Das Adrenalin pumpte durch jede Faser seines Körpers, das war Cole Anthony selbst wenige Minuten nach dem Thriller gegen die Memphis Grizzlies am Wochenende noch deutlich anzusehen. Kurz zuvor hatte der Magic-Rookie den zweiten Gamewinner seiner noch jungen Karriere versenkt, in einem jetzt schon legendären Post-Game-Interview sprudelte seine Begeisterung nur so heraus - nicht nur über seinen siegbringenden Jumper, sondern auch über einen neuen Teamkollegen.
"Ich will euch nicht anlügen, als Moe hier das erste Mal ankam, habe ich mir gedacht: 'Wer zur Hölle ist das?'", sagte der 20-Jährige zur Belustigung der TV-Kommentatoren. "Mittlerweile erzähle ich jedem: 'Ich liebe diesen Kerl!' Ich bin sehr glücklich, dass er hier ist."
Dieser Moritz Wagner, von dem Anthony sprach, hat nicht lange gebraucht, um sich in Orlando neue Freunde zu machen. Erst am vergangenen Dienstag unterschrieb der deutsche Big Man einen Vertrag in Florida, spätestens nach seinem dritten Einsatz im Magic-Trikot dürfte jeder in Disney World wissen, wer er ist.
"Das war eine tolle Verpflichtung", führte Anthony weiter aus, nachdem Wagner gegen die Grizzlies mit 24 Punkten einen persönlichen Saisonbestwert aufgelegt hatte. Wagner war es auch, der eine wichtige Rolle beim Comeback der Hausherren von einem zwischenzeitlichen 20-Punkte-Rükstand im dritten Viertel spielte. "Er hat wichtige Würfe getroffen, ohne ihn wären wir nicht im Spiel geblieben."
Somit gelang den Magic die Revanche im Back-to-Back gegen Memphis, das junge Team, allen voran Wagner, überzeugte mit Einsatz und Moral. Dabei spielt die Frage nach Sieg oder Niederlage für Orlando in dieser Saisonphase eigentlich keine Rolle mehr, der Postseason-Zug ist längst abgefahren. Doch Wagner widersprach dieser Annahme: "Selbst wenn man aus dem Playoff-Rennen eliminiert ist, all diese Spiele bedeuten etwas." Er muss es wissen, denn das gilt vor allem für ihn selbst.
DBB-Coach Rödl über Wagner: "Er hat einiges hinter sich"
Der 24-Jährige hat ein paar wilde Wochen hinter sich. Kurz vor der Trade Deadline verschifften die Washington Wizards Wagner in einem Drei-Team-Trade zu den Boston Celtics, dort spielte er im gut gefüllten Frontcourt der Kelten aber keine Rolle. Nach nur neun Kurzeinsätzen wurde er Mitte April entlassen.
Vergangene Woche bekam er eine neue Chance von den Magic. Wagner muss die acht verbliebenen Spiele nutzen, um sich in der Association zu beweisen, er kämpft auch um seine Zukunft. Im Sommer läuft sein Vertrag in Orlando aus, dann wird er Unrestricted Free Agent. Spiele wie gegen die Grizzlies helfen natürlich in der Bewerbungsmappe.
"Das Selbstvertrauen, seine Sache zu machen, war immer da. Am Wochenende konnte er es auf den Court übertragen, das ist super. Das freut mich für ihn", sagt Bundestrainer Henrik Rödl im Gespräch mit SPOX zur Situation von Wagner. "Er hat einiges hinter sich, in Orlando bekommt er nun konstant Einsatzzeit. Er muss sich natürlich erst einmal einspielen, aber gegen Memphis hat er den Eindruck gemacht, dass er sich wohlfühlt."
Moritz Wagner bei den Magic: Die perfekte Situation?
In Orlando bieten sich Wagner womöglich die perfekten Bedingungen, um sich für einen neuen Vertrag zu bewerben. Eben weil die sportlichen Ziele in der Rest-Saison überschaubar sind, liegt der Fokus auf den jungen Talenten der Magic. Auch begünstigt durch den Ausfall von Chuma Okeke durfte Wagner in zwei seiner drei Spiele für Orlando von Beginn an ran und stand 23,3 Minuten pro Partie auf dem Parkett.
"Die Situationen in Washington und Boston waren nicht so günstig für ihn", sagt Rödl. "Die Situation in Orlando hat er sich nun bewusst ausgesucht, vielleicht war das sogar der große Vorteil an dem ganzen Hin und Her." Nachdem Wagner von den Celtics entlassen wurde und den Waiver-Prozess überstanden hatte, durfte er sich als Free Agent seinen zukünftigen Arbeitgeber selbst aussuchen. "Bei den Magic hat er die Chance, Spielzeit zu bekommen, und beide Seiten können austesten, ob man auch in Zukunft zusammenarbeiten möchte", sagt Rödl.
Der Ausblick auf die Free Agency scheint für Wagner aktuell aber keine Rolle zu spielen. Sein Ziel ist vordergründig erst einmal ein anderes. "Ich bin sehr dankbar, hier sein zu dürfen", sagte er nach dem Grizzlies-Spiel in einer Medienrunde. "Ich sehe das als Möglichkeit, um die Freude am Basketball wiederzufinden. Denn die habe ich in den vergangenen Wochen ehrlich gesagt etwas verloren."
Entlassen zu werden sei nicht gerade "spaßig", so Wagner, "das ist nochmal etwas ganz anderes als getradet zu werden". In Orlando versuche er nun, befreit aufzuspielen und den Sport wieder zu genießen.
Bundestrainer Rödl über Wagner: "Er wird noch besser werden"
Im Duell mit Memphis hat das für den 2,11-Meter-Mann offensichtlich gut geklappt. Nachdem er am Tag zuvor alle seine sieben Feldwurfversuche daneben gesetzt hatte, holte er sich mit zwei Dreiern in den ersten vier Minuten Selbstvertrauen. Im weiteren Spielverlauf überzeugte er mit guten Post-Moves, tankte sich zum Korb durch oder zeigte Finesse, beispielsweise mit einem Spin-Move aus dem Post oder mit einem Pump-Fake, um den Gegner in die Luft zu schicken und das Foul zu ziehen.
Sein persönliches Highlight dürfte ein Clutch-Dreier 1:15 Minuten vor dem Ende zum wichtigen Ausgleich gewesen sein, mit diesem Wurf konnte Orlando erstmals seit den Anfangsminuten das Spiel wieder ausgleichen. Am Ende stand Wagner, der vornehmlich als Vierer an der Seite von Wendell Carter Jr. eingesetzt wurde, bei 8/15 aus dem Feld sowie 4/6 aus der Distanz und sammelte 5 Rebounds und 2 Blocks.
Allerdings ist natürlich noch nicht alles Gold, was glänzt. Defensiv ist Wagner nach wie vor anfällig, im Kampf um die Abpraller ließen er und Carter Jr. sich viel zu oft von Jonas Valanciunas (16 Rebounds, 7 am offensiven Brett) die Butter vom Brot nehmen. Zudem muss der Deutsche in den kommenden Partien erst noch beweisen, dass seine Offensiv-Leistung keine Eintagsfliege war. Rödl ist zuversichtlich, dass ihm das gelingen kann.
"Er hat sich in vielen Bereichen verbessert", analysiert der DBB-Coach. "Er ist jemand, der offensiv jederzeit einen großen Einfluss haben kann, gleichzeitig ist er defensiv stärker geworden. Er kann noch in allen Bereichen einen Schritt machen. Er ist ein junger Spieler und jemand, der extrem gerne arbeitet und das Spiel liebt. Er wird noch deutlich besser werden."
Wagner bei den Magic: Einen Fürsprecher hat er bereits
Auch von Magic-Coach Ty Corbin, der derzeit Head Coach Steve Clifford nach dessen positivem Corona-Test an der Seitenlinie ersetzt, gab es am Wochenende ein großes Lob: "Er lernt aktuell noch unsere Plays, aber seine Toughness hat sich schon auf die anderen Jungs abgefärbt. Er hat die Chance, hier zu zeigen, was er kann, und er macht bisher einen großartigen Job."
Rödl hofft sicherlich auch, dass sich Wagner mit guten Leistungen im Saisonendspurt zusätzliches Selbstvertrauen für die Olympia-Qualifikation Ende Juni holt. Er sei "natürlich in der engen Beobachtung" für das Quali-Turnier für die Spiele in Tokio, so Rödl, der im regelmäßigen Austausch mit Wagner steht.
"Wir haben ständig Kontakt. In den vergangenen Wochen etwas weniger, weil er viel um die Ohren hatte. Aber er ist jemand, der sich immer gerne meldet, wir haben ja auch schon viel miteinander trainieren können", sagt Rödl, der generell die Wagners genau im Blick hat. "Da auch Franz für uns eine große Rolle spielt, sind wir der Familie sehr nahe."
Daran würde sich auch nichts ändern, sollte es Moe, der ältere der beiden Wagner-Brüder, doch nicht schaffen, im Sommer einen neuen NBA-Vertrag zu bekommen. "Für mich spielt das nicht so eine große Rolle, ob die Spieler in der NBA oder in Europa spielen", so der 52-Jährige. "Hauptsache sie sind in einer Situation, in der sie zeigen können, welches Talent in ihnen steckt, und in der sie eine Chance bekommen, sich zu verbessern. Moritz wird sein Zuhause finden, ob das in der NBA ist oder in Europa."
Sollte der 24-Jährige noch häufiger solche Spiele wie gegen Memphis abliefern, stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Magic an einer Weiterbeschäftigung interessiert sind. "Jeder versucht eine Situation zu finden, in der man gebraucht wird. Es ist schön zu sehen, dass das für Moritz in Orlando mindestens schon mal kurzfristig der Fall ist", erklärt Rödl. Und einen prominenten Fürsprecher aus dem Spielerlager hat der Deutsche ja auch schon gefunden.
Moritz Wagner: Seine Karrierestatistiken in der NBA
Saison | Team | Spiele / Minuten | Punkte | FG% | Rebounds |
18/19 | Lakers | 43 / 10,4 | 4,8 | 41,5 | 2,0 |
19/20 | Wizards | 45 / 18,6 | 8,7 | 54,5 | 4,9 |
20/21 | Wizards | 25 / 15,0 | 7,1 | 50,8 | 2,9 |
Celtics | 9 / 6,8 | 1,2 | 28,6 | 2,1 | |
Magic | 3 / 23,3 | 10,3 | 36,0 | 4,7 |