Ende Juli möchte die NBA ihren Spielbetrieb in Disney World wieder aufnehmen. Seit dem letzten Spiel wären bis dahin weit über vier Monate vergangen - höchste Zeit also, sich das Geschehen bis zur Unterbrechung wieder in Erinnerung zu rufen. SPOX beantwortet daher eine wichtige Frage für jedes der 22 beteiligten Teams.
Den Anfang der Reihe machen die Teams von B wie Boston bis L wie L.A. (Clippers).
Boston Celtics (43-21, Platz 3 im Osten)
Ist der Superstar-Status von Jayson Tatum "echt"?
Die Celtics bestritten die Saison über weite Teile als gutes Team mit exzellenten Metriken, das trotz allem noch nicht ganz oben in die Contender-Gruppe eingeordnet wurde - denn im Gegensatz zu etwa den L.A.-Teams oder auch Milwaukee fehlte der absolute Superstar. Im Februar allerdings schickte sich Jayson Tatum an, genau dieser Spieler zu werden.
Über den gesamten Monat legte der 22-Jährige hocheffiziente 30,7 Punkte im Schnitt auf und schien sich in der oberen Star-Kaste zu etablieren. Tatum "übernahm" das Team von Kemba Walker, der teilweise verletzt war, und wurde endgültig zu dem Spieler, für den Teams am intensivsten planen mussten. Trotz gestiegener defensiver Aufmerksamkeit produzierte er einen absurden True Shooting-Monat mit 63,7 Prozent.
Anfang März kühlte Tatum dann wiederum etwas ab (52,1 Prozent TS), was logischerweise zu der Frage führte, ob sein Februar nur ein "Streak" war oder eine Vorschau auf die neue Realität. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Tatum traf im Februar fast exakt die Hälfte seiner Pullup-Dreier (bei 6,3 Versuchen pro Spiel), das ist lächerlich gut und nicht zu halten.
Gleichzeitig bezog sich seine Entwicklung eben nicht nur auf die Jumper. Tatum ging häufiger an die Freiwurflinie, steigerte sein Spielverständnis, ging aggressiver und dabei trotzdem cleverer zu Werke. Aus schwierigen Mitteldistanzwürfen wurden vermehrt Layups oder eben Dreier. Das sind Tendenzen, die nachhaltig bleiben sollten.
Vermutlich ist Tatum beim nun (wahrscheinlich) anstehenden Restart trotzdem noch kein Superstar vom Kaliber Giannis oder Kawhi, aber er hat zumindest das Potenzial dafür endgültig unter Beweis gestellt. Und das macht die Celtics potenziell zu einem sehr interessanten Team in Disney World.
gettyBrooklyn Nets (30-34, Platz 8 im Osten)
Wer macht eigentlich mit?
In Brooklyn sind die Probleme vor dem Restart nur bedingt sportlicher Natur. Schon länger war klar, dass der Restart ohne die beiden Superstars Kyrie Irving und Kevin Durant stattfinden würde. Mittlerweile gibt es aber noch eine ganze Reihe weiterer fraglicher Personalien. DeAndre Jordan und Spencer Dinwiddie wurden positiv auf das Coronavirus getestet, Jordan wird daher ebenfalls ausfallen.
Dinwiddie wiederum hat angegeben, dass er alles versuchen möchte, um trotz allem dabei zu sein. Laut seinem letzten Update am Sonntag würde ein negativer Test dazu führen, dass er am Dienstag wieder auf den Court darf. Allerdings habe er sich nach seiner letzten Runde auf dem stationären Fahrrad noch "schwindlig und schwach" gefühlt.
Nicht dabei sein wird außerdem Wilson Chandler, dafür haben die Nets bereits Justin Anderson und Tyler Johnson nachverpflichtet. Mit dem Team, das die Nets in dieser Saison eigentlich sein wollten, wird die Ausgabe in Disney World aber definitiv nicht viel gemein haben. Wer weiß, vielleicht kann Washington ihnen trotz sechs Spielen Rückstand sogar noch gefährlich werden.
Offen ist auch die Position des Head Coaches. Noch gibt es keinen Nachfolger für den kurz vor der Unterbrechung entlassenen Kenny Atkinson, interimsweise soll Jacque Vaughn das Team betreuen. Angeblich träumen die Nets von einer "großen Lösung" namens Gregg Popovich, so oder so wird der neue Head Coach aber wohl erst in der Offseason benannt werden.
Dallas Mavericks (40-27, Platz 7 im Westen)
Wird Kristaps Porzingis endgültig zum Center?
Das beste Offensiv-Team der NBA war in dieser Spielzeit bereits in etlichen Iterationen zu sehen. In Disney World kommt eine weitere hinzu: Da sich Willie Cauley-Stein abgemeldet hat, der ohnehin schon nur als Notnagel für den verletzten Dwight Powell (Achillessehnenriss) verpflichtet wurde, zeichnet sich mehr und mehr ab, dass Kristaps Porzingis endgültig zum Vollzeit-Center wird.
Diese Entwicklung zeichnete sich im Saisonverlauf ab. Zu Beginn wurde Porzingis noch primär neben einem physischeren Big Man, eben Powell oder Maxi Kleber, aufgestellt, je stärker er dann wieder wurde, desto mehr gefielen Rick Carlisle dann die Lineups mit ihm als einzigem großen Spieler. Dabei war ein klassischer Roll-Man vom Schlage eines Powell eigentlich spätestens seit der Tyson Chandler-Zeit ein fester Bestandteil der Mavericks-Offense, die Not hat Carlisle jedoch erfinderisch gemacht.
Seit Powells Ausfall ist das meisteingesetzte Lineup der Mavs eins mit Porzingis, der von Luka Doncic, Seth Curry, Tim Hardaway und Dorian Finney-Smith flankiert wird. Porzingis ist darin eine exzellente Pick'n'Pop-Option, den direkteren Weg zum Korb sucht eher der starke Offensiv-Rebounder DFS. 1,2 Punkte pro Play generieren die Mavs aus Plays, in denen Porzingis einen Block stellt - Kleber (1,4!) und Powell (1,35) sind/waren zwar sogar noch besser, allerdings setzt der Lette die meisten Picks.
Defensiv wird Porzingis dazu immer mehr zum Anker und steigerte sich im Saisonverlauf immer mehr, obwohl die Mavs-Defense insgesamt lediglich durchschnittlich daherkam. Überhaupt schien ihm die neue Rolle zu gefallen.
Zwischen dem 31. Januar und dem 5. März legte Porzingis im Schnitt 27,8 Punkte, 11 Rebounds und 2,3 Blocks bei Quoten von 50 Prozent aus dem Feld und 39 Prozent von der Dreierlinie auf - bei einem Offensiv-Rating von 121,2 und einem Defensiv-Rating von 108,2. Ohne Frage der bisher stärkste Stretch seiner Karriere.
Die Monats-Splits von Kristaps Porzingis bei den Mavericks
Monat | Spiele | Minuten | Punkte | TS% | Rebounds | Assists |
Oktober | 4 | 31,4 | 22,3 | 54,6 | 7,8 | 3,3 |
November | 13 | 31,4 | 15,8 | 48,3 | 9,9 | 1 |
Dezember | 14 | 31 | 17,2 | 52,1 | 9,4 | 1,4 |
Januar | 6 | 26,7 | 17,2 | 53,2 | 6,8 | 1,2 |
Februar | 9 | 31,3 | 25,2 | 65,6 | 10,6 | 2,3 |
März | 5 | 37,5 | 23,2 | 51 | 11,2 | 3,2 |
Denver Nuggets (43-22, Platz 3 im Westen)
Welche Rolle darf Michael Porter Jr. spielen?
Eigentlich ist Porter genau das, was die Nuggets brauchen: Ein großer, vielseitiger Flügel, der sich in jeder erdenklichen Situation einen Wurf erarbeiten kann und damit die perfekte Ergänzung zum uneigennützigen Nikola Jokic und zu den kleinen Guards wie Jamal Murray sein könnte. Es gibt da nur das Problem, dass sein Head Coach Michael Malone ihn noch nicht wirklich von der Leine lässt.
Porter sollte aufgrund seiner Rückenprobleme, die ihn sein komplettes Rookie-Jahr kosteten, langsam herangeführt werden, aber nicht unbedingt so langsam. Der Forward kam im Schnitt nur auf 14 Minuten, in denen er durchaus Ansätze zeigte, obwohl ihn das Tempo des NBA-Basketballs vor allem defensiv noch oft überforderte. Dank letzterem wurden ihm oft andere Optionen vorgezogen.
Das Front Office der Nuggets wiederum wollte Porter durchaus öfter sehen. Wohl auch deshalb gab man kurz vor der Trade Deadline mit Malik Beasley und Juancho Hernangomez zwei Flügelspieler ab, der erhoffte Effekt stellte sich aber nicht ein - im Gegenteil. Hatte Porter noch im Januar regelmäßig über 20 Minuten auf dem Court gestanden, waren es nach dem Trade prompt wieder nur 14 im Schnitt, nachdem er sich zuvor am Knöchel verletzt hatte.
Was bedeutet das nun für die Playoffs? "Es gibt eine gute Chance, dass er in den Playoffs eingesetzt wird", sagte Malone kürzlich zur Denver Post. "Und dann freue ich mich darauf, zu sehen, wie er darauf reagiert, weil es ja sein erstes Mal ist." Nicht nur Nuggets-Fans würden sich wünschen, dass der Coach das größte Talent seines Teams mit etwas mehr Überzeugung ins kalte Wasser wirft.
gettyHouston Rockets (40-24, Platz 6 im Westen)
Hat sich Micro-Ball schon überholt?
Kein Team veränderte im Lauf der Saison so radikal seinen Ansatz wie die Houston Rockets, die alle Center (zuletzt dann auch Isaiah Hartenstein) für obsolet erklärten und mit einem reinen Flügel-Lineup "Micro-Ball" propagierten. Zu Beginn funktionierte dieser Ball und vor allem Russell Westbrook blühte durch die Umstellung auf, vor der Unterbrechung verlor Houston dann aber vier der letzten fünf Spiele.
Haben die gegnerischen Teams etwa nur so kurze Zeit gebraucht, um das Lineup zu entschlüsseln? Ist es eine Frage des Einsatzes, da Houston nun eben noch stärker im Team verteidigen (und rebounden!) muss? Oder waren Spieler wie James Harden (offensiv) oder P.J. Tucker (defensiv) einfach ein Stück weit platt, weil sie schon das ganze Jahr über eine absurde Last tragen mussten?
Houston wird auf Letzteres hoffen. Denn durch die lange Pause könnte gerade Harden, der seit Jahren in den Playoffs an seine Grenzen stößt, endlich mal topfit in die Postseason gehen, dazu könnten die neu geholten Spieler wie DeMarre Carroll oder Robert Covington ihre Rollen noch besser verinnerlichen.
Mit ihrem Dreier-lastigen Spiel sind die Rockets eigentlich prädestiniert dafür, eine kuriose Situation wie die nun anstehende in Disney World auszunutzen: Der Zufall spielt in ihrem System eine größere Rolle als bei anderen Teams. Allerdings müssen sie noch beweisen, dass die Spiele vor der Unterbrechung nur Ausrutscher waren.
Indiana Pacers (39-26, Platz 5 im Osten)
Wie wird der Ausfall von Victor Oladipo kompensiert?
Bisher haben (abgesehen von Brooklyn) überwiegend Rollenspieler ihre Teilnahmen am Restart abgesagt. Oladipo wiederum ist der Star in Indiana, nun wird er den Pacers wie schon im Vorjahr in den Playoffs nicht zur Verfügung stehen. Verständlicherweise hat der 28-Jährige Sorge, sich nach seiner schweren Quadrizeps-Verletzung erneut zu verletzen.
Die Pacers kennen sich mit dieser Situation immerhin aus; Oladipo stand in dieser Saison ohnehin erst 13-mal auf dem Court, erst kurz vor der Unterbrechung erinnerte er ein Stück weit an den Spieler früherer Tage. Trotzdem fand Indiana vor allem dank Domantas Sabonis Wege, effektiv zu sein, und schnupperte im Osten sogar am Heimvorteil.
Dennoch trifft die Oladipo-Absage die Pacers hart. Auch Jeremy Lamb fehlt und schon vergangenes Jahr zeigte ihnen ein nicht gerade überwältigendes Celtics-Team in der ersten Playoffrunde klar die Grenzen auf. Oladipo bringt als einziger im Kader die Qualitäten mit, ein Spiel in den Playoffs zu dominieren, sich Würfe zu erarbeiten, wenn der "normale" Stiefel nicht mehr funktioniert.
Oladipo priorisiert die nächste Saison, was angesichts seiner Situation vollkommen verständlich ist. Zuzüglich zu den Verletzungssorgen geht der Swingman in sein letztes Vertragsjahr, nachdem man sich vor der Saison nicht auf eine vorzeitige Vertragsverlängerung einigen konnte.
L.A. Clippers (44-20, Platz 2 im Westen)
Wie wichtig ist Kontinuität?
Wohl kein Team in der NBA verfügt im Kader von Position 1 bis 15 über so viel Qualität wie die Clippers. Allerdings gibt es wohl auch kein Team, dessen "beste Fünf" bisher so wenig zusammengespielt hat. Durch das Load Management von Kawhi Leonard, die Verletzungspausen von Paul George und weitere Verletzungen konnten sich die Clippers bisher verhältnismäßig schlecht aneinander gewöhnen.
Hinzu kam, dass erst kurz vor der Unterbrechung mit Marcus Morris und Reggie Jackson noch zwei weitere Spieler geholt wurden, die in den Playoffs durchaus eine Rolle spielen sollen (Joakim Noah ist in der Hinsicht wohl zu vernachlässigen) - möglicherweise hätten die Clippers stärker als andere Teams von einer "normalen" Saison profitiert, einfach aufgrund der gemeinsamen Spielpraxis.
Andererseits: Vielleicht brauchen sie diese auch gar nicht so dringend. Vor der Unterbrechung gewannen die Clippers sieben der letzten acht Spiele, wobei die einzige Niederlage gegen die Lakers dennoch schmerzte. Über die Saison gewann L.A. 24 von 32 Spielen, wenn sowohl Kawhi als auch George zur Verfügung standen. Eine höhere Siegquote haben lediglich die Bucks und Lakers.
Die Clippers sind damit in Disney World als einer der Topfavoriten ein Experiment - gerade im Vergleich zu den Bucks, bei denen Kontinuität und Teamchemie besonders groß geschrieben werden.