NBA - 5 Fragen zu den Boston Celtics: Die Saison aus der Hölle - und alles, was dazugehört

Ole Frerks
03. Juni 202113:32
Jayson Tatum war in der Serie gegen die Brooklyn Nets zu oft komplett auf sich allein gestellt.getty
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Die Boston Celtics haben sich sang- und klanglos aus der ersten Runde verabschiedet und nun auch schon personelle Konsequenzen gezogen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zur Situation.

Warum verlief die Saison so enttäuschend?

Nach drei Teilnahmen an den Conference Finals in den vergangenen vier Jahren gingen die Celtics trotz des Verlusts von Gordon Hayward ambitioniert in die Saison, es zeichnete sich aber früh ab, dass es nicht wieder für einen solch tiefen Ritt oder gar mehr reichen würde. Zu viele Ausfälle gab es Verletzungs- und Corona-bedingt, zu dünn war auch der Kader - und das zog sich bis in die Playoffs.

Eine tiefe Analyse dieser Serie gegen Brooklyn lohnt kaum, da es von Anfang an kein Duell auf Augenhöhe war: Bostons zweitbester Spieler Jaylen Brown fehlte komplett, Kemba Walker verpasste (offiziell) zwei Spiele und war bei seinen drei Starts non-existent (12,7 Punkte, 31,7 Prozent aus dem Feld, 17,6 Prozent Dreier!). Mit Robert Williams setzte auch der Spieler zweimal aus, der eigentlich zum Starting Center hätte reifen sollen.

Es passte irgendwie zu dieser Saison, dass Jayson Tatum am Ende doch wieder sehr auf sich alleine gestellt war (30,8 Punkte in der Serie). Dass Boston überhaupt ein Spiel gewann, lag an einer der besten Scoring-Leistungen überhaupt in der Playoff-Geschichte der Celtics, als er in Spiel 3 50 Punkte erzielte und weil auch Marcus Smart sein bestes Spiel dieser Serie machte.

Selbst hier lag Brooklyn aber schon mit 19:4 in Front und hätte die Partie durchaus gewinnen können, wäre man etwas konsequenter bei der Sache gewesen. Es lagen vom Talent-Level schlicht und ergreifend Welten zwischen einem legitimen Contender und einer Celtics-Rumpftruppe, die über die gesamte Saison nur sehr selten ihren Rhythmus fand.

Boston kam über die ganze Saison nie in den Tritt

Die Gründe dafür waren mannigfaltig: Kein Team verzeichnete mehr Corona-Ausfälle, hinzu kamen mehrere Verletzungen, sodass Rookie Payton Pritchard (66), Tatum (64) und Grant Williams (63) die einzigen Celtics waren, die nicht wenigstens zehn Spiele verpassten. Bei Tatum kam hinzu, dass er viele Spiele nach einer Corona-Erkrankung eingeschränkt absolvieren musste, noch Wochen später brauchte er einen Inhalator und klagte über Probleme mit seiner Atmung.

Die Celtics konnten es sich schlichtweg nicht leisten, ihren besten Spieler länger zu schonen: Der Kader war zu dünn, insbesondere auf dem Flügel hatte Boston hinter den Startern nahezu keine NBA-Erfahrung versammelt. Evan Fournier sollte das nach seinem Trade beheben, landete aber selbst prompt im COVID-Protokoll.

Das war nur einer von etlichen Schritten, die helfen sollten, am Ende aber kaum einen Effekt hatten. Boston erlebte kurz gesagt das Jahr aus der Hölle - und hat sich nun folgerichtig sang- und klanglos in der ersten Playoff-Runde verabschiedet.

Mit den personellen Konsequenzen wurde dann auch nicht lange gewartet: Schon am Mittwoch, einen Tag nach dem Ausscheiden, trat der langjährige Teampräsident Danny Ainge zurück und Brad Stevens wechselte auf dessen Position. Einen neuen Coach zu finden wird nun seine erste Baustelle sein.

Warum gab Teampräsident Danny Ainge seine Rolle auf?

Vor ziemlich genau zwei Jahren erlitt Ainge einen Herzinfarkt, es ist also durchaus möglich, dass gesundheitliche Gründe bei seiner Entscheidung eine Rolle gespielt haben. Allerdings wird Ainge auch bereits jetzt eine gewisse Nähe zu den Utah Jazz nachgesagt, es scheint realistisch, dass er dort relativ bald in beratender Funktion wieder auftauchen wird.

Die Rolle des "obersten Befehlshabers" hat sich für Ainge womöglich ein wenig abgenutzt. Seit 2003 leitete er das Front Office der Celtics und traf in dieser Zeit viele kontroverse, aber auch viele gute Entscheidungen: Beispielsweise baute er das 2008er Meister-Team zusammen und akquirierte auch die Picks in Trades, aus denen in den letzten Jahren Tatum und Brown wurden.

Seither hat Ainge womöglich aber das Glück verlassen. In den vergangenen Jahren verloren die Celtics unter anderem Spieler wie Kyrie Irving, Al Horford und Gordon Hayward, die Draft-Entscheidungen saßen nicht immer, auch in der Free Agency wurden einige Fehler gemacht. Ainge hat mindestens ein schwieriges Jahr hinter sich.

Boston: Ainge lag einige Male daneben

Hayward ziehen zu lassen, war aus finanziellen Gründen verständlich, zumal der Forward sich ja auch in dieser Spielzeit wieder verletzte. Keinen Ersatz zu holen und einfach darauf zu vertrauen, dass die verbliebenen Stars sowie ein paar No-Names oder Rookies Haywards Rolle würden kompensieren können, war jedoch fahrlässig.

Boston investierte seine wichtigste finanzielle Ressource (die Midlevel Exception) 2020 nicht in den Flügel, sondern in einen Center mit Tristan Thompson, obwohl es hier mit Daniel Theis und Robert Williams schon Optionen gab. Den Desmond-Bane-Pick verscherbelte man nach Memphis, dabei wäre dieser womöglich von Tag 1 an einer der vier verlässlichsten Wings im Kader gewesen.

Auch während der Saison waren Ainges Moves nicht von Erfolg gekrönt: Fournier wurde schnell von der Celtics-Seuche eingeholt, für ihn musste Theis aus finanziellen Gründen nach Chicago verschenkt werden. Die Verpflichtung von Jabari Parker war eine weitere Idee, die nicht so wirklich aufging.

Vieles war logisch - und funktionierte nicht

Das Problem bei vielen dieser Deals, bei Fournier, auch beim Theis-Trade, der Platz für Williams schaffen sollte: Selbst wenn eine Logik dahinter erkennbar war, lief es eben schlecht. Und das auch nicht zum ersten Mal; vor zwei Jahren hätte jeder GM ein Kemba-Walker-statt-Terry-Rozier-Upgrade mit Kusshand genommen, aus heutiger Sicht ist das nicht der Fall.

Auch bei Hayward hat sich Ainge wohl verpokert: Berichten zufolge wollten die Pacers Myles Turner und Doug McDermott für ihn nach Boston schicken, Ainge forderte stattdessen T.J. Warren und verlor Hayward dann an Charlotte, wodurch am Ende nur eine Trade Exception für Hayward zurückkam.

Ainge hat mitnichten alle Probleme der Celtics in dieser Saison oder darüber hinaus zu verantworten, über manches hatte er schlichtweg keine Kontrolle. Unterm Strich steht nach Jahren im Überfluss vor allem hinsichtlich Draft-Picks trotzdem ein dünner Kader bereit, dem die Balance an mehreren Ecken fehlt.

Und das ist vor allem ein Thema des GMs - der nun nicht mehr Ainge heißt. Stattdessen beerbt Stevens den Mann, der ihn einst vom College nach Boston gelotst hatte.

Warum wechselte Stevens den Posten - und wer beerbt ihn?

Üblicherweise ist es gerade dann, wenn ein Team sich defensiv zurückentwickelt wie die Celtics in dieser Saison, nicht weit bis zur Trainerdebatte. Tatsächlich gab es auch bei Boston schon während der Spielzeit einige Stimmen, die über eine mögliche Ablösung von Stevens sinnierten. Dieser hat sich nun stattdessen selbst dazu entschieden.

Auch bei ihm hat sich Berichten zufolge eine gewisse Amtsmüdigkeit eingestellt, angeblich schon seit der Bubble-Erfahrung im Vorjahr. Schon länger gab es Gerüchte darüber, dass er Teile des Locker Rooms nicht mehr komplett erreichte, nach acht Jahren im Amt kein gänzlich ungewöhnlicher Vorgang, auch wenn Stevens als sehr respektierter Taktiker galt und gilt.

Nun wird es eine andere Rolle, für die er Berichten zufolge auch während der Saison ein 70-Millionen-Dollar-Angebot der University of Indiana ablehnte. Dort hätte Stevens wieder coachen sollen, ihn reizte jedoch eine andere Rolle - die von Ainge. Dieser soll Boston schon unmittelbar nach der Trade Deadline über seinen Rücktrittswunsch informiert haben und in der Folge bot sich für Stevens diese Möglichkeit.

Wird Stevens' Assistent der neue Head Coach?

Die Celtics dachten über einige interne Lösungen sowie OKC-GM Sam Presti nach, entschieden sich dann aber dafür, stattdessen dem gänzlich Front-Office-unerfahrenen Stevens diese Chance zu geben. Mit Ainges langjährigen Assistenten Mike Zarren und Austin Ainge gibt es zwar viel Erfahrung im Front Office und ein General Manager (Landry Fields?) könnte noch verpflichtet werden, der wichtigste Basketball-Entscheider in der Organisation ist nun jedoch erstmal Stevens.

Die erste und wichtigste Baustelle für den 44-Jährigen wird es nun sein, seinen eigenen Nachfolger zu finden. Der Job bei einer der größten Traditionsfranchises wird viele Bewerber finden, entsprechend geisterten auch bereits am Mittwoch etliche Namen durch den Äther. "Es gibt jede Menge gute Kandidaten und ich freue mich darauf, eine nähere Auswahl zu treffen", sagte Stevens dazu.

Einige Namen, die bereits gehandelt wurden, sind Jason Kidd, Lloyd Pierce, Chauncey Billups, Jay Larranaga, Jerome Allen, Ime Udoka ... und die Liste geht noch weiter. Es ist wohl zu früh, sich hier festzulegen, die Buchmacher allerdings geben derzeit Stevens' langjährigem Assistant Coach Larranaga die besten Chancen. Dieser gilt seit Jahren als potenzieller Head Coach und hat auch bereits bei mehreren anderen Teams für die Position als Nummer 1 vorgesprochen.

Was machen die Celtics in der Offseason?

Boston geht auch abgesehen von der Coach-Position mit einigen Baustellen in die Offseason. Mit Fournier, Semi Ojeleye und Luke Kornet gibt es drei Unrestricted Free Agents, wobei die letzteren beiden zu vernachlässigen sind. Bei Fournier wird es schon um einiges spannender, denn sein potenzieller Deal wird Boston doppelt und dreifach kosten.

Stand jetzt operieren die Celtics bereits im Luxussteuer-Bereich, da Tatums neuer Vertrag beginnt und er damit neben Walker und Brown zum dritten Großverdiener wird. Wird Fournier nun beispielweise für ein Jahresgehalt von 10 Millionen Dollar gehalten, was ein Discount wäre (bisher waren es 17,5 Mio.), müssten die Celtics 19 zusätzliche Millionen an Steuern zahlen.

Das ist ein massives Investment, und es kann sogar noch größer werden, wenn die bestehenden Deals gehalten und dazu auch noch die Taxpayer Midlevel Exception (5,9 Mio.) genutzt wird. Bostons Besitzer haben in der Vergangenheit betont, dass sie bereit dazu sind, Luxussteuer zu zahlen, wenn die Chance auf eine Meisterschaft gegeben ist. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus.

Celtics-Trades: Die Möglichkeiten sind begrenzt

Angesichts der finanziellen Lage und der Problematik, dass eigentlich noch immer Upgrades auf dem Flügel hermüssten, gelangt man schnell zur Frage nach Trades. Boston hat zwar keine saftigen Extra-Picks mehr, kann dafür aber ohne Restriktionen eigene Erstrundenpicks feilbieten. Es gibt zudem immer noch Teile der Trade Exception, die Hayward nach Charlotte brachte. Das garantiert in der Theorie also einen gewissen Spielraum.

Das Problem: Es fehlt den Celtics überwiegend an mittelgroßen Verträgen, die solche Deals normalerweise abrunden. Thompson kassiert fast 10 Mio. Dollar, hat aber ein so schwaches Jahr gespielt, dass Boston wohl draufzahlen müsste, um ihn loszuwerden. Marcus Smart steht kommendes Jahr bei über 14 Mio. Dollar, er ist allerdings auch Herz und Seele des Teams.

Möglich scheint ein Deal des bulligen Guards dennoch - einfach deshalb, weil es für ihn einen Markt gibt und die Celtics Bedarf an Veränderung haben. Schon oft wurde er in den vergangenen Jahren in Gespräche involviert, obwohl Ainge sein vermutlich größter Fan war. Vielleicht ist es in unter Stevens tatsächlich so weit.

Ansonsten bliebe natürlich noch die größere Lösung.

Müssen die Celtics Kemba Walker traden?

Schon am Mittwoch kursierten erste Gerüchte, dass Boston einem Deal des Point Guards nicht abgeneigt sei - eine Nachricht aus der Kategorie "Die Clippers würden den auslaufenden Vertrag von Kawhi Leonard gerne verlängern". Natürlich wäre Boston einem Trade nicht abgeneigt. So richtig wahrscheinlich ist ein solcher (jetzt) dennoch nicht.

Walker stehen in den kommenden zwei Jahren noch über 70 Millionen Dollar zu, er hat aufgrund von Knieproblemen in den letzten beiden Jahren viele Spiele verpasst und sah, wenn er denn zur Verfügung stand, in dieser Spielzeit zumeist aus wie ein Schatten seiner Selbst. Walker war in Boston kurzum nicht der Spieler, den Ainge 2019 aus Charlotte holte.

Mit 31 Jahren hat Walker einen Punkt erreicht, an dem viele kleine, schnelle Point Guards ihre beste Zeit hinter sich haben - und das schien sich bei ihm zu bewahrheiten. Nie war er so sehr vom Dreier abhängig, seit seinem Rookie-Jahr nahm Kemba nicht so wenige Freiwürfe. Sein Handling bleibt elitär, doch oft fehlte ihm die Spritzigkeit, um Spieler im Eins-gegen-Eins zu schlagen oder sich Platz für seinen Pullup-Jumper zu verschaffen.

Kemba Walker: Seine Statistiken in Boston

SpielePunkteFG%3FG%AssistsGehalt in Mio.
19/20 - Regular Season5620,442,538,14,832,7
19/20 - Playoffs1719,644,1315,1
20/21 - Regular Season4319,342364,934,4
20/21 - Playoffs312,731,717,64

Die Konkurrenz weiß all dies natürlich und deshalb wird aktuell niemand ein Angebot machen, das Boston weiterhilft. Wenn überhaupt, müssten die Celtics draufzahlen, um Walkers Vertrag loszuwerden - was auch nicht wirklich hilft, schließlich will man besser und nicht schlechter werden. Ein Trade zum jetzigen Zeitpunkt wäre nur ratsam, wenn unbedingt Kosten reduziert werden sollen.

Die realistischere Alternative: Walker hatte nach einer Operation vergangenes Jahr keine echte Offseason und konnte erst mit ordentlich Rückstand in die Saison starten, das sollte diesmal anders werden. Trotz seines Alters ist es durchaus möglich, dass er kommendes Jahr vielleicht nicht als der All-Star vergangener Tage, aber doch als produktiverer Point Guard zurückkommt.

Boston braucht nach wie vor Playmaking an der Seite von Brown und Tatum, die auf dem Flügel wenige Wünsche offen lassen, aber hier noch viel Luft nach oben haben. Walkers Wurf kann das Feld öffnen, auch das wird benötigt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er seinen Vertrag auch kommende Saison nicht rechtfertigen kann, aber das heißt nicht, dass er dem Team nicht in gewisser Weise helfen könnte.

Einen Trade schließt das langfristig natürlich trotzdem nicht aus, Walker ist nicht der Point Guard der Zukunft in Boston. Ihn ausgerechnet zu dem Zeitpunkt zu traden, an dem sein Trade-Wert in der Liga wohl seinen All-Time-Tiefstwert erreicht hat, wäre dennoch nicht die beste Idee.