Die Chicago Bulls haben die Reißleine gezogen und nach einem erneut schwachen Saisonstart Head Coach Fred Hoiberg entlassen. Es ist die richtige Entscheidung, allerdings kommt diese Maßnahme viel zu spät. Vielmehr unterstreicht die Beurlaubung den Schlingerkurs des Bull-Managements der vergangenen Jahre.
Dreieinhalb Jahre lang war Fred Hoiberg Coach in Chicago. Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an, wenn man bedenkt, wie häufig und teilweise hitzig über den Mann auf der Kommandobrücke bei den Bulls diskutiert wurde.
Die Erwartungen an den ehemaligen College-Coach aus Iowa mit Bulls-Vergangenheit waren groß. Hoiberg war die Antithese des vom Management bestenfalls geduldeten Tom Thibodeau. Hoiberg sollte in Chicago eine neue Ära einleiten, weg vom defensiv-geprägten Basketball unter Thibs, hin zum modernen Pace-and-Space, der die Liga nun spätestens seit dem ersten Titel der Warriors 2015 prägt.
"Wir hatten mit Thibs ein wenig Erfolg, doch wenn wir in die Zukunft schauen, dann glauben wir, dass wir als Organisation eine Veränderung benötigen, damit die Franchise weiterwachsen und sich verbessern kann", erklärte GM Gar Forman bei der Vorstellung von Hoiberg anno 2015.
Chicago Bulls starten erneut schwach
Um es zu verdeutlichen: Die Bulls erreichten im letzten Jahr unter Thibs die zweite Playoff-Runde und scheiterten erst nach sechs umkämpften Spielen gegen die Cleveland Cavaliers um LeBron James. Unter Hoiberg gewannen die Bulls zwei Playoff-Spiele in drei Saisons, wenngleich auch mit teilweise deutlich schwächer besetzten Teams.
Thibodeau war dennoch ein Bauernopfer, das den Machtkampf innerhalb der Organisation verloren hatte. Auch Hoiberg ist nun gewissermaßen das schwächste Glied in der Kette. Chicago ging mit Playoff-Ambitionen in die Saison, was sich ein wenig realitätsfremd anhörte, und findet sich erneut im Keller der Eastern Conference mit einer Bilanz von 5-19 wieder.
Coach Hoiberg können sicherlich viele Vorwürfe gemacht werden, unter anderem der, dass dieses Team keine klare Richtung oder Identität besitzt, die Misere dieser Spielzeit ist ihm aber nur bedingt anzulasten. Lauri Markkanen gab erst am Wochenende sein Saison-Debüt, Starting Point Guard Kris Dunn wird noch Wochen fehlen, gleiches gilt für Bobby Portis. Dass Hoiberg nun genau jetzt gefeuert wird, ist schlichtweg inkonsequent und sagt erneut einiges über das Front Office in der Windy City aus.
Hatte Coach Hoiberg überhaupt eine Chance?
Hatte Hoiberg in dieser Saison (und den Jahren zuvor) überhaupt eine faire Chance? Blickt man auf die Kaderzusammenstellung, ist das durchaus zu bezweifeln. Das beginnt schon 2016, als die Bulls zwar nicht wie 50 Prozent der Liga mittelmäßige Center überbezahlten, dafür aber überteuerte Veteranen wie Dwyane Wade oder Rajon Rondo ins Team holten. Spieler, die offensichtlich nicht zur Denke des Coaches passten.
Dieser Fehler wurde im Jahr darauf korrigiert, beide Veteranen wurden entlassen, Jimmy Butler nach Minnesota getradet. Tanking war das Motto, was Chicago so offensichtlich wie wohl kein anderes Team betrieb (eine Verwarnung der Liga gab es obendrauf) und dennoch nur den siebten Pick (Wendell Carter Jr.) ergatterte. Das reichte dem Front Office aber, um wieder um die Playoffs mitspielen zu wollen.
Zach LaVine wurde als RFA gehalten, dazu holten die Bulls mit Jabari Parker einen Hometown-Hero, der so gar nicht ins Konzept von Hoiberg (wie auch LaVine) passt. Hoiberg wollte, dass der Ball läuft, wenig gedribbelt wird. Völlig überraschend konnten sowohl Parker als auch LaVine dies nicht wirklich umsetzen. Eine Identität war bei den Bulls einfach nicht sichtbar, auch nicht von Management-Seite.
Auch Hoiberg machte Fehler
Es wäre aber falsch, den Coach von jeglicher Schuld freizusprechen. Nach über drei Jahren in der NBA weiß eigentlich weiterhin niemand, für was der Coach überhaupt steht. Zwar redete Hoiberg häufig über seine Philosophie, doch erkennbar war diese nie. So wollte er in der Defense viel switchen, ließ dann aber in der Crunchtime einen Parker auf dem Feld, der defensiv kaum zumutbar ist, egal gegen welchen Gegenspieler, groß oder klein. Hinzu kamen Mängel in der öffentlichen Darstellung und wohl auch im Umgang mit den eigenen Spielern.
Schon vor über zwei Jahren zweifelten viele an der Tauglichkeit von Hoiberg als NBA-Coach, doch Forman und John Paxson hielten an ihm fest, auch wenn das Duo ihrem Coach nicht wirklich Rückendeckung gab. "Fred wird an sich arbeiten müssen, das ist wie mit Spielern. Sie werden mit der Zeit besser und auch Fred wird herausfinden, was er für ein NBA-Coach sein möchte", erklärte Paxson auf der Exit-PK nach dem Ausscheiden gegen die Boston Celtics im Jahr 2016.
Doch was ändert sich nun in Chicago mit der Entlassung? Jim Boylen, zuvor Assistent unter Hoiberg, wird mindestens bis zum Ende der Saison die Zügel in der Hand halten und bekommt die Chance, sich zu empfehlen. Zumindest ist er ein einigermaßen frisches Gesicht, der auch dieser angestaubten Franchise einige neue Ideen einverleiben könnte.
Chicago Bulls: Wie steht es um die Zukunft?
Viel wichtiger ist aber, zu analysieren, was sich in Chicago an Talent vorfindet. Markkanen spielte eine hoffnungsvolle Rookie-Saison, fehlte zuletzt aber verletzt. Der Finne ist wahrscheinlich der talentierteste Spieler im Kader, dazu zeigte Frischling Carter einige gute erste Spiele. Ob die beiden sich im Frontcourt allerdings gut ergänzen, muss und wird die Zeit zeigen.
LaVine wird die kommenden vier Jahre je 19,5 Millionen Dollar kassieren, er muss somit als essentieller Teil der Bulls-Zukunft gesehen werden. 25,0 Punkte pro Spiel klingen natürlich vielversprechend, doch mit dem Highflyer sind die Bulls Vorletzter im Offensiv-Rating und seine zum Saisonstart überragenden Quoten sind bereits wieder ziemlich zurückgegangen. LaVine macht die Offense also noch nicht wirklich besser, auch wenn er selbst nette Zahlen auflegt.
Für Struktur könnte dagegen der noch verletzte Dunn sorgen, auch wenn dieser noch nicht beweisen konnte, dass er ein echter Starter auf der Eins sein kann, auch wenn er schon bald 25 Jahre alt sein wird.
Chicago Bulls: Forman und Paxson brauchen Ergebnisse
Reicht dieser Kern also, um in der Zukunft wieder Contender-Status im Osten zu erreichen? Natürlich wird es Veränderungen im Kader geben, die Bulls haben obendrein jede Menge Flexibilität im Sommer, doch dies kann die halbe Liga behaupten. Wann entschied sich mal ein wirklich umworbener Free Agent in der Vergangenheit für Chicago? Der 34-jährige Pau Gasol 2014?
Langsam aber sicher müssen auch Forman und Paxson Resultate abliefern, denn Erfolge gab es zuletzt keine vorzuweisen. Hoiberg war die erklärte Wunschlösung nach Thibodeau und scheiterte krachend aus verschiedensten Gründen. Er war vielleicht kein guter Coach, aber das Duo half dem Übungsleiter auch nicht mit der Kaderzusammenstellung.
Im Moment sind die Bulls noch sehr weit weg, um wieder eine etablierte Kraft in der NBA zu werden, Hoiberg hin, Hoiberg her. Sollte sich auch unter Boylen keine Besserung einstellen, wird sich früher oder später auch das Duo an der Spitze mal ernsthaft hinterfragen müssen.