Die Philadelphia 76ers stehen vor einem großen Sommer. Das Team aus der Stadt der brüderlichen Liebe hat jede Menge Spielraum für diese Free Agency und wird auf die Jagd nach einem Star gehen. Wie machen sie das - und wie stehen die Chancen auf Superstars wie LeBron James oder Kawhi Leonard?
Der geniale Trade der Sixers in der Draftnacht
"Es ist kein Geheimnis. Die Zeit ist gekommen."
Ungewohnt offensiv offenbarte Sixers-Coach (und Interims-GM) Brett Brown nach dem Draft die Ziele der Franchise. Ein echter Star soll es sein, nachdem die Sixers schon in der vergangenen Saison mit dem Kern aus Ben Simmons, Joel Embiid und Dario Saric heftig ans Tor zu den Eastern Conference Finals klopften, auch wenn sie letztlich den Boston Celtics mit 1-4 unterlagen.
"Wir werden aggressiv sein und ich hoffe, dass wir uns dabei clever verhalten", schob Brown nach. Der Draft lässt zumindest darauf hindeuten, dass Philly ein klares Ziel hat und keine Kamikaze-Aktionen durchführen wird, die der Franchise in der Zukunft schaden werden.
Sixers landen mit Trade Draft-Coup
Es war durchaus überraschend, welch smarten Deal Brown als völlig unerfahrener GM mit den Phoenix Suns einfädelte, auch wenn es mit einem leichten Geschmäckle daherkam. An Nummer 10 wählten die Sixers wie erwartet Hometown-Kid Mikal Bridges aus, der als 3-and-D-Rollenspieler mit Sicherheit gut in das Konzept der Sixers gepasst hätte.
Bridges freute sich wie ein Schneekönig, arbeitet doch seine Mutter ebenfalls für die Franchise. Euphorisch gab der zweifache NCAA-Champion mit Villanova bereits Interviews, während auf einmal durchtröpfelte, dass Philly den Forward bereits nach Phoenix getradet hatte. Im Gegenzug erhielten die Sixers den No.16-Pick (Zhaire Smith) sowie einen blanken und völlig ungeschützten Erstrundenpick (via Miami) im Jahr 2021.
Ein echter Steal für Philly und zwar aus mehreren Gründen. Zum einen wäre da der Umstand, dass der Pick keinen Protections unterliegt und Miami mit Blick auf deren Roster tatsächlich zu diesem Zeitpunkt ein Lottery Team sein könnte. Der 2021er-Draft könnte zudem ein Besonderer werden. Es gibt Gerüchte, dass One-and-Done zeitnah abgeschafft wird und 2021 der erste reformierte Draft wäre. Das heißt, es würden die besten Freshmen und die Top Prospects aus der High School in einer Draftklasse verfügbar sein.
Sixers: "Kalter" Trade spart Geld
Ob dies tatsächlich eintreten wird, steht in den Sternen, doch alleine diese Möglichkeit verleiht diesem Miami-Pick einen hohen Wert, auch für einen Trade. Andere Teams werden ähnlich denken und dieses Auswahlrecht gerne in einem möglichen Paket haben, wenn Philly nach einem Star fragt (Kawhi Leonard und die Spurs?).
Und dann ist da auch noch das Offensichtliche: Erstrundenpicks bekommen garantierte Verträge, für den 16. Pick wäre dies ein Cap Hit von 2.589.480 Dollar. Zum Vergleich: Für den 10. Pick hätte Philly exakt 3.522.480 Dollar einrechnen müssen, die Sixers sparen also 933.000 Dollar an Capspace mit der Free Agency vor der Tür.
Das sind natürlich auf den ersten Blick Kleckerbeträge, doch jeder Cent zählt, den die Sixers sparen können, um tatsächlich die circa 35,35 Millionen freizuschaufeln, die es braucht, um einen LeBron James zu einem Max-Vertrag zu signen. Im Moment sind dies aber Schätzungen, erst während des Moratoriums wird die Liga den genauen Salary Cap für die Saison berechnet haben.
Dass die Sixers durch den Trade ein kleines Familien-Drama ausgelöst haben, war kalt, aber eben auch das Beste für die Franchise. Danny Ainge von den Boston Celtics hätte wohl nicht stolzer sein können. "Aus menschlicher Sicht war das natürlich nicht schön", gab auch Brown zu. "Für unsere Entwicklung der Franchise war das aber ein wichtiger Schritt. Es geht immer darum, was für die Organisation am besten ist und wie man eine Championship gewinnt."
Wie schaffen die Sixers Platz für LeBron James?
Eine gute Chance, um einen Titel zu spielen, hat man fast schon automatisch, wenn LeBron im Kader steht. Es ist kein Geheimnis, dass die Sixers den Mega-Star überzeugen wollen, auch wenn ESPN-Insider wie Brian Windhorst Philly nur Außenseiter-Chancen auf den Hauptgewinn der Free Agency einräumen.
Aus Cap-Sicht müssen die Sixers eigentlich nicht viel machen, um genug Platz für James zu schaffen. Im Moment fehlen Philadelphia 9,12 Millionen, um einen Max-Contract von 35 Prozent des Caps anzubieten. Dazu braucht es aber eigentlich keinen Cap-Künstler wie Rockets-GM Daryl Morey, um das zu verwirklichen.
In diesem Fall gehen wir davon aus, dass LeBron seine Option in Cleveland nicht zieht, ein Sign-and-Trade-Deal wäre damit vom Tisch. Der erste Schritt wäre, Point Guard Jerryd Bayless (8,575 Mio. 2018/19) zu stretchen, der ohnehin überhaupt keine Rolle mehr spielt. Damit würde Philly weitere 5,717 Millionen einsparen, womit nur noch 3,4 Millionen Dollar für den Maximal-Vertrag fehlen würden.
Spieler | Gehalt 2018/19 (in Mio.) | Anmerkungen |
Joel Embiid | 25,250,000 | 30,300,000 (MVP) |
Robert Covington | 10,464,092 | |
Jerryd Bayless | 8,575,916 | |
Markelle Fultz | 8,339,880 | |
Ben Simmons | 6,434,520 | Option gezogen |
Dario Saric | 2,526,840 | Option gezogen |
Justin Anderson | 2,516,048 | Option gezogen |
Furkan Korkmaz | 1,740,000 | |
T.J. McConnell | 1,600,520 | nicht garantiert |
Richaun Holmes | 1,600,520 | nicht garantiert |
Timothe Luwawu-Caborrot | 1,446,360 | Option gezogen |
Zhaire Smith | 2,589,480 | 120% Cap Hold |
Landry Shamet | 1,689,000 | 120% Cap Hold |
Total | 74,773,176 | |
Cap 2018/19 | 101,000,000 | geschätzt |
Space | 26,226,824 |
Sixers brauchen Tradepartner
Nach den Regeln des CBA wird der Cap immer mit mindestens 12 Spielern berechnet. Wenn es weniger sind, berechnet die NBA die offenen Plätze als 'incomplete roster charge', was dem Rookie-Minimum (0,831 Mio.) entsprechen würde. Durch das Strechten von Bayless hätten die Sixers noch genau 12 Spieler unter Vertrag.
Wenn die Sixers nun also zum Beispiel Richaun Holmes (1,6 Mio.) entlassen würden, dessen Gehalt nicht garantiert ist, kommt die oben beschriebene Regel zum Greifen und Philly würde nicht das volle Gehalt des Centers sparen, sondern eben nur knapp 770.000 Dollar.
Es läuft also darauf hinaus, dass noch ein Tradepartner gesucht werden müsste. Dazu müssten die Sixers aber noch Assets wie Furkan Korkmaz, T.J. McConnell, Justin Anderson oder zum Beispiel Timothe Luwawu-Cabarrot abgeben. Im Idealfall wäre auch Bayless in einem solchen Deal, wenn sich ein Team finden würde, welches das Gehalt des Guards aufnehmen würde.
Jemand, der in diesen Rechenbeispielen noch nicht auftaucht, ist J.J. Redick. Der Edel-Schütze verdiente 2017/18 23 Millionen Dollar und ist nun Unrestricted Free Agent. Dass er von Philly ein ähnliches Angebot erneut bekommen wird, ist nahezu ausgeschlossen. Der mittlerweile 34-Jährige wäre aber nicht der erste Veteran, der sich zum Minimum einem Contender anschließt - wenn er denn in Philly einen solchen sieht.
Weitere mögliche Ziele der Sixers: Kawhi Leonard und Paul George
Als Favorit gelten auch hier die Lakers, unter anderem weil Leonard aus Kalifornien kommt. Allerdings gab es zuletzt auch Gerüchte, dass die Spurs ihren Superstar, wenn überhaupt, nur in den Osten traden würden. Das bringt sofort die Sixers ins Gespräch, die zusammen mit Boston die besten Trade-Pakete schnüren könnten.
Es gibt sogar Verbindungen innerhalb der Sixers-Organisation zu Leonard. Coach Brown war zu Beginn von Kawhis Karriere ein Assistent bei den Spurs unter Coach Gregg Popovich, bevor er den Job als Head Coach in der Stadt der brüderlichen Liebe annahm.
Leonard wäre im Gegensatz zu James die deutlich jüngere Variante und könnte ins System der Sixers vielleicht sogar besser passen, da er weniger balldominant auftritt.
Risiken bei Kawhi Leonard
Natürlich bringt Leonard auch jede Menge Risiken mit. Sein Vertrag läuft nur noch bis 2019, die Klaue könnte auf diesem Wege sich eben ein Jahr später den Traum von Los Angeles verwirklichen. Des Weiteren ist unklar, wie fit der zweifache Verteidiger des Jahres eigentlich ist. Die Sixers werden nur für Leonard traden, wenn sie eine Garantie für eine Verlängerung haben und Einblick in seine Krankenakte bekommen.
Denn San Antonio wird einiges verlangen und Philly bei einem Trade einige Assets aus dem Kreuz leiern. Der oben angesprochene Heat-Pick wird mit Sicherheit gefordert werden, Robert Covington muss aus Gehaltsgründen mit in den Deal. Ansonsten könnte San Antonio nach Geschmack auch Dario Saric oder Markelle Fultz anfordern, wenn es zum Beispiel genügend Bieter gibt.
Paul George ist billiger als LeBron
Die Konkurrenz für Paul George dürfte ähnlich groß sein, auch wenn in den letzten Tagen nur noch wenig auf eine mögliche Liaison hindeutet. Im Gegenteil: In den vergangenen Tagen tauchten vermehrt Berichte auf, dass PG-13 sich auch einen Verbleib in Oklahoma City vorstellen könnte.
Um George zu holen, gelten ähnliche Voraussetzungen wie für LeBron. Allerdings wäre ein Maximal-Vertrag für den jetzigen Thunder-Star ein wenig günstiger. Da er erst 8 und nicht schon 10 Jahre in der NBA ist, kann George nur einen Maximal-Vertrag fordern, der 30 Prozent des Caps verschlingen würde. Dies wären für die kommende Saison nach Adam Riese 30,3 Millionen Dollar. Würden die Sixers also Bayless stretchen, wäre der Slot frei.
Welche Rolle spielt der Colangelo-Gate? Braucht Philly noch einen Star?
Philadelphia befindet sich also in einer exzellenten Situation, was das Finanzielle betrifft. Brown machte im Draft geschickte Moves, was ihm viele wahrscheinlich gar nicht so zugetraut hätten. Dabei kam der Coach unerwartet und aus unschönen Gründen zu diesem "Nebenjob."
Kurz vor den Finals sorgte ein Bericht von The Ringer für hohe Wellen. Dieser warf Fragen auf, weil der damalige General Manager Bryan Colangelo möglicherweise mehrere Fake Accounts bei Twitter dafür genutzt haben soll, um unter anderem eigene Spieler wie Joel Embiid zu kritisieren. Colangelo bestreitet diese Vorwürfe bis heute, es bleibt wohl für immer ungeklärt.
Es deutet vieles darauf hin, dass Colangelo tatsächlich nicht die Person hinter diesen Accounts war, weil einige davon Posts absetzten, als der GM zur Presse sprach. Stattdessen galt Colangelos Frau als Hauptverdächtige. So oder so: Die Basis des Vertrauens war kaputt und Philly konnte die Beziehung zu Stars wie Embiid oder Fultz nicht riskieren, der Rücktritt war der traurige, aber auch logische Schritt.
Vor der Free Agency war dies natürlich ein denkbar schlechter Zeitpunkt, die Franchise machte eine richtig schlechte Figur und wurde von großen Teilen der Liga belächelt. Dennoch scheint es so, dass dieses PR-Fiasko vergessen und kein Faktor mehr für die interessierten Free Agents ist.
Der Kern aus Simmons, Embiid und Co. ist verlockend und verspricht einiges für die Zukunft. Es gibt auch Stimmen, die sagen, dass die Sixers gar keinen weiteren Superstar brauchen, auch wenn die vergangenen Playoffs zeigten, dass ihnen die Unerfahrenheit gegen Boston letztlich zum Verhängnis wurde.
Simmons und Embiid wollen Unterstützung
Dies sprach auch Simmons bei den NBA Awards noch einmal an. "Wir brauchen noch ein wenig Zeit. Joel und ich haben noch nicht so viel Erfahrung", stellte der Australier richtig fest. "Wir brauchen einen großen Free Agent, zu dem wir aufblicken können."
Zu wem könnte man dies besser, als zu LeBron, der wie Simmons von Klutch Sports vertreten wird und bereits gut mit dem Rookie of the Year befreundet ist. Auch Embiid würde dies begrüßen, wie er nach einigen Abwerbungs-Versuchen auf Twitter noch einmal gegenüber USA Today bestätigte. "Er ist der beste Spieler der Liga und würde uns auf ein anderes Level bringen. Das ist wichtig, denn ich will eines Tages Champion sein."
Die Free Agents der Sixers
Name | Position | Alter | Cap Hold |
J.J. Redick | SG | 34 | 27,600,000 |
Amir Johnson | PF/C | 31 | 13,200,000 |
Ersan Ilyasova | PF/C | 31 | 1,544,951 |
Marco Belinelli | F | 32 | 1,544,951 |
Doch wie schnell werden die Sixers dieses Ziel erreichen können? Viele Fragen wird die kommende Free Agency beantworten. Das Fenster für Championships könnte schmaler sein, als viele das wahrhaben wollen. Die Youngster werden von Jahr zu Jahr teurer, vor allem Dario Saric ist nach 2019 für die Sixers kaum mehr zu bezahlen, wenn man davon ausgeht, dass Simmons im gleichen Jahr seinen Maximal-Vertrag wohl bereits in der Tasche hat.
Brown, der jetzt alle Fäden in der Hand hält, blickt dennoch optimistisch auf den Start der Free Agency. "Wir sind in einer guten Position, haben viele junge Spieler und weitere Assets", weiß der Coach/GM. "Wenn unsere Jagd nach einem Star in diesem Jahr keinen Erfolg hat, werden wir unsere Stars eben weiterentwickeln und uns darauf konzentrieren, was wir haben."
Und das ist auch ohne einen namhaften Free Agent jede Menge.