Wenige Stunden nachdem die Golden State Warriors Kevin Durant augenscheinlich ohne Gegenwert an die Brooklyn Nets verloren hatten, zauberte Dubs-GM Bob Myers die wohl größte Überraschung der Free Agency aus dem Hut: D'Angelo Russell wechselt per Sign-and-Trade nach San Francisco! Mitsamt Russell kommen Treveon Graham und Shabazz Napier aus Brooklyn zu den Warriors, die aber umgehend nach Minnesota weiterverschifft werden.
Im Mittelpunkt des Deals steht ohnehin Russell. Der talentierte Point Guard feierte vergangene Saison bei den Nets seinen großen Durchbruch, führte das junge Team klar in Punkten (21,1), Assists (7), Steals (1,2) und Wurfversuchen (18,7) an und krönte seine starke Saison schließlich mit einer All-Star-Nominierung, Platz zwei in der Wahl zum Most Improved Player hinter Pascal Siakam und natürlich dem Sprung in die Playoffs. Dieses Talent erhalten die Warriors jedoch zu einem hohen Preis.
NBA: Golden State Warriors büßen Tiefe und Flexibilität ein
Laut ESPN-Insider Adrian Wojnarowski legt Golden State Russell einen Vierjahresvertrag in Höhe von 117 Millionen Dollar (Max-Vertrag) vor, 27,2 Mio. Dollar zahlen die Warrios D-Lo alleine in der nächsten Saison. Das ist beispielsweise mehr als Draymond Green (18,5 Mio. Dollar in 2019/20) und Andre Iguodala jemals verdient haben - und dann ist da immer noch die Frage nach dem Fit. Aber der Reihe nach.
Um den dicken Vertrag von Russell bezahlen zu können, gaben die Warriors eine Menge Flexibilität und Tiefe auf. Mit Iggy wurde einer der wichtigsten Pfeiler der GSW-Dynastie nach Memphis verschifft, an eine Weiterbeschäftigung von DeMarcus Cousins ist wohl nicht zu denken. Zudem mussten die Dubs einen Zweitrundenpick 2024 nach Memphis sowie einen weiteren Erstrundenpick nach Brooklyn schicken, um die jeweiligen Deals überhaupt zu initiieren.
Wirft man einen Blick auf die Gehaltsstruktur bei den Warriors 2019/20, kann dem ein oder anderen Fan schon mal schwindlig werden. Alleine Stephen Curry, Klay Thompson und D-Lo verdienen nächste Saison gemeinsam 100,1 Mio. Dollar! Das ist insofern problematisch, da die Warriors durch den Sign-and-Trade bei einem Hard Cap von 139 Mio. Dollar stehen. Bedeutet: Die Dubs dürfen - Luxussteuer hin oder her - ihren Spielern nicht mehr als diese Summe bezahlen. Komme, was wolle.
Rechnet man zum üppigen Salär des Trios Curry-Klay-Russell noch Greens Gehalt sowie die 5 Mio. Dollar für Kevon Looney und die insgesamt 6 Mio. Dollar (bereits garantiert) für Alfonzo McKinnie, Damian Jones und Jacob Evans hinzu, haben die Warriors noch rund 10 Mio. Dollar offen, um zwischen fünf und sieben weitere Spieler zu bezahlen. Und dabei ist Shaun Livingston mit seinen nicht-garantierten 7,7 Mio. Dollar nicht mit eingerechnet. Schwierig.
Schwierig, aber nicht unmöglich, wie sich mittlerweile zeigte. Mit Willie Cauley-Stein (etwas mehr als das Minimum) und Glenn Robinson (2 Jahre/3,9 Mio. Dollar) gelang Myers zwei gute Steals und wichtige Additionen zum bis dato dünnen Kader.
NBA: D'Angelo Russell war die einzige Option auf dem Markt
Ohnehin, was war die Alternative zum Russell-Deal? Man hätte KD ohne Gegenwert gehen lassen und versuchen können, Iggy und Co. wieder zu verpflichten. Offensichtlich war man sich innerhalb der Organisation aber sicher, dass D-Lo das Risiko wert ist, fast die gesamte Bank aufzugeben, um auch ohne den verletzten Thompson im wilden Westen konkurrenzfähig zu bleiben.
Zudem war der Point Guard schlichtweg die einzig verfügbare Option für die Warriors in diesem Alter und in dieser Talentklasse - und das wohl für die nächsten Jahre. Die Verträge von Curry, Klay und Green (der nächsten Sommer wohl eine Verlängerung unterschreiben wird) machen es schlichtweg unmöglich, einem etwaigen Starspieler einen Maximalvertrag anzubieten, weshalb die einzige Lösung in einem Sign-and-Trade bestand.
Da KDs Abgang ohnehin unvermeidlich erschien, haben die Verantwortlichen alles ihnen Mögliche unternommen, um für Durantula einen einigermaßen akzeptablen Gegenwert zu bekommen. Das Nebenprodukt war eine Verjüngungskur: Sieben der zehn Spieler, die derzeit unter Vetrag stehen sind 26 Jahre oder jünger.
Die Frage lautet jedoch, ob Russell nur nicht dem jüngeren Altersgefüge der Warriors zuträglich ist, sondern für die Dubs auch sportlich einen Mehrwert darstellen kann.
NBA: Passt Russell zu den Golden State Warriors?
Ob und wie der Guard in das System und vor allem in die Offense der Warriors passt, ist zu diesem Zeitpunkt schwer bis unmöglich zu sagen. Ob Russell vergangenes Jahr nur von dem System unter Kenny Atkinson profitiert und sein Ceiling bereits erreicht oder noch Luft nach oben hat, werden wir frühstens im ersten Spiel der neuen Saison sehen. Bis dahin blicken wir aber mal auf die beiden Extrembeispiele.
Version 1: Russell findet sich gnadenlos in das System von Steve Kerr ein und brilliert gemeinsam mit Curry als gefürchtetes Backcourt-Duo. In der Defensive hat sich D-Lo deutlich verbessert, bewegt sich hervorragend abseits des Balles und bringt die Fans im neuen Chase Center durch tiefe Dreier am Fließband zum Toben. Anfang Februar kehrt Klay zurück, rückt auf die Drei und schon bald ist von der neuen Big Three in San Fran die Rede.
Version 2: Russells All-Star-Saison war der Höhepunkt seiner Karriere und nur dadurch begründet, dass er ständig den Ball in den Händen hielt - und die eigentlich ineffizienten Mitteldistanzwürfe wie verrückt traf. Als zweite Option verfällt er nun aber in alte Lakers-Muster, wirkt oft lustlos und trifft von Downtown gerade einmal 33 Prozent. Aber die Probleme zeigen sich vor allem defensiv. Das Duo Curry-Russell wird konstant angegriffen und ohne Klay und KD entpuppen sich die Warriors zunehmend als Schießbude der Liga. 120 Punkte für das gegnerische Team sind keine Ausnahme in der schönen neuen Arena der Dubs. In letzter Konsequenz werden die Playoffs das erste Mal seit 2012 verpasst.
NBA: Werden die Warriors D'Angelo Russell weitertraden?
Oder steckt hinter der Verpflichtung von D-Lo am Ende gar nicht mehr als ein von vornherein vorbestimmtes, kurzes Kapitel in der Warriors-Geschichte? Darf man den Worten des für bekanntlich bestens informierten N.Y.-Times Insiders Marc Stein Glauben schenken, ist es eh nur eine Frage der Zeit, bis die Dubs den All-Star weitertraden.
Demnach haben sich die Warriors Russell nicht wegen dessen sportlichen Qualitäten gesichert, sondern schlichtweg, um eine Absicherung für die Zukunft und ein gutes Asset in der Hinterhand zu haben. Wohin und wann Russel getradet wird, hänge dabei stark von seinen Leistungen in der neuen Saison ab. Mittlweile haben aber verschiedene Berichte diese Darstellung zurückgewiesen.
So oder so stehen den Dubs spannende Zeiten in der Post-Durant-Ära bevor. Ob sich das große Risiko der Verantwortlichen schlussendlich auszahlt oder die Verpflichtung nur ein Verzweiflungsakt war, werden wir spätestens im April 2020 wissen.