen als schmächtigere und kleinere, muss erst noch geschrieben werden.
James steht in der laufenden Saison nur 4,6 Mal pro Spiel an der Freiwurflinie. Das ist der schlechteste Wert seit seiner Rookie-Saison - obwohl er nach wie vor über 37 Minuten pro Abend auf dem Parkett steht und dabei 11,3 Mal pro Spiel per Drive den Weg in die Zone geht, genauso oft wie in der letzten Saison.
Am 28. November wurde er erstmals in seiner Karriere ejected, nachdem er sich im Spiel gegen die Raptors über ausbleibende Pfiffe beschweren musste, vor dem gestrigen Spiel war dies der bisherige Höhepunkt im schwelenden Streit zwischen James und den Schiedsrichtern.
Nun könnte man argumentieren, dass sich James die Situation selbst eingebrockt hat. Es gab Zeiten, in denen er für seine Theatralik scharf kritisiert, von den Refs dafür aber belohnt wurde. Das hatte er nicht nötig, das weiß er inzwischen selbst. Aber James heuer dafür zu bestrafen, ist falsch. Es mag stimmen, dass er kleinere Treffer besser wegsteckt als jeder andere Athlet auf diesem Planeten und bei Körperkontakt in der Regel der Gegner an ihm abprallt und nicht umgekehrt. Dadurch sind Fouls auf den ersten Blick gar nicht so einfach zu erkennen, das war auch gestern beim Layup der Fall.
NBA Video Review: Kritik von Jeff van Gundy
Das Problem: Es gab anschließend eine Video-Review, da noch weniger als zwei Minuten zu spielen waren. Das zweite Problem: Bei dieser Review darf nur geklärt werden, wer als letzter am Ball war. Es läuft also - auch auf dem Video-Würfel - das Play ab, wieder und wieder. Und jedes Mal wird klarer, dass James zweimal gefoult wurde und die Refs das übersehen bzw. durchgewunken haben. Das dürfen sie aber nicht korrigieren. Stattdessen kommen sie zur Entscheidung, dass die Warriors den Ball bekommen, da Durant ja nur LeBron, und nicht das Leder getroffen hat. Das ist im Prinzip das Eingeständnis eines Fouls.
ABC-Experte Jeff van Gundy kritisierte im Zuge dessen das Review-Prozedere an sich: Wie könne es denn sein, fragte er, dass die Refs die Erlaubnis haben, sich das Play anzuschauen, aber dann nicht die richtige Entscheidung treffen dürfen, nämlich die auf Foul? Die Spielleiter müssen sich gewissermaßen selbst blöd vorkommen in solchen Situationen, da jeder in der Halle sieht, dass sie einen Fehler gemacht haben, ihn aber nicht korrigieren dürfen. Dadurch verlieren sie an Autorität. Eine Änderung der Review-Regeln wäre eine Möglichkeit, aber ein Mammut-Projekt. Zudem ist die Beantwortung der Frage, ob ein Foul vorlag oder nicht, hin und wieder subjektiv (gestern allerdings nicht).
Fakt ist: LeBrons wiederholte Kritik an der Art und Weise, wie mit ihm umgegangen wird, ist mehr als verständlich. Er ist der beste Spieler der Welt und verdient es, entsprechend behandelt zu werden. Seine Physis ist das Problem der Gegner und darf ihm nicht zum eigenen Nachteil ausgelegt werden.
Und auch, wenn die Fraktion der "in den 80ern und 90ern war doch alles viel härter, da würde man über solche Pfiffe gar nicht diskutieren"-Leute wieder zum Vorschein kommen dürfte: Es wäre schön, wenn bei aller Mühe um Spielfluss in der Crunchtime solche Aktionen wie die von Durant gegen LeBron (oder gegen wen auch immer) so geahndet werden, wie es sich gehört: Mit Freiwürfen.