NBA - 5 Fragen zum Playoff-Aus der Philadelphia 76ers: Die Zeit der Ausreden ist vorbei

Philipp Jakob
22. Juni 202107:50
Zum vierten Mal in Folge haben es Joel Embiid und die Sixers nicht in die Conference Finals geschafft.getty
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Statt vom Titel zu träumen ist in Philadelphia Resignation angesagt. Erneut haben es die Sixers nicht in die Conference Finals geschafft, die Schuldigen haben die Fans schnell ausgemacht. Doch wie geht es in Philly nun im Sommer weiter?

Wie kam es zum erneuten Sixers-Debakel in den Playoffs?

Als vor etwas weniger als einem Jahr das Bubble-Abenteuer der Sixers mit einem Sweep gegen die Boston Celtics in der ersten Playoff-Runde desaströs endete, leiteten die Bosse in der Stadt der Brüderlichen Liebe einen Umbruch ein. Daryl Morey wurde als neuer starker Mann ins Front Office geholt, Doc Rivers übernahm an der Seitenlinie. Der Kern auf dem Court blieb aber der gleiche. Die Verantwortung, erstmals seit 1983 einen Titel nach Philly zu holen, lag weiterhin bei Joel Embiid und Ben Simmons.

Das Star-Duo schien das Vertrauen in der regulären Saison zurückzugeben. Simmons landete in der Wahl des Defensive Player of the Year auf Platz zwei, Embiid katapultierte sich mit 28,5 Punkten und 10,6 Rebounds im Schnitt ebenfalls auf den zweiten Platz im MVP-Voting. In der Offseason hatte Morey zudem an einzelnen Stellschrauben gedreht, die sich in Person von Seth Curry oder Danny Green bezahlt machten.

Die Belohnung war eine dominante reguläre Saison, der erste Platz in der Eastern Conference sowie ein scheinbar vorgezeichneter Weg in die Conference Finals. Während sich die Brooklyn Nets und Milwaukee Bucks in der zweiten Playoff-Runde im direkten Duell bekriegten, spazierte Philadelphia zunächst in fünf Spielen über die Wizards hinweg, um dann die jungen Hawks um Trae Young auf dem Weg in die Ost-Finals in ihre Schranken zu weisen. So zumindest der Plan.

Nach der Auftaktpleite in der Serie gegen Atlanta rehabilitierte sich Philly zunächst und ging mit 2-1 in Front. Im Anschluss verpassten es die Sixers aber mehrmals und auf verheerende Art und Weise, die Kontrolle über die Serie zu erlangen. In Spiel 4 schenkten Embiid und Co. eine 18-Punkte-Führung her, in Spiel 5 einen 26-Punkte-Vorsprung. Immerhin erzwangen die Sixers noch ein Spiel 7, das ging dann allerdings im heimischen Wells Fargo Center verloren. Statt mit Champagnerduschen endete die Sixers-Saison mit Buh-Rufen der eigenen Fans.

Zum vierten Mal in Folge haben es Joel Embiid und die Sixers nicht in die Conference Finals geschafft.getty

Dass Embiid mit einem Meniskusriss angeschlagen war, half Philadelphia nicht. Ebenso wenig der Ausfall von Green. Doch der Center stellte mehrfach unter Beweis, dass er trotz der Verletzung starke Leistungen abrufen konnte. Das war bei den fitten Teamkollegen und vor allem den Co-Stars Simmons und Tobias Harris nicht der Fall.

Vergangene Saison in der Bubble konnte Philly noch auf das verletzungsbedingte Aus von Simmons verweisen, im Jahr zuvor brauchte es schon einen legendären Buzzer-Beater in Spiel 7 von Kawhi Leonard, um die Sixers zu schlagen. 2018 fehlte in den ersten Playoffs nach dem "Process" die Erfahrung. 2021 habe sich dagegen angefühlt, "als sei das unser Jahr", sagte Embiid. Das war es nicht. Für das peinliche Ende einer so vielversprechenden Saison gibt es nun aber keine Ausreden mehr.

Sixers vs. Hawks: Die Serie im Überblick

SpielDatumHeimAuswärtsErgebnis
16. JuniSixersHawks124:128
29. JuniSixersHawks118:102
312. JuniHawksSixers111:127
415. JuniHawksSixers103:100
517. JuniSixersHawks106:109
619. JuniHawksSixers99:104
721. JuniSixersHawks96:103

Wer ist verantwortlich für das frühe Playoff-Aus?

Am Morgen nach dem Playoff-Debakel in Spiel 7 fragte Sixers-Beatwriter Keith Pompey vom Philadelphia Inquirer auf Twitter seine Follower nach den Gründen für die Niederlage. Innerhalb weniger Minuten hatten sich hunderte Kommentare angesammelt, die bekanntermaßen kritische Sixers-Fangemeinde hatte sich einiges von der Seele zu twittern.

Der Name, der in den Kommentaren wohl am häufigsten auftauchte: Ben Simmons. Der 24-Jährige übernahm selbst Verantwortung für das Playoff-Aus seines Teams. "Ich habe von der Freiwurflinie nicht getroffen. In der Offensive war ich nicht da", brachte Simmons das größte Manko auf den Punkt. "Ich habe nicht genug für meine Teamkollegen getan."

Defensiv machte Simmons über weite Teile der Hawks-Serie einen sehr guten Job, doch am anderen Ende des Courts wurde er dem Anspruch an einen zweiten Star nicht gerecht. Abgesehen von einem starken Spiel 3, in dem er viele Post-Touches bekam und für sich und seine Kollegen hervorragend kreierte, kam offensiv von Simmons viel zu wenig. In vier von sieben Spielen knackte er nicht einmal eine zweistellige Punkteausbeute.

Insbesondere gegen Ende der Partien tauchte Simmons regelmäßig ab. In fünf der sieben Spiele nahm er im vierten Viertel nicht einen einzigen Wurf. Wahrscheinlich zog er sich in den entscheidenden Phasen auch deshalb zurück, weil er Angst vor Fouls und vor der Freiwurflinie hatte. Seine Quote von 34,2 Prozent von der Charity Stripe war die zweitschlechteste in einer Postseason aller Zeiten (mindestens 50 Versuche). Ein mentales Problem, wie Simmons selbst zugab.

Letztlich verweigerte er kurz vor Ende von Spiel 7 sogar einen weit offenen Dunk und passte stattdessen weiter. Selbst Embiid brachte nach der Partie sein Unverständnis darüber öffentlich zum Ausdruck und kritisierte seinen Teamkollegen durch die Blume. Diese Szene sei der "Knackpunkt" des Spiels gewesen, so der Kameruner.

Die Schuld allein auf Simmons abzuwälzen, wird der Sache aber freilich nicht gerecht. Da wäre zum Beispiel noch ein Tobias Harris, der in dieser Saison 34,4 Millionen Dollar (und noch weitere 112,9 Mio. bis 2024) kassiert, aber in der zweiten Halbzeit von Spiel 4 und im kompletten Spiel 5 unsichtbar war. Da wäre die inkonstante Produktion von der Bank. Und da wäre ein Head Coach, dem ganz offensichtlich die Antworten fehlten.

Wie sicher ist der Stuhl von Sixers-Coach Doc Rivers?

Es gibt aktuell keine Anzeichen, dass der Job von Head Coach Doc Rivers gefährdet ist, auch wenn Teile der Sixers-Fans sich nach Spiel 7 auf ihn stürzten. Und das nicht ganz zu Unrecht. Dabei hat Rivers eine sehr erfolgreiche Regular Season hinter sich. Mit seiner typischen Art, seine eigenen Spieler in den Himmel zu loben und von jeglicher Kritik abzuschirmen, kam er in der Kabine offenbar gut an. So ganz aus dem Nichts kommt eine 49-23-Bilanz schließlich nicht.

Doch gerade in der Serie gegen die Hawks lieferte der 59-Jährige am Taktikbrett keine Glanzleistung ab. Das fing bei Lineup-Entscheidungen an, beispielsweise dem All-Bench-Lineup aus Spiel 1, das Rivers aber immerhin schnell zu den Akten legte. Doch auch Harris als einzelner Starter mit den Reservisten riss keine Bäume aus.

Selbst in Spiel 7 vertraute Rivers unter anderem einem Lineup mit Simmons und Dwight Howard auf dem Court, wodurch das Spacing schwierig wurde. Lineups mit diesem Duo standen in der Hawks-Serie bei einem Net-Rating von -12,5 in 40 Minuten. In Game 7s steht Rivers in seiner Karriere im Übrigen bei sechs Siegen zu neun Niederlagen.

Auch bei den Comebacks der Hawks fehlte eine Reaktion von Rivers, um die Blutung zu stoppen. Das ist kein neues Phänomen in Rivers' Karriere. Laut ESPN kamen fünf der acht größten Comebacks in einem Playoff-Spiel gegen ein Rivers-Team.

Das Aus gegen die Hawks bedeutete die elfte Niederlage in einer Serie, in der das Team von Rivers bereits eine Führung innehatte. Kein anderer Coach in der Geschichte der NBA kommt laut ESPN auf acht solcher Serien.

Nach dem Clippers-Debakel nach 3-1-Führung gegen die Denver Nuggets in den Bubble-Playoffs 2020 - das zweite Mal, dass dies den Clippers unter Rivers passierte - kommt nun ein weiterer Fleck auf das Resümee des Head Coaches hinzu.

Rivers ist definitiv kein schlechter Coach, er ist ein sehr guter Motivator, er führte die Celtics 2008 zum Titel. Das Ausbaldowern von Kontern in einer Playoff-Serie gehört aber nicht zu seinen Stärken. Das rächte sich gegen Atlanta.

Müssen die Sixers Ben Simmons im Sommer traden?

Selbst innerhalb des Sixers-Teams scheinen mittlerweile Zweifel an Simmons' Fit in Philadelphia aufzukommen. Als Embiid nach dem Playoff-Aus gefragt wurde, ob die Sixers kommende Saison nochmal mit dem gleichen Kern einen Angriff starten sollten, antwortete der Kameruner: "Das ist eine knifflige Frage." Und Coach Rivers gab auf die Frage, ob Simmons der Point Guard eines Championship-Anwärters sein kann, offen zu: "Ich weiß die Antwort darauf aktuell nicht."

Von bedingungsloser Unterstützung, wie sie Simmons in der Vergangenheit meist erfuhr, waren diese Worte sehr weit weg. Fakt ist, dass die Schwächen des Australiers in der Serie gegen die Hawks schonungslos offengelegt wurden. Sein fehlender Wurf und seine Passivität macht es ihm an der Seite von Embiid extrem schwer, das gut funktionierende Hack-a-Simmons dem Gegner leicht. Seine Limitationen haben der Sixers-Offense geschadet.

"Es gibt viele Dinge, an denen ich arbeiten muss", gab Simmons, der kommenden Monat 25 Jahre alt wird und über die kommenden vier Jahre noch für 146,6 Mio. Dollar bei den Sixers in den Büchern steht, zu. Auf Fortschritte zum Beispiel beim Wurf warten die Sixers-Fans nun allerdings schon fast vier Jahre.

Ein Tapentenwechsel zu einem Team, das das Offensiv-System um die Stärken von Simmons im Umschaltspiel und als Passer aufbaut sowie Schützen um ihn herum platziert, könnte ihm guttun. Und den Sixers ebenfalls.

Philadelphia benötigt einen Initiator, der das Pick'n'Roll mit Embiid laufen und dabei gleichzeitig Gefahr mit seinem Wurf ausstrahlen kann, und damit Spacing liefert. Beispielweise ein Deal mit den Portland Trail Blazers um C.J. McCollum könnte Sinn ergeben, da Simmons auch dringend benötigte Verstärkung für Portlands Defense darstellen würde.

Aber: Der Trade-Wert des Sixers-Stars scheint nach dieser Postseason im Keller. Laut Zach Lowe (ESPN) sollen viele Teams nicht mehr so angetan von Simmons sein wie noch vor einem Jahr. Was natürlich kein Wunder ist, diese Teams können Playoff-Spiele schließlich genauso gut sehen wie jeder andere.

Gespräche um einen Simmons-Deal wird es ziemlich sicher geben, schließlich war er bereits in einem potenziellen Trade um James Harden im Gespräch, als dieser die Houston Rockets verlassen wollte. Teampräsident Morey ist zudem bekannt dafür, einerseits nach Stars zu jagen, und andererseits auf dem Trade-Markt sehr aktiv zu sein. Immerhin haben die Sixers die meisten der eigenen zukünftigen Erstrundenpicks in der Hinterhand, um einen potenziellen Simmons-Deal zusätzlich schmackhaft zu machen.

Welche Optionen haben die Sixers im Sommer?

Die Simmons-Frage ist das große Thema der angehenden Sixers-Offseason, sicherlich wird es auch Gerüchte um die Zukunft von Harris geben. Als dritter Star in Philadelphia konnte er zwar in der Regular Season überzeugen, in den Playoffs aber nur bedingt. Sein heftiger Vertrag wird es aber schwer machen, den Topverdiener des Teams zu verscherbeln.

Keine Zweifel gibt es derweil daran, dass Embiid der Eckpfeiler der Sixers-Gegenwart und -Zukunft ist. In diesem Sommer darf er eine Supermax-Extension aushandeln. Zwar läuft sein aktueller Vertrag noch zwei Jahre (65,2 Mio.), schon jetzt könnte er aber einen neuen unterschreiben, der ihm ab 2023 190 Mio. Dollar für vier weitere Jahre garantieren würde.

In Embiids Rookie-Extension waren noch zahlreiche Klauseln integriert, die es den Sixers in bestimmten Verletzungsfällen erlaubt hätten, aus dem Vertrag herauszukommen. Solch einen Deal wird das Team sicherlich nicht noch einmal bekommen, nachdem der Center eine Saison mit MVP-Kaliber gespielt hat. Die Krankenakte des 27-Jährigen würde solch einen Vertrag zu einem Risiko machen, Philadelphia dürfte dennoch bereit sein, dieses Risiko einzugehen.

Für die Traditionsfranchise geht es nun in erster Linie darum, die Prime des Centers nicht zu verschwenden und ihm einen Championship-Kader an die Seite zu stellen, der auch den Playoff-Anforderungen Stand hält. Soll heißen: mehr Shooting, mehr Tiefe auf den großen Positionen und ein anderer Spielertyp auf Point Guard. Dass das Simmons-Experiment nicht funktioniert, hat diese Postseason gezeigt.

Mit Simmons, Harris und Embiid sind in der Theorie bereits 100 Mio. Dollar des voraussichtlich 112 Mio. schweren Salary Caps verplant, ohne Umstrukturierungen wird das Team auf Jahre hinaus extrem teuer. Hinzu kommen noch Tyrese Maxey, Seth Curry, Matisse Thybulle und Shake Milton aus der Playoff-Rotation, die für kommende Saison fest unter Vertrag stehen (George Hills Vertrag ist nicht garantiert).

Morey könnte versuchen, Free Agent Danny Green mit den Early-Bird-Rights zu halten, ob Furkan Korkmaz und Dwight Howard zum langfristigen Plan dazugehören, ist aktuell offen.

Philly liegt über der Gehaltsobergrenze, kann aber mit der Midlevel-Exception (9,5 Mio.) Spieler anlocken. Große Sprünge sind aber wohl nur an der Trade-Front möglich. Den Sixers wird weiterhin Interesse an einem Sign-and-Trade für Kyle Lowry nachgesagt, doch laut Kevin O'Connor (The Ringer) soll Morey noch größere Namen im Visier haben. Ein "Weiter so" wird es in Philadelphia nicht geben.