Mit 29 Jahren befindet sich Jimmy Butler auf dem Leistungszenit seiner Karriere. In diesem Sommer geht er erstmals als Free Agent auf den Markt und dürfte einen Maximalvertrag abgreifen. Aber: Welche Franchise geht das Risiko ein, eine dem Ruf zufolge unberechenbare Persönlichkeit als Team-Leader zu verpflichten?
10. Oktober 2018, Minneapolis: Es ist ein typischer Mittwochmorgen im herbstlichen Minnesota, etwa 10 Grad bei andauerndem Nieselregen. In der Trainingshalle der Minnesota Timberwolves brennt es aber, die Atmosphäre ist so aufgeheizt wie lange nicht mehr.
Jimmy Butler hat nach knapp sechsmonatiger Abstinenz zum ersten Mal wieder die Halle betreten, nachdem gut vier Wochen zuvor eine Trade-Forderung des Guards bekannt wurde. Kurz vor Saisonstart ist allerdings noch kein Deal in Sicht. Butler stößt also doch wieder zum Team, um kein Saisonspiel zu verpassen einerseits - und um andererseits ein Zeichen zu setzen.
In dieser Trainingssession erinnert er alle Beteiligten daran, wieso er der Anführer der Mannschaft ist. Mit der dritten Garde schlägt er die Starter, brüllt danach vor versammelter Truppe GM Scott Layden an: "Ohne mich könnt ihr verdammt nochmal nicht gewinnen!" Es ist der Höhepunkt einer aufgeladenen Beziehung zwischen Butler und den Timberwolves, die einige Wochen später tatsächlich mit einem Trade beendet werden wird.
Wenn Einsatz und Leidenschaft auf Talent treffen
Butlers Werdegang ist von Widrigkeiten geprägt, die Reibereien mit den Timberwolves sind dabei eher eine Fußnote. Aufgewachsen ohne Vater, schmiss ihn seine Mutter mit 13 Jahren aus dem Haus. Er übernachtete anschließend abwechselnd bei Schulfreunden, bis ihn eine Familie aufnahm und ihn durch die High School brachte.
Als guter, aber keineswegs überragender Basketballspieler schaffte er später dank harter Arbeit, Wille und Einsatzbereitschaft den Sprung von der Marquette University in die NBA. An 30. Stelle von den Chicago Bulls im Jahr 2011 gezogen, entwickelte er sich schnell zu einem der zuverlässigsten und konstantesten Spieler der NBA.
Nach der schweren Verletzung von Derrick Rose wurde er von Coach Tom Thibodeau zum Franchise-Player erzogen, stand in der Saison 2014/15 im Schnitt die meiste Zeit aller NBA-Spieler auf dem Court und reifte zum All-Star.
Jimmy Butlers Statistiken in seiner NBA-Karriere
Saison | Team | Spiele | Minuten | Quote in % | Assists | Rebounds | Punkte |
2011/12 | Chicago | 42 | 8,5 | 40,5 | 0,3 | 1,3 | 2,6 |
2012/13 | Chicago | 82 | 26 | 46,7 | 1,4 | 4,0 | 8,6 |
2013/14 | Chicago | 67 | 38,7 | 39,7 | 2,6 | 4,9 | 13,1 |
2014/15 | Chicago | 65 | 38,7 | 46,2 | 3,3 | 5,8 | 20,0 |
2015/16 | Chicago | 67 | 36,9 | 45,4 | 4,8 | 5,3 | 20,9 |
2016/17 | Chicago | 76 | 37 | 45,5 | 5,5 | 6,2 | 23,9 |
2017/18 | Minnesota | 59 | 36,7 | 47,4 | 4,9 | 5,3 | 22,2 |
2018/19 | MIN/PHI | 65 | 33,6 | 46,2 | 4,0 | 5,3 | 18,7 |
Minnesota: Die jungen Wölfe waren zu zahm
Thibodeau war es auch, der Butler schließlich nach Minnesota holte. Im Sommer 2017 entschied sich Chicago für einen Rebuild, auch weil man Butler nicht den drohenden Supermax-Vertrag anbieten wollte. Er hatte sich zwar als elitärer Spieler etabliert, charakterliche Fragezeichen blieben jedoch und speziell in der 2016/17er Saison schien die Teamchemie in Chicago vergiftet.
Für Thibs hingegen war Butler nach wie vor ein Wunschspieler, und tatsächlich entwickelte sich Mr. Buckets auch in Minnesota zum Go-to-Guy und führte die Wolves erstmals seit 14 Jahren wieder in die Playoffs. Dort war zwar in Runde eins Endstation, es lag jedoch nicht an Butler, der mit 28 Punkten im Schnitt unangefochtener Topscorer seines Teams war.
Das "unangefochten" stieß Butler wiederum sauer auf - von den einstigen Nr.1-Picks Karl-Anthony Towns und Andrew Wiggins fühlte sich Butler nicht nur in der Serie gegen die Rockets ein wenig allein gelassen.
Jimmy Butler: My way or the highway
Nicht nur in rein sportlicher Hinsicht. Die Einstellung seiner jungen Co-Stars, die offenbar behutsamer behandelt werden wollten, war keinesfalls mit dem Feuer von Butler kompatibel: "Ich kann meine Leidenschaft auf dem Court nicht kontrollieren, wenn ich alles gebe", sagte der All-Star nach seinem Wutausbruch im Training gegenüber ESPN. "Ich war brutal ehrlich, und das ist das Problem: Jeder hat Angst davor, ehrlich miteinander umzugehen. Ich nehme so etwas nicht persönlich."
Butler wollte sich für seine jungen Mitspieler nicht verstellen oder irgendjemanden mit Samthandschuhen anfassen. In anderen Worten: Entweder es läuft so, wie ich es will, oder es läuft künftig ohne mich.
Die Wolves sahen sich letztlich dazu gezwungen, sich genau wie die Bulls vor ihnen für letzteres zu entscheiden. Die Team-Chemie war nicht mehr zu reparieren, Butler zog im November aus dem kalten Norden weiter an die Ostküste nach Philadelphia.
Die Head Coaches von Jimmy Butler in der NBA
Trainer | Team | Jahre | Sp. | S | N | Bilanz |
Tom Thibodeau | Bulls | 2011-2015 | 313 | 193 | 119 | 0.616 |
Fred Hoiberg | Bulls | 2015-2017 | 164 | 83 | 81 | 0.506 |
Tom Thibodeau | Timberwolves | 2017/18 | 92 | 54 | 38 | 0.587 |
Brett Brown | 76ers | 2018/19 | 67 | 42 | 25 | 0.626 |
Philly kann mit Butlers Leidenschaft umgehen
Dort schien sich Butler ideal ins Teamgefüge einzugliedern: Bei seinem Heimspieldebüt erzielte er 28 Punkte, acht der ersten neun Spiele mit Jimmy Buckets konnten die 76ers gewinnen. In Philadelphia traf Butler auf ähnlich leidenschaftliche Spielertypen, was aber auch nach hinten losgehen kann.
"Ich bin in letzter Zeit nicht mehr ich selbst", beschwerte sich beispielsweise Star-Center Joel Embiid im Dezember. "Vor allem, weil ich nicht richtig eingesetzt werde. Ich hatte einen Lauf, den ich seit dem Trade nicht mehr habe." Coach Brett Brown reagierte, veränderte den Spielstil und platzierte Jimmy Butler öfters mal in der Ecke, um Embiid wieder mehr Entfaltungsmöglichkeiten zu geben.
Dies kam bei Butler wiederum nicht gut an. In einer Video-Session gerieten Butler und Brown Anfang Januar aneinander. Eine hitzige Diskussion entbrannte, in der der 29-Jährige wieder mehr Spielanteile forderte. Der Unterschied im Vergleich zu Minnesota: Brown nahm sich der Kritik an und versuchte, Butler besser ins Spiel zu integrieren. Die 76ers qualifizierten sich trotz zahlreicher Verletzungen als Dritter im Osten für die Playoffs.
Playoffs: Butler führt 76ers beinahe in Conference Finals
Dort stellte Butler endgültig unter Beweis, warum er einer der besten Spieler der Liga ist: Mit überragenden Leistungen führte er Philadelphia gegen die Toronto Raptors beinahe in die ersten Conference Finals seit 2001, was denkbar knapp an dem jetzt schon legendären Gamewinner von Kawhi Leonard in Spiel 7 scheiterte.
"Er war der Erwachsene im Raum", lobte Coach Brown Butler schon während der ersten Runde gegen Brooklyn, stellvertretend für seine Leistungen in der gesamten Postseason: "Er war der Fels in der Brandung und hat uns durch seinen Willen in vielen unterschiedlichen Situationen gerettet."
Am Ende reichte es bekanntlich nicht, die Raptors marschierten durch und setzten sich die NBA-Krone auf, kein Team brachte sie dabei im Lauf der Playoffs so nah an eine Niederlage wie die Sixers. Kurz darauf entschied Butler sich erwartungsgemäß, aus seinem Vertrag auszusteigen und den Markt als Free Agent zu testen.
Jimmy Butler: Free Agency - und dann?
Wird Butlers Sixers-Karriere somit nur eine knappe Saison lang andauern? Es erscheint völlig unklar. Die Sixers wollen ihn gern halten, haben mit Tobias Harris und J.J. Redick aber auch noch andere Free Agents, die bezahlt werden wollen. Und Butler fehlt es - trotz allen Zweifeln wegen Verletzungsanfälligkeit und Charakter - nicht an Optionen.
Die Rockets sollen interessiert sein. Die Lakers ebenfalls. Über die New Yorker Teams wurde immer wieder spekuliert. Außerdem hat Philly bereits angekündigt, alles für eine Verlängerung auf den Tisch legen zu wollen. In Butlers Fall wären das wohl fünf Jahre und 190 Mio. Dollar. Eine Menge Holz, allerdings haben die Playoffs wieder gezeigt, dass Butler solche Beträge - wenn man auf dem höchsten Niveau mitspielen will - durchaus rechtfertigt.
Ohne Risiko wäre ein solcher Vertrag nicht. Welches Gesicht er zeigt, kann sich manchmal recht schnell ändern, wenn die Situation ihm nicht (mehr) gefällt. Davon können die Timberwolves ein Liedchen singen. Bisher konnte Butler allerdings auch noch nie in seiner Karriere komplett frei entscheiden, wo er spielen möchte.
Auch das ändert sich in wenigen Tagen.