Fast ein Jahr ist es mittlerweile her, als die Raptors die NBA-Landschaft mit einem unerwarteten Blockbuster-Trade umkrempelten. Teampräsident Masai Ujiri machte sich damals nicht nur Freunde, als er Fanliebling und bis dato Franchise-Star DeMar DeRozan in einem Trade-Paket nach San Antonio verschiffte. Zurück kam ein gewisser Kawhi Leonard.
Wie sieht dieser Trade vom heutigen Standpunkt betrachtet aus? Auf dem Gesicht des President of Basketball Operations machte sich ein fettes Grinsen breit, als er wenige Minuten nach dem 100:94-Erfolg in Spiel 6 der Eastern Conference Finals inmitten eines Konfettiregens, nur wenige Zentimeter vor der Trophäe für den Ost-Champion stehend genau diese Frage hörte.
"Er war unglaublich. Er ist der beste Spieler der Liga und wir sind froh, dass wir ihn in Toronto haben", sagte Ujiri schließlich unter dem lauten Jubel der Raptors-Fans. Währenddessen spielte die komplette Stadt vor den Toren der Scotiabank Arena bereits komplett verrückt.
Der Sieg in Spiel 6 gegen die Bucks, der die erste Finals-Teilnahme in der 24-jährigen Franchise-Geschichte der Raptors perfekt machte, sorgte allerdings auch innerhalb der Arena für schier unglaubliche Szenen: Auch auf dem Gesicht der ansonsten so stoischen Klaue war zwischenzeitlich mal ein Lächeln zu sehen.
Kawhi Leonard: Der beste Spieler der NBA?
Nach den Feierlichkeiten kehrte Leonard jedoch schnell wieder zu seiner berühmt-berüchtigten Sachlichkeit zurück. "Ich kümmere mich nicht darum, der beste Spieler zu sein. Ich will im besten Team sein", erklärte Kawhi angesprochen auf das Lob seines Chefs. "Ich will einfach nur gewinnen."
Fakt ist dennoch, dass die Nr. 2 der Raptors in den Eastern Conference Finals eine Menge Argumente lieferte, warum er aktuell der beste Spieler der Liga, wie es Ujiri verlauten ließ, sein könnte - vor allem da Kevin Durant derzeit verletzt fehlt.
In Person von Giannis Antetokounmpo sah sich Kawhi einem über weite Strecken der Saison absolut überragendem Akteur, dem Favoriten auf den MVP-Award gegenüber. Ab Spiel 3 nahm er selbst die defensive Hauptverantwortung gegen den Greek Freak auf seine Schultern - und überragte weiterhin auf beiden Seiten des Courts.
Die Statistiken von Kawhi Leonard gegen die Bucks
Spiel | Minuten | Punkte | Rebounds | Assists | Steals | FG | 3FG |
Spiel 1 | 42:13 | 31 | 9 | 2 | 3 | 10/26 | 1/5 |
Spiel 2 | 37:48 | 31 | 8 | 2 | 0 | 10/18 | 1/4 |
Spiel 3 | 52:08 | 36 | 9 | 5 | 2 | 11/25 | 2/4 |
Spiel 4 | 34:06 | 19 | 7 | 1 | 4 | 6/13 | 1/3 |
Spiel 5 | 40:17 | 35 | 7 | 9 | 2 | 11/25 | 5/8 |
Spiel 6 | 41:26 | 27 | 17 | 7 | 2 | 9/22 | 1/8 |
Toronto Raptors halten erneut Giannis in Schach
So auch in Spiel 6. Erneut machte Leonard dem Bucks-Star das Leben schwer. Erneut machte Torontos Help-Defense einen beeindruckenden Job. Erneut war für Giannis gegen die stabile Raptors-Wand wenig bis gar nichts zu holen.
In den vergangenen vier Spielen, seit Kawhi auf Giannis angesetzt wurde, hielt Toronto den 24-Jährige bei "nur" 20,5 Punkten, 12,5 Rebounds, 5,5 Assists (bei 4 Turnover) und Shooting-Splits von 43/36/47. Abgesehen von den Brettern und Vorlagen liegen diese Zahlen deutlich unter Antetokounmpos Playoff-Schnitt. Milwaukee verlor jede dieser vier Partien.
Der Greek Freak bekam allerdings auch viel zu wenig Unterstützung von seinen Teamkollegen. Eric Bledsoe war die komplette Serie über ein Totalausfall, Khris Middleton hatte einige Höhen, aber auch einige Tiefen. Die Bank machte einen insgesamt soliden Job, musste sich in den vergangenen beiden Partien aber schließlich vor allem Fred VanVleet geschlagen geben.
Hätte man also vielleicht Giannis mehr Minuten geben müssen? Der Franchise-Star stand in Spiel 6 40:32 Minuten auf dem Parkett, schon zuvor hatten zahlreiche Experten gefordert, Giannis müsse in solch einem kritischen Spiel wie Spiel 5 (39:15 Minuten) oder eben Spiel 6 länger auf dem Parkett stehen. "Giannis 44 Minuten spielen zu lassen, ist nicht die Antwort", wies Bucks-Coach Mike Budenholzer diese Kritik jedoch zurück.
Milwaukee Bucks: Keine Antwort auf Kawhi
Eine andere Antwort konnte Coach Bud allerdings auch nicht liefern. Vor allem nicht gegen Kawhi Leonard. Der initiierte mit 8 Zählern in den finalen Minuten des dritten Durchgangs einen viertelübergreifenden 26:3-Run (währenddessen saß Giannis für einige Minuten auf der Bank), der das Spiel zu Gunsten der Raptors drehte - trotz eines zwischenzeitlichen 15-Punkte-Rückstands. "Wir wussten, dass sie einen Run hinlegen würden, denn Toronto ist ein starkes Team", gab Antetokounmpo zu Protokoll.
"Wir haben die Rebounds nicht mehr bekommen, hatten keine Transition-Offense mehr, weshalb es keine leichten Punkte mehr für uns gab", fasste der frustrierte Giannis Spiel 6, das in dieser Hinsicht auch der vorherigen Partie ähnelte, zusammen, bevor er wenig später die Pressekonferenz abrupt verließ.
Die Zahlen belegen die Beobachtungen des Griechen. Toronto hielt das gefährliche Transition-Spiel der Bucks im vierten Viertel in Schach (0 Fastbreak-Punkte, insgesamt 13). Auf der anderen Seite sicherte sich das Team von Head Coach Nick Nurse allein im vierten Durchgang 5 Offensiv-Rebounds, die sie in 8 Second Chance-Points umwandelten.
Raptors-Bank: Wichtige Unterstützung für Kawhi
Auch Leonard war mit einem enorm wichtigen Abpraller in der finalen Minute am offensiven Brett zur Stelle. Die Klaue hatte am Ende 27 Punkte (9/22 FG, 1/8 Dreier), 17 Rebounds sowie 7 Assists auf dem Konto. Wieder einmal war er der überragende Mann des Abends, für das Ausrufezeichen, ein krachender Dunk über Giannis, sorgte er natürlich ebenfalls selbst.
Im Gegensatz zu Giannis war er aber nicht komplett auf sich allein gestellt. VanVleet legte nach seinem Monster-Game in Spiel 5 mit guten 14 Zählern nach, Pascal Siakam erzielte 18 Punkte und Kyle Lowry legte trotz eines weiterhin schmerzenden Daumens 17 Zähler sowie 8 Assists auf.
Ein beeindruckendes Detail dabei: Die Raptors erreichten die Finals ohne auch nur einen einzigen Top-10-Pick mit an Bord zu haben. Das gab es laut Elias Sports Bureau in den vergangenen 50 Jahren nicht. Dies wiederum spricht für Teampräsident Ujiri, der in den vergangenen sechs Jahren, seit er das Zepter in Toronto in der Hand hat, einen Contender aufgebaut hat.
"Diese Jungs sind unglaublich, das ist ein großartiges Team", sagte der 48-Jährige voller Stolz. "Aber wir sind noch nicht zufrieden, denn wir wollen die Championship gewinnen." Der nächste Gegner hat es allerdings durchaus in sich.
Toronto Raptors: Die Championship ist das Ziel
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag starten die NBA Finals gegen die Golden State Warriors (ab 3 Uhr live auf DAZN). Der amtierende Champion konnte sich in den vergangenen Tagen ausruhen und die Ost-Finals gemütlich vor dem Fernseher verfolgen, Toronto hat aber immerhin den Heimvorteil auf seiner Seite. Und mit Kawhi Leonard den, geht es nach Ujiri und wohl allen Raptors-Fans, derzeit besten Spieler der Liga.
"Kurz vor der Saison, als der Trade über die Bühne ging, hat Masai schon so über mich gedacht. Er hat mir gesagt, was er von mir denkt und warum er den Trade gemacht hat", erklärte Kawhi, bevor er noch eine Kampfansage an die Warriors hinterherschob: "Es entwickelt sich jetzt ganz gut. Wir stehen in den Finals und wir sind noch lange nicht fertig."
Schon jetzt hat dieses Team Geschichte geschrieben: Die Toronto Raptors stehen tatsächlich in den NBA Finals. Der Hunger ist nach dem emotionalen Erfolg in Spiel 6 aber noch lange nicht gestillt. "Wir sind einen weiten Weg gegangen und wir wollen jetzt in Toronto gewinnen", so Ujiri. "Und wir werden gewinnen."