Etwas überraschend haben die Minnesota Timberwolves direkt nach einem Blowout-Sieg gegen die Los Angeles Lakers ihren Head Coach Tom Thibodeau entlassen. Wie kam es dazu und wie geht es nun weiter bei den Wolves? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was ist passiert?
Eigentlich erlebten die Timberwolves und Tom Thibodeau einen recht angenehmen Sonntag: Mit 22 Punkten Unterschied wurden die Los Angeles Lakers mittags nach Hause geschickt, wobei die Jungstars Karl-Anthony Towns und Andrew Wiggins beide genau die Qualitäten zeigten, die man sich in jedem Spiel von ihnen erhofft.
Da die Lakers sehr ersatzgeschwächt nach Minneapolis reisten, konnte man auch von einer erledigten Pflichtaufgabe sprechen. Nur gut eine Stunde später war es indes vorbei mit der vermeintlichen Harmonie: Besitzer Glen Taylor entschied sich dazu, Thibodeau als Head Coach und Team-Präsidenten zu entlassen.
Noch im Locker Room wurde Thibs von GM Scott Layden (dessen Posten wohl ebenfalls nicht sicher ist) und CEO Ethan Casson über die Entscheidung informiert - Adrian Wojnarowski (ESPN) zufolge war auch Thibodeau selbst davon überrascht, genau wie viele seiner Spieler.
Thibodeau wird nun interimsweise von Ryan Saunders ersetzt, der mit nur 32 Jahren zum jüngsten NBA-Coach avanciert. Thibodeaus Rolle als Team-Präsident wurde indes bisher nicht neu vergeben, allerdings hatte er im Front Office schon etwas länger an Macht verloren - schon im Zuge der Jimmy-Butler-Saga hatte Taylor betont, Thibs solle sich mehr aufs Coaching konzentrieren und Layden solle nach Trades suchen.
Thibodeaus Amtszeit bei den Wolves endete damit nach ziemlich genau zweieinhalb Saisons mit einer 97-107-Bilanz.
Warum musste Thibodeau gehen?
Wenn man ehrlich ist, überraschte zwar das Timing unmittelbar nach einem Blowout, die Entlassung selbst allerdings überraschte mitnichten. Thibodeau führte die Wolves vergangene Saison zwar zu ihrer ersten Playoff-Teilnahme seit 2004, insbesondere seine Personalentscheidungen wurden ihm aber spätestens beim Butler-Fiasko zum Verhängnis.
Coach Thibs und Front Office Thibs schienen schon länger nicht unbedingt auf einer Linie zu sein, weshalb der sture Coach monatelang darauf bestand, Butler zu halten und doch noch irgendwie vom Verbleib zu überreden, statt dessen Wunsch zu beachten und den besten Gegenwert zu finden. Obwohl Robert Covington und Dario Saric in Minny durchaus eingeschlagen haben (vor allem RoCo), hat sich die ganze Angelegenheit fraglos viel zu lange hingezogen und Spuren hinterlassen.
Die Doppelfunktion war nicht mehr zeitgemäß - allerdings waren die Wolves offensichtlich auch mit Thibs' reinem Coaching nicht einverstanden, sodass eine Degradierung/Refokussierung wie bei Doc Rivers in L.A. keine Option war. Auch dafür gibt es gute Gründe. Trotz der Playoff-Teilnahme lassen die Wolves nunmehr seit zweieinhalb Jahren eine echte Handschrift vermissen.
Auch wenn die Defense seit Covingtons Ankunft viel besser geworden ist, rangiert Minnesota derzeit nur auf Platz 20, die letzten beiden Jahre lagen sie jeweils auf Platz 27, dabei ist die Defense Thibs' erklärtes Steckenpferd. Und offensiv spielten die Wolves mitnichten modern. Kurioserweise schafften sie es erst in den letzten paar Spielen, Towns endlich mal komplett seinen Stärken gemäß einzusetzen. Offensichtlich kam diese Entwicklung zu spät.
Tweets by Twolves_PR"Wir haben jetzt die halbe Saison hinter uns und ich glaube nicht, dass wir da sind, wo wir sein sollten", erklärte Taylor die Entscheidung gegenüber dem Star-Tribune, dessen Besitzer er nebenbei auch ist. "Wir wollen immer noch die Playoffs erreichen und jetzt, wo noch eine halbe Saison zu spielen ist, wollen wir sehen, ob ein Wechsel einen Unterschied macht."
Der Trend zeigte dabei in den letzten Wochen durchaus ein bisschen nach oben. Der Saisonstart mit Butler verlief zwar richtig schlecht (4-9), seither hat Minnesota indes eine positive Bilanz aufgelegt (15-12). Diese entsprach jedoch noch immer nicht den Erwartungen von Taylor.
"Ich schaue nur auf die Resultate", so der Besitzer. "Und ich denke nicht, dass wir gegen Phoenix oder Detroit oder New Orleans oder Atlanta verlieren sollten. Vielleicht eins dieser Spiele. Aber wir haben jetzt gegen mehrere Teams verloren, die schlechter sind als wir. Warum? Ich weiß nicht den exakten Grund, aber es hätte nicht passieren sollen."
Klingt etwas konfus? Nun - es hat sicherlich Gründe, dass die Wolves abgesehen von der Kevin Garnett-Ära nur einmal (letzte Saison) die Playoffs erreicht haben und dass auch dieser vergrault wurde. Taylor wisse "einen Scheiß über Basketball", sagte KG noch vor wenigen Wochen über den langjährigen Besitzer der Wolves.
Wer ersetzt Thibs und welche Rolle spielt Fred Hoiberg?
Den Posten als Coach wird vorerst Ryan Saunders übernehmen, der trotz seines jungen Alters (sowohl Taj Gibson als auch Luol Deng sind älter) als Respektsperson im Locker Room gilt und eine echte Chance darauf haben soll, den Posten dauerhaft zu bekommen. Der Name Saunders ist in Minnesota schließlich bestens bekannt: Sein Vater Flip galt bis zu seinem Tod an einem Hodgkin-Lymphom im Jahr 2015 als eine Art Urvater der Timberwolves.
Ryan Saunders arbeitete fünf Jahre als Assistant Coach bei den Wizards, bevor er 2014 den Staff seines Vaters verstärkte. Nach dessen Tod blieb Saunders dann auch unter Sam Mitchell und später Thibodeau in Minnesota. Mindestens bis zum Ende der Saison soll er nun die Chance erhalten, sich als Head Coach zu beweisen.
"Meine Hoffnung wäre, dass Ryan übernimmt und wir gut genug spielen, um die Playoffs zu erreichen, sodass er es verdient, permanent zum Coach zu werden", erklärte Taylor. "Das wäre meine Hoffnung." Für Saunders spreche der Faktor Kontinuität, da alle Spieler ihn bereits kennen und, im Gegensatz zu Thibodeau, als guten Kommunikator ansehen.
Wie Taylors Aussagen durchblicken lassen, wird Saunders also gewissermaßen getestet. Pikanterweise geisterten auch schon direkt nach der Entlassung Thibodeaus weitere externe Namen durch die Gazetten - einerseits der von Monty Williams, der derzeit als Assistant Coach bei den 76ers arbeitet, andererseits der von Fred Hoiberg, der vor wenigen Wochen in Chicago entlassen wurde.
Die Personalie Hoiberg ist natürlich in mehrerer Hinsicht kurios, allen voran deshalb, weil er bereits bei den Bulls auf Thibodeau folgte und dort schon vorher jahrelang als Wunschkandidat gehandelt wurde, als Coach dann aber relativ kläglich scheiterte. Ebenjener Hoiberg arbeitete von 2006 bis 2010 passenderweise auch schon mal im Front Office der Wolves und gilt bei Taylor, das ist wohl nach wie vor der wichtigste Faktor, als äußerst geschätzt. Der "TimberBulls"-Aspekt hätte dann doch noch nicht ausgedient.
Informationen von The Athletic zufolge wird Hoiberg, der derzeit ohne Job dasteht, allerdings wohl auch von UCLA umworben wird, aber zumindest in nächster Zukunft kein heißer Kandidat auf den Posten von Head Coach oder Team-Präsident sein, wenngleich sich dies jederzeit ändern kann. Vielleicht ist eine Rolle im Front Office auf Sicht ohnehin realistischer als ein Trainerposten für Hoiberg.
Je nachdem, wie sich Saunders schlägt, könnte der Posten von GM Layden eher vakant werden. Seine Zukunft ist "unsicher", so Woj - sowohl Hoiberg als auch der derzeitige ESPN-Experte Chauncey Billups wurden demnach intern schon als potenzielle Nachfolger diskutiert.
Kann Minnesota die Playoffs noch erreichen?
Nach mehr als einem Jahrzehnt auf dem Abstellgleis hat Taylor die Postseason augenscheinlich auch in dieser Saison zum wichtigsten Ziel überhaupt deklariert. Blickt man auf die Tabelle, ist für die Wolves auch durchaus noch alles drin: Derzeit rangieren sie auf Platz 11, nur zwei Spiele hinter den achtplatzierten Lakers und auch nur 4,5 Spiele hinter den Clippers, die momentan Platz 4 belegen.
Es ist jedoch das immer wieder bemühte Thema dieser Saison im Westen: Mit Ausnahme der Suns haben ausnahmslos alle Teams Playoff-Ambitionen. Das Feld ist so nah beisammen, dass die Lakers vor zwei Wochen noch ein Heimvorteil-Team waren und jetzt kurz davor sind, aus den Playoff-Rängen zu fallen.
Jeder Streak kann einiges verändern, das haben zuletzt die Rockets eindrucksvoll bewiesen und, in gegensätzlicher Richtung, auch die Grizzlies und Mavericks. Die Timberwolves haben durchaus auch das Potenzial, um eine Serie hinzulegen - die Formkurve zeigte zuletzt vor allem bei Towns nach oben, der in seiner derzeitigen Form an fast jedem Abend der beste Spieler auf dem Court sein kann.
Folgendes ist aber wichtig zu betonen: KAT wird es nicht alleine schaffen können. Es braucht weiter starke Leistungen von Derrick Rose, sobald dieser zurückkehrt, und von Covington - allen voran braucht es diese aber von Andrew Wiggins. In Spielen wie dem gegen die Lakers sieht man, wie gut der Kanadier sein kann, wenn er motiviert ist - insofern wird es vielleicht die größte Herausforderung für Saunders, im Swingman dauerhaft ein gewisses Feuer zu entfachen.
Selbst dann ist eine Playoff-Teilnahme aber längst nicht garantiert. Die Wolves sind dünn, haben wenig Shooting und längst nicht auf jeder Position Defensiv-Kompetenz - dem Net-Rating zufolge (+0,3) sind sie bis hierhin ein durchschnittliches Team. Saunders wird nicht von heute auf morgen Ausrichtung und Systeme umkrempeln können. Erst das All-Star Break Mitte Februar wird die Möglichkeit bieten, intensiv neue Systeme zu verinnerlichen.
Es ist beileibe nicht unmöglich, dass Minnesota noch die Playoffs erreicht. Der Westen ist aber so fragil, dass es zu diesem Zeitpunkt albern wäre, alles davon abhängig zu machen, dass am Ende Platz 8 und nicht etwa Platz 10 erreicht wird. Für Garantien oder Ähnliches sind die Wolves nicht gut genug. Blöd für Saunders: Er wird sich trotzdem genau daran messen lassen müssen und nicht etwa an spielerischem Fortschritt, Teamchemie oder dergleichen.
Den Wolves stehen noch einige (weitere) interessante Wochen und Monate bevor, Ausgang offen.
Wie geht es für Thibodeau weiter?
Als die Timberwolves Thibodeau im Sommer 2016 als Coach verpflichten konnten, galt dies als Coup, als idealer Fit - der ausgewiesene Defensiv-Spezialist schien genau der richtige Mann, um die talentierten, aber bisweilen unprofessionellen Youngster Towns, Wiggins und Zach LaVine einzunorden und ein Gewinner-Team aus der "Loser-Truppe mit Potenzial" zu machen.
Zweieinhalb Jahre später erscheint dies gewissermaßen immer noch nötig, wenngleich sich Towns seither sicherlich weiterentwickelt hat. Bei Wiggins kann man dies in Frage stellen. Und die Defense der Wolves war, Steckenpferd hin oder her, auch unter Thibs überwiegend fürchterlich, bis Covington ihr neues Leben eingehaucht hat.
Es ist vor allem der letzte Punkt, der sich für Thibs' Zukunft als Coach problematisch erweisen könnte. Einen Posten mit Doppelfunktion wird er nicht mehr bekommen - dafür waren seine Front Office-Entscheidungen überwiegend zu schlecht und dafür gab es, in der gesamten Liga, über die letzten Jahre zu viele negative Beispiele. Die Zeiten dieser Rolle könnten mit Thibs' Entlassung gezählt sein.
Auch als Head Coach könnte es für Thibodeau aber vorerst schwierig werden. 2008 galt er als Defensiv-Genie, als er dem Meister-Team der Celtics als Assistant Coach ein Konzept verpasste, das Defense revolutionierte und von fast allen Teams in Teilen kopiert wurde. "Strong Side" fußte vor allem darauf, den Zug zum Korb zu verhindern und Teams dazu einzuladen, es mit diversen Mitteldistanzwürfen zu versuchen.
Ohne hier zu sehr ins Detail zu gehen: Die NBA hat sich in den letzten zehn oder auch fünf Jahren ziemlich verändert, Thibodeau wiederum hat sein Schema kaum angepasst, weder an den neuen Spielstil, noch an sein Personal. Towns mag sich mittlerweile defensiv anstrengen, ein Anker wie Joakim Noah oder Garnett wird aus ihm in diesem Leben aber wohl nicht mehr, und auch auf dem Flügel fehlte bisweilen schlichtweg das Personal, auch wenn Thibodeau mehrere alte Bekannte aus Chicago nach Minnesota lotste.
Die besten NBA-Coaches passen sich ständig an ihre neuen Umstände an. Für das beste Beispiel möge man sich ansehen, wie die Spurs im Jahr 2003 und dann im Jahr 2014 ihre Ringe gewonnen haben. Eine solche Anpassungsfähigkeit konnte Thibodeau bisher nicht beweisen. Auch offensiv spielten die Wolves lange Zeit Steinzeitbasketball mit jeder Menge Midrange und waren nicht gewillt, das unfassbare Offensiv-Talent von Towns in den Fokus zu stellen.
Dass Thibs zudem eine fast schon absurde Begeisterung dafür zeigte, seine Starter in Grund und Boden spielen zu lassen, ist bestens bekannt, allein Wiggins lag in den letzten beiden Jahren auf Platz 1 (16/17) und Platz 3 (17/18) bei den gespielten Minuten. Immerhin verabschiedete sich Thibodeau standesgemäß: Gegen die Lakers ließ er bei 25 Punkten Vorsprung und weniger als fünf Minuten auf der Uhr noch mehrere Starter auf dem Court.
Um auf die Frage zurückzukommen: Sorgen muss man sich um Thibs nicht machen, zumal er ohnehin noch bis 2021 von den Wolves bezahlt werden wird. Mindestens als Assistant Coach dürfte er auch schon bald wieder Angebote bekommen. Um allerdings auch als Head Coach noch einmal richtig Erfolg haben zu können, müsste er sich zwingend mehr an die moderne NBA anpassen - und die Personalentscheidungen anderen überlassen.