Es gibt in der Geschichte der NBA einige wenige Spieler, die man zu 100 Prozent mit einer Franchise identifiziert. Kobe Bryant, Tim Duncan und Dirk Nowitzki sind die in dieser Ära wohl besten Beispiele dafür, Damian Lillard möchte gerne einer werden. Dwyane Wade ist eigentlich auch so jemand.
Nun hat The Flash natürlich anderthalb Jahre anderswo gespielt, wie ein paar andere Legenden vor ihm: Wer erinnert sich nicht gerne an Patrick Ewing in Seattle, Hakeem Olajuwon in Toronto oder auch Michael Jordan in Washington? Richtig: Niemand erinnert sich gerne daran. Wades Abstecher nach Chicago und Cleveland dürften in dieselbe Kategorie gehören. Im Gegensatz zu MJ, Hakeem und Co. hat der 36-Jährige aber die Möglichkeit bekommen, diesen "Fehler" wieder zu korrigieren.
Da er ebenso wie Heat-Boss Pat Riley in der Lage war, über den eigenen Schatten zu springen und den Zwist beizulegen, und da Cavs-GM Koby Altman rund um die Trade Deadline ohnehin an einem epischen "Frühjahrsputz" im Kader werkelte, ist Wade seit Mitte Februar wieder da, wo er hingehört. In Miami-Dade County. Oder auch nach wie vor: Wade County.
Trade nach Miami war eine Überraschung
Es hatte nie so recht funktioniert bei den Cavs, bei denen Wade vor der Saison einen Minimalvertrag unterschrieben hatte. Mit einem Trade hatte er trotzdem bis kurz vor knapp nicht gerechnet: "Ich hatte es überhaupt nicht kommen sehen. Immer wenn es um so etwas wie Trade-Gerüchte ging, habe ich nie wirklich aufgepasst, vielleicht, weil ich es früher nicht musste", sagt Wade selbst grinsend.
Auch in diesem Fall wurde Wade ein wenig anders behandelt als der gewöhnliche NBA-Spieler. Wie ESPN kürzlich berichtete, holte sich Altman erst die Erlaubnis von LeBron James ab, bevor er Wade fragte, ob dieser eine reduzierte Rolle bei den Cavs oder einen Trade bevorzugen würde. Die Entscheidung fiel ihm verständlicherweise leicht - also schickte ihn Altman für den sehr theoretischen Gegenwert eines stark geschützten zukünftigen Zweitrundenpicks nach Miami.
"Das war die beste Deadline für mich. Ich habe mich beim GM dafür bedankt, dass er mich in eine gute Position gebracht hat", so Wade zu Yahoo! Sports. "Er hat mich dorthin geschickt, wo ich sein sollte und wollte." Und wo man auch ihn wollte.
Immer noch Dwyane Wade
Wade ist nach allen Kalkulationen einer der fünf besten Shooting Guards der NBA-Geschichte. Er ist ein garantierter Hall-of-Famer, eine lebende Legende. Er ist aber natürlich in die Jahre gekommen - auch dieses Schicksal ereilt irgendwann jeden Spieler. Wade ist spielerisch kein Star mehr in der heutigen Liga. In Miami allerdings ist er nach wie vor Dwyane Wade.
Es ist sein Bild, das man in der Stadt am häufigsten sieht, es ist sein Trikot, das ein paar Stunden nach dem Trade direkt wieder ausverkauft war. Das Miami Vice Wade Jersey ist immer noch vergriffen, auch im offiziellen Heat-Store. Er ist der Spieler, der nach den Spielen die meisten Interviews geben muss und gewissermaßen der Sprecher seines Teams ist. Obwohl er aktuell für 22,5 Minuten von der Bank kommt.
Wades Statistiken seit seiner Rückkehr
Spiele | Minuten | Punkte | Feldwurfquote | Rebounds | Assists |
15 | 22,5 | 13,1 | 43,4 Prozent | 3,5 | 2,9 |
"Er ist, wer er ist. Kein gewöhnlicher Spieler", sagt Erik Spoelstra zur Erklärung. Der Coach weiß, wovon er spricht: Gerade in der Big-3-Ära geriet er nicht nur einmal mit Wade aneinander, trotzdem verbindet ihn mittlerweile ein tiefes Band mit dem langjährigen Franchise Player. Dementsprechend begeistert war er, als Riley ihm im Februar eröffnete, dass Wade zurückkehren könnte.
Für die Skepsis, ob ein Wiedersehen mit Wade für die Heat Sinn ergeben würde, hatte der Coach wenig Verständnis. Wades Anwesenheit hatte gerade in der Saison 2015/16 Goran Dragic etwas limitiert, der in dieser Saison erstmals All-Star wurde und mit seinem temporeichen Stil für viele einfache Heat-Punkte sorgte. Wade steht seit einigen Jahren nicht mehr für Tempo-Basketball, zudem ist er genau wie Dragic dann am besten, wenn er den Ball selbst in der Hand hält.
Erik Spoelstra: "Er wird einen Weg finden"
Dennoch stellte Spo damals klar: "Dwyane wird einen Weg finden, sich einzugliedern. Er hat in seiner Karriere schon mehrfach bewiesen, dass er sich immer wieder neu erfinden und zum Sieg beitragen kann. Er hat immer wieder Opfer gebracht. Das ist etwas, was ihn als Hall-of-Famer einzigartig macht, weil er sich immer in den Dienst der Mannschaft stellt."
Das Fazit nach 20 Spielen (Wade verpasste 5 davon) fällt dabei gemischt aus. Miami hat elf davon gewonnen und ist zuhause eine Macht geworden (10 Siege aus 11 Spielen). Die Heat spielen allerdings besser, wenn D-Wade nicht aktiv ist: In seinen Minuten beträgt das Net-Rating +1,1, ohne ihn schießt es auf +7,8 herauf.
Das hat auch damit zu tun, dass Miami mit Verletzungen zu kämpfen hat und dass Spoelstra eben mitten in der Saison seine Rotationen neu durchwirbeln musste. Dass Wade den Ball allerdings etwas zu sehr dominiert, ist auch klar: Seine Usage-Rate beträgt aktuell 31,4, was eher nach All-Star klingt als nach einem alternden Reserve-Guard, der offen darüber sinniert, ob er nach dieser Saison seine Karriere beenden wird. Gut möglich, dass sich seine Rolle im Hinblick auf die Playoffs noch einmal etwas ändern muss.
Dwyane Wade: In Miami in der Verantwortung
Seinen größten Wert hat Wade mittlerweile aber wohl tatsächlich neben dem Court, was die On-Court-Performance nicht schmälern soll. Aber Wade ist nicht nur in seinem Locker Room, sondern auch in seiner Gemeinde eine absolut zentrale Figur. Nach dem Amoklauf an der Stoneman Douglas Highschool in Parkland, Florida hat er sich zu einem der prominentesten Gesichter des Protests gegen die Waffengesetze in den USA aufgeschwungen.
"Für mich als Vater ... ich war erst ein paar Tage wieder bei den Heat, als es passierte, und wir waren gerade in Philadelphia. Ich habe die Nachricht gehört und einfach Angst bekommen", sagt Wade rückblickend auf das Parkland-Shooting, bei dem insgesamt 17 Schüler ihr Leben ließen. "Ich denke, das hat mich als Vater und als Teil dieser Gemeinde dazu verleitet, mich zu engagieren und zu versuchen, zu einem Wandel beizutragen."
Er sehe sich in der Verantwortung: "Ich als Sportler und als eins der bekanntesten Gesichter in South Florida dachte, ich muss etwas tun und herausfinden, was die Jugend und was der Staat von mir in dieser Situation brauchen. Wenn man ein Vater ist und ein Herz hat, dann muss so etwas einfach bei einem ankommen. Es ist furchteinflößend."
LeBron James: "Mehr als ein Basketballspieler"
Wade engagiert sich, indem er spendet und beispielsweise den "March For Our Lives" persönlich unterstützt. Die restliche Saison der Heat hat er Joaquin Oliver gewidmet, einem der verstorbenen Parkland-Schüler, der auf eigenen Wunsch in einem Heat-Trikot mit dem Namen Wade beerdigt wurde. Er ist "viel mehr als ein Basketballspieler", wie LeBron James es ausdrückt, gerade in Florida. Die Verbindung geht weit über den Sport hinaus.
Natürlich spielt dieser aber auch weiterhin eine Rolle, wenigstens noch für ein paar Wochen. Und dass Wade beizeiten immer noch die Uhr zurückdrehen kann, zeigte er zuletzt gegen die Cavs: 4 Blocks verzeichnete Wade, zwei davon gegen James. 12 Punkte und 4 Assists in nicht einmal 18 Minuten kamen ebenfalls dazu. Wade ist nicht mehr der Superstar, der jeden Abend sein Team trägt, ein Faktor kann er aber natürlich trotzdem immer noch sein.
Dennoch: Wade blickt seinem "Ablaufdatum" als NBA-Star mit mehr als nur einem Auge entgegen. Wie passend es da doch ist, dass er zurück an dem Ort ist, an dem er für immer unsterblich sein wird.