NBA Overreactions: Die Erkenntnisse und Nicht-Erkenntnisse der ersten Playoff-Spiele

Ole FrerksRobert Arndt
15. April 201923:09
Am ersten Wochenende der Playoffs gab es einige Überraschungen.getty
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Die Playoffs sind mit einem wilden Wochenende und diversen Favoriten-Niederlagen gestartet. Doch welche Top-Teams sind deswegen wirklich in Not? Welche Entwicklungen waren eher Ausrutscher? Und wie sah das Playoff-Debüt von DeMarcus Cousins aus? SPOX sammelt Erkenntnisse.

1. Philadelphia 76ers: Ohne einen dominanten Embiid sind die 76ers in Not

Gefühlt waren im ersten Spiel am Samstag erst ein paar Sekunden gespielt, da hatte der gerade noch rechtzeitig fit gemeldete Joel Embiid seinem Gegenüber Jarrett Allen schon zwei Fouls angehängt. So hatten die Sixers sich das vorgestellt, die physische Präsenz von Embiid ist die Spezialsauce, auf die Brooklyn eigentlich keine Antwort hat.

Fit oder wirklich spritzig wirkte Embiid im weiteren Spielverlauf dann aber nur noch selten. Die anderen Nets-Bigs (Ed Davis oder sogar der gelernte Small Forward Jared Dudley) provozierten ihn durch Absinken zum Distanzwurf, der nicht fiel, dazu wussten die Verteidiger auf dem Flügel, wann beziehungsweise von wem sie aushelfen konnten, um Pässe oder noch lieber Turnover zu erzwingen.

J.J. Redick stand man auf dem Fuß, Ben Simmons wurde hingegen ignoriert. Für Embiid gab es fast keinen Platz zum Operieren - Brooklyn war perfekt vorbereitet. Was man allerdings dazu sagen muss: Die Nets konnten ihren Plan nur so umsetzen, weil einerseits Embiid nicht er selbst war - und weil andererseits seine Mitspieler die entstehenden Freiräume überhaupt nicht nutzen konnten.

Sixers: Wo war Tobias Harris?

Dabei ist es mit der erbärmlichen Dreierquote (3/25 3FG) noch nicht hinreichend beschrieben. Auf nahezu jeder Position hat Philly in dieser Serie physische Vorteile, warum suchten also nur Embiid und der überragende Jimmy Butler den Weg an die Freiwurflinie? Viel Ärger darüber konzentrierte sich schon während des Spiels auf den passiven Simmons, der offensiv tatsächlich extrem leicht auszuschalten war und fast 1:1 an die Serie gegen Boston im Vorjahr erinnerte.

Fast noch ärgerlicher aus Sixers-Perspektive erschien aber der Auftritt von Tobias Harris. Der Forward hat nicht die "Entschuldigung" eines fehlenden Wurfs, im Gegenteil hat er eigentlich alle offensiven Tools, einen Matchup-Vorteil gegenüber fast allen Verteidigern Brooklyns ebenfalls. Trotzdem verweigerte Harris fast alle Würfe und zog gefühlt kein einziges Mal aggressiv zum Korb, nachdem ihn Allen in den Anfangsminuten beim Dunk-Versuch sauber blockte. Dass ein Offensivspieler von seinem Format in 41 Minuten ganze sieben Würfe nimmt, ist ein Armutszeugnis. Harris wirkte enorm zögerlich, nicht zum ersten Mal seit seinem Trade nach Philadelphia.

Zumal: Während er vorn seine Größenvorteile nicht ausspielte, wurden die Schnelligkeitsdefizite gegen Brooklyns Guards auf der Gegenseite zum Nachteil. Die Nets rannten den Sixers nicht nur in Transition immer wieder davon und attackierten den Korb, vor allem wenn Embiid pausierte. Das offensive Konzept der Nets fußte fast komplett darauf, dass Philly die Dribble Penetration von D'Angelo Russell, Spencer Dinwiddie und Caris LeVert nicht verteidigen konnte - und die Sixers gaben ihnen Recht, wobei Brett Brown Rookie Zhaire Smith kurioserweise gar keine Chance gab.

Sixers bleiben Favorit gegen Brooklyn

Nun fragt sich, wie aussagekräftig das Spiel im Hinblick auf die restliche Serie war. Embiid ist DER Unterschiedsspieler bei den Sixers - solange man seinen Gesundheitsstatus nicht kennt, kann man schlecht darauf verweisen, dass das Team "sich schon fangen" wird. Auch für Spiel 2 ist er fraglich. Die Buhrufe und die anschließende Fan-Kritik von Simmons wies darauf hin, dass die Sixers sich ihrer Sache selbst nicht allzu sicher sind.

Eigentlich sind die Sixers talentiert genug, um die Nets auch dann zu besiegen, wenn Embiid 1, 2 Spiele verpasst oder eher bei 80 denn bei 100 Prozent ist. Bei den Nets verlief in Spiel 1 vieles optimal, bei den Sixers nahezu nichts. Steigerungspotenzial ist ausreichend vorhanden. Die Partie sollte dennoch als Warnung herhalten: Wenn die Sixers Brooklyn dermaßen in die Karten spielen, können die Nets diese Serie durchaus gewinnen.

2. Toronto Raptors: Ein alter Bekannter in Kanada

Die Playoff-Probleme von Kyle Lowry sind bestens bekannt (und oft etwas übertrieben dargestellt). Während der Point Guard über die Jahre einige überragende Playoff-Leistungen hingelegt hat, waren zweifellos auch einige faule Eier dabei und Spiel 1 gegen die Magic reihte sich dabei weit vorne ein: 0 Punkte fabrizierte Lowry in 34 Minuten. Sein (teilweise) direkter Gegenspieler D.J. Augustin kam auf 25 und den Gamewinner.

Es war also ein durch und durch gebrauchter Abend für Lowry und für die Raptors, die auch in neuer Besetzung den alten Fluch des ersten Playoff-Spiels nicht brechen konnten. Orlando spielte etwas bissiger und druckvoller, die Magic ließen Toronto im Halbfeld fast nie einen Rhythmus etablieren und verteidigten klug. Gefühlt fiel es den Gästen dabei etwas zu leicht, das Spieltempo zu drosseln. Sie nahmen den Raptors ihre größte Stärke, die Transition-Offense, fast komplett.

Anders als die Sixers wirken die Raptors durch diese Auftaktniederlage allerdings noch nicht wirklich bedroht, zumindest nicht in dieser Serie. Trotz Lowrys Totalausfall waren die Raptors durchaus nah dran am Sieg, auf Kawhi Leonard und auch auf Pascal Siakam hatte Orlando defensiv keine gute Antwort. Orlando wird nicht jeden Tag fast 50 Prozent von Downtown treffen (okay: Nikola Vucevic wird auch nicht immer nur drei von 14 treffen).

Raptors: Das verflixte Spiel 1

Es war auch nicht so, dass Orlando Lowry hyper-aggressiv verteidigt und damit aus dem Spiel genommen hätte - von seinen sieben Würfen waren sechs ziemlich bis weit offen, im Normalfall fallen zwei bis vier davon durch die Reuse. Das klingt banal, aber im Zweifel hätte ein Treffer - und eine bessere Kommunikation als die bei Augustins Gamewinner - eben für den Sieg reichen können.

Lowry muss sich steigern, das wird er aber auch. Er kennt sich ja immerhin aus mit dem Thema, das erste Spiel der ersten Runde zu vergeigen (über die letzten sechs Jahre: 9,2 Punkte, 26,5 Prozent aus dem Feld und 14,7 Prozent Dreier). Ähnlich wie die Raptors: Von den nun 16 Game 1s der Franchise-Geschichte wurden 14 (!) verloren. Diese Konstanz ist beeindruckend. Gewonnen haben sie von diesen Serien immerhin fünf, vier davon in den letzten drei Jahren, auch dank Lowry.

Sie bleiben gegen Orlando klar favorisiert, und es hängt auch nicht alles an Lowry. Wenn alle Dämme brechen, könnte Nick Nurse ja auch seinen besten Spieler Leonard mal mehr als 33 Minuten spielen lassen - die Zeiten von Load Management sind nun (eigentlich) vorbei.

3. Denver Nuggets: Muss Nikola Jokic aggressiver werden?

Mit Nikola Jokic ist es immer ein zweischneidiges Schwert, es gibt Spiele, in denen der Serbe nach Belieben scort und nicht zu stoppen ist und dann sind da auch Partien, in denen der Center nur fünf, sechs Würfe nimmt. In Jokics erstem Playoff-Spiel war genau das der Fall. Normalerweise ist es ein schlechtes Zeichen, wenn dein bester Spieler den Spalding nur neunmal Richtung Korb schmeißt.

Heißt das nun, dass Denvers All-Star passiv agierte? Mitnichten! Mit 10 Punkten, 14 Rebounds und 14 Assists verbuchte Jokic als vierter Spieler in der Playoff-Geschichte bei seinem Postseason-Debüt ein Triple-Double, es hätten auch gut und gerne mehr Dimes sein können, wenn der Supporting Cast mehr offene Würfe getroffen hätte.

San Antonio hatte sich vorgenommen, dass Jokic nicht aus dem Post scoren sollte, entsprechend kamen die Double-Teams, wenn der Joker mit dem Aufposten begann. Zumeist traf Jokic also immer die richtige Entscheidung, machte das richtige Basketball-Play, doch seine Mitspieler konnten dies zu selten bestrafen.

Denver Nuggets müssen Würfe treffen

Die Spurs gewannen dieses Spiel nicht, Denver verlor es, weil die offenen Würfe nicht fielen. 55 der 88 Wurfversuche waren gemäß nba.com/stats nicht eng verteidigt, trotzdem versenkten Jamal Murray und Co. gerade einmal 38,2 Prozent. Zum Vergleich: Die Spurs trafen 54 Prozent ihrer freien Würfe. Das war der Unterschied.

Es war also nicht so, dass diese Strategie zum Scheitern verurteilt war, Murray (17, 8/24 FG) oder auch Will Barton (15, 6/15 FG) konnten sie nur einfach nicht zum Ende bringen. Die Spurs spielten während der Regular Season keine herausragende Defense und auch in der Mile High City taten sie es nicht, ihre Taktik ging aber auf, wohl auch, weil in Denver beim ersten Playoff-Spiel seit langer Zeit eine gewisse Nervosität vorhanden war. So verwunderte es nicht, dass Malone eine einfache Antwort darauf hatte, als er auf Veränderungen angesprochen wurde: "Würfe treffen."

4. Golden State Warrios: Das schwierige Playoff-Debüt von DeMarcus Cousins

Die Warriors waren natürlich vor der Serie mit den Clippers der klare Favorit und Spiel 1 bestätigte dies, auch wenn bei den Dubs nicht alles in Butter war. Letztlich hatten die Mannen aus der Stadt der Engel keine Antwort auf Steph Curry, der 38 Punkte sowie 15 Rebounds verbuchte und dank 8 verwandelten Dreiern nun der beste Distanzschütze der Playoffs-Geschichte ist.

DeMarcus Cousins steht nach seinem Playoff-Debüt übrigens bei einem verwandelten Dreier, wofür er drei Versuche brauchte. Das entspricht auch ungefähr Boogies Saisonschnitt von 27,4 Prozent bei 3,2 Versuchen pro Partie. Die Clippers mussten also wahrlich keine mathematischen Genies sein, um zu erkennen, dass ein Boogie-Dreier ein Abschluss ist, mit dem sie leben konnten.

Entsprechend wurde Cousins von den Clippers, namentlich zumeist Ivica Zubac, konsequent ignoriert und alleine am Perimeter stehen gelassen, die Prozente gaben Doc Rivers und Co. schließlich recht. Das war nicht unbedingt Neuland für Boogie, denn L.A. hatte dies bereits in den beiden Aufeinandertreffen in der Regular Season so praktiziert, dennoch wirkte der Center mit der Situation etwas ratlos.

Cousins fehlt weiterhin das Verständnis, anderweitig dem Team in der Offensive zu helfen, wenn sein Wurf nicht fällt, sei es durch das schnelle Weiterleiten des Balles oder geschicktes Screening, wie es der ebenfalls wurfschwache Draymond Green immer wieder macht. In seinen 21 Minuten versuchte es Cousins stattdessen zu erzwingen, nicht nur durch seine Dreier, sondern auch mit Postups, die nicht funktionierten.

Cousins: Ein frustrierender Abend

"Es war ein frustrierender Abend für ihn", gab Warriors-Coach Steve Kerr zu Protokoll. "Es war aber wichtig, dass er ein Gefühl für die Playoffs bekommen hat. Ich habe keinerlei Zweifel, dass er in Spiel 2 deutlich besser spielen wird." Die Messlatte dafür ist auch nicht besonders hoch. 9 Punkte (4/12 FG), 9 Rebounds, 4 Assists und 6 Fouls wurden für Boogie notiert.

Doch es waren nicht nur die reinen Zahlen. Die Clippers attackierten Cousins konsequent, vor allem Lou Williams aus dem Pick'n'Roll, ein Umstand, der Golden State im Hinblick auf spätere Serien (Houston!) Schweißperlen auf die Stirn treiben dürfte. Boogie hatte ein Plus-Minus-Rating von -17 - in wie erwähnt gerade einmal 21 Minuten.

Es spricht natürlich für die Qualität der Warriors, dass sie dennoch souverän gewannen, doch die Qualität der Gegner wird steigen. Selbst gegen die Clippers brachte Kerr bereits das Death Lineup mit Green als Center, früher als angenommen, bei all den Bigs, die die Dubs zur Auswahl haben.

5. Portland Trail Blazers: "Can't Play Kanter" auf dem Prüfstand

Über die defensive Anfälligkeit von Enes Kanter, der bei den Trail Blazers den verletzten Jusuf Nurkic vertreten muss, wurde im Vorfeld der Serie gegen OKC viel geschrieben. Tatsächlich attackierten die Thunder Kanter in den Anfangsminuten von Spiel 1 gleich mehrfach und Steven Adams stand nach sieben Minuten schon bei 9 Punkten. OKC lief trotzdem einem Rückstand hinterher, auch weil Kanter auf der Gegenseite dominant auftrat und vor allem als Offensiv-Rebounder unheimlich nervte.

Der Türke beendete die Partie mit 20 Punkten und 18 Rebounds, 7 davon offensiv. Sein Plus/Minus-Wert von +15 war der höchste auf dem Court, weshalb ihn Damian Lillard im Anschluss als "MVP des Spiels" bezeichnete. Seine Stats waren nicht wie sonst so oft leere Zahlen, sein Impact in dieser Partie war absolut positiv. Man macht es sich jedoch ein bisschen zu leicht, wenn man annimmt, dass es ab jetzt immer so laufen wird.

Kanter ist zwar in der Lage, in jedem Spiel ein Double-Double zu liefern. Der Clou ist aber, dass seine Defense so anfällig ist, dass mindestens diese Produktion am anderen Ende wieder reinkommt. In Spiel 1 war das nicht so, weil die Thunder ihn davonkommen ließen. Indem sie sich auf ihren Wurf "verließen", der in dieser Partie überhaupt nicht fallen wollte, anstatt Kanter konsequent im Pick'n'Roll zu attackieren, beraubten sie sich selbst der vielleicht besten Chance im Angriff.

Westbrook und Schröder ließen Kanter davonkommen

Wenn Russell Westbrook es versuchte, kam er fast immer zum Korb durch. Sowohl Russ (sofern der Knöchel mitspielt) als auch Dennis Schröder können und müssen das in Spiel 2 viel mehr forcieren, nicht nur in Transition. Die Blazers haben mit Kanter weder gute Pick'n'Roll-Defense noch Rim-Protection. Wenn man Kanter in Seitwärtsbewegungen zwingt, sieht er immer noch in neun von zehn Fällen schlecht aus. Auch in Game 1, OKC attackierte ihn aber phasenweise nur mit Post-Ups von Adams, einem der wenigen Plays, die Kanter durchaus verteidigen kann (weil er groß und schwer ist).

Das Resultat: In Kanters Spielzeit hatten die Trail Blazers ein Defensiv-Rating von 87,5, was so selbstverständlich nicht zu halten ist. Und was auch nur bedingt aussagekräftig ist, weil OKC dabei reihenweise offene Würfe auf den Ring setzte. Das kann und wird sich zumindest ein bisschen ändern, auch wenn OKC nicht über Nacht zu einem guten Shooting-Team reifen wird - historisch schlecht muss man nicht sein.

Die Blazers haben Spiel 1 verdient gewonnen und Kanter wurde im Anschluss zurecht hervorgehoben (auch wenn Lillard MVP des Spiels war). Das "Revenge-Game" ist ihm geglückt. So leicht sollte OKC es ihm (wahrscheinlich) aber nicht noch einmal machen.