Daniel Theis hat sich bei den Boston Celtics erstmals in seiner Karriere als Starter etabliert, derzeit gehört das Team zu den besten der NBA. SPOX sprach mit dem deutschen Nationalspieler über die Saison der Celtics, Kemba Walker und die enttäuschende WM mit dem DBB-Team.
Im Interview erklärte Theis außerdem, warum ihm die Berichterstattung und auch die Fan-Reaktionen zum Thema Kyrie Irving zu weit gingen - und wie Boston im Vergleich zur Elite im Osten dasteht.
Herr Theis, es ist wohl Gratulation angesagt, richtig? Ihre Familie ist gerade etwas größer geworden?
Daniel Theis: Danke, ja. Seit etwas mehr als drei Wochen sind wir jetzt zu viert. Da traf es sich gut, dass wir jetzt relativ viele Heimspiele hatten in den vergangenen Wochen. Das war gutes Timing.
Wie lässt sich das in Ihren Alltag integrieren, so mitten in der Saison? Sie hatten zuletzt viele Heimspiele, sind eigentlich aber mit der Mannschaft ständig auf Reisen ...
Theis: Wir hatten jetzt das Glück, dass meine Schwiegermutter schon seit einigen Wochen bei uns ist, um uns mit beiden Kindern zu unterstützen. Das hilft natürlich sehr, sonst wäre die Lage gerade für mich schon komplizierter. So kann ich mich aber weiter auf unsere Saison konzentrieren.
Dann kommen wir zur Saison der Celtics. Vergangene Spielzeit verlief der Start holprig, nun übertreffen Sie zum Saisonstart die Erwartungen. Wie erklären Sie sich den guten Auftakt?
Theis: Die Leute, die die vergangenen ein, zwei Jahre hier waren oder jetzt neu bei uns sind, die wollen ihre eigenen Geschichten schreiben und nicht mehr groß über die vergangene Saison reden. Wir wollen einfach positiv an die Sache herangehen, das ist auch etwas, was man aus den vergangenen Jahren lernen konnte. Wir versuchen, nach vorne zu schauen und sowohl auf als auch neben dem Feld als Team zu funktionieren.
Eine wichtige Rolle nimmt dabei sicherlich Kemba Walker ein, der sich als neuer Anführer des Teams ein wenig von seinem Vorgänger Kyrie Irving unterscheidet. Wie würden Sie Ihren neuen Point Guard beschreiben?
Theis: Er hat auf jeden Fall eine sehr positive Ausstrahlung. Dazu muss ich aber sagen: Es hat vergangene Saison einfach nicht geklappt und das lag am ganzen Team. Das war ein Medien-Ding, dass immer wieder einzelne Spieler herausgepickt wurden, allen voran Kyrie. Bei 15 Leuten im Team trägt nicht nur einer die Schuld. Generell sind Kyrie und Kemba einfach unterschiedliche Persönlichkeiten. Kyrie ist sehr ruhig und eher introvertiert, Kemba ist viel lauter, man sieht ihn immer wieder lachen und Mitspieler anfeuern, der ist einfach glücklich, wenn wir Spiele gewinnen. Das überträgt sich natürlich auch auf das gesamte Team, wenn jemand so eine Euphorie ausstrahlt.
Walker war in Charlotte auch nicht von Erfolg gesegnet.
Theis: Ich denke, das verschafft ihm eine andere Perspektive, vielleicht auch eine gewisse Dankbarkeit, jetzt in einer anderen Situation zu sein. Wenn wir mal hoch führen am Ende des Spiels, will er nie wieder rein, um noch auf seine Punkte zu kommen oder seinen Schnitt zu halten. Er betont immer wieder, dass er noch nie so viel Talent um sich hatte und dass er es genießt, dass nicht wie in Charlotte so oft alles von ihm abhängt. Er kann hier auch mal die Verantwortung abgeben und Jaylen [Brown, d. Red.], Jayson [Tatum] oder Gordon [Hayward] machen lassen.
Vor kurzem waren die Nets in Boston zu Gast. Irving war nicht dabei, trotzdem machten die Fans ihn zum größten Thema und verhöhnten ihn das gesamte Spiel über. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Theis: Man hat es ein Stück weit erwartet, nachdem die vergangene Saison so abgelaufen ist, wie sie ist: Dass er sagte, er würde bleiben, es dann nicht lief und er Boston doch verlassen hat und so weiter. Aber für mich war das alles zu viel und unangebracht. Er hat ja eine gute Saison gespielt, hat versucht, alles zu geben. Aber so ist das in Boston. Die Fans lieben Ihre Sportmannschaften und können solche Geschichten persönlich nehmen. Das ist deswegen keine Überraschung. Es ist für die Fans auch schwierig, sich in Kyrie hineinzuversetzen. Man muss es letztlich so hinnehmen.
Irving hat selbst recht deutlich Fehler zugegeben. Für Sie ist er dennoch zu Unrecht ein Sündenbock?
Theis: Es führt wie gesagt zu weit, wenn es in einem Team nicht gut läuft und man nur eine Person dafür verantwortlich macht. Das ist nicht fair und nicht richtig. Vergangene Saison waren die Erwartungen massiv, alle wollten nach dem Erreichen der Conference Finals im Vorjahr noch mehr, die Rollen waren nicht klar verteilt, da kam zu viel zusammen. Wenn man uns jetzt sieht, kann man vielleicht auch festhalten, dass es gar nicht so schlecht für uns war, einen kleinen Neustart zu wagen.
Haben Sie früh damit gerechnet, dass es so kommt, also dass unter anderem Irving das Team verlassen würde?
Theis: Kyrie ist nicht der Typ, der viel redet, auch nicht, wenn ihn Dinge belasten, wobei ein Team ja manchmal durchaus helfen kann. Da können Freunde helfen, die Familie natürlich, aber manchmal kann dich auch ein Team aus einer Krise herausziehen. Es war daher schwer, das so richtig vorherzusehen, zumal in der Free Agency sowieso alles passieren kann, aber eine Tendenz spürte man schon. Das ging dann auch relativ schnell.
Wie sah es bei Ihnen im Sommer aus? Auch Sie waren ja Free Agent, Restricted allerdings. Stand ein Wechsel mal zur Debatte?
Theis: Ich wollte schon bleiben, unabhängig davon, dass Boston das Recht hatte, jedes Angebot zu matchen. Es ist ein Vorteil, wenn man alles kennt, die Coaches, die Stadt, die Facilities, viele der Mitspieler. Ich hatte außerdem die Perspektive: Die Erwartungen waren hoch, auch an mich selbst, wir sind aber daran gescheitert. Dann setzt man sich eben das Ziel, es beim nächsten Versuch besser zu machen. Ich wollte gern ein Teil eines Teams sein, das die Erwartungen beim nächsten Mal vielleicht übertrifft. Außerdem habe ich gesehen, dass Al Horford und Aron Baynes beide das Team verlassen haben, die beide vor mir in der Rotation standen. Das hat mir auch in die Karten gespielt.
Die Statistiken von Daniel Theis in der NBA
Saison | Spiele | Minuten | Punkte | FG% | Rebounds | Blocks |
17/18 | 63 | 14,9 | 5,3 | 54,1 | 4,3 | 0,8 |
18/19 | 66 | 13,8 | 5,7 | 54,9 | 3,4 | 0,6 |
19/20 | 21 | 21,9 | 7,4 | 53,4 | 6,3 | 1,5 |
Zum Saisonstart fiel nun auch noch Enes Kanter eine Weile aus, wodurch Sie mit Robert Williams umgehend der einzige Big Man mit NBA-Erfahrung wurden und auch zumeist starteten. Wie hat sich Ihre Rolle verändert?
Theis: Es hilft mir sicherlich, dass ich von den Bigs hier derjenige bin, der am längsten für Brad Stevens spielt, nun im dritten Jahr. Meine Rolle ist, dass ich defensiv der Anker bin, dass ich versuche, alles zusammenzuhalten. Ich muss mich nicht zu sehr auf die Offensive konzentrieren. Wir haben in der Starting Five meist vier Spieler, die jeden Abend 20 Punkte machen können. Wenn ich den Anspruch auch hätte, würde ich wahrscheinlich weniger spielen. Deswegen konzentriere ich mich auf Defense, wie schon in den vergangenen Jahren hier und vorher in Bamberg.
Mein Eindruck ist, dass Sie defensiv noch etwas präsenter sind als im vergangenen Jahr, vielleicht auch etwas mobiler. Ist das ein richtiger Eindruck? Wird das Spiel in der NBA im dritten Jahr etwas langsamer für Sie?
Theis: Ich fühle mich vor allem körperlich besser. Nach meinem Meniskusriss in der vorletzten Saison hatte ich auch letztes Jahr von Zeit zu Zeit Probleme mit dem Knie, war noch nicht zu 100 Prozent zurück, was ich selbst unterschätzt hatte. Das bedarf Zeit. Und ja, ich habe auch in diesem Sommer wieder viel an meiner Defense gearbeitet und in den vergangenen Jahren viel dazugelernt, gerade von Baynes. Ich bin früher sehr viel auf den Block gegangen, die Coaches haben mir aber nahegelegt, einfach Würfe zu erschweren, ohne dabei zu foulen, vertikal zu verteidigen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Korbleger reinfällt, wenn ich mit beiden Armen hochgehe, ist so gering, dass ich nicht jeden Wurf blocken muss. Das sieht schön aus, führt aber leicht zu Fouls. Ich soll Würfe erschweren und dabei hilft mir das extrem, auch einfach deshalb, weil ich länger auf dem Court stehen kann. Unser defensives System spielt mir außerdem in die Karten, weil wir so "klein" spielen. Ich bin eigentlich selbst zu klein. (lacht) Aber wir sind dadurch extrem beweglich und können es gegnerischen Teams trotzdem sehr schwer machen.
Es fällt auf, dass die Celtics auf einer Linie verteidigen und mit Engagement versuchen zu kaschieren, dass sie oft gewisse Größennachteile haben. Was ist der Schlüssel dafür?
Theis: Unsere defensive Aufstellung ist generell interessant. Kemba ist mit seiner Größe unter dem Schnitt, aber dafür haben wir sehr große Flügel wie Jaylen und Jayson, die dazu lange Arme haben. Wir sind mit diesem Team sehr agil, wenn jemand geschlagen wird, sind die Rotationen sehr schnell. Unser System ist darauf ausgelegt, auf alles eine Antwort zu haben. Jeder hat eine klare Rolle, die er ausfüllen soll. Das hilft sehr. Meine Rolle besteht ja oft darin, auszuhelfen. Ich weiß aber auch, dass mein Gegenspieler dann von jemand anderem übernommen wird. Wir hören nie damit auf, zu rotieren, damit wir keine leichten Punkte abgeben. Wenn wir das auf unserem Niveau abrufen, können wir daher wirklich ein gutes Defensiv-Team sein.
Dazu haben Sie mit Marcus Smart auch noch einen der besten Verteidiger der Liga im Team, der offiziell ein Guard ist, zur Not aber auch 2,20-m-Center im Post verteidigt ...
Theis: (lacht) Marcus ist irre. Er kann alle fünf Positionen verteidigen, er nimmt diese Herausforderungen auch sehr gerne an. Er nimmt das persönlich. Wenn er bei uns nominell als Power Forward spielt, lassen gegnerische Teams gerne gegen ihn aufposten. Wir denken da nur: Sollen sie probieren! Er ist zwar relativ klein, aber unheimlich kräftig, lässt keine einfachen Punkte zu. Dazu ist er ein Energiebündel, erledigt gerne auch die Drecksarbeit. Solche Spieler braucht man in seinem Team, die sich für alles aufopfern und jedem Ball nachspringen. Wir verteidigen in diesem Jahr grundsätzlich mit mehr Stolz. Auch Jaylen oder Jayson etwa bekommen ja mit, was Smart da macht, und sie wollen diese Anerkennung als Two-Way-Player. Jayson hat kürzlich nach unserem Spiel gegen die Clippers gesagt, dass er zu Kawhi Leonard und Paul George aufschaut, weil sie sowohl offensiv als auch defensiv so stark sind. Genau da will er auch hin.
Wenn Sie den Stolz schon ansprechen - fühlt sich Ihr Team wohler in der Rolle als "Underdog"? Die Erwartungen vor dieser Saison waren ja ganz andere als im Sommer 2018.
Theis: Ja und nein. Vergangenes Jahr haben wir das natürlich mitbekommen. Da galten wir in den Medien als Topfavorit im Osten, bevor wir auch nur einmal miteinander trainiert hatten. Als es dann nicht von Anfang an funktioniert hat, gab es vielleicht diese Einstellung: Wir machen das schon. Wenn die Playoffs anfangen, sind wir soweit. Diese Saison dagegen wurden wir teils gar nicht erwähnt, wenn es um Favoriten im Osten ging, da wurde nur von Milwaukee oder Philadelphia geredet, vielleicht noch Toronto oder Miami. Das ist auch verständlich. Es sind mehrere wichtige Leute weg, die großen Positionen gelten als Schwachstelle, das dämpft Erwartungen. Aber wir gehen bisher gut damit um. Es hat sicherlich geholfen, dass vier unserer Spieler mit Team USA unterwegs waren und Kemba da schon drei weitere Spieler kennenlernen konnte. Dazu sind wir "befreit" in die Saison gegangen. Wir haben unsere eigenen Ziele, aber vielleicht ist es doch etwas leichter, wenn man nicht noch von außen so viel Druck dazubekommt. Jetzt ist Milwaukee in der Situation, wo es vergangenes Jahr nicht gereicht hat und es nun überall heißt, es muss in die Finals gehen. Wir fühlen uns in unserer Rolle wohl, dass wir uns mehr auf uns konzentrieren können.
In Fan- und Medienkreisen wird dennoch weiter diskutiert, ob die Celtics sich noch vergrößern müssen, per Trade oder wie auch immer. Kriegt man das teamintern mit? Gerade auch als Big Man, der bisher ja eine starke Saison spielt?
Theis: Klar, das kriegt man mit. Das ist eben auch die NBA. Sobald die Trade-Phase losgeht, gibt es diese Diskussionen immer, gerade wenn es mal ein schlechtes Spiel gab. Grundsätzlich gibt es aber nicht mehr viele Teams, die klassisch mit großen Post-Spielern auflaufen, abgesehen von Indiana oder Philly. Und auch da ist es schwer - kaum ein Team hat jemanden, der Joel Embiid 35 bis 40 Minuten Eins-gegen-Eins verteidigen kann. Man braucht dafür so oder so das ganze Team und ich glaube nicht, dass das unser Problem sein wird, dass wir auf der Fünf ein bisschen klein sind. Wir haben so viele Leute, die man da reinwerfen kann. Wenn es doch mal Probleme gibt, sehe ich auch, dass Marcus Smart mal einen Embiid verteidigt, ihn einfach nur nervt und ihm einen anderen Look gibt. Das macht Stevens sowieso gerne. Wir haben ein gutes Team - wir haben mit Denver, Milwaukee, Miami, Toronto oder Dallas ja auch schon diverse Playoff-Teams geschlagen. Ich glaube nicht, dass wir noch diverse Trades brauchen.
Wenn man so klein und vielseitig aufläuft, sorgt man auf der anderen Seite ja auch für Matchup-Probleme.
Theis: Genau. Wenn wir bei Philly bleiben: Wenn bei uns Jaylen oder Gordon auf der Vier starten, heißt das auch, dass ein Al Horford in der Defensive einen kleineren, schnelleren Gegenspieler um Blöcke jagen muss. Das ist einfach ein Geben und Nehmen, was die Matchups angeht.
Für Sie persönlich: Was sind neben Embiid die Duelle, die am schwierigsten sind?
Theis: An erster Stelle steht eindeutig Anthony Davis. Weil er mit dem Ball umgeht wie ein Guard, auf so viele Arten scoren kann, der Wurf wird immer besser, er kann in den Post gehen, Pull-Ups treffen, das ist schon wirklich erstaunlich. Deswegen freue ich mich, wenn wir die Lakers in der Saison sehen, vielleicht sehen wir sie ja auch etwas später nochmal. Ansonsten war die vergangene Woche mit Back-to-Back Indiana und Philly schon tough. Domantas Sabonis, Embiid, Horford, das verlangt mir dann schon einiges ab. Aber das macht mir auch Spaß. Ich bin mittlerweile so selbstbewusst, dass ich sage, ich kann Eins bis Fünf verteidigen und es den Leuten schwer machen. Stoppen ist ein großes Wort, aber zumindest das erwarte ich.
Zum Abschluss noch eine Frage zum anstehenden Sommer: Nach der WM-Enttäuschung gibt es nun noch eine Chance, sich für Olympia zu qualifizieren, dafür müsste man sich Ende Juni in Split gegen Russland, Mexiko, Kroatien, Tunesien und Brasilien durchsetzen. Haben Sie eine Einschätzung zur Gruppe und planen Sie, dabei zu sein?
Theis: Erstmal haben wir Glück gehabt, dass wir bei der Auslosung nicht die härtesten Aufgaben bekommen haben. Die Olympia-Chance ist damit auf jeden Fall da. Bis jetzt plane ich, auf jeden Fall zu spielen. Das ist natürlich noch lange hin, ich hoffe, dass ich lange Playoffs spielen werde und dann direkt im Spielrhythmus weitermachen kann. Ich denke, dass es eine ähnliche Situation ist wie mit Boston im vergangenen Jahr. Wir sind mit hohen Erwartungen zur WM angereist und haben es dann als Team wirklich verkackt. Wir haben zum größten Teil wirklich schlecht gespielt und haben da etwas gutzumachen. Für uns alle bleibt es das Ziel, Olympia zu spielen, und ich denke, dass daher auch die meisten wieder zur Verfügung stehen werden. Das ist vielleicht eine einmalige Chance und ich möchte sie wahrnehmen.
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