1. Philadelphia 76ers: Ohne einen dominanten Embiid sind die 76ers in Not
Gefühlt waren im ersten Spiel am Samstag erst ein paar Sekunden gespielt, da hatte der gerade noch rechtzeitig fit gemeldete Joel Embiid seinem Gegenüber Jarrett Allen schon zwei Fouls angehängt. So hatten die Sixers sich das vorgestellt, die physische Präsenz von Embiid ist die Spezialsauce, auf die Brooklyn eigentlich keine Antwort hat.
Fit oder wirklich spritzig wirkte Embiid im weiteren Spielverlauf dann aber nur noch selten. Die anderen Nets-Bigs (Ed Davis oder sogar der gelernte Small Forward Jared Dudley) provozierten ihn durch Absinken zum Distanzwurf, der nicht fiel, dazu wussten die Verteidiger auf dem Flügel, wann beziehungsweise von wem sie aushelfen konnten, um Pässe oder noch lieber Turnover zu erzwingen.
J.J. Redick stand man auf dem Fuß, Ben Simmons wurde hingegen ignoriert. Für Embiid gab es fast keinen Platz zum Operieren - Brooklyn war perfekt vorbereitet. Was man allerdings dazu sagen muss: Die Nets konnten ihren Plan nur so umsetzen, weil einerseits Embiid nicht er selbst war - und weil andererseits seine Mitspieler die entstehenden Freiräume überhaupt nicht nutzen konnten.
Sixers: Wo war Tobias Harris?
Dabei ist es mit der erbärmlichen Dreierquote (3/25 3FG) noch nicht hinreichend beschrieben. Auf nahezu jeder Position hat Philly in dieser Serie physische Vorteile, warum suchten also nur Embiid und der überragende Jimmy Butler den Weg an die Freiwurflinie? Viel Ärger darüber konzentrierte sich schon während des Spiels auf den passiven Simmons, der offensiv tatsächlich extrem leicht auszuschalten war und fast 1:1 an die Serie gegen Boston im Vorjahr erinnerte.
Fast noch ärgerlicher aus Sixers-Perspektive erschien aber der Auftritt von Tobias Harris. Der Forward hat nicht die "Entschuldigung" eines fehlenden Wurfs, im Gegenteil hat er eigentlich alle offensiven Tools, einen Matchup-Vorteil gegenüber fast allen Verteidigern Brooklyns ebenfalls. Trotzdem verweigerte Harris fast alle Würfe und zog gefühlt kein einziges Mal aggressiv zum Korb, nachdem ihn Allen in den Anfangsminuten beim Dunk-Versuch sauber blockte. Dass ein Offensivspieler von seinem Format in 41 Minuten ganze sieben Würfe nimmt, ist ein Armutszeugnis. Harris wirkte enorm zögerlich, nicht zum ersten Mal seit seinem Trade nach Philadelphia.
Zumal: Während er vorn seine Größenvorteile nicht ausspielte, wurden die Schnelligkeitsdefizite gegen Brooklyns Guards auf der Gegenseite zum Nachteil. Die Nets rannten den Sixers nicht nur in Transition immer wieder davon und attackierten den Korb, vor allem wenn Embiid pausierte. Das offensive Konzept der Nets fußte fast komplett darauf, dass Philly die Dribble Penetration von D'Angelo Russell, Spencer Dinwiddie und Caris LeVert nicht verteidigen konnte - und die Sixers gaben ihnen Recht, wobei Brett Brown Rookie Zhaire Smith kurioserweise gar keine Chance gab.
Sixers bleiben Favorit gegen Brooklyn
Nun fragt sich, wie aussagekräftig das Spiel im Hinblick auf die restliche Serie war. Embiid ist DER Unterschiedsspieler bei den Sixers - solange man seinen Gesundheitsstatus nicht kennt, kann man schlecht darauf verweisen, dass das Team "sich schon fangen" wird. Auch für Spiel 2 ist er fraglich. Die Buhrufe und die anschließende Fan-Kritik von Simmons wies darauf hin, dass die Sixers sich ihrer Sache selbst nicht allzu sicher sind.
Eigentlich sind die Sixers talentiert genug, um die Nets auch dann zu besiegen, wenn Embiid 1, 2 Spiele verpasst oder eher bei 80 denn bei 100 Prozent ist. Bei den Nets verlief in Spiel 1 vieles optimal, bei den Sixers nahezu nichts. Steigerungspotenzial ist ausreichend vorhanden. Die Partie sollte dennoch als Warnung herhalten: Wenn die Sixers Brooklyn dermaßen in die Karten spielen, können die Nets diese Serie durchaus gewinnen.
2. Toronto Raptors: Ein alter Bekannter in Kanada
Die Playoff-Probleme von Kyle Lowry sind bestens bekannt (und oft etwas übertrieben dargestellt). Während der Point Guard über die Jahre einige überragende Playoff-Leistungen hingelegt hat, waren zweifellos auch einige faule Eier dabei und Spiel 1 gegen die Magic reihte sich dabei weit vorne ein: 0 Punkte fabrizierte Lowry in 34 Minuten. Sein (teilweise) direkter Gegenspieler D.J. Augustin kam auf 25 und den Gamewinner.
Es war also ein durch und durch gebrauchter Abend für Lowry und für die Raptors, die auch in neuer Besetzung den alten Fluch des ersten Playoff-Spiels nicht brechen konnten. Orlando spielte etwas bissiger und druckvoller, die Magic ließen Toronto im Halbfeld fast nie einen Rhythmus etablieren und verteidigten klug. Gefühlt fiel es den Gästen dabei etwas zu leicht, das Spieltempo zu drosseln. Sie nahmen den Raptors ihre größte Stärke, die Transition-Offense, fast komplett.
Anders als die Sixers wirken die Raptors durch diese Auftaktniederlage allerdings noch nicht wirklich bedroht, zumindest nicht in dieser Serie. Trotz Lowrys Totalausfall waren die Raptors durchaus nah dran am Sieg, auf Kawhi Leonard und auch auf Pascal Siakam hatte Orlando defensiv keine gute Antwort. Orlando wird nicht jeden Tag fast 50 Prozent von Downtown treffen (okay: Nikola Vucevic wird auch nicht immer nur drei von 14 treffen).
Raptors: Das verflixte Spiel 1
Es war auch nicht so, dass Orlando Lowry hyper-aggressiv verteidigt und damit aus dem Spiel genommen hätte - von seinen sieben Würfen waren sechs ziemlich bis weit offen, im Normalfall fallen zwei bis vier davon durch die Reuse. Das klingt banal, aber im Zweifel hätte ein Treffer - und eine bessere Kommunikation als die bei Augustins Gamewinner - eben für den Sieg reichen können.
Lowry muss sich steigern, das wird er aber auch. Er kennt sich ja immerhin aus mit dem Thema, das erste Spiel der ersten Runde zu vergeigen (über die letzten sechs Jahre: 9,2 Punkte, 26,5 Prozent aus dem Feld und 14,7 Prozent Dreier). Ähnlich wie die Raptors: Von den nun 16 Game 1s der Franchise-Geschichte wurden 14 (!) verloren. Diese Konstanz ist beeindruckend. Gewonnen haben sie von diesen Serien immerhin fünf, vier davon in den letzten drei Jahren, auch dank Lowry.
Sie bleiben gegen Orlando klar favorisiert, und es hängt auch nicht alles an Lowry. Wenn alle Dämme brechen, könnte Nick Nurse ja auch seinen besten Spieler Leonard mal mehr als 33 Minuten spielen lassen - die Zeiten von Load Management sind nun (eigentlich) vorbei.