Früherer Mavs-Head of Player Development im Interview: Carlisle? "Ich habe ihn gehasst und er hasste mich"

Ole Frerks
31. Dezember 202107:03
Kobe Bryant war nur an Kritik interessiert.getty
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Mike Procopio arbeitete sechs Jahre lang als Head of Player Development bei den Dallas Mavericks, nachdem er zuvor der "persönliche Jack Bauer" von Kobe Bryant war. SPOX sprach mit dem Coach über seine Zeit mit der Legende, Dirk Nowitzki und Trash-Talk.

Dieses Interview erschien erstmals am 18. November 2021 und gehört zu den beliebtesten des Jahres.

Procopio arbeitete unter anderem als Scout bei den Boston Celtics sowie als Individualcoach in Chicago unter Tim Grover, dem ehemaligen persönlichen Trainer von Michael Jordan. Dieser Posten führte ihn auch zu Kobe Bryant, für den er über mehrere Jahre täglich individuelle Scouting Reports erstellte.

Dieser Auftrag machte ihn bekannt - und führte ihn 2013 zu den Mavericks, wo er bis 2019 insbesondere mit den Rollenspielern zusammenarbeitete. Das Engagement endete, da Procopio und Mavs-Coach Rick Carlisle einander "hassten", wie er selbst es ausdrückt.

Im Interview blickt der Direktor von Hoops Consultants zurück auf seine verschiedenen Jobs in der NBA, die Methoden von Holger Geschwindner und Development Coaches, denen er nicht einmal einen Fünftklässler anvertrauen würde.

Die wichtigste Frage zuerst: Läuft Ihr persönlicher Trash-Talk mit Dirk Nowitzki noch?

Mike Procopio: Ja, natürlich. Immer. Wir reden nicht mehr so häufig wie in früheren Jahren, aber alle paar Wochen finden wir schon noch Zeit dafür. Es ist authentisch, nicht fake, nicht für die Kamera, einfach witzig. Das macht immer noch großen Spaß.

Sie haben mal über ihn gesagt, dass er sich den Flamingo-Wurf angeeignet hat, weil es ihn so genervt hat, ständig von Bill Russell im Garden geblockt zu werden. Haben Sie ansonsten einen Lieblingsspruch auf seine Kosten?

Procopio: Naja, er macht sich gern darüber lustig, wie dick und hässlich ich bin. Ich habe vor allem sein Alter und seinen Zustand aufs Korn genommen, wie gebrechlich er war ... ich habe 500 Sprüche, die sich Platz eins teilen. Er ist so ein spezieller Typ, bei dem es nicht ständig alles ernst sein muss. Er teilt aus, aber er kann auch einstecken. Die letzten Jahre waren ja nicht mehr erfolgreich, aber die ganzen Sprüche haben dabei geholfen, die Monotonie einer langen Saison ein wenig zu durchbrechen.

Hatten Sie diese Beziehung zu ihm von Beginn an?

Procopio: Ich kam zum Ende der 12/13er Saison hin nach Dallas. Vorher kannte ich ihn gar nicht und er dachte, ich würde für Samsung arbeiten. Als ich für mein Job-Interview dort war, dachte er, ich würde Telefone verteilen, weil ich so ein T-Shirt anhatte. Er hielt mich also schon damals für einen Witz. Aber wir haben dann angefangen, über Basketball zu sprechen, in der Offseason war er viel in der Halle, um sich behandeln zu lassen und so weiter. Das gab uns die Chance, mehr miteinander zu sprechen. Zum Ende des Sommers hin ging es los mit den Sprüchen, und darauf wurde mit der Zeit aufgebaut. In meiner zweiten Saison ging es schon jeden Tag rund. Für dünnhäutige Leute waren die Mavs nicht der richtige Ort, vor allem in der Nähe von Dirk und mir. Aber alle haben mitgemacht, der Trainerstab ebenfalls, für uns war es eine sehr spaßige Umgebung.

Gleichzeitig hatten Sie alle Jobs zu erledigen. Wie schafft man es, den Humor mit seriöser Arbeit zu verbinden?

Procopio: Auf dem Court sollte es ernst sein. Es muss nicht wie bei der Armee zugehen, aber professionell ablaufen. Bei Trainings oder Workouts will man sich ja verbessern. Es ist etwas anderes, wenn es nur um lockeres Werfen geht, gerade ein paar Spiele verloren hat, dann kann man auch mal etwas dazwischen werfen, aber das ist die Ausnahme. Neben dem Court denke ich aber: Man darf sich nicht zu ernst nehmen. Es schadet nicht, bei Stretchings mal zu lachen. Unser Head Coach sah das zwar anders, aber ich will beim Dinner oder im Bus nicht ständig seriös sein. Auch die Spieler wollen nicht 24/7 jemanden um sich haben, der nur rigide ist. Dirk war sehr gut darin, das voneinander zu trennen: Wenn das Spiel lief, dann war er sehr seriös. Ich bin es auch, wenn ich muss.

Das klassische Bild vom Basketball-Coach ist meist ja sehr streng, nicht witzig.

Procopio: Naja, deswegen werden die Head Coaches oft nach wenigen Jahren gefeuert. Spieler machen das ein oder zwei Jahre mit, vielleicht auch etwas länger, wenn der Erfolg da ist. Aber auf Dauer haben sie keine Lust, immer nur hart angefasst zu werden und Angst davor haben zu müssen, einen Fehler zu begehen. So hast du keine Langlebigkeit. Wobei das auch ein Teil meiner Rolle ist: Ich war nicht der Head Coach, nicht der Taktiker, sondern ich sollte Spieler besser machen. Ein Teil davon ist, eine Vertrauensbeziehung zu ihnen aufzubauen: Sie müssen die Kompetenz erkennen, aber sie müssen auch das Gefühl haben, von einem Menschen betreut zu werden, der auch lächeln kann.

Ihr Weg zum Player Development Coach bei den Mavs war ja bereits sehr speziell. Einen Namen hatten Sie sich in der Zusammenarbeit mit Kobe Bryant gemacht.

Procopio: Richtig. Ich hatte zehn Jahre lang mit Tim Grover in Chicago gearbeitet, dem persönlichen Trainer von Michael Jordan. Über ihn landete ich bei Kobe beziehungsweise Kobe landete bei mir. Ich habe Scouting-Reports zu all seinen Gegnern für ihn erstellt und dabei vor allem sein Spiel kritisiert. Das war zu dem Zeitpunkt völlig neu, dass ein Spieler mit seinem Stellenwert so jemanden wie mich engagierte - und ich bekam viel Publicity, zumal die Lakers in den ersten Jahren unserer Zusammenarbeit zwei Meisterschaften gewannen. Unter anderem schrieben Adrian Wojnarowski und die New York Times über unsere Zusammenarbeit, und so wurde auch Mark Cuban auf mich aufmerksam. Er wollte Leute in seiner Organisation haben, die etwas anders waren, die nicht schon ewig in der NBA waren. Cuban rief mich an, er und Donnie Nelson engagierten mich, aber sie sagten: "Der Head Coach muss es erst absegnen. Pack' deine Sachen für sechs Monate, vielleicht bist du aber auch nur eine Woche hier." Das war in Ordnung für mich, ich flog nach Dallas, hatte mein Vorstellungsgespräch und am Ende blieb ich sechs Jahre und drei Monate.

Wie sah Ihre Rolle aus?

Procopio: Sie hatten zuvor nicht viel Erfolg darin, Spieler weiterzuentwickeln. Ich sollte in Dallas Jungs dabei helfen, ihren zweiten Vertrag zu erreichen. Vor allem arbeitete ich mit Spielern zusammen, die eher am Ende der Bank saßen, Rookies oder ungedraftete Spieler, Free Agents, die ihren Weg noch nicht gefunden hatten. Spieler wie Dorian Finney-Smith, Dwight Powell, Jae Crowder, auch Maxi Kleber. Bei ihnen ging es darum, durch die Entwicklung bestimmter Skills eine Nische zu finden. Bei Leuten wie Luka Doncic oder Dirk ist es weniger die Entwicklung von Skills, mehr das Mentale. Sie können alles, sie müssen es nur verstehen. Die meisten Spieler haben hingegen ein Limit in Sachen Talent. Wobei sich auch Dirk und Luka stark voneinander unterschieden.

Inwiefern?

Procopio: Dirk war mehr ein Skill-Spieler, Luka ist ein Denker. Luka denkt Basketball auf dem nächsten Level, er ist wie Magic Johnson, Larry Bird, LeBron James, Rajon Rondo oder Jason Kidd. Sie sind auf dem Court mental drei Schritte vor allen anderen. Deswegen ging es bei ihm mehr um Wiederholungen als um irgendetwas sonst. Er musste einfach erleben, wie sich der NBA-Basketball von Europa unterscheidet. Meine Rolle ihm gegenüber war die eines Resonanzbodens. Ich stand ihm vor allem als Vertrauensperson zur Verfügung. Aber mein Hauptjob bei den Mavs war wie gesagt die Entwicklung der Rollenspieler.

Ein großer Kontrast zu der Arbeit mit Kobe, offensichtlich. Er nannte Sie mal seinen "Jack Bauer" in Anlehnung an die Serie "24" ...

Procopio: Ja, das war ein sehr spezieller Job. Kobe war einer der besten Spieler, die jemals gelebt haben, auch weil er nach jedem Vorteil gesucht hat. Es ging nur um ihn, und das war das Besondere. Normalerweise müssen sich Coaches um alle möglichen Leute kümmern, sie können nicht nur mit einem Spieler arbeiten. Aber Kobe wollte jemanden, der explizit für ihn scoutete, der Spieler analysierte, die ihn verteidigen oder die er verteidigen musste. Und der ihm dabei die Wahrheit sagte. Spieler wie er haben oft Ja-Sager um sich, auch Coaches, die sie eher mit Samthandschuhen anfassen. Aber er wollte jemanden haben, der nicht sein Freund sein wollte. Es hat ihn nicht groß interessiert, was ich Positives zu sagen hatte - er wollte das Negative hören.

Und alles fing auch hier mit einem Times-Artikel an, richtig?

Procopio: Sozusagen. Tim Grover arbeitete damals mit ihm an seinem Körper und seiner Fitness, wie zuvor mit Jordan. Sie waren auch zusammen, als ein Artikel von Michael Lewis erschien, in dem es unter anderem um die Defense von Shane Battier (damals Rockets, d.Red.) gegen Kobe ging. Ich war gerade in Minnesota und verbrachte eine Woche bei Kevin McHale. Tim rief mich an und fragte, ob ich den Artikel gelesen hätte, und kündigte an, dass Kobe sich melden würde. Etwas später kam die E-Mail, in der Kobe ganz klar formulierte, was er haben wollte. Die Rockets nervten ihn, Los Angeles gewann zwar die meisten Spiele, aber er war nicht so effizient, wie er sein wollte. Also wollte er die Informationen von mir, weil er gehört hatte, dass ich gut darin war.

Und was haben Sie ihm gesagt?

Procopio: Ich habe selbst erst mal rumgefragt, bei Scouts und Coaches, aber es kam nur Bullshit zurück. Wenn ich ihm diese Klischees serviert hätte, hätte ich nie wieder von ihm gehört. Also habe ich mir selbst die letzten fünf, sechs, sieben Spiele der Lakers gegen Houston angesehen und analysiert, was die Rockets machten. Und was er falsch machte. Denn das Hauptproblem war, dass er seine Mitspieler nicht richtig nutzte.

Kobe Bryant war nur an Kritik interessiert.getty

Was machte Houston im Detail?

Procopio: Battier war ein toller Verteidiger. Er war kein Athlet wie der Greek Freak, aber er war unglaublich diszipliniert. Er hatte immer eine Hand in Kobes Gesicht, fiel nicht auf seine Fakes rein, kannte jede Tendenz von Kobe. Aber vor allem hat er es geschafft, Kobe immer in die Richtung zu leiten, in der Yao Ming stand, der körperlich eine unglaubliche Hürde in Korbnähe war. Ich habe Kobe gesagt, dass er Yao vom Korb wegziehen sollte. Zog er Baseline, konnten drei, vier Verteidiger sich auf ihn konzentrieren, damit machte er es Houston zu leicht. Er sollte den Ball mehr abspielen, schneller machen, die Langsamkeit von Yao ausnutzen. Das tat er, er hatte ein unglaubliches Spiel, und zwei Minuten vor dem Ende zog Kobe im Pick'n'Roll locker an Yao vorbei. Er bewegte ihn dabei seitwärts, das hatte ich ihm gesagt, und es funktionierte. Ich dachte trotzdem nicht, dass ich nochmal von ihm hören würde. Stattdessen kam 90 Sekunden nach seinem Interview auf dem Court die Nachricht: 'Morgen haben wir San Antonio. Ich brauche das gleiche nochmal.' Und daraus wurden etwa vier Jahre. Es war fantastisch.

Es gab fortan einen Report für jeden Gegner?

Procopio: Nicht nur das, es gab Diskussionen, über Strategie, Spielpläne, ein ständiges Hin und Her. Ich habe in den Nächten vor Spielen kaum geschlafen, weil er so fordernd war. Aber das war es wert: In den Kopf von jemandem zu blicken, der so elitär war, ist das Beste, was ich je erlebt habe. Ich habe dadurch auch unheimlich viel gelernt: Nicht, wie ich Spielern beibringe, wie Kobe Bryant zu sein, das ist unmöglich. Ich kann ihnen auch nicht beibringen, wie Dirk zu sein, wer ist schon so groß und kann so werfen? Aber ich kann ihnen beibringen, sich vorzubereiten wie Kobe. Die Art und Weise, wie er sich um seinen Körper gekümmert hat, wie er das Spiel studiert hat, wie fokussiert er war, was für Routinen er hatte, das war einmalig. Und ich habe von ihm viel über Kommunikation gelernt. Er hat mich wegen jedem Report attackiert - er hat sich nicht beschwert, aber er wollte es immer genauer wissen, hat alles hinterfragt. Er konnte nichts mit "Spiel härter!" anfangen. Was soll das bedeuten? Er wollte detaillierte Lösungsansätze, und dann wollte er Beweise. Er hat sich nie einfach nur alles angehört, sondern er hat herausgefordert und in Frage gestellt, was ich ihm sagte. Dadurch bin ich ein viel besserer Coach geworden.

Er galt nicht zuletzt ja als sehr selbstbewusst. Sie mussten ihn aber auf Fehler hinweisen. Hatten Sie da am Anfang etwas Angst vor?

Procopio: Nein, weil Grover ihn schon kannte. Er hatte auch viele Jahre mit Jordan gearbeitet und mir von beiden berichtet. Er sagte: 'Kobe ist auf einem anderen Level.' MJ hörte in den meisten Fällen auf seine Coaches. Kobe stellte alles in Frage, er konnte sich wegen allem streiten. Ich wusste das vorher, und ich habe versucht, mich darauf vorzubereiten. Tim hatte mir gesagt, dass ich, wenn ich in diesem Job bleiben will, die Wahrheit sagen können muss. Man darf keine Angst haben und die hatte ich auch nie. Ich bin kein Drill-Sergeant, aber ich erzähle den Leuten auch keinen Mist und kann Klartext reden. Das habe ich auch bei Kobe getan: In meiner ersten E-Mail zu ihm sagte ich, dass wir keine Freunde werden und ich ihn nicht um Tickets oder Schuhe bitten würde. "Ich muss dir vielleicht etwas sagen, das du nicht hören willst. Das geht nicht, wenn wir Freunde sind." Wir wurden über die Jahre trotzdem sehr freundlich miteinander, haben uns respektiert, aber das Geschäftliche war immer die Basis.

Ist es wahr, dass Sie in all den Jahren trotzdem nie Geld von ihm haben wollten?

Procopio: Ich hatte keine Ahnung, nach was ich fragen sollte. Ich wollte nicht 100.000 Dollar sagen, er findet das zu viel und feuert mich - ich wollte auch nicht zu wenig verlangen. Ich wusste es einfach nicht. Dabei hätte ich vermutlich alles bekommen, was ich wollte. 2010 sagte er mir, er müsse mich jetzt endlich bezahlen, da hatten sie gerade Phoenix geschlagen und waren auf dem Weg in die Finals. Ich sagte: "Ich nehme keinen Cent von dir." Es ging mir nicht darum. Diese ganze Beziehung war großartig für mich. Ich wurde von Tim weiter bezahlt, mit Kobe arbeitete ich zusammen, weil ich an das geglaubt habe, was er tat. Ich habe von ihm gelernt, er half mir, ich half ihm, es war ein toller Ritt. Ich wollte es nicht mit Geld besudeln. Zugegeben: Ich bin ein schrecklicher Geschäftsmann. Aber ich weiß auch, dass so gut wie nie jemand so eine Gelegenheit mit so einem Spieler erhält. Es gibt All-Stars, es gibt Leute, die jedes Jahr All-Star werden, Hall-of-Famer, und fast niemand von ihnen ist so gut, wie Kobe es war.

Und die Anerkennung führte gewissermaßen zum nächsten Job in Dallas.

Procopio: Fuck, yeah! Ich habe den Mavs sechs Jahre lang Geld gestohlen. Das war keine Arbeit, es hat mir großen Spaß gemacht. Wenn ich die Sache mit Kobe nicht gemacht hätte, wäre ich früher oder später hingegen nicht mehr im Basketballsport gewesen. Es hat mich zu den Mavs geführt, ich konnte deshalb meine Firma Hoops Consultants gründen. Was ist Geld? Geld ist etwas, das man bekommt und das einem dann wieder weggenommen wird. Dass jemand, der aussieht wie ich, von jemandem wie Kobe aufgesucht und engagiert wird, das ist einmalig, das nimmt mir keiner. Ich würde das für nichts auf der Welt eintauschen.

Sie kannten Kobe dadurch wie kaum jemand sonst. Haben Sie in Ihrer Arbeit mit den Mavs Parallelen zwischen ihm und Dirk gesehen?

Procopio: Sie waren sehr unterschiedlich. Kobe ist Mitspieler hart angegangen, wenn sie nicht das taten, was sie tun sollten. Ihm waren die Gefühle nicht wichtig. Als ich bei den Mavs anfing, war Dirk schon etwas älter, hatte körperlich andere Voraussetzungen. Er war eher ein stiller Anführer - ich würde ihn eher mit Paul Pierce vergleichen, den ich in meiner Zeit in Boston als Scout viel erlebt habe. Sie haben ihre Arbeit erledigt. Wenn jemand mithalten konnte, super, wenn jemand zumindest die gleiche Einstellung hatte, ebenfalls. Wenn nicht, dann konnten sie nicht viel mit dir anfangen. Dirk hat es auch genervt, wenn Mitspieler ihre Routine nicht richtig erledigten, aber ich habe nie gesehen, dass er jemanden zur Schnecke gemacht hat. Er wusste einfach, was er zu erledigen hatte, und hat das über 20 Jahre getan. Was er mit Kobe gemein hatte, abgesehen von dem Umgang mit Druck, diesem "Eye of the Tiger"-Look: Beide hatten ihre Routine und enorme Disziplin. Dirk hat andere Sachen gemacht als Kobe, aber er hat sie jeden Tag gemacht, immer in der gleichen Abfolge. Er war diszipliniert mit seinem Essen, seinen Ruhephasen, seiner Arbeit auf dem Court, mit allem. Und das war Kobe auch. Aber sie waren im Umgang mit Teamkollegen komplett unterschiedlich. Dirk hat aber auch viele Mitspieler besser gemacht, weil sie sich bei ihm Dinge in der Vorbereitung abgeguckt haben und mithalten wollen.

Für Player Development und eigentlich auch alles andere hatte Nowitzki stets Holger Geschwindner. Wie haben Sie den Mentor erlebt?

Procopio: Holger ist anders. Er ist ein Basketball-Genie, er denkt ganz anders über Dinge als gewöhnliche Menschen. Mein Hirn funktioniert nicht so wie seins, deswegen gehen wir die Dinge ganz unterschiedlich an, aber Holgers Erfolg gibt ihm Recht. Er hat einen der besten Spieler in der Geschichte des Sports geformt. Er hat immer weiter an ihm gefeilt, die gesamte Laufbahn über, und aus einem nicht sehr athletischen Spieler diese Legende gemacht. Es gibt nicht viele Menschen, die so einen Einfluss auf irgendeinen Spieler ausgeübt haben, und das auch noch über einen so langen Zeitraum. Ich saß oft daneben und dachte, die Übungen ergeben keinen Sinn, es wirkte wirr - wie gesagt, ich glaube, das alles war zu hoch für mich. Ich bin ein Einfaltspinsel. Aber es hat für Dirk super funktioniert. Jeder Coach muss es schaffen, einen Weg zu seinem Publikum zu finden. Holger hat das geschafft: Wenn er es befohlen hätte, wäre Dirk von einer Brücke gesprungen. Diese Beziehung war auch deshalb so besonders, weil alles holistisch war. Mit Holger arbeitest du nicht drei Monate, sondern ein ganzes Leben lang.

Was hat dazu geführt, dass Sie die Mavs im Jahr 2019 verließen?

Procopio: Ich habe den Head Coach gehasst und er hasste mich. Ich wurde gefeuert beziehungsweise mein Vertrag lief aus. Es erreichte einen Punkt, an dem es keinen Sinn mehr ergab. Wir hätten wahrscheinlich nie zusammenarbeiten sollen. Wir werden uns nie gegenseitig Weihnachtskarten schicken und ich denke, das ist für uns beide in Ordnung.

Mike Procopio ist in NBA-Kreisen nicht zuletzt für seinen Humor bekannt.scorebooklive.com

Es passte von Anfang an nicht zwischen Ihnen und Carlisle?

Procopio: Es ist mit der Zeit schlimmer geworden. Es war am Anfang okay, aber es ist schnell schlechter geworden. Wie gesagt, es ist in Ordnung: Man trifft von Zeit zu Zeit auf Leute, mit denen man nicht gerne zusammenarbeitet. Ich habe meine Fehler und er ist nicht der perfekte Boss für jeden. Wir sind beide besser dran ohne einander. Ich möchte die Zeit in Dallas trotzdem auf keinen Fall missen.

Mittlerweile sind sowohl Carlisle als auch große Teile des Front Office in Dallas weg, dazu gab es alle möglichen Gerüchte über den Einfluss des früheren Mitarbeiters Haralabos Voulgaris. Hat Sie das überrascht?

Procopio: Es gab schon Spannungen, nicht nur zwischen mir und Carlisle. Ich wusste in meinem letzten Vertragsjahr schon, dass es wohl zu Ende geht, und habe mich nicht groß darauf konzentriert. Es ist im Profisport einfach so: Das Geld macht alles kaputt. Leute erheben Ansprüche, werden paranoid, jeder denkt, dass andere ihm den Status wegnehmen wollen. Und ich verstehe das, jeder will ja seinen Wert steigern. Von Bob habe ich nicht so viel mitbekommen. Sein erstes Jahr mit dem Team war mein letztes, seine Rolle hat sich nach meinem Abgang noch verändert. Man wusste am Anfang schon, dass er etwas zu sagen hatte, aber es entsprach in meiner Wahrnehmung nicht der Darstellung aus dem Artikel, den Sie meinen. Es gibt solche Themen in jeder Organisation. Die Coaching-Stäbe und Front Offices sind viel zu groß. Jeder will etwas sagen, jeder will Geld verdienen, so viel und so lange wie möglich. Deswegen gibt es nur in den wenigsten Organisationen eine gute Kultur, es gibt zu viele Leute, die eine unterschiedliche Agenda verfolgen. Die NBA ist ein verfickter Zirkus, ein Zirkus ohne Zelt. Deswegen überrascht mich eigentlich nichts mehr.

Was machen Sie seit dem Abgang aus Dallas?

Procopio: Der größte Teil meiner Arbeit beläuft sich darauf, dass mir Spieler und Spielerinnen von überall auf der Welt Videos von sich schicken und ich sie analysiere. Sie sagen mir, in welchen Minuten sie auf dem Court stehen, ich achte auf Offense, Defense, alles Mögliche, und gebe ihnen Feedback dazu. Das ist meine Nische. Ich leite auch Clinics und Dinge dieser Art, arbeite als Consultant für Coaches, aber das ist das Hauptthema.

Hat sich das Feld des Player Development Coaches über die letzten Jahre sehr verändert?

Procopio: Ja, heutzutage hat einfach jeder jemanden, vor zehn Jahren waren es vielleicht 20 Prozent der Spieler. Und die Stäbe sind wie gesagt riesig. Aber ich glaube, dass eine interne Untersuchung in den meisten Fällen ergeben würde, dass es zu viele Leute sind. Es kann schädlich sein, wenn ein individueller Coach den Head Coach eines Teams untergräbt, das sorgt für viel Ärger. Die Entwicklung ist oft keine gute Sache. Sie trägt auch dazu bei, dass sehr viel komisches Zeug gelehrt wird.

Was meinen Sie?

Procopio: Spieler wollen Dinge lernen, die Stephen Curry oder James Harden machen, ohne am Fundament dafür zu arbeiten. Dabei ist das Spiel ziemlich simpel: Es geht darum, Würfe zu treffen, die Defense zu lesen, sich ohne Ball zu bewegen, solche Dinge. Wir sollten den Fokus mehr darauf legen, gerade bei jungen Spielern. Das Spiel wird sonst teilweise sehr unansehnlich, gerade in der NBA. Ich sehe momentan oft lieber Spiele in der EuroLeague, weil mir der Stil mehr zusagt. Hier verdienen die Development Coaches teilweise viel Geld, obwohl sie den Spielern nicht die wichtigsten Dinge beibringen. Es gibt natürlich auch sehr gute, aber manche von ihnen würde ich nichtmal mit einem Fünftklässler zusammenarbeiten lassen.

Zum Abschluss: Nehmen Sie an, ein aktueller Spieler meldet sich bei Ihnen und will nicht einen Video-Breakdown, sondern sagt: "Ich will das, was Kobe hatte." Würden Sie so einen Auftrag noch einmal annehmen?

Procopio: Gute Frage. Es gibt nicht viele Spieler, die diese Mentalität mitbringen, und ich jage nicht danach, aber es gibt schon Kandidaten. Giannis Antetokounmpo oder Bam Adebayo wirken mir wie Spieler, die das Mindset haben. Auch Jimmy Butler. Man muss schon sehr fokussiert sein, das sind nicht alle. Aber mit diesen Jungs würde es mich schon reizen, natürlich.