Gheorghe Muresan im Legenden-Interview: "Die NBA hat mich nullkommanull interessiert"

Florian Regelmann
16. Dezember 202012:00
Nicht nur NBA-Legende, auch Film-Star: Gheorghe Muresan.imago images / United Archives
Werbung

Gheorghe Muresan ist mit 2,31 Meter bis heute der größte Spieler in der NBA-Geschichte. Der Rumäne hatte seine beste Zeit bei den Washington Bullets, in der Saison 1995/96 wurde er sogar zum Most Improved Player gewählt und lieferte gegen Michael Jordans Chicago Bulls ein Monster-Spiel ab.

Im Interview mit SPOX spricht Muresan über seine Karriere, die von Verletzungen ruiniert wurde. Der 49-Jährige verrät, warum ihn die NBA eigentlich gar nicht interessiert hat und welche Geschichte er mit Bayer Leverkusen verbindet.

Außerdem Thema: die neuen Wizards um Russell Westbrook.

Herr Muresan, Sie sind inzwischen als Botschafter für Ihr altes Team, die Wizards, tätig. Jetzt haben wir vor kurzem den Mega-Trade mit Russell Westbrook und John Wall erlebt. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Gheorghe Muresan: Ich bin sehr begeistert von diesem Trade. John Wall hat leider eine lange Verletzungshistorie. Die Chance, Russell Westbrook zu bekommen, konnte man sich nicht entgehen lassen. Westbrook ist ein herausragender Spieler, jeder liebt ihn in Washington. Mit ihm und Bradley Beal haben wir jetzt zwei Spieler, die in jedem Spiel 30 Punkte erzielen können. Von den beiden Jungs können wir fast jeden Abend 60 Punkte bekommen! Ich glaube auch, dass die beiden super zusammenpassen. Beal ist ein unglaublich fokussierter Junge. Er ist überhaupt kein Party-Boy, er ist ein sehr familiärer Mensch, der nur an Basketball denkt, extrem ernsthaft ist und hart an sich arbeitet. Wir haben jetzt insgesamt eine richtig starke Starting Five. Wenn einige Jungs von der Bank sich weiterentwickeln und eine gute Rolle übernehmen können, ist in dieser Saison einiges möglich. Der Schlüssel ist, dass jeder gesund bleibt. Dann können wir eine tolle Mannschaft haben. Das wünsche ich mir.

Mit Isaac Bonga und Moritz Wagner stehen zwei Deutsche im Kader. Wie verfolgen Sie Ihre Entwicklung?

Muresan: Ich bin der Meinung, dass sie beide super in die Mannschaft passen. Beide sind harte Arbeiter, die jeden Tag alles dafür geben, um bessere NBA-Spieler zu werden. Wie ich gerade angedeutet habe: Ich glaube, dass gerade die Entwicklung von solchen Spielern wie Bonga und Wagner ganz entscheidend für den Teamerfolg der Wizards in der neuen Saison sein wird. Sie müssen den nächsten Schritt machen und sich verbessern. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass sie das auch schaffen. Spieler aus Europa haben eine andere Mentalität, sie sind extrem fokussiert und ordnen alles im Leben dem Basketball unter. Sie wollen unbedingt besser werden, Tag für Tag. Ich erwarte mir einiges von ihnen.

Wie blicken Sie denn generell heutzutage auf die NBA, wenn Sie es mit der NBA aus den 90ern vergleichen, in der Sie gespielt haben?

Muresan: Was soll ich sagen? Das Spiel ist so viel besser geworden. Die Spieler sind so viel besser, talentierter und athletischer. Es gibt fast keine echten Center mehr, fast jeder kann zwei, drei oder vier verschiedene Positionen spielen. Ich glaube, dass die Ernährungswissenschaft und der technologische Fortschritt eine große Rolle spielen. Heute gibt es Shooting-Maschinen und du kannst ganz alleine für dich mitten in der Nacht in die Halle gehen und tausend Würfe nehmen. Du brauchst niemanden dafür. Jedes Team sollte zwei oder drei dieser Maschinen haben. Heute schießen die Jungs von der Dreierlinie ähnliche Quoten wie wir in den 90ern bei den Two-Point-Shots. Ernsthaft, so ist es ja einfach. Auch wenn ich an den ganzen Staff denke, ist es gar kein Vergleich mehr zu früher. Früher hatten wir drei Coaches und einen Personal Trainer, das war's. Heute besteht der Staff aus über zehn Trainern und einer ganzen Reihe an Physios. Das macht einen riesengroßen Unterschied.

Nicht nur NBA-Legende, auch Film-Star: Gheorghe Muresan.imago images / United Archives

Muresan: "Andere hatten eine gelbe Jacke, ich war halt groß"

Sie haben es aus einem kleinen Ort in Rumänien bis zur NBA-Legende geschafft. Erzählen Sie, wie Sie zum Basketball gekommen sind.

Muresan: Erstmal muss ich sagen, dass ich eine großartige Kindheit hatte. Wir hatten nicht wahnsinnig viel, aber wir waren glücklich. Über einen Zahnarzt bin ich mit 14 Jahren zum Basketball gekommen. Er war Basketball-Schiedsrichter und hat mich gefragt, ob ich nicht Basketball spielen will. Sie müssen wissen, welch kleine Rolle Basketball in Rumänien spielt. Wenn überhaupt findest du nur in den größeren Städten Möglichkeiten, organisiert Basketball zu spielen. Wir sind ein Fußball-Land, ich habe die rumänische Fußball-Nationalmannschaft angefeuert um Gheorghe Hagi, das waren meine Idole.

Aufgrund einer Wachstumsstörung ausgelöst durch eine Fehlfunktion der Hirnanhangdrüse sind Sie unglaublich in die Höhe geschossen, Ihre Eltern sind beide gar nicht sonderlich groß. War das nicht schwierig, wenn man so anders ist als alle anderen und teilweise ja auch angestarrt wird?

Muresan: Ganz ehrlich, für mich war das nie ein Problem. Ich weiß nicht, wie es wäre, ein anderer Mensch zu sein. Ich war ich und das war auch gut so. Wenn jemand eine rote Jacke anhat, gewöhnt er sich daran. Wenn jemand eine gelbe Jacke anhat, gewöhnt er sich daran. Du kennst den Unterschied nicht, weil du ja immer deine gelbe Jacke anhast. So hat es sich für mich mit meiner Größe angefühlt. Andere hatten eine gelbe Jacke, ich war halt groß. Es war mein Weg.

Ganz entscheidend für Ihren Weg war die U19-WM in Edmonton, bei der Sie für Furore sorgten und sich so in die Notizbücher der Scouts spielten.

Muresan: Ich kann mich noch sehr gut an dieses Turnier erinnern. Für mich ging es aber damals gar nicht darum, irgendwelche Scouts zu beeindrucken. Davon hatte ich keinen Schimmer. Ich wollte einfach mein Bestes für das Team geben, das war alles. So war das immer bei mir. Ich wollte einfach nur Basketball spielen und mein Ziel war es, jeden Tag ein bisschen besser zu werden. Nach der WM bekam ich die Chance, ein Jahr lang in Frankreich für Pau-Orthez zu spielen. Das war eine wunderschöne Zeit. Für mich ist Pau einer der tollsten Klubs in Europa. Für mich war Pau wie eine zweite Familie, eine zweite Heimat nach Cluj. Die Menschen haben mich so gut behandelt dort, das werde ich niemals vergessen. Dadurch, dass ich mich so wohlgefühlt habe, war ich auch unglaublich motiviert, immer noch härter an mir zu arbeiten. Weil ich immer das Gefühl hatte, dass ich diesen Menschen gar nicht genug zurückgeben kann. Ich habe diese Zeit geliebt und bin ja auch am Ende meiner Karriere noch einmal dorthin zurückgekehrt. Ich habe übrigens auch eine nette Geschichte mit Deutschland-Bezug auf Lager.

Gheorghe Muresan und der Abend von Leverkusen

Schießen Sie los.

Muresan: Wir haben einmal mit Pau im Europapokal gegen Leverkusen gespielt. In der European League 1992/93. Damals hat Arvydas Sabonis für Real gespielt, Toni Kukoc wurde am Ende Final Four MVP für Treviso. Und Leverkusen hatte echt eine gute Mannschaft, zuhause hatten wir in der Gruppenphase gegen sie verloren und dann stand das für die Viertelfinal-Quali sehr wichtige Spiel in Leverkusen an. Kurz davor hatte ich einen Autounfall, sodass mich ein Kollege zum Flughafen brachte. Aber wir waren zu spät, die Mannschaft war schon in der Luft. Ich bin dann mit dem nächsten Flieger nachgekommen und habe es gerade so noch rechtzeitig zum Training geschafft. Aber unser Coach war natürlich richtig sauer. Er sagte ständig: "Du bekommst eine saftige Geldstrafe!" Und ich meinte nur: "Wenn wir das Spiel gewinnen, komme ich drumherum, okay?" Ich habe noch nie so hart gespielt und gefightet wie an diesem Abend in Leverkusen. Und wir haben natürlich gewonnen. Alle sind glücklich wieder nach Hause geflogen. (lacht)

1993 wurden Sie im Draft an 30. Stelle von den Washington Bullets gezogen. Der Draft-Tag ist ja für jeden Spieler einer der größten in seinem Leben. Wie haben Sie diesen Tag in Erinnerung?

Muresan: Es hat mich nicht interessiert.

Was soll das heißen, es hat sie nicht interessiert?

Muresan: Die NBA hat mich nicht interessiert, nullkommanull. Mein Ziel war es nie, in der NBA zu spielen. Nicht falsch verstehen, heute sehe ich das alles natürlich ein bisschen anders und es ist mir wichtig, aber damals war mir das alles komplett egal. Ich habe auch nie daran geglaubt, einmal in der NBA spielen zu können. Ich weiß noch, wie mein damaliger Agent meinte, dass ich eine Einladung für ein Trainingscamp in Europa bekommen habe. "Da musst du hin", meinte er. Und ich habe nur geantwortet: "Ich gehe da nicht hin." Ich habe es einfach abgelehnt. Ich war zu der Zeit mit der rumänischen Nationalmannschaft unterwegs, das war mir wichtig. Im Nachhinein war das sicher ein Fehler, aber so habe ich damals gedacht. Es lief alles ziemlich wild ab. Wenn ich nicht schon einen Vertrag in Barcelona unterschrieben gehabt hätte, wäre ich sogar schon in der ersten Runde gezogen worden. Das hat die Teams abgeschreckt. Aber am Ende bin ich glücklich, dass in Washington gelandet bin.

Sie haben sich in der NBA in den ersten Jahren stetig verbessert, bis Sie in der Saison 1995/96 Ihren großen Durchbruch feierten (14,5 Punkte, 9,6 Rebounds, 2,3 Blocks), die NBA in puncto Feldwurf-Quote anführten und zum Most Improved Player gewählt wurden.

Muresan: Ich habe wie ein Verrückter dafür geschuftet. Bullets-Coach Jim Lynam musste mich manchmal aus der Halle werfen, weil ich so hart an mir gearbeitet habe. Im Nachhinein bereue ich es ein bisschen, dass ich damals nicht mehr Spaß an der Sache hatte. Ich habe nie relaxen können. Gegen die 72-10-Bulls habe ich einmal 27 Punkte, 11 Rebounds und 4 Blocks aufgelegt, das war echt ein starkes Spiel, aber ich habe nach dem Spiel sofort wieder an das Training am nächsten Tag gedacht. Ich konnte es gar nicht richtig genießen. Für mich gab es nur Basketball in meinem Leben, sonst nichts. Du musst aber auch diesen Fokus haben, wenn du in der NBA bestehen willst. Es wird dir nichts geschenkt. Nach der Saison war mein Ziel natürlich, mich noch ein wenig zu verbessern, um All-Star zu werden. Ich war auch sehr nahe dran, aber dann kamen die Verletzungen und meine ganze Karriere ist in sich zusammengebrochen.

Wie sind Sie damit umgegangen, dass die Verletzungen eine noch größere Karriere ruinierten? Sie haben zum Beispiel die gesamte Saison 1997/98 verpasst.

Muresan: Einerseits war es extrem frustrierend, es war sicherlich die härteste Zeit meines Lebens. Aber andererseits bin ich in einer Phase, als ich mal wieder verletzt war und nach einer Rücken-Operation ausfiel, zum ersten Mal Vater geworden. Einen Sohn zu haben, hat die Perspektive für mich total verändert. Dazu ist mir zugutegekommen, dass ich vom Typ jemand bin, der sich ganz gut an Situationen anpassen kann. Als mir mein Arzt sagte, dass ich nie wieder Basketball würde spielen können, hat mich das nicht komplett aus der Bahn geworfen. Ich habe gekämpft, hart für ein Comeback gearbeitet und sogar nochmal einen Vertrag bei den Nets bekommen. Sowohl bei den Nets als auch danach nochmal in Pau war ich nicht mehr der gleiche Spieler wie vor den Verletzungen, ich war körperlich viel schwächer, aber hey, ich habe es probiert. Das ist alles, was zählt.

Sie haben sich die Zeit ja auch mit ein paar netten Aktivitäten abseits des Courts vertrieben.

Muresan: Neben Billy Crystal in einem Film mitzuspielen (My Giant - Zwei auf großem Fuß, Anm. d. Red.) und in einem Musikvideo von Eminem als Bauchredner aufzutauchen, war eine schöne Abwechslung. Aber es klingt wohl spannender, als es am Ende war. Bei beiden Geschichten wurde ich gefragt, ob ich das machen will. Ich habe Ja gesagt, mitgemacht und bin wieder zurück ins Hotel oder nach Hause. Es war eher so. (lacht)

"Wenn du liebst, was du tust, musst du nicht arbeiten"

Nach Ihrer Karriere haben Sie Ihre eigene Basketball-Schule, die "Giant Basketball Academy", in Virginia gegründet. Wie kam es dazu?

Muresan: Nachdem ich meine Karriere beendet und mich ein paar Jahre ausschließlich meiner Familie gewidmet hatte, wurde mir langweilig. Ich habe mich gefragt, was ich jetzt machen will und bin dann auf die Idee einer Basketballschule gekommen. Ich dachte mir, dass ich so doch perfekt Zeit mit meinen Kindern auf dem Court verbringen und grundsätzlich mit Kindern arbeiten und ihnen etwas beibringen kann. Ich wollte etwas machen, was ich wirklich liebe.

Gheorghe Muresan.getty

Was sollen die Kids bei Ihnen vor allem lernen?

Muresan: Das Wichtigste ist mir, dass sie lieben müssen, was sie tun. Ich will sie lachen sehen auf dem Court. Sie müssen Basketball lieben. Wenn du liebst, was du tust, musst du nicht arbeiten. Das ist das Motto. Und der zweite Punkt ist, dass sie verstehen, dass du Arbeit reinstecken musst, wenn du in einer Sache besser werden willst. Es kann langweilig sein, die gleiche Übung wieder und wieder zu machen, aber alle großen Sportler machen das.

Die Akademie ist aktuell aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen, oder?

Muresan: Ja, leider. Wir haben die Akademie im April schließen müssen. Ich bin quasi arbeitslos im Moment. Es tut mir weh und frustriert mich, wenn ich sehe, wie traurig die Kinder sind, dass sie nicht in die Akademie kommen können. Es ist eine sehr harte Zeit für sie. Aber es hilft nichts. Ich will nicht, dass die Kinder krank werden. Ich will nicht, dass ihre Eltern oder Großeltern krank werden. Ich will nicht, dass unsere Coaches krank werden. Und ich selbst will auch nicht krank werden. So enttäuschend es auch ist, haben wir uns dazu entschieden, erst dann wieder aufzumachen, wenn die Pandemie wirklich vorbei und es wieder sicher ist. Das Schlimme ist, dass es den Kids, und ihren Eltern wohl auch, ja so unglaublich guttun würde, wenn sie nicht die ganze Zeit zuhause vor dem Computer hängen würden, sondern in der Halle sein könnten, aber es ist leider unmöglich im Moment.