Die zerrüttete Beziehung zwischen Ben Simmons und den Philadelphia 76ers ist aller Voraussicht nach nicht mehr zu kitten. Dass die Sixers den erhofften Gegenwert für den All-Star bekommen, gilt als ausgeschlossen. Wie konnte es soweit kommen und ist eine für alle Parteien halbwegs zufriedenstellende Lösung überhaupt noch möglich?
"Ich bin ehrlich, der Knackpunkt des Spiels war ...", begann Joel Embiid einen Satz, den er dann doch lieber abbrach. Die Szene, als Ben Simmons in Spiel 7 der zweiten Playoff-Runde einen komplett offenen Dunk verweigerte und stattdessen den Ball lieber weiterpasste, steht sinnbildlich für das komplizierte Verhältnis zwischen Simmons zu seinem Star-Mitspieler und der gesamten Franchise.
Das Ausscheiden des Top-Seeds bereits in der zweiten Runde in sieben Spielen gegen den Underdog aus Atlanta war ein herber Dämpfer für die nach Erfolg lechzenden Sixers. Und auch wenn sich Embiid im Anschluss auch selbst in die Pflicht nahm und auf seinen Meniskusriss verwies, mit dem er sich durch die Postseason schleppte, so war doch jedem klar: Von Simmons hätte deutlich mehr kommen müssen!
8, 6 und 5 Punkte erzielte Simmons in den letzten drei Spielen gegen die Hawks, agierte zögerlich und nahm in Spiel 7 gerade einmal vier Würfe. Head Coach Doc Rivers sah im Straucheln von der Freiwurflinie (33,3 Prozent über die Serie) den Hauptgrund dafür, dass das Selbstvertrauen des Australiers immer mehr schwand. Seine Schlussfolgerung? "Ich glaube noch an ihn, aber wir müssen arbeiten." Ob Simmons der Point Guard eines Championship-Teams sein könne? "Darauf habe ich gerade keine Antwort."
Bereits zuvor war das Zusammenspiel zwischen den beiden Sixers-Stars mehr eine Zweck-Ehe als ein natürlicher Fit. Auch wenn der Kameruner seine Dreierquote stetig verbesserte (37,7 Prozent bei 3 Versuchen 2020/21), ist er keiner, der das Feld durchgehend breit machen kann und will, zudem ist er nicht die Lob-Gefahr, die Simmons gerne an seiner Seite sehen würde.
Kombiniert mit der Tatsache, dass beide nur allzu gerne den Ball in der Hand halten, keine optimale Konstellation, auch wenn das schiere Talent und eine Top-Defensive bereits 2019 ohne Kawhi Leonards epischen Wurf möglicherweise für die Conference Finals gereicht hätten. Im Anschluss war die Hoffnung groß, dass Simmons eine Entwicklung zu einem zumindest einigermaßen fähigen Werfer nehmen würde, diese blieb jedoch vollständig aus.
Zwei Jahre später bemühten sich alle Beteiligten nach dem erneut zu frühen Aus, die Situation zu entschärfen und Spekulationen nicht unnötig anzuheizen - in der NBA-Bubble jedoch nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Meldungen, wonach Simmons auf die Olympia-Teilnahme verzichtete, um an seinem Spiel zu arbeiten, oder Gerüchte, wonach Philly den Kern um Simmons und Embiid noch nicht aufbrechen wolle, hatten folglich nur eine sehr kurze Halbwertszeit.
Simmons: Embiid-Anrufe ignoriert, Trade nicht in Sicht
Eine kurze Chronik: Simmons-Berater Rich Paul hat wohl schon bei den Predraft Camps im Juni mit den Sixers über die Zukunft seines Klienten gesprochen und auch einen Trade ins Spiel gebracht - auch wenn ein solcher nicht gefordert wurde. Der Trade-Wert soll zum damaligen Zeitpunkt noch "enorm hoch" (ESPN) gewesen sein, das Feedback der Sixers auf Trade-Pakete jedoch zögerlich. Gefordert wurde dem Vernehmen nach ein "Harden-ähnlicher" Gegenwert, für den die Nets drei Erstundenpicks plus vier mögliche Pick-Swaps in Runde eins hinblätterten. Plus, so der Wunsch von Teampräsident Daryl Morey: ein Spieler mit All-Star-Kaliber.
Entsprechende Offerten gab es wenig überraschend nicht einmal annähernd, wenngleich Teams wie die Timberwolves, Raptors, Spurs, Kings, Blazers, Warriors oder Cavaliers allesamt mehr oder wenig konkret mit dem First Pick von 2016 in Verbindung gebracht wurden. Die Cavs könnten sich allerdings lediglich ein Paket um Kevin Love und Collin Sexton vorstellen, die Kings wollen De'Aaron Fox und Tyrese Haliburton nicht entbehren. Trade-Hindernisse, soweit das Auge reicht.
Jason Dumas von KRON4 News berichtete Anfang August von einer neuen Stufe der Eskalation, Simmons habe die Kommunikation mit fast jeder Person aus der Sixers-Organisation eingestellt. Anrufversuche von Embiid seien gescheitert, die Beziehung zur Franchise nicht mehr zu reparieren, Simmons wolle zu einem Team in Kalifornien und auf keinen Fall nach Portland oder Toronto.
Der Kader der beiden L.A.-Teams scheint zu stehen, die Warriors könnten mit den Rookies Jonathan Kuminga und Moses Moody zwar junges Talent bieten, müssten aus finanziellen Gründen jedoch in jedem Fall Andrew Wiggins in den Deal integrieren, der die Erwartungen der Sixers hinsichtlich eines (zumindest halbwegs) sportlichen Ersatzes für Simmons in keinster Weise erfüllen würde. Weitere Gerüchte wie die um die Bulls und Zach LaVine blieben äußerst vage.
Ben Simmons: Gespräche zwischen Sixers und Wolves?
"Ich glaube, dass es vier oder fünf Teams gibt (die wirklich an Simmons interessiert sind, Anm. d. Red.). Ich kann mir aber einfach nicht vorstellen, dass derzeit irgendwer die Erwartungen von Daryl erfüllen will", sagte ESPNs Brian Windhorst im The Scoop-Podcast und wisse "von mindestens einem Small-Market-Team, das ein Angebot abgegeben und großes Interesse hat, das bisher nicht publik geworden ist".
Immer wieder in der Gerüchteküche zu hören sind die Timberwolves. Doch wie könnte eine Einigung gefunden werden? "Karl-Anthony Towns und Anthony Edwards stehen nicht zur Debatte, alle anderen schon", erklärte Journalist Darren Wolfson im gleichen Podcast und ergänzte, dass es zwischen den GMs Gersson Rosas und Morey Gespräche gegeben habe.
Gleichzeitig schränkte er aber ein. "Zwischen D'Angelo Russell und Simmons gibt es eine Beziehung, sie haben in der High School zusammengespielt. Gersson würde es lieben, die beiden zu kombinieren." Zudem verbinde Karl-Anthony Towns und Russell bekanntlich eine enge Freundschaft. Wo soll also der Gegenwert herkommen?
Sixers-Simmons-Situation festgefahren: "Haben das verpatzt"
Dass Simmons den Sixers nun wohl sogar mitgeteilt hat, dass er zum Start des Training Camps nicht erscheinen will, hat die Verhandlungsposition der Franchise erneut verschlechtert. Eine mögliche Strafe, die sich auf 1,3 Millionen Dollar pro Woche belaufen würde, wolle der 25-Jährige dafür in Kauf nehmen. Ein anonymer Executive eines West-Teams brachte den Sachverhalt auf den Punkt: "Er will weg. Ich gebe euch also nicht, was ihr verlangt. Sie haben das wirklich verpatzt."
Die Positionen sind verhärtet, der nahende Trainingsstart Ende September dürfte für Bewegung sorgen. Als Vergleich kann die Situation um Jimmy Butler herhalten, der sich 2018 für ein letztlich äußerst überschaubares Paket ohne Draft-Picks den Weg aus Minneapolis bahnte. Morey ist als harter Verhandlungsführer bekannt und wird aufgrund der Vertragslaufzeit (noch vier Jahre und 147 Mio. ohne Option), der unbestreitbaren Qualitäten (3x All-Star, 2x All-Defensive First Team) und des Alters von Simmons definitiv mehr herausschlagen wollen, aber wie viel?
Oder blufft das Camp von Simmons tatsächlich nur und er würde sich im Fall der Fälle tatsächlich nochmal ins Team integrieren, sollte keine Franchise ein Angebot abgeben, mit er er sich eine Zukunft vorstellen kann? Auch der Druck auf den Macher Morey wird spätestens im Oktober zunehmen, sollte eine Entscheidung weiter auf sich warten lassen, sei es vonseiten der Spieler um Embiid, der eine klare Ausrichtung der Francise verlangen wird, als auch von der nach Antworten gierenden Presse.
Im neuesten Bericht von ESPN werden exakt zwei Gründe genannt, warum Simmons immer noch nicht getradet wurde: Damian Lillard und Bradley Beal, die weiterhin nicht verfügbar sind. Dort wird sogar ein Einschreiten der Liga für wahrscheinlich gehalten, sollte sich der Australier dem Training widersetzen und nicht entsprechend bestraft werden. Dies müsse in Form einer Suspendierung und anschließenden Geldstrafe geschehen. Spätestens dann wäre die Sachlage klar: Das Tischtuch ist zerschnitten, es gibt kein Zurück.
Derzeit scheinen weiterhin zahlreiche Szenarien denkbar, die für Simmons sowie die Sixers keine allzu rosige Aussichten versprechen: Der Trade zu einem Team, auf das der Spieler möglicherweise keine Lust hat, sowie ein Gegenwert, auf den die Beschreibung "Harden-ähnlich" so gar nicht zutrifft. Als Gewinner könnte sich eine Franchise (wie die Timberwolves) entpuppen, die mit dem Point Guard einen Basketballer zum Schnäppchenpreis erhält, der bei weitem nicht so schlecht ist, wie er aktuell vielerorts dargestellt wird.
Ben Simmons: Statistiken für die Philadelphia 76ers
Zeitraum | Spiele | Punkte | Rebounds | Assists | FG | FT |
gesamt | 275 | 15,9 | 8,1 | 7,7 | 56,0 | 59,7 |
Playoffs 20/21 | 12 | 11,9 | 7,9 | 8,8 | 62,1 | 34,2 |