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NBA - Die Evolution von Russell Westbrook bei den Houston Rockets: Der Schatten-MVP

Russell Westbrook und die Houston Rockets stehen derzeit auf dem dritten Rang im Westen.
© getty

Kurz nach dem Saisonstart schienen die Kritiker allen Grund zu haben, Russell Westbrook als Fehlinvestition für die Houston Rockets abzustempeln. Allerdings zeigt der Point Guard in den vergangenen Wochen ein anderes Gesicht, sein Spiel hat sich entwickelt. Doch reicht das für den ganz großen Wurf?

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Der 19. Dezember 2019 war ein außergewöhnlicher Tag für die Houston Rockets. Die Franchise erlebte ein Kunststück, das es in dieser Form seit acht Jahren nicht mehr in Texas zu sehen gab. Letztmals also noch vor der Ära James Harden, bevor der Bart die sportlichen Geschicke und vor allem das Scoring der Rockets dominierte.

An diesem 19. Dezember avancierte Russell Westbrook zum ersten Rocket seit acht Jahren, der in einer Partie mindestens 40 Punkte auflegte und eben nicht auf den Namen James Harden hörte. Der erste Rocket seit Kevin Martin am 5. Januar 2011.

Es war Westbrooks bis dato bester Auftritt im Rockets-Trikot, das er sich seit dem Sommer 2019 und seinem viel beachteten Trade von den OKC Thunder in Richtung Texas Tag für Tag überstreift. Mit seiner Scoring-Explosion verhalf er seinem neuen Team zu einem beeindruckenden 122:117-Erfolg gegen Mitfavorit L.A. Clippers. Und vielleicht noch viel wichtiger: Er zeigte, dass das Experiment Harden/Westbrook funktionieren kann.

In den ersten Wochen der neuen Saison lieferte die Offense der Rockets und eben allen voran Westbrook den Kritikern viel Material. Der Saisonstart verlief mit drei Siegen und drei Niederlagen alles andere als spektakulär, im neuformierten Backcourt der Rockets fehlte von der anvisierten Dominanz jegliche Spur.

Von Westbrook war man unterdurchschnittliches Shooting gewöhnt, doch nun war scheinbar auch bei Harden der Wurm drin, in den ersten sechs Spielen fanden nur schwache 21,5 Prozent seiner Dreier den Weg durch die Reuse (bei 13,2 Versuchen!). Es dauerte eine Weile, bis der 30-Jährige zu seiner MVP-Form aus den vergangenen Jahren zurückfand und diese sogar übertraf.

Bei Westbrook dauerte es sogar fast bis zu diesem 19. Dezember, bis der Knoten endlich zu platzen schien.

Russell Westbrook: Der Dr. Jekyll und Mr. Hyde der NBA

"Wenn du Harden so viel Aufmerksamkeit schenkst, dann vergisst du leicht den anderen MVP, der in ihrem Team ist", fasste Head Coach Doc Rivers das Dilemma der Clippers an diesem Abend zusammen. Diese Nachlässigkeit bestrafte Westbrook, der 2017 den Award als wertvollster Spieler der Saison einheimste.

Doch gleichzeitig war auch dieser Auftritt weit von Perfektion entfernt. Westbrook stellte ein weiteres Mal eindrucksvoll unter Beweis, wie nah Genie und Wahnsinn bei ihm manchmal zusammenliegen: Für seine 40 Punkte benötigte Russ 31 Würfe (13 Treffer), zu seinen 10 Rebounds und 5 Assists gesellten sich 8 Ballverluste.

Die fehlende Effizienz begleitet Westbrook schon fast über seine gesamte Karriere, wie auch über die Saison 2019/20. Das Offensichtlichste zuerst: Der Point Guard trifft auch bei seinem neuen Team aus der Distanz kein Scheunentor. Seine Dreierquote von 23,5 Prozent (bei 4,8 Versuchen pro Partie) ist sogar der schlechteste Wert seit seinem Sophomore-Jahr in der Association.

Die Shotchart von Russell Westbrook zeigt eine Menge rot.
© stats.nba.com
Die Shotchart von Russell Westbrook zeigt eine Menge rot.

In Anbetracht seines Workloads fallen Westbrooks bisherige Probleme erst recht ins Auge. Russ ist einer von nur 15 Spielern ligaweit, der eine Usage-Rate von über 30 Prozent vorzuweisen hat. Seine True-Shooting-Percentage liegt jedoch bei gerade einmal 50,3 Prozent, das ist der mit Abstand schlechteste Wert aus dieser Gruppe.

In Anbetracht dieser Zahlen ist es wenig verwunderlich, dass auch die Teamstatistiken der Rockets mit Westbrook leiden. Steht der Guard auf dem Parkett, hat Houston ein solides, aber nicht herausragendes Net-Rating von 3,8 - ohne ihn stehen die Rockets bei 10,3!

Die Statistiken von Russell Westbrook seit 2016/17

SaisonTeamG / MINPunkteReboundsAssistsTOFG%3FG%
2016/17Thunder81 / 34,631,610,710,45,442,534,3
2017/18Thunder80 / 36,425,410,110,34,844,929,8
2018/19Thunder73 / 36,022,911,110,74,542,829,0
2019/20Rockets31 / 35,324,17,97,04,442,623,5

Russell Westbrook: Deutliche Tendenzen nach oben

Immerhin der Teamerfolg ist da. Aus den vergangenen zehn Spielen gingen die Texaner achtmal als Sieger hervor. Nach dem durchwachsenen Saisonstart haben sich die Rockets in der Spitzengruppe der Western Conference etabliert, mit einer Bilanz von 24-11 belegen sie aktuell den dritten Rang.

Besser noch: Langsam aber sicher zeigt auch Westbrook deutliche Tendenzen nach oben. Zehn der vergangenen zwölf Spiele mit ihm konnte Houston für sich entscheiden, in dieser Phase legte er 27,8 Punkte im Schnitt und eine True-Shooting-Percentage von 54 Prozent auf. Vor allem in seiner Wurfauswahl zeigte er sich dabei deutlich verbessert.

Westbrook profitiert unter anderem von einem verbesserten Zusammenspiel mit seinem bärtigen Backcourt-Partner. Zwar ist immer noch zu beobachten, wie einer der Guards teilnahmslos in der Ecke wartet, während der jeweils andere aus Isolations kreiert, dennoch ist Westbrook mittlerweile viel besser in das System von Head Coach Mike D'Antoni integriert. Sei es durch mehr Bewegung, gegenseitige Screens der Guard-Kollegen oder gute Positionierung bei den zahlreichen Double-Teams gegen Harden.

Russell Westbrook: Double-Threat nach Double-Teams

In diesen Situationen hilft in vielen Fällen Westbrooks Verteidiger aus, aufgrund dessen schwachen Shootings eine naheliegende Vorgehensweise. Was Westbrook aber kann, ist attackieren. Bekommt er nach Double-Teams den Ball von Harden, nutzte der 31-Jährige zuletzt vermehrt den Platz in der Zone, anstatt von draußen freistehend abzudrücken.

Bei diesen Drives ist entweder genügend Raum, um selbst hochprozentig abzuschließen, oder Westbrook bestraft das Kollabieren der Defense, wenn er einen weiteren Verteidiger auf sich zieht, um einen Schützen an der Dreierlinie oder einen Big Man per Lob zu bedienen. So bleiben die Rockets brandgefährlich, auch wenn gegnerische Verteidigungen den Spalding aus Hardens Händen zwingen.

"Theoretisch sollte es nicht klappen, wenn du [Harden] doppelst", erklärte D'Antoni. "Denn dann spielt Russell 4-gegen-3. Wir sollten jedes Mal punkten." Der 68-Jährige gab aber zu, dass es ein wenig dauerte, bis diese Erkenntnis reifte. Mittlerweile sei sein Team aber nicht mehr überrascht, wenn Harden aggressiv gedoppelt wird, und könne mit der Situation besser umgehen. So auch Westbrook.

Houston Rockets: Setzt sich die Westbrook-Evolution fort?

Dass in seinem Spiel ein Umdenken stattgefunden hat, zeigt der Blick auf die Statistiken. In seinen vergangenen zwölf Partien kamen 44,6 Prozent seiner Abschlüsse in direkter Ringnähe. Eine deutliche Steigerung zu den Wochen zuvor, in denen das nur in 38,6 Prozent der Abschlüsse der Fall war. Die ineffizienten Mitteldistanzwürfe und Dreier wurden dagegen weniger. Der Anteil der Triples sank sogar von 26,7 auf 17 Prozent.

In den vergangenen Wochen hat es Westbrook also geschafft, seine Schattenseiten zwar nicht auszumerzen, aber doch immerhin einzudämmen. Der Erfolg der Rockets hängt zum großen Teil nicht nur von Hardens Auftritten in der Postseason, sondern auch von der Frage ab, ob Russ seine Evolution zu mehr Effizienz fortsetzen kann.

Seine Entwicklung und die der Rockets 2019/20 ist noch lange nicht abgeschlossen. Seinen starken Drives und der Bereicherung in Houstons Transition-Spiel steht unter anderem die weiterhin unterdurchschnittliche Defense gegenüber - und natürlich das Shooting.

Der Westbrook in der aktuellen Verfassung passt jedoch deutlich besser ins Rockets-Gefüge als der Westbrook von vor ein paar Monaten. Behält er diese Entwicklung bei, kann es für Houston weit gehen. Und dann werden auch die gegnerischen Defenses den ehemaligen MVP wieder prominenter auf dem Schirm haben müssen.

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