Nicht Chris Paul, nicht Blake Griffin, nicht Kawhi Leonard: Dass der überragende Spieler, der den Clippers ihr erstes Ticket für die West-Finals in der Franchise-Geschichte bescherte, kein Superstar ist, passt zu dem "anderen Team aus L.A.".
Während Lakers-Fans sich zwischen den Championship-Teams um Kobe Bryant und Shaquille O'Neal und der jüngsten Version um LeBron James und Anthony Davis beschwerten, warum ihr Team schon seit ein paar Jährchen keinen Titel mehr geholt hat, mussten Clippers-Fans erst den Herzschmerz der Lob-City-Ära verkraften und dann auch noch das bittere Bubble-Debakel als eigentlicher Titelkandidat und trotz 3-1-Führung gegen die Nuggets in der vergangenen Saison.
Mit der Verletzung von Kawhi Leonard schien die Serie gegen Utah schon auf das nächste bittere Ende hinzusteuern, obwohl die Clippers gerade erst die zweite Serie in Folge nach einem 0-2-Rückstand wieder offen gestaltet hatten.
In Spiel 5 war es dann mit Paul George der verbliebene Superstar der Clippers, der die Mannschaft auf seinen Rücken nahm. George machte auch in Spiel 6 keine schlechte Figur, L.A. wäre ohne einen 24 Jahre alten Jungspund dennoch aus der Halle geschossen worden.
Terance Mann war schon im ersten Viertel mit 10 schnellen Punkten einer der Hauptgründe, dass die Clippers in diesem Abschnitt noch mit Utah mithielten. Mann war es auch, der die Führung der Jazz mit seinen 20 Punkten im dritten Viertel von zwischenzeitlich 25 auf 3 Zähler zum Ende des Abschnitts zerpflückte.
Terance Mann: Vom Bankdrücker zum Gamewinner
Kurioserweise bleibt zu spekulieren, ob und wann Mann überhaupt diese Chance und die Spielminuten erhalten hätte, wäre Leonard noch fit. Schon in der Regular Season veränderte sich seine Rolle in der Rotation scheinbar von Woche zu Woche. Und das ohne erkennbaren Grund, da Mann keine langen, signifikanten Schwächephasen durchmachte. Ganz im Gegenteil fiel er konstant als Energizer von der Bank der Clippers auf.
In der Serie gegen Dallas sah Mann im ersten Spiel dann nur 14 Sekunden an Garbage Time, erstmals mehr als 20 Minuten Spielzeit erhielt er erst in Spiel 7 der ersten Runde. Das Vertrauen bezahlte er mit 13 Punkten, 5 Rebounds und einem Plus/Minus von +14 in knapp 26 Minuten zurück.
Zu diesem Zeitpunkt erschien es dem außenstehenden Beobachter klar, dass Mann sich als die bessere Alternative für Minuten zu Spielern wie Luke Kennard oder Rajon Rondo empfohlen hatte. Dennoch stand er im ersten Spiel gegen Utah wieder nur 8 Minuten auf dem Feld, im zweiten Spiel war es sogar nur eine einzige Minute.
In den vier anschließenden, teilweise sehr überzeugenden Siegen der Clippers, spielte Mann 22, 15, 25 und nun in Spiel 6 36 Minuten. Während er auf dem Parkett stand, gewann L.A. diese Phasen mit 21, 15, 15 und 8 Punkten.
Terance Mann: Furchtlos und nicht überrascht
Dass Mann trotz begrenzter Erfahrung keine Angst vor den großen Momenten und wortwörtlich den größten Spielern der NBA hat, zeigte er spätestens mit seinem krachenden Dunk über den frisch ernannten Defensive Player of the Year Rudy Gobert in Spiel 5. Mit seiner trockenen Begründung, er wäre es satt, sich auf Dreier zu beschränken, erinnerte er nach dem Spiel schon etwas an den stets unbeeindruckten Leonard. "Ich wollte einfach sehen, was ich kann" sagte Mann.
In Spiel 6 konnte jeder schnell sehen, was Mann kann. Umso überraschender war es, wie lange die Jazz Gobert als direkten Verteidiger auf ihn abstellten. Goberts erster Instinkt war es, seinen Gegenspieler zu verlassen und seinen geschlagenen Mitspielern in der Zone zu helfen. Das bedeutete für Mann immer wieder freie Dreier oder Abschlüsse nach Offensivrebounds oder schnellen Cuts zum Korb. Nach einem Dreier, einem von insgesamt 7 in 10 Versuchen, über den zu spät kommenden Gobert waren Manns Lippen deutlich zu lesen: "Was ist falsch mit dir?", fragte er Gobert.
Dieses Selbstvertrauen war auch in dem anschließenden Interview nach Spiel 6 wiederzuerkennen. "Ich vertraue meiner Arbeit", betonte der Sophomore und führte aus: "Wenn man seiner Arbeit vertraut, wenn man sich selbst vertraut, ist man nicht überrascht, wenn so etwas passiert."
Schon etwas beeindruckter zeigte sich George, der von Mann wie von einem kleinen Bruder sprach. "Er arbeitet so hart an seinem Spiel. Einer der besten jungen Spieler, mit dem ich je gespielt habe", lobte George: "Er erinnert mich an mich selbst. Er steckt die Arbeit rein, also fragen wir ihn, für was er das macht? Um hier rauszugehen und es allen zu zeigen!"
Und weiter schwärmte George: "Ihr habt ein komplettes Spiel von einem Spieler in seinem zweiten Jahr gesehen. Er hat das Spiel breitgemacht, verteidigt, Rebounds geholt und sich einen Weg zum Korb gebahnt. Ihr habt so viele verschiedene Fähigkeiten gesehen und er hat das in der wichtigsten Phase des Spiels gezeigt. Um ehrlich zu sein, hat er uns allein zurück ins Spiel gebracht."
Terance Mann und die L.A. Clippers: Kaum Zeit zum Feiern
Das Comeback nach 25 Punkten Rückstand ist laut ESPN Stats & Info das größte Comeback in den vergangenen 25 Jahren in einem Sieg, der eine Serie beendete. Kein anderes Team hat in dieser Zeitspanne einen Erfolg geholt, nachdem sie mit mindestens 20 Punkten zurücklagen. Zudem sind die Clippers das erste Team der NBA-Historie, das 0-2-Rückstande in zwei Serien in der gleichen Postseason noch drehen konnte.
Neben Mann und George (28 Punkte, 9 Rebounds und 7 Assists in Spiel 6) können auch Reggie Jackson (27, 10 Assists), Nicolas Batum (16, 4/6 3P) und Patrick Beverley (12, 3/4 3P, 4 Assists) besonders zufrieden mit ihren Leistungen in Spiel 6 sein. Doch unabhängig, ob und wie die einzelnen Clippers gespielt haben, alle freuten sich mit Mann.
Viel Zeit zum Feiern wird es in den nächsten Tagen jedoch nicht geben, wie Batum weiß. "Du hast 24 Stunden, diesen Moment zu genießen, dann geht es zurück an die Arbeit. Ich bin sehr glücklich für dich und sehr stolz auf dich, kleiner Bruder", schrieb der Veteran auf Twitter mit einem Video der kleinen Feier in der Kabine der Clippers. Schon am Sonntagabend deutscher Zeit um 21.30 Uhr steht für die Clippers das erste Spiel der West-Finals gegen die Phoenix Suns an.