Es ist mittlerweile schon eine Art Tradition beim alljährlichen NBA Draft: Die Knicks ziehen einen Spieler, von dem sie sich viel erhoffen, die Fans wiederum buhen, weil sie lieber einen anderen Spieler gehabt hätten. Oder weil sie das Front Office beziehungsweise Besitzer James Dolan kritisieren wollen, was in dem Fall aber auf dasselbe hinausläuft, weil es sich im Moment kaum trennen lässt.
Nicht, dass man ihnen das so wirklich verübeln könnte: Seitdem Dolan 1999 als Vorsitzender die Geschicke des Teams leitet, stolperte dieses wieder und wieder über die eigenen Füße, produzierte Chaos und Kontroversen, verpasste seit 2001 13 mal die Playoffs und gewann genau eine Playoff-Serie (2013). Der eigenen reichen Tradition werden die Knicks schon seit dem Abschied von Patrick Ewing im Jahr 2000 nicht mehr gerecht.
Es ist daher verständlich, dass auch jede Draft-Entscheidung der Franchise zunächst argwöhnisch betrachtet wird, auch wenn die Spieler nichts dafürkönnen. Zumal sich das Blatt ebenso schnell wenden kann: Kristaps Porzingis wurde einst heftig ausgebuht und war binnen weniger Spiele dann das liebste Kind der New Yorker, beim neusten Hoffnungsträger war das Geschrei bei weitem nicht so laut, auch um ihn ist aber mittlerweile schon ein gewisser Hype entstanden.
Kevin Knox: Noch gar nicht ausgewachsen?
Kevin Knox hatte gerade seinen ersten Geburtstag erlebt, als New York sich im September 2000 vom langjährigen Franchise Player Ewing trennte. Der noch immer erst 18-Jährige war nach Isaac Bonga der zweitjüngste Spieler, der beim Draft 2018 im Juni gezogen wurde - im Gegensatz zum Deutschen aber nicht als Projekt in der zweiten Runde, sondern als (hoffentlicher) Impact Player mit dem 9. Pick, mit ungleich höheren Erwartungen.
Dabei ist der Forward bisher natürlich weder spielerisch noch körperlich ein fertiges Produkt, genau das macht ihn allerdings besonders interessant. Zum einen ist sein physisches Wachstum wohl noch nicht abgeschlossen - Knox wird derzeit bei 2,06 m gelistet, sein Vater Kevin Knox Sr. sagte der New York Post kürzlich, dass Ärzte mit etwa 2,11 m rechnen -, zum anderen lernt er spielerisch gerade erst das Ausmaß seiner Fähigkeiten kennen.
Zum Draft galt Knox bereits als vielseitiger Scorer, seine Auftritte in der Las Vegas Summer League, in der er es mit durchschnittlich 21,3 Punkten ins All-Tournament First Team schaffte, deuteten aber schon an, dass man die Erwartungen an ihn vielleicht schon jetzt neu kalibrieren muss. Es waren bloß vier Spiele, aber Knox zeigte dabei nicht nur Talent als Scorer - sondern abgesehen von mehreren beeindruckenden Poster-Dunks auch ein paar Eigenschaften, die ihm zuvor überhaupt nicht zugesprochen worden waren.
Kentucky Wildcats: Ein Lottery-Pick nach dem anderen
Die Kentucky Wildcats der Ära John Calipari sind seit einigen Jahren die Talentschmiede schlechthin. Etliche Spieler unterschreiben explizit deshalb dort, weil Coach Cal ihnen verspricht, sie innerhalb eines Jahres bestmöglich auf die NBA vorzubereiten und gut zu positionieren: Allein zwischen 2010 und 2015 kam der No.1-Pick dreimal aus Kentucky (John Wall, Anthony Davis, Karl Towns), eine Heerschar weiterer Lottery-Picks hat Calipari ebenfalls "One-and-Done" in die Liga gebracht.
Dementsprechend viele Top-Rekruten entscheiden sich Jahr für Jahr für Kentucky, was dazu führt, dass die Wildcats in den letzten Jahren fast immer zu den talentiertesten College-Teams gehört, wenn auch ohne viel Kontinuität. Das ist einerseits natürlich eine große Hilfe, andererseits kann es aber auch dazu führen, dass gewisse Fähigkeiten von ihnen gar nicht so zum Vorschein kommen, weil sie nicht gebraucht werden.
Devin Booker etwa wurde auch deshalb erst an Position 13 gepickt, weil er in einem absurd talentierten Kentucky-Team (Towns, Tyler Ulis, Trey Lyles, Willie Cauley-Stein, Aaron Harrison, Dakari Johnson, Andrew Harrison, Alex Poythress...) nur 10 Punkte im Schnitt machte und eben nicht als der dynamische Scorer gefragt war, der er in Phoenix sein kann und muss. Bei Knox scheint nun zumindest teilweise ein ähnlicher Fall vorzuliegen.
Kevin Knox: Potenzial als Playmaker
In Kentucky war Knox primär als Finisher aufgetreten, zwar durchaus auch mal im Pick'n'Roll, aber eben fast ausschließlich als letzte Station einer Possession. In Las Vegas hingegen ließ ihn Summer-Coach Mike Miller selbst viele Angriffe initiieren. "In Kentucky war ich an der Baseline unterwegs", sagte Knox selber zu The Athletic. "Hier lassen sie mich oben agieren wo ich das Spiel ganz anders lesen und zum Korb gehen kann. Ich bin vielseitig, deswegen liegt mir dieses Spiel."
Am College war Knox ein vollstreckender Teil des Systems, die Sommer-Knicks machten ihn hingegen zum System - zu einem balldominanten, deutlich aggressiveren Scorer, im positiven Sinn. Seine Schnelligkeit und Athletik macht ihn gerade in Transition zur Waffe, wenn er den Rebound holt und direkt selbst nach vorne geht, aber auch sein Ballhandling hat sich schon drastisch verbessert, sodass er sich jetzt im Halbfeld mit Ball in der Hand viel besser zurechtfindet.
Sein Wurf muss respektiert werden, auch wenn die Dreierquote mit gut 34 Prozent noch ausbaufähig ist, die Technik ist aber bereits sehr vielversprechend. Je mehr er sich daher mit dem Ball in der Hand im Pick'n'Roll wohlfühlt, desto mehr wird er auch zum Matchup-Albtraum. Zumal Knox, der am College kaum mal durch saubere Pässe auffiel, auch hier schon angedeutet hat, dass mehr in ihm steckt.
David Fizdale will Kevin Knox formen
Das hat nicht zuletzt mit David Fizdale, dem neuen Head Coach der Knicks, zu tun: Fizdale hat schon mehrfach davon gesprochen, dass er kommende Saison mit mehreren Ballhandlern und Playmakern agieren will, und Knox soll einer davon sein: "Fiz will, dass ich den Ball viel in der Hand habe, nach Rebounds, aber auch in Pick'n'Rolls. Daher habe ich daran schon den ganzen Sommer gearbeitet."
Nun war es bisher zwar bloß die Summer League, die ersten Eindrücke waren sehr vielversprechend, wie auch Fizdale bei The Athletic anerkannte: "Er versteht das Spiel für sein Alter schon sehr gut. Wir stecken ihn bewusst in viele verschiedene Situationen, lassen ihn als Roll-Man und als Ballhandler auftreten. Wir wollen viel ausprobieren, um das Maximum aus seinem Skillset herauszuholen."
Fizdale sieht in dem äußerst vielseitigen, wenn auch teilweise noch ziemlich rohen Youngster weit mehr als einen Scorer, sondern einen potenziellen Alleskönner im Stile eines Kevin Durant, der nicht ganz zufällig auch dessen spielerisches Vorbild ist. Das kann und darf den Knicks-Fans durchaus Hoffnung machen - gerade in Verbindung mit Porzingis.
Die Statistiken von Kevin Knox am College
Spiele | Minuten | Punkte | FG% | 3FG% | Rebounds | Assists |
37 | 32,4 | 15,6 | 44,5 | 34,1 | 5,4 | 1,4 |
Es war nur die Summer League
Der Lette wird weiterhin der Franchise Player im Big Apple sein, seine starken Leistungen vor der Verletzung in der vergangenen Saison zeigten aber auch: Er braucht offensive Entlastung neben sich, dringend auch Spieler, die mit Ball in der Hand selbst für Gefahr sorgen können. Fizdales Plan sieht vor, dass Knox so ein Spieler ist, wenn Porzingis irgendwann im Laufe der Saison von seinem Kreuzbandriss zurückkehrt.
Deswegen wird Knox bis dahin auch mit Wucht ins kalte Wasser geschmissen werden, auch wenn dieser schon erkannt hat, dass es in der echten NBA nicht ganz so geschmeidig laufen dürfte wie in der Summer League. "Es wird hart, das auf die Saison zu übertragen. Ich spiele gerade gut, aber das wird in der NBA alles ein bisschen schwieriger", sagte Knox in Las Vegas.
Knox kann und wird Fehler machen - das ist bei den Knicks, die nächste Saison wohl nichts mit den Playoffs zu tun haben werden, aber vorerst auch erwünscht und in Ordnung. Wichtiger als die blanken Resultate ist zunächst der Fortschritt, den Knox als Basketballspieler erreicht. Der Weg, den er dabei noch vor sich hat, ist zweifelsohne weit, aber vielleicht nimmt Fizdales Vision irgendwann Formen an.
Eine neue Ära in New York?
Dann läuft ein (etwa) 2,11 m großer Knox das Pick'n'Roll mit dem 2,21 m großen Porzingis, eine Kombination zweier mobiler, wurfstarker und dynamischer Riesen, die konventionell eigentlich nicht zu verteidigen sind und die, zusammen auch mit Frank Ntilikina und Zweitrundenpick Mitchell Robinson, endlich die nächste erfolgreiche Ära der Knicks einleiten könnten. Wenn man es diesmal vermeiden kann, die zahlreichen Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.
Ihren Argwohn, was das angeht, werden die Knicks-Fans dabei freilich noch eine ganze Weile behalten, das ist aber auch in Ordnung. Knox hat schon mit seinen Auftritten in der Summer League dafür gesorgt, dass schon jetzt niemand mehr Buhrufe mit ihm in Verbindung bringt - sondern Hoffnung. Darauf lässt sich aufbauen.