Die Golden State Warriors geraten mit der 109:118-Pleite gegen die Toronto Raptors in Spiel 1 der NBA Finals ins Hintertreffen. Die Dubs müssen schmerzvoll feststellen, dass die Defense der Kanadier ein ganz anderes Kaliber ist - gleichzeitig liefert die Partie eine Antwort auf die Kevin-Durant-Debatte.
"Pascal Siakam war brillant" - So einfach kann eine Spielanalyse manchmal sein, auch wenn es weh tut. Besonders glücklich sah Warriors-Coach Steve Kerr bei der Pressekonferenz im Anschluss an die erste Partie der Finals 2019 definitiv nicht aus, als diese Worte aus seinem Mund kamen.
Keine Frage, die 32-Punkte-Explosion von Siakam war die Story des Finals-Auftakts. Der Kameruner führte sein Team zum 118:109-Sieg gegen den amtierenden Champion, im ersten Finals-Spiel der Franchise-Geschichte überhaupt gelang Toronto also direkt der erste Sieg. Was für ein Auftakt für die Raptors und was für ein Auftakt für Siakam!
Die 32 Zähler des 25-Jährigen bedeuteten die höchste Punkteausbeute bei einem Finals-Debüt seit dem Jahr 2012. Damals erzielte ein Forward der Oklahoma City Thunder in Spiel 1 gegen die Miami Heat 36 Punkte. Sein Name? Kevin Durant.
Seitdem ist viel passiert: KD verließ OKC, um sich einem Superteam in der Bay Area anzuschließen, holte zwei Titel und schnappte sich beide Male den Finals-MVP. Auf dem Weg zum potenziellen Threepeat in doppelter Hinsicht setzte allerdings eine Wadenzerrung den 30-Jährigen vor wenigen Wochen außer Gefecht.
Ist Golden State ohne Durant besser? Spiel 1 liefert Antwort
Durant verpasste bekanntermaßen den Serien-Clincher gegen die Rockets, den Sweep gegen die Trail Blazers in den Western Conference Finals sowie nun auch den Auftakt der Serie gegen Toronto.
In Anbetracht der zuvor beeindruckenden Auftritte der Dubs setzte sich in der Basketball-Welt eine Debatte in Gang: Sind die Warriors nicht eigentlich besser ohne KD? Brauchen sie den Scorer überhaupt? Die Antwort dürfte nach Spiel 1 klar sein.
Die Raptors kommen in der Postseason 2019 auf ein Defensiv-Rating von 102,9, ein bedeutend besserer Wert als der aller anderen Teams, gegen die Golden State bisher antreten musste (LAC: 120,5, HOU: 107,3, POR: 110,6).
Vor allem Portlands Defense ist ein ganzes Stück von der der Kanadier entfernt. In den West-Finals konnte so das Fehlen von Durant noch relativ leicht vergessen gemacht werden. Das ist im Matchup mit den Raptors alles andere als der Fall.
Die Playoff-Spiele der Warriors ohne Kevin Durant
Spiel | Gegner | Offensive-Rating | Defensiv-Rating | Net-Rating |
WCSF, Spiel 6 | Rockets | 121,6 | 115,3 | 6,3 |
WCF, Spiel 1 | Trail Blazers | 117,2 | 96,9 | 20,3 |
WCF, Spiel 2 | Trail Blazers | 115,2 | 113,3 | 1,9 |
WCF, Spiel 3 | Trail Blazers | 110,0 | 101,0 | 9,0 |
WCF, Spiel 4 | Trail Blazers | 111,2 | 109,3 | 1,9 |
Finals, Spiel 1 | Raptors | 112,4 | 121,6 | -9,3 |
Raptors-Defense macht Golden State das Leben schwer
Toronto hat auf dem Flügel eine Menge Länge, die Stephen Curry und Klay Thompson das Leben schwer machen kann. Danny Green beispielsweise schien sich nicht nur endlich aus seinem Shooting-Slump zu befreien, sondern bereitete auch dem Chefkoch auf der anderen Seite des Courts ein ums andere Mal Kopfzerbrechen.
Reichten in den Runden zuvor noch teils relativ simple Pick'n'Rolls zwischen Curry und Draymond Green, um den Gegner mit der dazugehörigen Off-Ball-Action aus dem Konzept zu bringen und leichte Punkte zu erzielen, war dies gegen die starken Rotationen und Help-Defense der Raptors nicht mehr in solch einem Umfang möglich. Ein Umstand, der sich vor allem im Halbfeld bemerkbar machte.
Die Halfcourt-Offense der Gäste generierte in Spiel 1 laut Cleaning the Glass ein mageres Offensiv-Rating von 83,9 (TOR: 109,4). Betrachtet man diesen Wert im Vergleich zur regulären Saison, rangieren die Warriors in den unteren 20 Prozent der Liga. Zum Vergleich: Kam Golden State dagegen ins Laufen, war die Transition-Offense gewohnt elitär (175,0 Offensive-Rating).
Warriors vermissen Scoring von Kevin Durant
Und wer könnte der schwächelnden Halfcourt-Offense neuen Schwung verleihen? Richtig, Kevin Durant. Nicht umsonst genießt Durantula den Ruf als einer der besten Scorer der NBA. Egal ob im Post oder in Isolations, egal ob in direkter Ringnähe, aus der Mitteldistanz oder von Downtown - Durant stellt in so gut wie jeder Situation eine Gefahr dar und könnte den Warriors dringend benötigte Firepower bringen.
Vor allem, da Andre Iguodala abgesehen von seiner soliden Defense gegen Kawhi in Spiel 1 (auch in dieser Hinsicht wäre Durant ein Upgrade) kein wirklicher Positiv-Faktor war. Seit seiner Dreier-Explosion in Spiel 5 gegen die Rockets (5/8 aus der Distanz) hat der 35-Jährige keinen einzigen Triple mehr versenkt (gegen Toronto 0/4, insgesamt 0/11). Hinzu kommen auch noch Fragezeichen hinter seinem Gesundheitszustand.
In den Schlussminuten griff er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den linken Oberschenkel, nachdem er scheinbar bei einem Drive merkwürdig gelandet war. "Ich werde in Ordnung sein", kündigte Iggy zwar nach der Partie an, doch einen weiterer Ausfall auf der Forward-Position können sich die Warriors eigentlich nicht erlauben.
Warriors: Große Rotation trotz fehlender Tiefe
Schließlich ist die Tiefe nicht unbedingt das Sahnestückchen des Teams. In Spiel 1 griff Coach Kerr zwar auf insgesamt zwölf verschiedene Akteure zurück, keiner der Bank-Spieler kann aber als klassischer Sixth Man bezeichnet werden, der auch mal in Eigenregie für Scoring sorgen kann. Wenn Curry, Thompson oder Draymond Green einmal keinen Gala-Abend erwischen, haben die Warriors ein Problem.
"Wir spielen mit vielen Jungs, aber die spielen nicht allzu viele Minuten. Wir versuchen, Kombinationen mit Spielern zu finden, die rausgehen und ein Play machen können", erklärte Kerr seine für Playoff-Verhältnisse ungewöhnlich große Rotation. Lediglich Andrew Bogut sah von allen Warriors-Spielern keine Minuten.
Immerhin schien er recht zufrieden mit dem Auftritt seiner Reservisten zu sein: "Die Bank hat einen fantastischen Job gemacht, sie war richtig gut und hat uns im Spiel gehalten." Golden State benötigte allerdings ganze sieben Mann, um auf 36 Bank-Punkte zu kommen. Angeführt vom erneut starken Fred VanVleet kamen nur vier Raptors-Reservisten auf 25 Zähler.
Golden State Warriors: Wann kommt Kevin Durant zurück?
DeMarcus Cousins konnte bei seinem Comeback nach langer Verletzungspause noch keine großartigen Akzente setzen. Zwar lieferte er ein paar gute Szenen in der Offense (vor allem mit seinem Passing), doch defensiv schien er bei Attacken der Raptors teils überfordert. Dementsprechend stand er nur 8 Minuten auf dem Parkett. Auf Starting-Center Jordan Bell (12 Minuten) konnte Kerr auch nicht wirklich setzen.
Im Frontcourt lieferte zudem selbst der zuletzt starke Draymond Green keine Glanzvorstellung ab - trotz seines dritten Triple-Doubles in Folge (erst der dritte Spieler in der Playoff-Historie, dem dies gelang). Gerade offensiv zeigte Draymond mit 2 von 9 aus dem Feld und 6 Turnover aber Schwächen.
Green war übrigens immer einer der Warriors-Stars, der in den vergangenen Wochen nicht müde wurde, zu betonen, dass Golden State eben nicht auf Kevin Durant verzichten kann. Nach Spiel 1 gegen Raptors wird er sich bestätigt fühlen.
Allerdings wird der amtierende Champion wohl auch in Spiel 2 in der Nacht von Sonntag auf Montag (ab 2 Uhr live auf DAZN) auf den zweifachen Finals-MVP verzichten müssen. Zwar reiste KD mit nach Kanada, doch Coach Kerr bezeichnete ein Comeback in Toronto zuletzt noch als unwahrscheinlich. Er wird sich also wohl erneut aufs Aufmuntern beschränken müssen.
Warriors mit Kampfansage vor Spiel 2 vs. Raptors
"Wenn er spielt, dann ist er ziemlich gut", bestätigte Kerr nach Spiel 1 das Offensichtliche. "Aber wenn er nicht auf dem Court steht, dann spielen wir mit den Jungs, die wir haben und wir haben genug. Wir haben die vergangenen sechs Spiele auch ohne ihn gewonnen."
In diesen Partien ging es allerdings nicht gegen die Raptors. Doch selbst wenn Durant in Spiel 2 erneut fehlen sollte, mutlos werden die Dubs sicherlich nicht in die Partie gehen. "Wir haben nicht besonders gut gespielt und wir hatten dennoch das komplette Spiel über eine Chance", bilanzierte Green.
"Unser Ziel war es, ein Spiel aus Toronto mitzunehmen und das ist immer noch möglich", merkte auch Thompson an. "Ich weiß, dass wir wie Champions antworten werden. Wir sind nun mal Champions." Mit oder ohne Durant.