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NBA - Die kriselnden Toronto Raptors: Die verzweifelte Suche nach dem Championship-Swagger

Kyle Lowry und die Toronto Raptors haben einen Fehlstart hingelegt.
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Die Toronto Raptors hecheln zum Saisonstart den eigenen Erwartungen meilenweit hinterher. Das Selbstverständnis eines Top-Teams wird von der zweitschlechtesten Bilanz der Liga torpediert. Die Problemfelder sind vielfältig, Raptors-untypisch und beginnen bei der eigentlichen Zukunft der Franchise.

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Tampa und die Raptors, so richtig warm geworden ist man nach der Zwangsheirat in der Offseason, bedingt durch die Corona-Einreiserestriktionen in Kanada, die einen NBA-Spielbetrieb in Toronto unmöglich machen, bisher noch nicht miteinander. In der Nacht auf Dienstag durften 3.740 Zuschauer in die Amalie Arena, in der normalerweise die Tampa Bay Lightning übers Eis flitzen. Raptors-Sympathisanten befanden sich darunter kaum.

Bei der Vorstellung der Starting Fives jubelten die Fans für die Celtics anstatt für das eigentliche "Heimteam", für Toronto hagelte es vereinzelte Buhrufe. Im dritten Viertel breiteten sich "We want Tacko"-Sprechchöre aus. Unterstützung für die Raptors? Fehlanzeige. Und am Ende stand auch noch eine Blowout-Pleite gegen den letztjährigen Konkurrenten aus den Conference Semifinals.

Nicht nur deshalb wirkt der Champion von 2019 nach zwei Wochen in der neuen Saison verloren. Fernab der Heimat ging Toronto in bisher sechs Spielen fünfmal als Verlierer vom Parkett - die zweitschlechteste Bilanz der Association.

Das vielzitierte Herz eines Champions, mit dem man vergangene Saison nach dem Kawhi-Abgang alle Zweifler Lügen strafte, scheint verflogen. Die Raptors der vergangenen beiden Jahre sucht man in der Tampa-Version bisher vergeblich.

Raptors mit schwachem Auftakt: "Sind in einem Loch"

"Es ist hart. Dieses Spiel kann dir dein Herz brechen", brachte Fred VanVleet die derzeitige Situation bei den Kanadiern nach der bitteren Niederlage gegen die Celtics auf den Punkt. "Das Spiel hat mir in meinem Leben die höchsten Höhen neben meinen Kindern geschenkt. Und die tiefsten Tiefen."

Derzeit befinden sich die Raptors in einem tiefen Tal dieser Achterbahnfahrt. Klar, es ist noch früh in der Saison, doch die Aussagen der Beteiligten lassen darauf schließen, dass die aktuelle Krise an den Nerven zerrt. "Wir sind in einem Loch", sagte FVV bereits am Wochenende nach der Pleite gegen die Pelicans.

"Wenn das eine normale Niederlage gewesen wäre, hätten wir ihre Hände geschüttelt und wären ins Flugzeug gestiegen. Aber sobald du in diesem Loch bist, merkst du jede einzelne Niederlage noch intensiver", sagte der 26-Jährige. "So tut es deutlich mehr weh, als wenn du bei 4-0 stehst."

Kriselnde Raptors: Kein Geheimrezept

Vor allem die Art und Weise der bisherigen Pleiten dürfte geschmerzt haben. Sechsmal erspielte sich Toronto eine zweistellige Führung, fünfmal gaben sie diese aus der Hand. Vergangene Spielzeit hatte Toronto mit einem zweistelligen Vorsprung im Rücken eine Bilanz von 48-4 vorzuweisen. 2020/21 fehlt auf einen Rückschlag jedoch der passende Konter, die nötige Leidenschaft, der Kampfeswille - eigentlich Eigenschaften, auf die man sich bei von Kyle Lowry geführten Teams verlassen kann.

"Wir müssen ein bisschen mutiger werden, ein bisschen tougher und ein bisschen ekliger", forderte deshalb Lowry. "Und wir brauchen einen gewissen Swagger. Aktuell haben wir keinen Swagger. Wir haben gar nichts. Die Gegner sehen uns an und sagen sich: 'Okay, wir fressen sie auf.' Das ist kein gutes Gefühl."

Boston ging ersatzgeschwächt in das Back-to-Back, ohne Kemba Walker, Marcus Smart und Jeff Teague startete Two-Way-Guard Tremont Waters. Dennoch war Toronto nach einem guten Start am Ende chancenlos, das Ergebnis schmeichelhaft. "Es gibt kein Geheimrezept", sagte VanVleet angesprochen auf die Suche nach einer Lösung. "Es gibt ein Batzen Probleme und wir müssen Wege finden, diese zu lösen."

Kyle Lowry und die Toronto Raptors haben einen Fehlstart hingelegt.
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Kyle Lowry und die Toronto Raptors haben einen Fehlstart hingelegt.

Raptors: Wo ist der All-NBA-Siakam?

Die Problemfelder gestalten sich vielfältig, sie beginnen jedoch bei Pascal Siakam. Der eigentliche Franchise-Player bekommt die Bubble-Sorgen bisher noch nicht aus seinem System. Sein Scoring ist im Vergleich zur Vorsaison bei stabiler Einsatzzeit im Keller, zweimal musste der 26-Jährige mit sechs Fouls vorzeitig vom Court, eine Partie verpasste er gar komplett aus disziplinarischen Gründen.

Doch selbst wenn er auf dem Court steht, ist er nicht der Spieler, der eigentlich die Schlüssel von Leonard übernehmen sollte und vergangene Saison ins All-NBA-Team gewählt wurde. Mit Siakam auf dem Parkett stehen die Raptors bei einer Punktedifferenz von äußerst mageren -62 - der mit Abstand schlechteste Wert im Team -, ohne ihn läuft es dagegen deutlich besser (+37).

Gerade die Offense des Kameruners macht Sorgen: Seine Feldwurfquote von 40,7 Prozent ist das Offensichtliche, doch auch an den Abschlüssen selbst muss er feilen. Siakam kommt nur auf 3,2 Würfe in der Restricted Area, vergangene Saison waren es fast doppelt so viele (6,3). Die mittlerweile vermehrt auf ihn angesetzten langen, athletischen Verteidiger machen ihm das Leben schwer, gegen sie kann Siakam seine Geschwindigkeit nicht wie gegen klassische Bigs ausspielen und zum Ring durchkommen. Ganz abgesehen davon wirkt er zu oft zu zögerlich.

Nichtsdestotrotz zeigte Siakams Leistungskurve gegen die Celtics immerhin etwas nach oben (22 Punkte, 7/15 FG), was sich über die restliche Raptors-Offense nur bedingt sagen ließ. Die Bemühungen im Angriff reichen aktuell gerade einmal zu Platz 28 im Offensiv-Rating (103 Punkte pro 100 Possessions), die Feldwurfquote (41,2 Prozent) ist die schlechteste der gesamten Liga, mit der Dreierquote (33,5 Prozent) landen die Raptors im unteren Drittel - dabei nimmt Toronto die meisten Distanzwürfe.

NBA: Die Karrierestatistiken von Pascal Siakam

SaisonG / MINPunkteReboundsAssistsFG%3FG%
2016/1755 / 15,64,23,40,350,214,3
2017/1881 / 20,77,34,52,050,822,0
2018/1980 / 31,916,96,93,154,936,9
2019/2060 / 35,222,97,33,545,335,9
2020/215 / 34,817,67,43,640,730,0

Raptors: Die Wahrheit liegt in der Mitte

Trotz der geringen Stichprobe sind dies nicht die Sphären, in denen sich die Raptors wiederfinden wollen. Head Coach Nick Nurse monierte nach dem Boston-Spiel vor allem die eigentlich leichtesten Abschlüsse in Ringnähe, die aktuell nicht fallen. Zwar kommt sein Team mit soliden Drives zum Korb, trifft dort aber alles andere als hochprozentig (60,8 Prozent in der Restricted Area, Platz 23).

"Wir haben aktuell eine schwere Zeit", sagte Nurse. "Wir vergeben so viele Layups und treffen nicht unsere And-Ones. Generell hat uns das Finishing weh getan." Seine Forderung: mehr Härte beim Abschluss, um den Gegnerkontakt besser zu absorbieren.

Die Raptors hoffen auf die umgekehrte Regression zur Mitte, sind die aktuellen Zahlen doch deutlich schlechter als in der Vorsaison. So auch in der Transition (0,97 Punkte pro Possession bei 24 Ballbesitzen, Platz 30), obwohl sich diese Stärke aus der Vorsaison (1,15 PPP bei 24,2 Ballbesitzen, Platz 3) eigentlich übertragen sollte.

Ähnlich verhält es sich beim Dreier. Als VanVleet und Kollegen im ersten Viertel gegen Boston die Lichter ausschossen (7/14 Dreier), erspielte sich Toronto einen 13-Punkte-Vorsprung. Als anschließend das Wurfglück schwand (insgesamt 13/37), ging es für die Raptors schnell den Bach runter. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Entsprechend macht sich Nurse keine Sorgen um die Offense, solange irgendwann die Würfe anfangen zu fallen. Das sei das Kernproblem, so der Meistercoach.

Toronto Raptors: Fehlendes Wurfglück ist nicht alles

Je länger es dauert, bis diese Würfe fallen, desto nervöser werden allerdings die Raptors. Und schließlich ist das Wurfglück eben nicht alles. In der Offseason hat die Franchise zwei wichtige Bigs in Person von Serge Ibaka (Clippers) und Marc Gasol (Lakers) verloren und kann diese Lücken mit einem Aron Baynes auf der Suche nach seinem Touch, Chris Boucher und Alex Len nicht adäquat füllen.

Die geschwächte Frontcourt-Rotation wirkt sich auf das Spacing und das Rebounding aus, eine eklatante Schwäche in der bisherigen Saison. Hinzu kommt fehlende Tiefe auf dem Flügel und eine schwache Bank, da unter anderem Norman Powell nicht auf dem Niveau der Vorsaison agiert. In der Kombination sind so die Raptors weit entfernt von dem zweiten Platz im Osten, den sich das Team in den vergangenen beiden Jahren unter Nurse jeweils sicherte.

Der Spielplan macht eine kurzfristige Besserung der Umstände nicht leicht, für die Raptors steht ein Westküstentrip mit Gastspielen bei den Suns, Kings, Warriors und Trail Blazers an. Je mehr Niederlagen folgen, desto schwieriger wird es, sich aus dem psychischen Loch zu befreien, in dem Toronto derzeit steckt. Ungeachtet des zweifelsfrei vorhandenen Talents im Kader.

"Das ist unbekanntes Terrain für die meisten von uns", musste VanVleet eingestehen. "Ich persönlich war noch nie Teil von so etwas. Aber wir dürfen unsere Köpfe nicht hängen lassen. Niemand hat mit uns Mitleid." Es sei ein schmaler Grat zwischen dem Status eines guten und dem eines schlechten Teams, erklärte Lowry. Derzeit ist die Diskrepanz zwischen den Tampa Raptors und den Toronto Raptors jedoch gewaltig.

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