Außerdem: Warum Tatum mit Bewunderung auf die Fußball-Weltmeisterschaft blickt - und warum es in naher Zukunft wohl keine Expansion nach Europa geben wird.
SPOX: Herr Tatum, während Basketball weltweit boomt, ist es doch keine richtige Konkurrenz für Fußball in Europa, oder?
Mark A. Tatum: Das würde ich so nicht sagen. Zwei Drittel unserer internationalen Spieler kommen aus Europa, das Interesse wächst deshalb immer weiter. Das zeigen auch die Abonnements unseres League Pass in Europa, die in dieser Saison um 30 Prozent gewachsen sind, und die Anzahl der Follower aus Europa in den Sozialen Medien ist enorm angestiegen. Übrigens lieben unsere Spieler Fußball.
SPOX: Joel Embiid ist beispielsweise ein großer Fußall-Fan.
Tatum: Absolut. Wir waren zusammen beim Spiel zwischen Chelsea und Arsenal. Übrigens war mit Boston gegen Philadelphia auch das achte Spiel in London nach wenigen Minuten ausverkauft. Das Interesse an Basketball ist also offenbar vorhanden. (lacht)
SPOX: Courtside sitzen dann die deutschen Nationalspieler Ilkay Gündogan, Mesut Özil und Shkodran Mustafi.
Tatum: So wie wir Fußball lieben, lieben Fußballer Basketball. London ist wie unser europäisches All-Star-Game geworden. Es kommen Fans aus ganz Europa, ja aus der ganzen Welt. Es ist ein voller Erfolg auf allen Ebenen und die Partie zwischen den Celtics und den 76ers war wirklich großartig. Die beste Werbung für unseren Sport.
SPOX: Trotzdem: Fußball bleibt Nummer eins in Europa - und das fast konkurrenzlos.
Tatum: Wir sehen uns nicht als Konkurrenten, sondern als gemeinsame Wegbegleiter in der Sportwelt, die voneinander lernen können.
SPOX: Was kann die NBA denn vom europäischen Fußball lernen?
Tatum: Beispielweise spielen wir seit dieser Saison mit etwas weniger Timeouts.
SPOX: Dazu hat Sie der Fußball inspiriert?
Tatum: Der Unterschied zwischen Basketball und Fußball ist eigentlich gar nicht so groß. Beide Sportarten sind einfach zu verstehen und haben einen gewissen Flow, deshalb sind es die zwei weltweit erfolgreichsten Sportarten. Fußball hat einen etwas anderen Rhythmus und hat ohne Timeouts und Unterbrechungen ein sehr klares Zeitfenster für die Spiellänge.
SPOX: "Ein Spiel dauert 90 Minuten", heißt es im Fußball. Beim Basketball sind es in der Regel über zwei Stunden.
Tatum: Um den Spielrhythmus in den letzten zwei Minuten einer Partie nicht mehr so sehr zu unterbrechen, haben wir die Timeout-Regel geändert. Das macht unseren Sport schneller. Wir sind mittlerweile auf durchschnittlich 130 Minuten pro Partie statt vorher 135.
SPOX: Was inspiriert Sie außerdem noch?
Tatum: Wir haben uns das Nachwuchssystem des europäischen Fußballs angeguckt und studiert und wollen daraus lernen. Wie dort Spieler entwickelt werden ist fantastisch. Es geht nicht nur um die sportlich-taktischen Dinge, sondern auch um die Ernährung, Gesundheit und Coaching. Den Talenten wird viel mehr mit auf den Weg gegeben, als nur Dinge, die ihren Sport betreffen.
SPOX: Vielen Kindern wird dort ein Fußball mit in die Wiege gelegt, könnte man sagen. Wie schwer ist es, Kindern weißzumachen, dass das Dribbeln mit dem Ball mehr Spaß macht, als das Schießen mit dem Fuß?
Tatum: Es ist irgendwie selbstverständlich, dass die Kinder schon in jungen Jahren einem Fußballverein beitreten, da haben Sie recht. Von dort an ist es ein großartig ausgebautes und strukturiertes Nachwuchssystem. Fußball ist unangefochten die Nummer eins in Europa. Aber wir haben einen langfristigen Plan für die Verbreitung von Basketball in Europa und wissen natürlich, dass wir die Kinder schon früh, sehr früh von Basketball begeistern müssen. Aber es wird viele Jahre Entwicklung und auch Investitionen brauchen, um da voran zu kommen. Wir sind aber gewillt, in die Domäne reinzugrätschen.
SPOX: Wie könnte das gehen?
Tatum: Unsere Profis sind unsere besten Botschafter. Das ist ein Weg. Nehmen wir zum Beispiel den Franzosen Tony Parker. Der Grund, warum er die Rückennummer 9 trägt, ist Michael Jordan. Er hat ihn 1992 im "Dream Team" der USA bei den Olympischen Spielen in Barcelona gesehen und war begeistert von unserem Sport. Wenn er Jordan, Magic Johnson und Larry Bird damals nicht gesehen hätte, wäre er wahrscheinlich auch beim Fußball hängen geblieben und würde jetzt Mittelfeld-Regisseur bei Paris Saint-Germain sein. Wir müssen die Kinder einfach begeistern. Unsere Stars wie LeBron James, Stephen Curry oder auch Dirk Nowitzki treten dabei in die Fußstapfen von MJ, Magic und Larry Bird.
SPOX: Mögen Sie selbst eigentlich Fußball?
Tatum: Klar, ich liebe es. Ich war im Januar in England und habe mich mit den Verantwortlichen der Premier League getroffen. Es ist faszinierend, wie die Liga dort funktioniert.
SPOX: Und was waren Ihre Erkenntnisse?
Tatum: Es gibt nicht nur die Möglichkeit, die Liga zu gewinnen, sondern auch noch viele weitere Wettbewerbe, Pokale, Derbys - alles Dinge, die die Fans ansprechen. Wir überlegen aktuell, wie wir gewisse Dinge davon adaptieren können.
SPOX: Adaptieren? Inwiefern?
Tatum: Zum Beispiel könnte ich mir ein Midseason- oder Postseason-Tournament vorstellen, bei dem es die Möglichkeit gibt - angelehnt an den FA-Cup - eine Liga in der Liga auszuspielen. Es gibt verschiedene Konzepte, die wir uns vorstellen können. Letztlich geht es darum, zu überlegen, wie realistisch so etwas ist und wie wir es umsetzen können.
SPOX: Haben Ihnen Ihre Kollegen aus der Premier League verraten, was sie an der NBA schätzen?
Tatum: Die Werbezeiten während eines Spiels. (lacht) Das ist natürlich der große Nachteil, wenn man keine Spielunterbrechungen im Sport hat. Wie werden dann nötige Werbezeiten verkauft, um den Sport zu monetarisieren? Ich glaube auch, dass sie unser Entertainment während eines Spiels mögen und auch die Art und Weise, wie unser Replay Center funktioniert, kommt gut an. Der Austausch und die beidseitige Inspiration ist sehr gut - auch mit den Kollegen der Bundesliga oder La Liga in Spanien.
SPOX: Kommen wir noch mal auf die Konzepte zu sprechen, die die NBA-Saison ja revolutionieren würden. Wie schnell gedenken Sie, solche Konzepte umzusetzen?
Tatum: Zeitpläne für Veränderungen setzen wir uns nicht. Aber wir versuchen, die Dinge so schnell wie möglich umzusetzen - wenn sie ausgereift sind. Wie beim All-Star Game zum Beispiel.
SPOX: Diese Veränderung ging sehr schnell vonstatten. Innerhalb eines Jahres.
Tatum: Da wuchs die Idee direkt nach dem letzten All-Star Weekend und wir haben sofort angefangen, die Ideen und letztlich die Umsetzung zu erarbeiten. Wir mussten schnell reagieren und haben es sehr hoch priorisiert. Wenn wir Dinge angehen, dann immer schnell und mit dem Ansatz, Änderungen so schnell wie möglich herbeizuführen.