NBA Above the Break: Muss bei den Boston Celtics der Panikknopf gedrückt werden?

Ole Frerks
17. Februar 202109:11
Für Kemba Walker und Jayson Tatum läuft die Saison derzeit nicht wie gewünscht.getty
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Die Boston Celtics sind in den vergangenen Wochen in eine kleine Ergebniskrise geraten und laufen den eigenen Erwartungen hinterher. Wo drückt der Schuh beim letztjährigen Conference-Finalisten? Above the Break sucht nach Ursachen und Lösungen.

Eigentlich gibt es in Boston zwei ziemlich große Gründe für Optimismus, in der laufenden Saison und darüber hinaus. Schließlich hat man in Jaylen Brown (24) und Jayson Tatum (22) zwei junge Topspieler auf den derzeit vielleicht wichtigsten Positionen, die beide langfristig an die Franchise gebunden sind; im Falle von Brown sogar unter seinem Marktwert, also ohne Maximalvertrag.

Mindestens zwei Drittel aller NBA-Teams würden die Celtics allein darum wohl beneiden, in Wirklichkeit sind es vermutlich mehr. Dennoch entsteht momentan bisweilen der Eindruck, als wäre die Situation der Celtics festgefahren und womöglich nicht mehr zu retten. Von Panik ist die Rede, nachdem die Celtics sieben von zehn Spielen verloren und dabei teilweise einen miesen Eindruck hinterlassen haben, bevor in der Nacht gegen Denver mal wieder überzeugend gewonnen wurde.

Es besteht dennoch kein Zweifel: Den eigenen Ansprüchen werden die Celtics momentan nicht gerecht, selbst Spiele gegen Teams aus niedersten Regionen wie Detroit oder Washington gehen verloren. Head Coach Brad Stevens spricht von schlaflosen Nächten, Celtics-Fans wiederum können nicht schlafen, weil Stevens des Öfteren drei Bigs gleichzeitig auf den Court lässt.

Ist es also wirklich Zeit für den Panik-Modus in Boston? Eine Suche nach Ursachen für die aktuelle Misere ergibt: Fast alle Probleme hängen einigermaßen direkt zusammen - eine Patentlösung ist momentan vermutlich trotzdem schwer zu finden.

Die Probleme der Celtics im Überblick

1. Marcus Smart fehlt an allen Ecken und Enden

Am 31. Januar gaben die Celtics bekannt, dass Smart mit einer Wadenverletzung für zwei bis drei Wochen fehlen würde, und seither ist dessen Fehlen in vielerlei Hinsicht zu bemerken. Smart gehört zu den besten Passern im Team, ist einer der besten Verteidiger der Liga und ohne jeden Zweifel der Anführer des Teams.

Seit seinem Ausfall haben die Celtics vier Siege bei fünf Niederlagen geholt, belegen bei der Offense im Halfcourt laut Cleaning the Glass nur noch Platz 22 und werden am anderen Ende des Courts regelmäßig in Transition überrollt. Smart ist aufgrund seiner Wurfauswahl zwar kein perfekter Offensivspieler, aber er bewegt den Ball und fordert gleichzeitig eine gewisse Rechenschaft von seinen Teamkollegen, auch in Sachen Körpersprache.

Zu oft verfallen die Celtics zuletzt in Possessions nahezu ohne Ball- und Off-Ball-Movement, in denen ein Spieler dribbelt und fast alle anderen zusehen; gerade Tatum ist in den vergangenen Wochen wieder zu fokussiert auf schwierige Abschlüsse aus der Mitteldistanz oder aus der Floater-Range.

Blenden wir kurz aus, dass Tatum in Zukunft vermutlich lernen wird, bei so einem Versuch das Foul mitzunehmen. Vier Spieler stehen bei diesem Angriff fast nur rum.

SPOXnba.com/stats

Am anderen Ende des Courts erlaubten die Celtics in den vergangenen zwei Wochen eine der höchsten Freiwurfraten der Liga.

Smart ist dabei nicht die perfekte Lösung für alle Probleme und sollte als der exzellente Rollenspieler, der er ist, bei einem guten Team eigentlich nicht diesen massiven Stellenwert haben. In der aktuellen Situation geht es allerdings nicht nur um Smarts Leistungen an sich, sondern auch um das andere Problem, das durch sein Fehlen noch stärker sichtbar wird.

2. Boston hat kaum Tiefe

Der Celtics-Kader ist nicht dafür ausgelegt, dass einer der vier wichtigen Spieler auf dem Flügel ausfällt - denn mehr davon gibt es momentan nicht. Vor der Saison war klar, dass es hier Probleme geben würde, sie offenbaren sich derzeit allerdings wohl noch mehr, als das erwartet wurde.

Rookie Aaron Nesmith ist bisher nicht für die NBA bereit, Sophomore Romeo Langford wartet weiter auf die medizinische Freigabe, Carsen Edwards ist winzig, Javonte Green kann nicht werfen, Grant Williams ist eigentlich ein zu kleiner Center. Der bisher wohl konstanteste Wing nach Tatum, Brown und Smart dürfte Semi Ojeleye sein.

Es ist insofern kaum ein Wunder, dass Stevens teilweise immer noch Lineups mit Williams, Daniel Theis oder Tristan Thompson ausprobiert - es fehlen schlichtweg kampferprobte Alternativen, selbst mit Smart ist die Tiefe keineswegs ideal.

Bostons Kader schreit nach dem einen oder anderen 3-and-D-Wing mit adäquater Länge, in der jetzigen Version strahlen regelmäßig mehrere Spieler auf dem Court kaum Gefahr aus und erlauben es gegnerischen Teams, noch mehr Druck auf Tatum und Brown auszuüben. Was wiederum zum nächsten Thema führt ...

3. Werden Jayson Tatum und Jaylen Brown langsam müde?

Beide Jungstars der Celtics sind sehr gut in die Saison gestartet, insbesondere Brown machte im Vergleich zur Vorsaison nochmal einen riesigen Schritt und wird in Kürze mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erstmals All-Star. Den vielleicht größten Sprung machte Brown in Sachen Wurfauswahl und Effizienz, er startete schlichtweg als einer der effizientesten Scorer der Liga in die neue Spielzeit.

Über die Saison gesehen sind seine Quoten immer noch gut - aber sie entwickeln sich in die falsche Richtung:

Die Statistiken von Jaylen Brown pro Monat

MonatSpielePunkteTS%Usage%Net-Rtg.
Dezember52863,829,6+2
Januar1326,861,730,8+3,3
Februar723,355,230,7-0,1

Das ist angesichts der Jumpshot-Lastigkeit von Browns Spiel kein Schock, insbesondere die Zahlen aus der Mitteldistanz vom Saisonbeginn waren so auf Dauer kaum zu halten. Brown muss genau wie Tatum noch besser darin werden, sich auch an nicht so starken Shooting-Tagen einzubringen, indem er beispielsweise öfter an die Freiwurflinie geht.

Es ist aber auch zu bedenken: Die derzeitige Rolle ist neu für Brown, der erstmals in seiner Karriere oft sogar als erste Option fungiert und ansonsten zumeist die zweite ist. Er hat mehr Playmaking-Pflichten, seine Usage-Rate ist im Vergleich zur Vorsaison um fast genau 7 Prozent gestiegen. Natürlich ist das kräftezehrend, gerade in der derzeitigen Situation mit eher wenig Unterstützung.

Tatum hat ähnliche Probleme, auch wenn er vergangene Saison schon eine vergleichbare Usage hatte; der 22-Jährige ist in Boston momentan der wichtigste Playmaker, Scorer und vermutlich auch Verteidiger.

Die COVID-Infektion kommt hinzu - Tatum hat selbst zugegeben, dass er nach der Erkrankung teilweise noch immer Probleme mit der Atmung hat und schneller müde wird.

Im Februar befindet er sich in einem Shooting-Slump (nur 51,4 Prozent True Shooting nach 60 Prozent im Januar), den Boston zu selten kompensieren kann. Denn da ist natürlich auch noch das letzte, neben der Tiefe wichtigste Problem.

4. Kemba Walker ist derzeit nicht Kemba Walker

In Walker gibt es normalerweise ein natürliches Gleichgewicht neben den beiden jungen Wings - einen erfahrenen Point Guard, der noch in der vergangenen Saison zu den besseren Clutch-Playern der Liga gehörte und eine quirlige Dynamik ins Spiel brachte, die sonst kein Celtic hatte oder hat (sorry, Payton Pritchard). Verletzungen haben Kemba schon in der vergangenen Saison zurückgeworfen und in den Playoffs arg eingeschränkt; derzeit stellt sich Besserung nur langsam ein.

Der 1,83 m große Walker lebte abgesehen von der Kreativität und dem Wurf in seinen besten Jahren vor allem davon, dass er unheimlich schnell war, mit seinem Ballhandling überall hinkam und rapide abstoppen konnte - diese Facette, diese Spritzigkeit fehlt seinem Spiel derzeit. Die nackten Zahlen sind schon mies, aber sie werden noch übler, je tiefer man blickt.

Noch nie verzeichnete Walker in seine Karriere weniger Abschlüsse in Korbnähe, derzeit sind es nur 18 Prozent seiner Würfe, dazu wird er öfter denn je geblockt. Im gesamten Zweierbereich ist Walker höchst ineffizient (37 Prozent!). Zu oft bekommt er nicht die gewünschte Separation und nimmt dann einen schweren Wurf, der kaum eine Chance hat.

SPOXnba.com/stats

Es ist in Boston durchaus erwünscht, dass Brown und Tatum die Topscorer sind - langfristig war das immer der Plan und selbst bei seiner Ankunft im Sommer 2019 hatte Walker gesagt, dass er nur da sei, um ihnen zu helfen. Dafür muss der 30-Jährige aber selbst mindestens eine verlässliche dritte Option sein, die er aktuell noch nicht ist, auch wenn sein Auftritt gegen Washington mit Season-High 25 Punkten in einer ansonsten erschreckenden Celtics-Mannschaft immerhin als Lichtblick diente.

Die Celtics predigen derzeit Geduld mit Kemba, was verständlich ist, schließlich wurde er während der kurzen Offseason noch operiert und debütierte erst am 17. Januar. Oft brauchen Spieler nach Verletzungen etwas Zeit, gerade solche, die körperlich für NBA-Verhältnisse nicht gerade dominant daherkommen.

Die Realität ist auch: Es gibt nicht wirklich eine Alternative für die Celtics. Walker verdient in dieser Spielzeit 34,4 Millionen Dollar, in den kommenden beiden Jahren sind es 36 respektive 37,7 Mio. Das Investment in Walker ist also enorm und ein Trade ist momentan auch keine Option - so niedrig wie jetzt dürfte sein Trade-Wert schließlich noch nie gewesen sein.

Was sind die Optionen der Celtics?

Die Hoffnung muss also lauten, dass Walker in Kürze wieder wie sein altes, Crossover-Stepback-Dreier-treffendes Ich aussieht und aus der Big Two in Boston eine Big Three macht. Kommende Saison beginnt der neue Vertrag von Tatum, dann verdienen Brown, Walker und er alle zwischen knapp 26 und 36 Mio. - das ist gemeinsam mit Smart also prinzipiell der Kern, über den die Celtics verfügen. Und, um das klarzustellen: Das ist ein guter Kern. Wenn Walker wieder All-Star-Form erreicht, ist es ein sehr guter.

Trotzdem gibt es aktuell einen Handlungsbedarf, der darüber hinausgeht, dass GM Danny Ainge den kolportierten Sign-and-Trade-Deal von Gordon Hayward für Myles Turner und Doug McDermott aus heutiger Sicht vermutlich gerne doch annehmen würde. Dass de facto Hayward und Terry Rozier für Walker nach Charlotte gegangen sind, müssen wir hier nicht breittreten.

Es gab in den vergangenen beiden Jahren einige Moves, die Ainge womöglich gern heute anders machen würde: Das Investment in Tristan Thompson etwa, oder Stand jetzt die Langford- und Nesmith-Picks. Fehler werden nach wie vor in jedem Front Office gemacht. Die Frage ist nun eher, wie die Celtics sich wieder hinausmanövrieren können.

Für Hayward, der selbstverständlich sofort nach dem Abschied aus Boston die beste Saison seiner Karriere aufs Parkett zaubert, haben die Celtics eine Trade Exception über 28 Mio. Dollar erhalten, die laut Ainge noch während der Saison eingesetzt werden soll. Fragt sich nur, welcher Spielertyp dafür realistischerweise geholt werden könnte.

TPE: Kein Star, eher Rollenspieler sind realistisch

Es ist eher unwahrscheinlich, dass Boston sich um ein "Star"-Kaliber wie etwa Nikola Vucevic bemühen wird, zumal man in den Luxussteuer-Bereich vorschießen würde, wenn die TPE komplett genutzt wird - mit einem zurückkommenden Gehalt von etwa 15,7 Mio. Dollar wäre man hingegen noch knapp unter dieser Grenze.

Realistischer erscheint es daher, dass Ainge versucht, einen oder vielleicht sogar zwei Veteranen ins Team zu holen, die dem Team in Sachen Tiefe weiterhelfen. Optionen wären Nemanja Bjelica, Thaddeus Young, P.J. Tucker, George Hill, vielleicht Otto Porter Jr. (wohl zu teuer) oder Al Horford (dito) ... allesamt Spieler, die nicht alles fixen würden, aber die Kompetenz im Kader definitiv steigern würden.

Interessant wird dabei auch sein, ob Ainge auf der einzigen Position, auf der derzeit ein Überangebot besteht (Center), etwas verändert - Thompson konnte die Erwartungen bisher nicht erfüllen und nimmt dabei Spielzeit vom potenziell interessantesten Big in Bostons Kader. Sein Gehalt von rund 9 Mio. Dollar ließe sich in Trades gut verwenden.

Robert Williams neigt bisweilen zwar zu haarsträubenden Fehlern, seine Athletik ist jedoch eine Komponente, die den Celtics ansonsten fehlt, und das Potenzial spricht zweifellos für den 23-Jährigen. Momentan ließe sich sogar dafür argumentieren, dass er nach Theis bisher Bostons konstantester Big Man war.

Die On/Off-Werte der Celtics-Bigs

SpielerMinutenNet-Rtg. ON CourtNet-Rtg. OFF Court
Daniel Theis623+3,4-0,6
Tristan Thompson559-1,4+4,3
Robert Williams298+0,7+2,2

So oder so: Panisch muss man in Boston derzeit noch nicht werden. Trotz der aktuell miesen Form ist es mehr oder weniger ausgeschlossen, dass die Playoffs nicht erreicht werden. Die Zukunft ist solange positiv zu bewerten, wie Brown und Tatum in Grün auflaufen. Auch in der jetzigen Zusammensetzung sind die Celtics nicht so schlecht, wie sie zuletzt ausgesehen haben - das war in den ersten Saisonwochen teilweise ja durchaus auch zu sehen.

Das Ungleichgewicht im Kader muss Ainge dennoch angehen und idealerweise zwei Wings dazuholen, die werfen können und dafür sorgen, dass Boston nicht permanent komplett abrauscht, wenn Tatum und Brown nicht gemeinsam auf dem Court stehen. Smart wird helfen, aber wie gesagt: Dünn ist das Team auch mit ihm.

Einen Allesfixer gibt es vermutlich nicht, aber es gibt einige kleinere Lösungen, die Boston zumindest dabei helfen würden, wieder mehr wie ein rundes, komplettes Basketball-Team auszusehen.

Der bestmögliche Spieler, den dieses Team im Lauf dieser Spielzeit dazubekommen könnte, ist wiederum ein gesunder Walker. Ihn wird es brauchen, will man nicht nur die Playoffs erreichen, sondern dort auch noch an die Vorsaison anknüpfen. Ob dieser Spieler zurückkommt, ist derzeit jedoch schlichtweg noch nicht abzusehen.