Das First Four ist bereits im Gange, in der Nacht auf Freitag beginnt die erste Runde des NCAA-Tournaments - March Madness ist da! Höchste Zeit, um mit Draft-Experte Torben Adelhardt auf die Top-Talente am College zu blicken.
Adelhardt, der in der Vergangenheit als Draft-Experte unter anderem für die FIVE und basketball.de geschrieben hat und auf seinem Twitter-Account regelmäßig Scouting-Berichte veröffentlicht, erklärt, wieso sich Chet Holmgren vom Rest seines Jahrgangs abhebt, welche Bedenken er bei Paolo Banchero hat, wer vom Turnier am meisten profitieren könnte und wie der Jahrgang insgesamt einzuschätzen ist.
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Herr Adelhardt, fangen wir direkt an der Spitze des Jahrgangs an. Selbst wer die NCAA kaum verfolgt, ist wohl oder übel schon mal über den Namen Chet Holmgren gestolpert. Gerade in einer Zeit, in der große, multitalentierte Spieler in der NBA Trumpf sind, wirkt der Gonzaga-Big als fast schon logischer Top-Pick-Kandidat. Was macht ihn aus?
Torben Adelhardt: Im Prinzip ist Holmgren ein Flügelspieler, der dribbeln, passen und werfen kann - nur im Körper eines 7-Footers. Was ihn abgrenzt von Jungs wie Bol Bol oder Aleksej Pokusevski, mit denen er teilweise verglichen wird, ist die Tatsache, dass er auch defensiv unheimlich gut ist. Er sieht dünn aus, aber es ist falsch, sich zu sehr darauf zu fokussieren: Er hat diese Länge mit über 2,30 m Spannweite, er kann das Pick'n'Roll auf alle erdenklichen Arten verteidigen und er bietet kaum Angriffsfläche. Es ist schon unterhaltsam, regelmäßig versuchen Wings oder andere Bigs, ihn mit der Schulter bis zum Korb zu schieben, aber er ist so agil und beweglich, dass er sie dann trotzdem blockt. Das ist reizvoll, und offensiv kann man ihn auch wie einen Evan Mobley auf der Vier einsetzen: Sein Wurf ist sehr gut, sein Touch in Korbnähe überragend, er trifft jeden Hookshot und jeden Fadeaway. Er kann dribbeln, den Ball im Fastbreak selbst nach vorne bringen. Für mich macht ihn das zum spannendsten Talent, weil er sehr skalierbar ist - er passt quasi in jedes Team, in allen möglichen unterschiedlichen Rollen. Für mich wäre es daher sehr überraschend und auch falsch, wenn er nicht wenigstens in der Top 3 gedraftet wird.
Nachdem der Name Mobley schon gefallen ist - was unterscheidet Holmgren vom letztjährigen Nr.3-Pick und was sind Parallelen?
Adelhardt: Beide bringen diese Flexibilität mit, können offensiv einige ähnliche Sachen bringen und funktionieren sowohl als einzige Bigs als auch als Vierer neben einem klassischen Big. Das macht Mobley in Cleveland, das macht Holmgren in Gonzaga neben Drew Timme. Holmgren ist allerdings ein besserer Werfer, er hat mehr Floorspacer-Potenzial. Mobley wiederum war defensiv einer der mobilsten 7-Footer der vergangenen 15 Jahre am College, da sehe ich Holmgren nicht. Beide verbindet aber die Agilität in lateralen Bewegungen, sie können Drop Coverage spielen, aber auch auf Guards switchen. Man bekommt gegen sie keine Mismatches. Mobley war aber schon das größere Defensiv-Talent.
Klingt eigentlich sehr überzeugend, als Consensus Nr. 1 gilt Holmgren aktuell trotzdem nicht. Wo kommen die Zweifel her?
Adelhardt: Er sieht einfach schmal aus, ich denke, das führt zu einem ästhetischen Vorurteil. Viele fokussieren sich auf seinen Körper und denken immer, dass er sich auf der nächsten Stufe physisch nicht mehr durchsetzen kann - dabei konnte er das bis dato auf jeder Stufe. Seine Schultern sind nicht so breit, was manchmal ein Indikator dafür ist, was jemand noch an Muskelmasse draufpacken kann, siehe Giannis Antetokounmpo. Wobei ich die Fragezeichen da trotzdem nicht in der Defensive sehe, eher offensiv. Man will es auf jeden Fall vermeiden, dass ein großer Spieler von einem gegnerischen Guard verteidigt werden kann und das nicht bestraft - das ist beispielsweise bei Kristaps Porzingis das Dilemma. Wenn du das nicht bestrafen kannst, was hast du dann gewonnen? Da wünsche ich mir bei Holmgren noch eine Entwicklung, auch wenn er ein viel besseres Ballhandling mitbringt als KP. Auch er neigt manchmal dazu, einen Fadeaway zu nehmen, statt seine Vorteile in Korbnähe auszuspielen. Da müsste er noch kräftiger werden, um sich leichtere Abschlüsse kreieren zu können.
Wie wichtig ist ein gutes NCAA Tournament für Holmgrens Draft-Position?
Adelhardt: Gute Frage. Man sollte eigentlich denken, dass die Teams mehr auf das Gesamtpaket als auf die Eindrücke aus dem Turnier achten, aber in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass ein tiefer Run durchaus helfen kann - bei Malachi Richardson oder Shabazz Napier zum Beispiel. Man darf nicht vergessen, wie klein das Zeitfenster für viele Top-Level-Mitarbeiter des Front Office eines NBA-Teams ist, sich mit dem Draft zu beschäftigen. Deswegen spielt March Madness eine große, vielleicht zu große Rolle. Draft-Experte Sam Vecenie von The Athletic sagte vor kurzem, Holmgren könne ein großer Gewinner des Turniers werden - aber ich sehe das anders. Gonzaga hat einen schweren Turnierpfad und wenn sie früh ausscheiden sollten, fühlen sich eher die Kritiker bestätigt. Ich glaube, dass sich dieses Narrativ, dass er nicht für die NBA gemacht ist, verfestigen könnte, wenn er ein schlechtes Spiel erwischt oder früh ausscheidet. Das ist Bullshit, aber es ist eine reale Gefahr.
Wenn man schon einen Schritt weiter geht: Zu welchem der derzeit schlechten NBA-Teams würde Holmgren denn am besten passen?
Adelhardt: Es gibt kein Team, bei dem er nicht reinpasst. Ideal wäre sicherlich Detroit: Es gibt dort den Playmaker mit Cade Cunningham, mit Isaiah Stewart ist außerdem ein Big Man da, der neben Chet gut passen könnte. Orlando wäre auch wahnsinnig, mit dem Kern, den sie jetzt schon haben, vielen langen Wings, die alle dribbeln, passen und schießen können. Auch Wendell Carter Jr. könnte ich mir neben Holmgren vorstellen. Oder in Houston als Weakside-Ringbeschützer neben Alperen Sengün, wenn er dort der Big Man der Zukunft sein soll ... aber man merkt schon: Leute wie Holmgren sind so reizvoll, weil sie überall reinpassen. Welches Team hat keinen Bedarf für Spieler, die den Ring beschützen und vorne für Spacing sorgen? Und das ist bei ihm nur die Basis.
Ist Holmgren die klare Nummer eins des Jahrgangs? Im Prinzip sind es drei Namen, die immer wieder gehandelt werden ...
Adelhardt: Ich hatte eine ganze Weile Jabari Smith an eins, habe das aber vor einiger Zeit geändert und kann mir schwer vorstellen, dass sich das noch einmal ändert. Eher denke ich, dass Holmgren in sein eigenes Tier gehört. Danach kommt für mich Smith, ein weiterer großer Spieler (2,08 m) mit unfassbarem Shooting-Touch. Michael Porter Jr. mit Defense wird als Vergleich oft genannt, das vermittelt für mich ein recht gutes Bild von seinem Spielerprofil. Er und A.J. Griffin bilden für mich das nächste Tier hinter Holmgren.
Viele dürften da jetzt Paolo Banchero in der Aufzählung vermissen.
Adelhardt: Ja, Banchero ist ein spezieller Fall. Er ist bisher am weitesten von allen, was seine Entwicklung angeht, kann mit dem Ball unheimlich viel anfangen, hat eine tolle Fußarbeit. Er ist am College ein wandelndes Mismatch, kann kleinere Spieler aufposten und an größeren vorbeiziehen. Meine Frage ist, ob diese Vorteile in der NBA gegen bessere und körperlich stärkere Konkurrenz marginalisiert werden. Er ist zudem jemand, der den Ball viel in der Hand braucht, um effektiv zu sein. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er gut genug sein wird, um diese Rolle als Nr. 1 in der NBA auszufüllen, oder ob er lernen kann, eine gute Nr. 2 zu werden. Er ist kurz gesagt weniger skalierbar als etwa Holmgren, auch wenn er ebenfalls riesiges Potenzial besitzt. Diese Skalierbarkeit gewichte ich höher als die momentanen Self-Creation Skills, weshalb Banchero und auch Jaden Ivey bei mir aktuell auf 4 und 5 stehen und nicht höher.
Dazwischen steht auf Ihrem derzeitigen Big Board noch A.J. Griffin, ein Wing, der unter anderem mit Jaylen Brown oder Jimmy Butler verglichen wird. Was zeichnet ihn aus und was fehlt ihm noch?
Adelhardt: Er ist der Spieler, bei dem wir die meiste Phantasie mitbringen müssen. Er hatte großes Verletzungspech, musste eine gesamte High-School-Saison aussetzen, hat dafür in der Zeit Reha und Workouts bei den Raptors absolvieren können, weil sein Vater dort als Assistant Coach arbeitet. Er musste langsam an sein körperliches Maximum herangeführt werden, weshalb er zu Beginn der NCAA-Saison ganz anders aussah als jetzt. Aber das wurde mit der Zeit besser, und nun bringt auch er ein spannendes Paket mit: Er hat einen richtig kräftigen Körper, obwohl er einer der jüngsten Spieler des Jahrgangs ist, und er ist zudem einer der besten Shooter auf den Wing-Positionen. Er hat gute Dribbling-Moves, wobei er so viel noch gar nicht zeigen konnte, da seine Rolle in Duke bei einer Starting Five mit fünf möglichen NBA-Spielern eher gering ist. Er ist On-Ball bereits ein guter Verteidiger. Er ist momentan eher Play-Finisher als Play-Creator, aber sein Skillset und sein Körper laden zum Träumen ein. Wenn seine Athletik zurückkommt und sein Medical gut aussieht, ist das jemand, der in anderen Jahren auch schon mal an Nummer eins gepickt wurde. Jedes Team will solche Two-Way-Wings haben. Und wenn sie dann noch so gut werfen können wie er ... ich bin mir bei ihm einfach sicher, dass er eine gute Rolle spielen kann auch in Playoff-Situationen, selbst wenn die On-Ball-Creation nicht so da ist.
Die derzeit weit verbreitete "Top 5" rundet Ivey ab, der einzige Guard, der momentan so hoch geführt wird. Was für ein Spielertyp ist er?
Adelhardt: Im Prinzip ist er ein Combo-Guard, der sich eher zum Playmaker entwickelt hat. Der Vergleich mit Ja Morant gefällt mir gar nicht und ist sehr oberflächlich, weil beide diese krasse Athletik mitbringen und immer wieder zum Korb kommen. Man vergisst da, dass Morant schon am College ein herausragender Passer war, der nicht nur durch seine Athletik für andere kreieren konnte, sondern auch im Pick'n'Roll, Swing-Pässe und so weiter. Ivey ist das nicht, er war oft eher der klassische Off-Guard, erst in seiner zweiten Saison am College hat er sich mehr Richtung On-Ball-Playmaker entwickelt. Und er ist mittlerweile gut darin, seine Rim Pressure so zu nutzen, dass er auch andere finden kann. Der Druck ist wirklich nicht zu unterschätzen: Wenn er einen Block nutzt und Dampf aufnimmt, dann ist für die Defense alles verloren. Das wird er auch in die NBA übertragen können. Shooting ist für ihn der Swing-Skill, und er ist auch defensiv interessant, weil seine Athletik so bemerkenswert ist. Das macht auch ihn zu einem total spannenden Spielertypen für die Liga. Es ist ja heute ohnehin nicht mehr so nötig, dass die Point Guards Super-Brains a la Chris Paul sind.
Wen sollte man während des Turniers ansonsten im Auge behalten? Wer könnte noch einen Sprung machen oder seine Position vielleicht auch verschlechtern?
Adelhardt: Bennedict Mathurin kommt mir da in den Sinn. Arizona ist vielleicht Titelkandidat Nr. 1, und wenn er im Final Four Most Outstanding Player wird, dann könnte es einen Sprung geben. Er hat ein gutes Skillset für die Liga, kann passen, werfen und als Slasher auftreten. Er hat einen guten Wurf aus der Bewegung, ist sehr athletisch, ein guter Cutter, und er hat sich auch als Ballhandler sehr positiv entwickelt. Vielleicht schafft er es sogar in die Top 5. Tari Eason von LSU ist ein Power-Wing, der momentan vielleicht noch ein wenig unterschätzt wird. Titelverteidiger Baylor hat mit Kendall Brown und Jeremy Sochan, der früher bei Ulm gespielt hat, auch zwei Kandidaten. Sochan erinnert ein wenig an Brandon Clarke, er bringt von allem etwas, hat ein tolles Spielverständnis, kann selbst ein bisschen kreieren, ist athletisch und kann variabel verteidigen. In die andere Richtung könnte es vielleicht bei TyTy Washington gehen, wenn Kentucky ein schwaches Turnier spielt, weil er für einen Guard ein ziemlich ungewöhnliches Skillset mitbringt und sich Leute, die ihn ohnehin kritisch sehen, durch eine Enttäuschung sicherlich bestätigt sehen würden.
Haben Sie noch einen persönlichen Favoriten? Team oder Spieler.
Adelhardt: Team und Spieler! Ich sehe Stephen Currys Alma Mater gerne zu, den Davidson Wildcats. Sie spielen eine interessante NBA-Offense, mit viel Off-Ball Movement und vielen Screens. Sie haben mit Lee Hyun-Jung den vielleicht besten Shooter des Jahrgangs, gerade aus der Bewegung. Er hat eine gute Länge für einen Wing, ohne der größte Athlet zu sein, aber er ist total clever und könnte als Shooting Wing reizvoll sein. Er wird zumeist ans Ende der ersten oder an den Anfang der zweiten Runde projiziert, vielleicht helfen ihm ein oder zwei Upsets da noch weiter.
gettyEs ist ja noch lange hin bis zum Draft, Anmeldungen etc. stehen alle noch aus. Aber vielleicht als erste Einschätzung: Wie ist der Jahrgang allgemein zu sehen?
Adelhardt: Ich sehe ihn recht positiv, im Gegensatz zu vielen anderen. Wobei ich mir das auch bewusst angewöhnt habe. Ich weiß noch, wie vor zwei Jahren ständig vom schlechtesten Jahrgang seit Jahrzehnten die Rede war, und nun sehen wir, wie wir alle über LaMelo Ball, Anthony Edwards oder Tyrese Haliburton denken. Es war sicher nicht der tiefste Jahrgang, aber das war einfach zu negativ. Auf dieses Jahr bezogen: Ich bin mir nicht sicher, ob ein Franchise Player dabei ist, da muss sicherlich einiges zusammen kommen, aber ich sehe eine große Riege an Wings, die ihren Platz finden werden. Es sind ziemlich sicher mehrere All-Stars dabei und darüber hinaus gibt es viele Spieler, die vielleicht eher Rollenspieler werden, aber bestens zum Zeitgeist der Liga passen. Es braucht einfach jedes Team Wings, die dribbeln, passen und werfen können. Davon gibt es eine ganze Menge.
Dann brauchen wir zum Ende natürlich noch eine Prognose. Wer schneidet am Ende die Netze ab?
Adelhardt: Gonzaga erreicht das Final Four, das will ich als Holgrem-Fan einfach sehen. Virginia Tech ist für mich das Dark Horse, die Hokies sind zwar bloß ein 11-Seed, haben jetzt aber das ACC Tournament gewonnen und sich souverän gegen Duke im Finale durchgesetzt. Sie spielen auch eine sehr schöne, NBA-artige Offense. Das wäre der Deep Cut, ansonsten tippe ich noch auf die 1-Seeds Arizona und Kansas. Etwas langweilig vielleicht. Im Finale dann Arizona gegen Gonzaga, und, wie gesagt: Ich bin Holmgren-Fan.