Über vier Jahre ist es mittlerweile her, dass Kobe Bryant seine Abschiedstournee durch die Liga drehte, die er zwei Jahrzehnte lang geprägt hatte. Die im Januar dieses Jahres verstorbene Lakers-Legende wurde allerorten geehrt, Kobe hatte aber seinerseits auch für etliche Spieler Abschiedsbotschaften, die seine Rivalen waren, Kollegen, vielleicht auch seine Nachfolger.
Devin Booker war während dieser Tournee ein 19-jähriger Rookie, gegen die Lakers und sein Idol Kobe legte er in einer Partie 28 Punkte auf. Bryant gefiel, was er sah: "Be legendary" schrieb er Booker auf die Schuhe, um ihn anzuspornen. Mit mittlerweile 23 Jahren schreibt sich der Suns-Guard diese zwei Worte vor jedem Spiel nun selbst auf die Sneaker.
"Es ist eine Erinnerung für mich", erklärte Booker kürzlich. "Kobe ist damit jeden Tag bei mir." Von Bryants Erfolgen, der mit 23 Jahren schon zweifacher NBA-Champion war, ist Booker zwar weit entfernt - dennoch arbeitet er gerade daran, selbst etwas Legendäres zu schaffen. Dass die Suns zu diesem Zeitpunkt noch eine Playoff-Chance haben, ist bereits ein kleines Wunder.
Playoffs? Weniger als 1 Prozent Wahrscheinlichkeit
Als die NBA ihre 22 an der Bubble teilnehmenden Teams bekanntgab und die Suns mit ihrer 26-39-Bilanz dabei waren, fragten sich große Teile der NBA-Welt (auch der Autor dieser Zeilen): Warum eigentlich? Phoenix hatte während der Saison zwar einen großen Schritt nach vorn gemacht und teilweise starken Basketball gezeigt, ihre Playoff-Chance schien dennoch nicht existent.
Auf den 8-Seed Memphis fehlten ihnen stolze sechs Siege, zudem lagen mit San Antonio, New Orleans, Sacramento und Portland noch vier weitere Teams zwischen ihnen und der ersten Postseason-Teilnahme in Bookers Karriere. Zur Erinnerung: Mindestens Platz neun ist Pflicht, will Phoenix wenigstens am Play-In-Turnier teilnehmen.
Bevor es losging, errechnete ESPN-Statistikexperte Kevin Pelton den Suns eine Chance von weniger als ein Prozent auf Platz neun. Auch sonst hatte sie keiner auf dem Schirm. Doch nach etwas mehr als einer Woche in der Bubble haben sie als einziges Team fünf Siege am Stück geholt - und sind auf einmal mittendrin in der Verlosung.
Phoenix Suns: "Wir sind Menschen, nicht wahr?"
Noch immer haben andere Teams die bessere Ausgangssituation, aber Phoenix wittert erstmals seit Jahren Playoff-Luft. "Wir sind Menschen, nicht wahr? Natürlich sehen wir das", sagte Coach Monty Williams am Wochenende über die neue Situation. "Aber es ist nicht der primäre Fokus. Wir versuchen, die richtigen Dinge zu tun, das kann uns eine Chance geben. Das ist unsere Mentalität."
Williams fügte hinzu, dass er "dankbar" dafür sei, dass sein Team überhaupt eingeladen wurde - und das ist den Suns anzumerken. Obwohl ihnen in Kelly Oubre ein Starter fehlt, beginnen sie jedes Spiel mit dem Anspruch zu gewinnen. Der Auftakt gegen Washington war noch "leicht", danach wurden aber auch die Mavs, Clippers, die bis dahin ungeschlagenen Pacers und die Heat besiegt.
Deandre Ayton zeigt sich dabei stark verbessert (18,2 Punkte und 9,8 Rebounds bei 56,2 Prozent FG in der Bubble), Mikal Bridges ist ein Defensiv-Monster, Ricky Rubio und Cameron Payne (!) treffen mehr als die Hälfte ihrer Dreier - aber der alles überragende Spieler ist Booker. Dieser erzielte 2017 als jüngster Spieler der Geschichte 70 Punkte und wurde 2020 erstmals All-Star, trotzdem ist die Bubble für ihn eine Art Coming-Out-Party.
Die NBA-Statistiken von Devin Booker
Saison | Spiele | Minuten | Punkte | FG% | 3FG% | Assists |
15/16 | 76 | 27,7 | 13,8 | 42,3 | 34,3 | 2,6 |
16/17 | 78 | 35 | 22,1 | 42,3 | 36,3 | 3,4 |
17/18 | 54 | 34,5 | 24,9 | 43,2 | 38,3 | 4,7 |
18/19 | 64 | 35 | 26,6 | 46,7 | 32,6 | 6,8 |
19/20 | 67 | 36,0 | 26,4 | 48,8 | 35,6 | 6,6 |
Devin Booker dominiert in der Bubble
29,4 Punkte hat Booker bis dato im Schnitt aufgelegt, hinzu kommen mit 6,4 pro Spiel auch noch die meisten Assists in seinem Team. Er hat einen der anspruchsvollsten Buzzerbeater der vergangenen Jahre getroffen, bei dem er Kawhi Leonard per Fake ins Leere schickte und dann nach der Drehung über den ausgestreckten Arm (und das Foul) von Paul George nichts als Nylon fand. Am Wochenende legte er mit 35 Zählern gegen die Heat und den spielentscheidenden Punkten nach.
Und er gewinnt endlich! In fünf Jahren NBA hat Booker vor der abgelaufenen Woche noch nie vier Spiele am Stück gewonnen. "Ich hatte bisher nicht so viel Erfolg in der NBA. Aber ich arbeite jeden Tag hart daran, dieses Narrativ zu korrigieren. Wir haben hier eine gute Truppe zusammen, um das zu erreichen", sagte Booker selbst.
Das angesprochene Narrativ: Da Booker bisher so wenig gewonnen hat, gilt er Vielen als klassischer "Good Stats, Bad Team"-Spieler. Das wird seiner Entwicklung zwar schon länger nicht mehr gerecht - aber es braucht oft länger, um ein Bild zu korrigieren, wenn sich dies erstmal verfestigt hat. "So spielt dieser junge Mann immer. Es sehen jetzt nur eben endlich mal alle Leute", sagte Williams.
Devin Booker kann von überall punkten
Was sie dabei zu sehen bekommen: Einen der mittlerweile vielseitigsten Offensivspieler der Liga, der sich erstaunlich stark von dem Ruf entfernt hat, den er zu Beginn seiner Karriere mit sich trug. Booker galt in Kentucky mal als Shooter im Sinne von Klay Thompson, tatsächlich nennt er einen der schönsten Würfe der Liga sein Eigen. Seine versuchten Dreier pro Spiel sind allerdings seit zwei Jahren rückläufig, nicht einmal ein Drittel seiner Würfe nimmt Booker von der Dreierlinie.
Trotzdem wird er immer effizienter (61,6 Prozent True Shooting in diesem Jahr: Career High). Booker ist groß und kräftig für einen Guard, er weiß, wie er Freiwürfe ziehen und in Korbnähe abschließen kann. Noch außergewöhnlicher als sein Finishing ist aber sein Spiel aus der Mitteldistanz: Booker zeigt teilweise eine Kobe-esque Fußarbeit, hat jede erdenkliche Finte im Arsenal.
Sein Game-Winner über PG war kein Zufall, Booker fühlt sich pudelwohl in den Zwischenbereichen. Kurioserweise schließt er von überall auf dem Feld überdurchschnittlich ab, nur von der Dreierlinie ist er in dieser Spielzeit "mittelmäßig". Wobei der Schwierigkeitsgrad natürlich hoch ist: Allein etwa 40 Prozent seiner Dreier sind unassistiert, er erarbeitet sich die Würfe also selbst.
Devin Booker glänzt als Playmaker
Dabei beschränkt er sich bei weitem nicht nur auf das Scoring. Zwar haben die Suns in dieser Saison im Gegensatz zu den vergangenen Jahren zumeist einen klassischen Point Guard neben ihm, von dem Booker massiv profitiert. Trotzdem übernimmt er noch immer viele Playmaking-Pflichten. Zum zweiten Mal in Folge verteilte Booker in dieser Saison fast 7 Assists pro Spiel.
Die Reife und Geduld, mit der er offensiv agiert, ist mehr als ungewöhnlich für einen 23-Jährigen - zumal die Suns ihm in den vergangenen Jahren nicht gerade viele Gefallen getan haben. Eher warfen sie ihm Knüppel zwischen die Beine: Williams ist bereits sein fünfter Coach in ebenso vielen Jahren, Phoenix draftete teils verheerend (Marquese Chriss, Dragan Bender, Josh Jackson) und bekleckerte sich auch in der Free Agency nicht gerade mit Ruhm.
Es sind diese Tatsachen, die einen Draymond Green dazu bringen, (ein bisschen unverschämt) zu fordern, dass Booker ein neues Team braucht: "Es ist nicht gut für ihn und seine Karriere. Er muss zu einem Team, wo er groß aufspielen und auch gewinnen kann", sagte der Warriors-Forward am Freitag bei TNT. Verdient hat Booker dies tatsächlich.
Phoenix Suns: Die Entwicklung stimmt (endlich)
Man muss den Suns jedoch zugutehalten, dass diese Saison ein Schritt in die richtige Richtung war: Williams scheint das Team zu erreichen, in Booker, Ayton, Oubre und Brigdes hat Phoenix erstmals seit Jahren ein Fundament beisammen. Dieses Quartett hat gemeinsam mit Rubio ein Net-Rating von +20,2 über 226 Minuten verzeichnet - kein einziges 5-Mann-Lineup in der NBA, das über 200 gemeinsame Minuten sammelte, war in dieser Spielzeit besser.
Natürlich kann man sich für einen solchen nerdigen "Erfolg" erstmal nichts kaufen und Phoenix hat noch lange kein perfektes Team. Es gibt Baustellen, die in der Offseason adressiert werden müssen, nächste Saison wächst der Druck, tatsächlich die Playoffs zu erreichen. Booker hat noch vier Jahre Vertrag, Spieler seiner Klasse warten heutzutage aber nicht ab, wenn sich keine Besserung einstellt.
Für den Moment spielt das aber keine Rolle - Booker und sein Team leben im Hier und Jetzt, es geht darum, die minimale Chance vielleicht doch noch irgendwie wahrzunehmen. Es wäre ziemlich legendär.