Nicht selten fällt das Wort "Naturgewalt", wenn über das Potenzial von Anthony Davis gesprochen wird. Das Problem: Zu lange blieb es bei eben diesem Potenzial, während seine tatsächlichen Leistungen zu oft Schwankungen ausgesetzt waren.
Im Moment allerdings blicken selbst die größten Kritiker mit offenen Mündern darauf, wozu AD in Topform in der Lage ist. Mit mittlerweile acht Siegen in Folge und einer Bilanz von 36-26 stehen seine Pels auf Rang vier der Western Conference und haben beste Chancen auf den Heimvorteil in der ersten Playoff-Runde.
Dabei wurde NOLA nach dem Achillessehnenriss von DeMarcus Cousins von vielen bereits abgeschrieben. Die Saison sei vorbei, hieß es (ja, auch hier auf SPOX), ein Playoff-Run mit Davis als Alleinunterhalter erschien im starken Westen sinnlos. So leicht kann man sich irren.
Pelicans: Anthony Davis mit abnormalen Leistungen
Mit teilweise außerirdischen Leistungen machte AD den jüngsten, unerwarteten Run möglich. Seine Zahlen während der acht Spiele lesen sich wie die Stats im MyCareer-Mode von NBA 2K auf der Schwierigkeitsstufe Rookie: 37,3 Punkte, 15 Rebounds, 53 Prozent aus dem Feld, 37,5 Prozent von der Dreierlinie, dazu 3 Steals und 2,8 Blocks bei nur 2,1 Ballverlusten.
Die Rekorde an Statistik-Kombinationen eines einzelnen Spielers purzelten beinahe täglich - mal gelang Davis etwas, was zuvor nur Shaq gelungen war, mal war es Wilt Chamberlain, mal Bob McAdoo. "Das ist einfach nur phänomenal", fasste Pels-Center Emeka Okafor Davis' Auftritte jüngst zusammen. "Ich denke, dass alles, was man über ihn sagen kann, bereits gesagt wurde."
Auswahl an Leistungen von Anthony Davis während der Siegesserie
Gegner | Ergebnis | Punkte | Wurfquote | Rebounds | Blocks | Steals | Assists |
Brooklyn Nets | 138:128 | 44 | 16/35 | 17 | 3 | 6 | 2 |
Los Angeles Lakers | 139:117 | 42 | 15/18 | 15 | 2 | 3 | 3 |
Miami Heat | 124:123 | 45 | 17/34 | 17 | 5 | 5 | 2 |
Phoenix Suns | 126:116 | 53 | 16/29 | 18 | 5 | 1 | 3 |
AD erledigt auf dem Court nahezu alle Aufgaben, offensiv wie defensiv. Bei seinem Auftritt gegen die Suns traf er Rainbow-Jumper, Step-Back-Fadeaways, jede Menge Alley-oop-Dunks und Putbacks sowie Floater und Korbleger nach seinen zahlreichen Drives. Obendrein ging er 26-mal an die Freiwurflinie, 21 Versuche davon flutschten durch die Reuse. Hinzu kamen 18 Rebounds - 8 (!) davon offensiv.
Nun kann man natürlich anmerken, dass es sich nur um die Suns als Gegner gehandelt hat. Anders als in manch anderen Spielern taten die Jungs aus Arizona aber alles dafür, um zu gewinnen, wozu sie die Verteidiger gegen AD häufig austauschten. Bloß: Dragan Bender und Alex Len waren zu langsam für AD, T.J. Warren war zu klein und Marquese Chriss zu schmächtig und zu grün hinter den Ohren. Ein Nebenergebnis: Alle genannten Akteure bis auf Warren wurden von Davis ausgefoult. Das hat es wohl auch noch nie gegeben.
Es wäre aber ein Trugschluss zu behaupten, dass sich Davis von der restlichen Pels-Offense isoliert. Das Gegenteil ist der Fall: Er zögert im Zweifelsfall nicht, den Spalding einfach weiterzupassen oder auch abseits des Balles zu agieren. Gegen Phoenix war er so gut und geschmeidig integriert, dass Devin Booker von den Gegnern auf dem Parkett zu Jrue Holiday sagte: "Wie, der hat schon über 50 Punkte gemacht?" Darauf Holiday: "Ja, er killt euch und ihr merkt es nicht mal."
Anthony Davis mit der Mentalität von Russell Westbrook
Davis selbst zieht für die Beschreibung seines Außerirdischen-Zustands einen Vergleich zum amtierenden MVP heran. "Ich habe mir eine Art Westbrook-Mentalität zugelegt", erklärte er. Das Saisonaus von Cousins sei für ihn so etwas wie der Abschied von Kevin Durant aus OKC für Westbrook gewesen. "Seitdem macht er alles, was nötig ist für sein Team, auch wenn das heißt, mal 40 Würfe pro Spiel nehmen zu müssen."
Wie Westbrooks Spiel ohne KD hat sich auch Davis' Spiel ohne Cousins stark verändert - beziehungsweise es hat sich wieder an die Zeiten vor Cousins angeglichen. Der 24-Jährige bekommt viel mehr Touches im Mittelpunkt der Offense, um für sich selbst zu kreieren.
Die Ballberührungen im Frontcourt sind seit der Abwesenheit von Boogie von 41,8 auf 53,3 pro Spiel gestiegen, am Elbow gab es auch einen deutlichen Anstieg von 4,1 auf 6,2. Die Anzahl seiner Drives pro Abend hat sich mehr als verdoppelt (6,5 gegenüber 3,0). Dass zusätzliche Spacing, das Nikola Mirotic mit nach NOLA brachte, hilft ihm dabei genauso wie die Topform von Jrue Holiday, der an seine einstige All-Star-Form erinnert (25,9 Punkte und 55 Prozent FG in den letzten 8 Spielen) und AD erfolgreich entlastet.
In der Verteidigung erledigt Davis nun wieder öfter die Arbeit als klassischer Defensiv-Anker und Ringbeschützer. Denn wenn er zusammen mit Cousins auf dem Feld stand, war es dieser, der den größeren und weniger mobilen Gegnern zugeteilt war, wodurch Davis des Öfteren außerhalb der Zone verteidigen musste. Dort ist er aber weniger effizient.
Laut den Statistik-Gurus von Nylon Calculus hat sich die Anzahl der direkt von Davis verteidigten, gegnerischen Feldwurfversuche in Brettnähe von 5,4 auf 8,5 erhöht, wobei die gegnerische Quote in diesem Bereich von 55,7 Prozent auf 49,5 gesunken ist.
Ist Anthony Davis ein MVP-Kandidat?
Nun bleibt die Frage, wie lange Davis seine Überform konservieren kann. Im wilden Playoff-Race kann nur eine kleine Schwächephase ausreichen, um nach hinten durchgereicht zu werden und die Pels haben von den acht Teams, die sich um die sechs Spots hintern den Warriors und Rockets kloppen, noch die meisten Back-to-Back-Spiele. Außerdem stehen noch einige direkte Duelle an - gegen die Blazers, Thunder, Spurs und Clippers.
Wenn es AD gelingt, sein Team nach dem Cousins-Schock tatsächlich in die Playoffs zu hieven, wäre er ein legitimer MVP-Kandidat, wenn auch nur mit Außenseiterchancen im Schatten von James Harden. Schließlich war Davis auch schon vor seiner aktuellen Eskalation gut, nahm sich jedoch für Cousins - mit dem er eine hervorragende Chemie aufgebaut hat - zurück.
Auf die Frage, ob er die Diskussionen um das MVP-Rennen verfolgen würde, hatte Davis übrigens eine recht kurze Antwort parat: "Ich weiß nicht mal, wer alles an diesem Rennen teilnimmt." Das wiederum klingt nicht unbedingt wie eine Westbrook-Mentalität.