Seit nunmehr drei Wochen war Franz Wagner mit den Michigan Wolverines nicht mehr im Einsatz. Durch einen COVID-19-Ausbruch auf dem Campus in Ann Arbor wurden die vergangenen fünf Spiele Michigans abgesagt, erst am kommenden Sonntag wird eines der besten College-Teams dieser so zerpflückten NCAA-Saison gegen Wisconsin wieder im Einsatz sein.
Wagner war also zum Zuschauen verdammt, dennoch stiegen seitdem die Aktien des 19-Jährigen im Hinblick auf den kommenden Draft. ESPN führt den Berliner inzwischen an Position 20, auch andere Draft-Seiten sehen im Forward einen Erstrundenpick mit Tuchfühlung zur Lottery, also den ersten 14 Positionen.
Die Zahlen des Deutschen stechen dabei nicht sonderlich ins Auge. 12,0 Punkte, 7,1 Rebounds und 3,1 Assists bei knapp 50 Prozent aus dem Feld und 32 Prozent von der Dreierlinie klingen nicht herausragend, doch landesweit gibt es laut sports-reference.com nur fünf Spieler, die ähnliche Statistiken vorweisen können. Das sind so Jungs wie Baylor Scheierman, der für South Dakota State in der kleinen Summit League zockt.
Franz Wagner: Durchs Stahlbad der Big Ten
Wagner hingegen agiert in der Big Ten, der tiefsten und umkämpftesten Conference im Land. Hier geben sich die Schwergewichte Illinois, Wisconsin oder Iowa die Klinke in die Hand, während Teams wie Dauerrivale Michigan State trotz positiver Bilanz weit abgeschlagen sind. Sieben der im Moment besten 25 Teams tummeln sich in dieser Conference und an der Spitze stehen Wagners Wolverines, die vor dem Corona-Ausbruch in 14 Spielen nur gegen Minnesota (mit dem deutschen U-Nationalspieler Isaiah Ihnen) verloren.
Ansonsten fegen die Wolverines über alles hinweg, das damals an neun gesetzte Wisconsin wurde mit 23 Punkten Differenz komplett aus der Halle geschossen. Mittendrin Wagner, der 15 Punkte, 10 Rebounds sowie 4 Steals lieferte und ein rekordverdächtiges Net-Rating von +98 (kein Tippfehler!) auflegte.
"Er wächst vor unseren Augen", staunte auch Coach Juwan Howard nicht schlecht über seinen Sophomore, der nach einer am Ende richtig guten Freshmen-Saison einen großen Sprung gemacht hat. Die Entscheidung, noch ein Jahr am College dranzuhängen, scheint absolut richtig gewesen zu sein, sei es im Hinblick auf die Draft-Position oder auch seine Entwicklung als Basketballer.
Franz Wagner: Seine Statistiken für Michigan
Saison | Spiele | Punkte | FG% | 3P% | Rebounds | Assists | Steals |
19/20 | 27 | 11,6 | 45,2 | 31,1 | 5,6 | 1,0 | 1,3 |
20/21 | 14 | 12,0 | 49,6 | 31,8 | 7,1 | 3,1 | 1,4 |
Franz Wagner: 9 Kilo Muskelmasse für die NBA
"Ich muss noch stärker werden, wenn ich irgendwann auf höherem Level spielen will. Daran werde ich hart arbeiten", kündigte der heute 19-Jährige im April vergangenen Jahres im Interview mit SPOX und DAZN an. Und er ließ Taten folgen. Während der langen Offseason quartierte sich Wagner bei seinem NBA-Bruder Moritz ein und quälte sich und seinen Körper den ganzen Sommer lang.
Das Ergebnis waren rund 9 Kilo Muskelmasse obendrauf, wie auch diese Bilder erahnen lassen. Der schmächtige Körper galt unter NBA-Teams als Fragezeichen, die Qualitäten als Basketballer und waren und sind dagegen geschätzt.
Der große Trumpf könnte Wagners Vielseitigkeit werden. Mit 2,05 Meter besitzt er für den Flügel die optimale Länge, auch wenn er in Michigan vornehmlich auf der Zwei eingesetzt wird. Seine gute Fußarbeit ermöglicht es ihm, vor kleineren Gegenspielern zu bleiben, dazu besitzt Wagner extrem flinke Hände. Das war auch schon zu BBL-Zeiten ein großes Plus, als er für ALBA mit 17 Jahren knapp 1 Steal in durchschnittlich 12 Minuten Spielzeit holte.
Franz Wagner: Das Schweizer Taschenmesser
Es ist womöglich Wagners größte Stärke, dessen Fähigkeiten nicht herausstechen, der aber alles kann, ein bisschen wie ein Schweizer Taschenmesser. Die Fußarbeit ist wie aus dem Lehrbuch und kann gewisse Schwächen oder die weiter bestehenden körperlichen Nachteile überdecken. Wagner rotiert meist richtig, spielt gute Help-Defense und überraschte auch das ein oder andere Mal mit einem Highlight-Block.
Offensiv ist er ein guter Cutter, kann vom Flügel Plays initiieren, hat ein Näschen für Offensiv-Rebounds und kann Sprungwürfe treffen, obwohl seine Form in der Zukunft eher nicht in Lehrbüchern verewigt werden wird.
Die Frage nach dem Jumper dürfte auch im Hinblick auf den Draft entscheidend sein, wann auch immer der Berliner sich anmelden wird. Kann er seinen Karrieredurchschnitt von 31,3 Prozent von Downtown weiter steigern, wäre Wagner enorm geholfen. Es ist durchaus vorstellbar, dass er als Mädchen für alles eine gute Ergänzung für andere Stars sein kann.
Franz Wagner: Auf den Spuren seines Bruders?
Die 85,7 Prozent von der Freiwurflinie machen zumindest Mut, dass Wagner langfristig eine gewisse Konstanz in seinen Wurf bringen kann. So weit wird der Youngster im Moment aber nicht denken, die Wolverines haben schließlich eine gute Chance, einen sehr tiefen March-Madness-Run zu starten, auch wenn sie womöglich eine Kaste unter den bisher überragenden Gonzaga und Baylor zu verorten sind.
Franz könnte hier wieder in die Fußstapfen seines Bruders steigen, der Michigan 2018 ins NCAA-Finale hievte. Dort war Villanova mit gleich fünf jetztigen NBA-Spielern (Donte DiVincenzo, Jalen Brunson, Mikal Bridges, Eric Paschall und Omari Spelman) aber eine Nummer zu groß. Die NBA wird auch Wagners Ziel bleiben, für den Moment scheint es so, als handele es sich dabei nur um eine Frage der Zeit.