Mark A. Tatum ist seit dem 1. Februar 2014 der Deputy Commissioner und Chief Operating Officer der NBA. David Nienhaus sprach für SPOX mit dem Stellvertreter von NBA-Chef Adam Silver über die globale Entwicklung der Liga und Lehren aus dem Fußball.
Außerdem: Warum Tatum mit Bewunderung auf die Fußball-Weltmeisterschaft blickt - und warum es in naher Zukunft wohl keine Expansion nach Europa geben wird.
SPOX: Herr Tatum, während Basketball weltweit boomt, ist es doch keine richtige Konkurrenz für Fußball in Europa, oder?
Mark A. Tatum: Das würde ich so nicht sagen. Zwei Drittel unserer internationalen Spieler kommen aus Europa, das Interesse wächst deshalb immer weiter. Das zeigen auch die Abonnements unseres League Pass in Europa, die in dieser Saison um 30 Prozent gewachsen sind, und die Anzahl der Follower aus Europa in den Sozialen Medien ist enorm angestiegen. Übrigens lieben unsere Spieler Fußball.
SPOX: Joel Embiid ist beispielsweise ein großer Fußall-Fan.
Tatum: Absolut. Wir waren zusammen beim Spiel zwischen Chelsea und Arsenal. Übrigens war mit Boston gegen Philadelphia auch das achte Spiel in London nach wenigen Minuten ausverkauft. Das Interesse an Basketball ist also offenbar vorhanden. (lacht)
SPOX: Courtside sitzen dann die deutschen Nationalspieler Ilkay Gündogan, Mesut Özil und Shkodran Mustafi.
Tatum: So wie wir Fußball lieben, lieben Fußballer Basketball. London ist wie unser europäisches All-Star-Game geworden. Es kommen Fans aus ganz Europa, ja aus der ganzen Welt. Es ist ein voller Erfolg auf allen Ebenen und die Partie zwischen den Celtics und den 76ers war wirklich großartig. Die beste Werbung für unseren Sport.
SPOX: Trotzdem: Fußball bleibt Nummer eins in Europa - und das fast konkurrenzlos.
Tatum: Wir sehen uns nicht als Konkurrenten, sondern als gemeinsame Wegbegleiter in der Sportwelt, die voneinander lernen können.
SPOX: Was kann die NBA denn vom europäischen Fußball lernen?
Tatum: Beispielweise spielen wir seit dieser Saison mit etwas weniger Timeouts.
SPOX: Dazu hat Sie der Fußball inspiriert?
Tatum: Der Unterschied zwischen Basketball und Fußball ist eigentlich gar nicht so groß. Beide Sportarten sind einfach zu verstehen und haben einen gewissen Flow, deshalb sind es die zwei weltweit erfolgreichsten Sportarten. Fußball hat einen etwas anderen Rhythmus und hat ohne Timeouts und Unterbrechungen ein sehr klares Zeitfenster für die Spiellänge.
SPOX: "Ein Spiel dauert 90 Minuten", heißt es im Fußball. Beim Basketball sind es in der Regel über zwei Stunden.
Tatum: Um den Spielrhythmus in den letzten zwei Minuten einer Partie nicht mehr so sehr zu unterbrechen, haben wir die Timeout-Regel geändert. Das macht unseren Sport schneller. Wir sind mittlerweile auf durchschnittlich 130 Minuten pro Partie statt vorher 135.
SPOX: Was inspiriert Sie außerdem noch?
Tatum: Wir haben uns das Nachwuchssystem des europäischen Fußballs angeguckt und studiert und wollen daraus lernen. Wie dort Spieler entwickelt werden ist fantastisch. Es geht nicht nur um die sportlich-taktischen Dinge, sondern auch um die Ernährung, Gesundheit und Coaching. Den Talenten wird viel mehr mit auf den Weg gegeben, als nur Dinge, die ihren Sport betreffen.
SPOX: Vielen Kindern wird dort ein Fußball mit in die Wiege gelegt, könnte man sagen. Wie schwer ist es, Kindern weißzumachen, dass das Dribbeln mit dem Ball mehr Spaß macht, als das Schießen mit dem Fuß?
Tatum: Es ist irgendwie selbstverständlich, dass die Kinder schon in jungen Jahren einem Fußballverein beitreten, da haben Sie recht. Von dort an ist es ein großartig ausgebautes und strukturiertes Nachwuchssystem. Fußball ist unangefochten die Nummer eins in Europa. Aber wir haben einen langfristigen Plan für die Verbreitung von Basketball in Europa und wissen natürlich, dass wir die Kinder schon früh, sehr früh von Basketball begeistern müssen. Aber es wird viele Jahre Entwicklung und auch Investitionen brauchen, um da voran zu kommen. Wir sind aber gewillt, in die Domäne reinzugrätschen.
SPOX: Wie könnte das gehen?
Tatum: Unsere Profis sind unsere besten Botschafter. Das ist ein Weg. Nehmen wir zum Beispiel den Franzosen Tony Parker. Der Grund, warum er die Rückennummer 9 trägt, ist Michael Jordan. Er hat ihn 1992 im "Dream Team" der USA bei den Olympischen Spielen in Barcelona gesehen und war begeistert von unserem Sport. Wenn er Jordan, Magic Johnson und Larry Bird damals nicht gesehen hätte, wäre er wahrscheinlich auch beim Fußball hängen geblieben und würde jetzt Mittelfeld-Regisseur bei Paris Saint-Germain sein. Wir müssen die Kinder einfach begeistern. Unsere Stars wie LeBron James, Stephen Curry oder auch Dirk Nowitzki treten dabei in die Fußstapfen von MJ, Magic und Larry Bird.
SPOX: Mögen Sie selbst eigentlich Fußball?
Tatum: Klar, ich liebe es. Ich war im Januar in England und habe mich mit den Verantwortlichen der Premier League getroffen. Es ist faszinierend, wie die Liga dort funktioniert.
SPOX: Und was waren Ihre Erkenntnisse?
Tatum: Es gibt nicht nur die Möglichkeit, die Liga zu gewinnen, sondern auch noch viele weitere Wettbewerbe, Pokale, Derbys - alles Dinge, die die Fans ansprechen. Wir überlegen aktuell, wie wir gewisse Dinge davon adaptieren können.
SPOX: Adaptieren? Inwiefern?
Tatum: Zum Beispiel könnte ich mir ein Midseason- oder Postseason-Tournament vorstellen, bei dem es die Möglichkeit gibt - angelehnt an den FA-Cup - eine Liga in der Liga auszuspielen. Es gibt verschiedene Konzepte, die wir uns vorstellen können. Letztlich geht es darum, zu überlegen, wie realistisch so etwas ist und wie wir es umsetzen können.
SPOX: Haben Ihnen Ihre Kollegen aus der Premier League verraten, was sie an der NBA schätzen?
Tatum: Die Werbezeiten während eines Spiels. (lacht) Das ist natürlich der große Nachteil, wenn man keine Spielunterbrechungen im Sport hat. Wie werden dann nötige Werbezeiten verkauft, um den Sport zu monetarisieren? Ich glaube auch, dass sie unser Entertainment während eines Spiels mögen und auch die Art und Weise, wie unser Replay Center funktioniert, kommt gut an. Der Austausch und die beidseitige Inspiration ist sehr gut - auch mit den Kollegen der Bundesliga oder La Liga in Spanien.
SPOX: Kommen wir noch mal auf die Konzepte zu sprechen, die die NBA-Saison ja revolutionieren würden. Wie schnell gedenken Sie, solche Konzepte umzusetzen?
Tatum: Zeitpläne für Veränderungen setzen wir uns nicht. Aber wir versuchen, die Dinge so schnell wie möglich umzusetzen - wenn sie ausgereift sind. Wie beim All-Star Game zum Beispiel.
SPOX: Diese Veränderung ging sehr schnell vonstatten. Innerhalb eines Jahres.
Tatum: Da wuchs die Idee direkt nach dem letzten All-Star Weekend und wir haben sofort angefangen, die Ideen und letztlich die Umsetzung zu erarbeiten. Wir mussten schnell reagieren und haben es sehr hoch priorisiert. Wenn wir Dinge angehen, dann immer schnell und mit dem Ansatz, Änderungen so schnell wie möglich herbeizuführen.
SPOX: Verbuchen Sie die radikalen Veränderungen mit einem "Team LeBron" und einem "Team Steph" als Erfolg?
Tatum: Die Veränderungen waren ein voller Erfolg. Erstmals in der Geschichte haben wir nicht mehr Ost gegen West gespielt. Die Intensität, aber auch der Spaß der Partie war unglaublich hoch und erstmal gewann die Defense ein Spiel. Die Defense!
SPOX: Hatten Sie Bedenken, was das Konzept angeht?
Tatum: Wir haben einfach etwas Neues ausprobiert und natürlich wussten wir im Vorfeld nicht, wie es bei den Fans ankommt und ob es funktioniert. Aber was war das Schlimmste, das hätte passieren können?
SPOX: Dass keiner zusieht?
Tatum: Genau deshalb wägen wir ab, ob Veränderungen wirklich richtig sind oder ob das System nicht doch so gut ist, wie es ist. Beim All-Star Game mussten wir etwas ändern und es hat funktioniert.
SPOX: Commissioner Adam Silver sprach davon, auch die Playoffs eventuell verändern zu wollen.
Tatum: Diese Diskussionen gibt es, ja. Sollen wir die Playoffs revolutionieren und statt eins bis acht im Westen oder Osten alle Playoff-Teams nach ihrer Stärke von eins bis sechzehn auflisten? Wenn wir allerdings die Playoffs ändern, müssen wir auch die reguläre Saison anpassen. Es gibt aber so viele Dinge, die beachtet werden müssen: die Gesundheit der Spieler, die Reisebelastungen, die Spieler-Vereinigung, die Nationalmannschaften. Kurzfristig wird das nicht passieren. Aber wir halten weiter ein Auge drauf und versuchen, weiter kreative Konzepte und Lösungen zu finden.
SPOX: Am Spielplan wurden schon kleinere kosmetische Anpassungen durchgeführt - vor allem wegen der Gesundheit der Spieler, die sie angesprochen haben?
Tatum: Wir spielen eine wirklich lange Saison; für einige Spieler geht sie von September bis Ende Juni. Wir haben jetzt nicht mehr dieses Mammutprogramm von vier Spielen in fünf Tagen und haben viel weniger Back-to-Backs.
SPOX: Wenn Sie über Revolution sprechen, warum reduzieren Sie nicht dann nicht auch einfach die zu spielenden Partien?
Tatum: Wir spielen 82 Spiele. Reduzieren wir den Spielplan, ist es auch eine finanzielle Entscheidung. Dann kommen weniger Zuschauer in die Arenen - momentan verzeichnen wir mit 20,2 Millionen Zuschauern einen Rekord - die Einnahmen würden sich erheblich reduzieren. Es ist eine Balance. Auf der einen Seite geht es ums Produkt, auf der anderen Seite natürlich auch um die Wirtschaftlichkeit. Das müssen wir abwägen.
SPOX: Die Klubs haben schon eigene Lösungen erarbeitet und ihre Stars in der vergangenen Saison in vielen Spielen geschont. Damit war die Liga nicht einverstanden. Warum?
Tatum: Wir verstehen, dass die Belastung der Spieler enorm ist, aber wir haben es natürlich aus verschiedenen Gründen mit Argwohn betrachtet, dass Stars geschont werden. Das war nicht gut für das Produkt. Wir haben deshalb im vergangenen Jahr Regeln dafür ausgegeben, dass die Stars ausschließlich bei Heimspielen geschont werden dürfen. Das minimiert die Zahl der enttäuschten Fans, die zum Beispiel LeBron James in New York oder Charlotte sehen wollen. Auch bei Spielen, die im nationalen Fernsehen übertragen werden, sollten die Stars nicht auf der Bank sitzen. Und natürlich sollten nicht alle Stars eines Teams, wie Stephen Curry, Klay Thompson, Kevin Durant und Draymond Green bei den Warriors zeitgleich pausieren.
SPOX: Zuletzt häuften sich aber die Verletzungen - zum Beispiel eben in Golden State. Damit ist dem Produkt auch nicht geholfen.
Tatum: Nochmal: Wir wissen, dass es eine sehr lange Saison ist und wir versuchen, für die Gesundheit der Spieler entsprechende Lösungen zu finden.
SPOX: Dann sollte ich Sie vielleicht nicht auf die Frage ansprechen, wie es um die Expansionspläne der Liga steht. Eine Franchise oder gar Conference in Europa ist wahrscheinlich schwierig umzusetzen, oder?
Tatum: Das ist wirklich schwer, so ehrlich muss ich sein. Wir haben uns den Kopf darüber zerbrochen und viel diskutiert. Aber das weite Reisen macht dieses Unterfangen fast unmöglich. Der Flug von Portland nach Madrid beispielsweise dauert eine halbe Ewigkeit. Ja, vielleicht wäre es möglich, wenn wir eine eigene Conference in Europa hätten. Trotzdem müssten wir den Spielplan enorm ändern, viel weniger Spiele austragen, um das möglich zu machen. Aber selbst dann wären die Reisen die Herausforderung. So eine Umsetzung ist nicht kurzfristig zu realisieren und deshalb auch nicht hoch priorisiert bei uns, wie andere Expansionsgedanken.
SPOX: Die da wären?
Tatum: Wir überlegen, eine Franchise in Mexico City ins Leben zu rufen. Es gibt keinen großen Zeitunterschied, Mexico City ist die größte Stadt in ganz Nordamerika und das ist ein Markt, an den wir denken. Wir spielen dort schon reguläre Saisonspiele mit unseren vorhandenen Mannschaften und überlegen auch, ein G-League-Team dort zu etablieren. Wenn wir international expandieren, dann wohl eher in diese Richtung als nach Europa. Aber wir werden es nie ganz ausschließen. Wir sind übrigens auch begeistert, dass es zum Beispiel in London, Paris, Berlin und Madrid immer größere Hallen gibt für unseren Sport gibt.
gettySPOX: Die Zeitzone ist ein gutes Stichwort: In Deutschland erkennt man Basketball-Fans an den Augenrändern. Die Zeitverschiebung ist tatsächlich ein großes Problem für die NBA, oder?
Tatum: Formulieren wir es anders: Es ist eine große Herausforderung, der wir uns stellen wollen. Deshalb haben wir die 25 Spiele am Sonntagabend ins Leben gerufen. Natürlich müssen unsere Teams dann hierzulande am frühen Nachmittag spielen, aber sie haben zugestimmt und auch verstanden, warum es wichtig ist. Wir spielen jetzt weiter mit dem Gedanken, das auch für den Samstag zu planen, um unser Produkt leichter an den Fan in Europa, aber auch in Afrika zu bringen.
SPOX: Schließen wir unser Gespräch doch mit dem Thema, mit dem wir es begonnen haben: Fußball. Was würden Sie von einem europäischen All-Star Game im Fußball halten?
Tatum: In der NBA spielen die besten Basketballer der Welt. Jeden Abend. Im Fußball spielen die besten Spieler der Welt aber nicht in einer Liga. Ich fände ein europäisches All-Star Game - adaptiert an unseres - fantastisch. Spieler aus der Premier League, der Bundesliga, der Serie A, der Ligue 1 und der Primera Division kommen für ein Spiel zusammen. Wow. Das wäre ein klasse Event und ein tolles Konzept. In den USA funktioniert das auf jeden Fall und wir zelebrieren damit unseren Sport. Übrigens ist die Weltmeisterschaft ja so etwas wie ein weltweites All-Star Game. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie unfassbar erfolgreich und groß diese Veranstaltung ist. Aber wir sind auch ganz zufrieden, wie es bei uns sportlich und wirtschaftlich läuft. (lacht)