Es kursiert derzeit ein Formular in den sozialen Medien, mit dem man sich bei Carmelo Anthony entschuldigen kann. Man kann dabei Gründe ankreuzen wie "Die Medien haben mich überzeugt, dass er durch ist", "Ich verstehe Basketball nicht" oder "Ich war neidisch auf Carmelo". Außerdem kann man noch ankreuzen, dass man den 35-Jährigen von nun an respektieren wird.
Die Denke dahinter ist simpel: Wer Melo vorher laut niedergemacht (oder eben kritisiert) hatte, soll nun umso lauter eingestehen, dass er oder sie falsch lag, wo Anthony einige richtig gute Leistungen gezeigt und den Blazers wieder neues Leben eingehaucht hat. Zugeben, wenn man falsch liegt? Ein simples und trotzdem fast gänzlich neues Konzept auf Social Media.
Nun kann man natürlich darüber streiten, ob Social Media etwas mit Melos einjähriger Abwesenheit zu tun hatte, die meisten Teams lassen sich bekanntlich nicht primär von der dortigen Stimmung leiten (zum Leiden der Bulls-Fans, zum Beispiel) und keins von ihnen wollte Anthony im Sommer eine Chance geben. Fakt ist aber: Für die Blazers scheint es bisher goldrichtig zu sein, dass sie sich doch noch umentschieden haben.
Carmelo Anthony rundet die Offensive der Blazers ab
Es ist bloß knapp zwei Wochen her, da lag Portland mit einer 5-12-Bilanz nach einer peinlichen Pleite gegen die Cavaliers noch am Boden. Seither gewannen die Blazers drei Spiele am Stück, zwar gegen schwache Konkurrenz (zweimal Chicago, einmal OKC), aber trotzdem signifikant, war es doch die erste Siegesserie in dieser Saison. Anthony hatte daran seinen Anteil.
Nacheinander kam Melo auf 25, 19 und 23 Punkte, immer bei mindestens 50 Prozent aus dem Feld. In seinen sechs Blazers-Spielen kommt er bisher insgesamt auf 17,7 Punkte und 6 Rebounds bei 46,2 Prozent aus dem Feld und 37 Prozent von der Dreierlinie. Mit Anthony auf dem Court betrug das Net-Rating in den letzten sechs Spielen +10,1, ohne ihn -4,4; Portland profitierte, objektiv, bisher absolut von seiner Verpflichtung.
Auch wenn er teilweise als defensive Schwachstelle attackiert werden kann, auch wenn seine Wurfauswahl nicht modern ist. Er rundet die zuvor unheimlich Guard-lastige Offense der Blazers ein wenig ab und muss von der Verteidigung mehr respektiert werden als alle anderen Forwards in Portlands Kader.
Carmelo Anthony: Noch kaum an die Blazers gewöhnt
Letzterer Punkt ist nicht zu unterschätzen. Fast alle Spieler in der Liga wuchsen entweder mit Melo als Abo-All-Star auf oder spielten oft genug gegen ihn, um ihn hier ein wenig zu fürchten - deutlich mehr zumindest als Mario Hezonja oder Anthony Tolliver, zwei von Portlands weiteren Alternativen auf den Forward-Positionen.
Diese zusätzliche Aufmerksamkeit kommt wiederum Damian Lillard und C.J. McCollum zu Gute, wenn diese für sich selbst oder andere Möglichkeiten kreieren wollen.
Anthony bringt zudem auch neben seinem Wurf, von draußen oder aus der Mitteldistanz, einen gewissen Bounce mit ins Spiel der Blazers. Rund ein Drittel seiner bisherigen Abschlüsse erfolgte direkt am Korb, ein vielversprechender Wert. Da er bisher wenig bis gar nicht mit Portland trainieren konnte, musste er sich bisher einen Großteil seiner Punkte selbst erarbeiten.
"Wir hatten bisher kein Training, keine Zeit, uns aneinander zu gewöhnen, einfach nur Basketball spielen und sich dabei von Talent und Fähigkeiten leiten lassen", sagte Anthony vor einigen Tagen zu The Athletic. "Ich spaziere einfach in die Halle und werde ins Feuer geworfen. Nichts wird über Nacht passieren, ich kann einfach nur kontrollieren, was ich kontrollieren kann."
Kawhi Leonard kritisiert den Umgang mit Carmelo Anthony
Bisher gelang das gut, wenngleich man anmerken muss, dass die Blazers mit Melo bisher auch noch kein wirklich gutes Team geschlagen haben. Nun geht es nacheinander gegen die Clippers, die Kings und die Lakers, im Anschluss dürfte man deutlich mehr darüber wissen, ob der Melo-Effekt in Portland wirklich Bestand haben wird und die Blazers ihre Saison herumreißen können.
Das Star-Duo der Clippers scheint daran zumindest zu glauben. Paul George, der 2017/18 noch mit Anthony zusammen für OKC spielte, sagte, es sei "großartig", diesen wieder in der Liga zu sehen, er hasse nur die Narrative, die rund um Melo immer von den Medien wieder konstruiert würden. "Melo war immer ein großartiger Spieler und wird es auch bleiben. Shoutout an Portland, dass sie die Tür für ihn wieder geöffnet haben", sagte George am Montag.
Und auch Kawhi Leonard äußerte sich ähnlich: "Ich bin froh, dass er wieder da ist, er hat das wirklich verdient. Ich denke, man ist nicht gut mit ihm umgegangen. Es war nicht in Ordnung, wie sie ihn, einen zukünftigen Hall-of-Famer, in der Luft hängen ließen."
Carmelo Anthony: Es war keine Verschwörung
Man könnte das "sie" als Attacke auf die Rockets werten, die Anthony letzte Saison nach nur zehn Spielen aus dem Kader nahmen, bevor sie ihn im Januar nach Chicago tradeten, wo er Anfang Februar entlassen wurde.
Vielleicht ging es auch um die restliche Liga, was unterhaltsam wäre, da gerade Kawhi ja absolut den Stellenwert bei seinem Team hat, dass er Melo mit einem guten Wort vermutlich selbst ein neues Engagement hätte verschaffen können. Die Clippers, aber auch alle anderen Teams hätten Melo seit fast einem Jahr für quasi nichts verpflichten können.
Die Realität ist ja, dass Anthony in den letzten beiden Jahren tatsächlich nicht gut war. Das ändert nichts an seinem Status als sicherer Hall-of-Famer, aber weder OKC 17/18 noch Houston im letzten Jahr war besser, wenn er auf dem Court stand, im Gegenteil. Das ist der recht simple Grund, warum ihn kein Team haben wollte. Es ging dabei nicht um eine Verschwörung.
Carmelo Anthony: Ein Hauptgewinn?
Die Blazers waren nun in einer verzweifelten Situation, in der sie ein gewisses Risiko gehen mussten (nicht ganz unähnlich zu den Lakers mit Dwight Howard) und sich ein Experiment gleichzeitig leisten konnten, da zuvor einfach nichts funktionierte und mit Zach Collins der eingeplante Vierer fehlte und noch lange fehlen wird.
Bisher hat sich das ausgezahlt. Wenn Melo so weiter macht wie in den letzten drei Spielen, ist er für die Blazers ein Hauptgewinn, und wenn nicht, ist durch den ungarantierten Minimalvertrag nicht viel verloren.
Das Narrativ, dass "die Medien" die Schuld daran tragen, dass Melo so lange auf diese Chance warten musste, ist dennoch irreführend. Diesen Einfluss hat weder die Presse noch Social Media. Vielleicht müsste man das oben genannte Formular auch in der Liga herumreichen.