Aron Baynes hat keinen angenehmen Job - zumindest nicht für NBA-Verhältnisse. Er ist kein Star, im Gegenteil; den meisten NBA-Fans ist er nur deswegen ein Begriff, weil ständig über ihn gedunkt wird. Trotzdem sind Spieler wie er in den NBA Playoffs unverzichtbar.
Giannis Antetokounmpo hat ihn erwischt, mehrfach. Joel Embiid. Russell Westbrook. Man könnte allein aus dieser Saison ein üppiges Mixtape aus Dunks schneiden, bei denen Baynes posterisiert wurde - sogar sein eigener Mitspieler Jayson Tatum "erwischte" ihn einmal, wenn auch eher versehentlich.
Baynes hat das Konzept der "Business Decision" nie verstanden, bei dem Spieler in gewissen Situationen lieber aus dem Weg gehen, wissend, dass sie etwa den Greek Freak oder LeBron sowieso nicht vom Stopfen abhalten werden. Oder besser: Das Konzept interessiert ihn nicht. Genauso wenig wie die Tatsache, dass er regelmäßig als "Opfer" in allen möglichen Highlight-Cuts zu sehen ist.
Jaylen Brown über Baynes: "Scheiße, das ist es doch nicht wert"
Baynes opfert seinen Körper ohne Bedenken, ganz egal, wie oft auf seiner Wikipedia-Seite jemand einträgt, dass er Spieler X zum Opfer gefallen ist. Selbst seine Mitspieler irritiert es manchmal, wie kompromisslos der Australier sich immer wieder in den Weg stellt. "Ich denke manchmal: ‚Scheiße, Junge, das ist es doch nicht wert'", sagte etwa Jaylen Brown grinsend bei ESPN, nachdem Antetokounmpo Baynes im Oktober beinahe "begraben" hätte.
Auch er weiß aber natürlich ganz genau, welchen Wert Baynes mit seiner Mentalität hat. Das zeigt sich derzeit in den Playoffs: Im Fokus stehen eher Terry Rozier, Jayson Tatum, Brown selbst oder Al Horford, der (endlich!) als legitimer Star anerkannt wird, zumindest von Leuten, die die Spiele tatsächlich sehen - aber für den Erfolg der Celtics ist auch Baynes essenziell. Eben weil er genau das macht, was Coach Brad Stevens je nach Matchup von ihm verlangt - auch wenn es weh tut.
Die Rolle variiert je nach Matchup
Seine Rolle variiert dabei, wie schon die ganze Saison über, auch in den Playoffs. Gegen die Bucks, die über keinen dominanten Lowpost-Spieler verfügten, spielte er zunächst relativ viel "im Raum" als letzte Blockade für Giannis oder auch Jabari Parker bei ihren Zügen zum Korb. Vorne ackerte er entweder am offensiven Brett, setzte (harte) Picks oder parkte in der Ecke.
Als Milwaukee aber vermehrt auf den wurfstarken und schnellen Thon Maker als Center setzte, sank Baynes' Spielzeit, da diese Maßnahme explizit seine Rolle in der Defense einschränkte. In Spiel 6 etwa spielte er nur neun Minuten, ohne dass er großartig etwas falsch gemacht hätte. Es gab einfach nicht mehr das "passende" Matchup für ihn, weshalb Stevens in den letzten drei Spielen der Serie Horford auf der Fünf starten ließ.
Darauf verzichtet er in der Serie gegen Philadelphia gerne. Gegen Embiid wird Baynes gebraucht, entsprechend kehrte er auch zurück in die Starting Five und spielte zwischen 21:11 und 29:16 Minuten, klar über seinem Saisonschnitt. Soweit es möglich ist, spiegelt Stevens die Embiid-Minuten mit Baynes, bringt ihn also häufig zurück in die Partie, sobald der Kameruner von der Sixers-Bank aufsteht.
Baynes gegen die Sixers: Verheerende On/Off-Werte
Die On/Off-Werte des Australiers sehen daher verheerend aus. Boston hat ein Net-Rating von -11,1, wenn der Australier auf dem Court steht, in den Minuten ohne Baynes hingegen beträgt dieser Wert +29,5. Man sollte sich davon aber nicht blenden lassen und schlussfolgern, dass er keinen Wert in dieser Serie hätte. Selbst wenn dieser erst auf den zweiten Blick ersichtlich wird.
Embiid ist einer der besten Spieler der Liga - vor allem ist er aber auch eins der schwierigsten Matchups. Er überragt fast jeden Gegenspieler um mindestens einen Kopf, ist zudem nicht nur unheimlich kräftig, sondern auch vielseitig wie kaum ein anderer Big Man: Er kann werfen, er hat Post-Moves, er kommt mit seiner Schnelligkeit an den meisten Gegenspielern vorbei. Es ist unumgänglich, dass man gegen einen solchen Spieler als Defender nicht immer gut aussieht.
Baynes erfährt das derzeit am eigenen Leib. Embiid hat auch ihn schon einige Male bloßgestellt - 24,3 Punkte legt der All-Star bisher in der Serie auf, wovon 14,3 Zähler im direkten Duell mit Baynes kommen. Es wird geschubst und gezerrt - Baynes wird jede Menge blaue Flecken aus dieser Serie mitnehmen. Aber er zwingt auch Embiid dazu, hart für seine Punkte zu arbeiten.
Embiid trifft gegen ihn nur 44,7 Prozent aus dem Feld, von der Dreierlinie, die ihm Baynes bereitwillig lässt, sind es bloß 16,7 Prozent. Und er braucht eben nicht ständig Hilfe, was ein Gewinn für Boston ist, weil dadurch die Wing-Defender nicht Schützen wie J.J. Redick oder Marco Belinelli blank stehen lassen müssen. Auch dadurch erlahmt das Offensivspiel der Sixers zunehmend, wenn Embiid in den Post geht.
Baynes vs. Embiid: Wichtige Entlastung für Al Horford
Positiv sind die Minuten, die Baynes Embiid verteidigt, indes trotzdem für Philadelphia. Das Team punktet um 6,3 Zähler pro 100 Ballbesitze besser (gemessen am Saisonschnitt mit Embiid auf dem Court) als erwartet, wenn Baynes der primäre Defender ist. Aber es handelt sich hier um ein zweischneidiges Schwert, denn Boston kann mit dieser Differenz leben, solange sie nicht zu extrem in Richtung der Sixers ausschlägt.
Jede Possession, die Horford nicht gegen Embiid verteidigen muss, ohne dass Boston dabei einbricht, ist wertvoll für die Celtics. Horford ist in Abwesenheit der verletzten Irving und Hayward der wichtigste Spieler in Boston - offensiv wie defensiv. Er wird am Ende von Spielen als Scorer oder Playmaker gesucht, er ist hinten der einzige, der sowohl Embiid als auch Ben Simmons glaubwürdig verteidigen kann.
Um seine Vielseitigkeit in der Defense mal zu verdeutlichen: In der Serie hat er Simmons und Embiid bisher beinahe gleich viel verteidigt (22 beziehungsweise 21,7 Possessions pro Spiel) und beiden das Leben schwer gemacht. Simmons trifft gegen ihn nur 37,5 Prozent, Embiid 42,3 Prozent. Die Sixers erzielen 16,8 Punkte weniger (pro 100 Ballbesitze), wenn Horford Embiid verteidigt.
Al Horford spielt die Playoffs seines Lebens
Horford ist der beste Embiid-Verteidiger, den die Celtics haben. Er ist aber auch der beste Simmons-Verteidiger und der wohl wichtigste Offensiv-Spieler, da die Sixers auch ihn nicht adäquat verteidigen können.
Stevens muss daher ganz genau evaluieren, wie er Horfords Energie "einteilt" und wann er ihn für das physisch wesentlich unangenehmere Matchup gegen Embiid braucht. Zumeist ist das im letzten Viertel der Fall - hier wurde Baynes in der Sixers-Serie insgesamt nur elf Minuten eingesetzt, während die Celtics ein absurdes +22,3-Net-Rating hatten, wenn Horford auf dem Court stand.
Natürlich ist hier vor allem Horford selbst zu würdigen, der momentan die Playoffs seines Lebens spielt. Aber Baynes hilft ihm dabei, was der All-Star auch selbst anerkennt: "Er macht meinen Job so viel einfacher. Sein Impact ist riesig. Er ist der ultimative Team-Spieler", sagte Horford Anfang April bei ESPN über seinen Frontcourt-Partner.
Jedes gute Team braucht einen wie Aron Baynes
Die simple Wahrheit ist: Jedes gute Team braucht solche Spieler, die harte Arbeit erledigen, ihren Stars den Rücken freihalten und dabei trotzdem ein gewisses Skillset mitbringen, was in der heutigen Zeit etwa bedeuten kann, dass sie Eckendreier treffen und saubere Picks setzen, gerade bei Big Men.
Baynes übt den Dreier seit längerem intensiv, in den Playoffs hat er bisher sechs seiner elf Versuche versenkt. Der Wurf wird zwar noch nicht so respektiert, aber wenn er das über eine größere Sample Size bestätigt, wird sich das ändern und die Offense der Celtics damit noch verbessern, weil automatisch mehr Spacing entsteht.
Baynes' primärer Wert liegt aber natürlich in der Defense und in der Bereitschaft, dorthin zu gehen, wo es wehtut. Solche prototypischen Rollenspieler finden sich überall in den Playoffs: In Houston beispielsweise passen mit Trevor Ariza, P.J. Tucker und Luc Mbah a Moute mindestens drei Spieler zu dieser Jobbeschreibung. Auch die Sixers haben in T.J. McConnell sozusagen eine "kleine" Version davon.
Ein prominentes Beispiel der jüngeren Historie wäre Shane Battier - niemand hätte bei den 2013er Heat gesagt, dass Battier der bessere Verteidiger gegen bullige Power Forwards gewesen wäre als LeBron James. Da dieser aber natürlich noch einige andere Aufgaben hatte, verbrachte Battier trotzdem den Großteil seiner Zeit damit, sich defensiv mit den Brechern zu prügeln. Wenn die Situation es erforderte, konnte James trotzdem am Ende des Spiels noch übernehmen.
Die Statistiken von Aron Baynes
Saison | Team | Punkte | Rebounds | FG% | Minuten |
12/13 | Spurs | 2,7 | 2,0 | 50,0 | 8,8 |
13/14 | Spurs (Meister) | 3,0 | 2,7 | 43,6 | 9,3 |
14/15 | Spurs | 6,6 | 4,5 | 56,6 | 16 |
15/16 | Pistons | 6,3 | 4,7 | 50,6 | 15,2 |
16/17 | Pistons | 4,9 | 4,4 | 51,3 | 15,5 |
17/18 | Celtics | 6,0 | 5,4 | 47,1 | 18,3 |
Baynes über Posterdunks: "Das ist mir völlig egal"
So funktioniert es bei guten Teams - Rollenspieler und Stars gehen Hand in Hand und brauchen sich gegenseitig. Die Stars sind der wichtigste Teil; LeBron würde vermutlich auch mit ein paar College-Kids die Playoffs erreichen, zumindest im Osten. Um aber noch weiterzukommen, reicht eine One-Man-Show nicht aus. Sogar LeBron braucht Hilfe, wenn auch weniger als jeder andere. Rollenspieler sind wichtig.
Je weiter die Playoffs voranschreiten, desto mehr wird sich dies zeigen. Natürlich werden James Harden, Anthony Davis und LeBron weiter die Schlagzeilen prägen - vollkommen zurecht. Sie sind die besten, die wichtigsten Spieler. Über jemanden wie Baynes wird dagegen nur gesprochen, wenn das nächste Mal jemand über ihn dunkt.
Das heißt aber nicht, dass er nicht wichtig wäre. Ohne Spieler wie ihn gewinnt man keine Championship. Und wenn er dann doch im SportsCenter auftaucht? "Das ist mir völlig egal, so etwas schaue ich nicht. Wenn ich zuhause bin, läuft der Disney Channel", sagt Baynes. Das kann man ihm glauben.