Die Miami Heat treffen in den Eastern Conference Finals auf die Boston Celtics. Das beste Team der Regular Season im Osten geht dabei trotz Heimvorteil als leichter Underdog in die Serie - aufgrund eines großen Fragezeichens.
Die Playoffs sind gnadenlos. Der Spielplan sowieso. Nach der Abnutzungssschlacht gegen den noch amtierenden Champion Milwaukee über sieben Spiele, die erst am Sonntagabend endete, könnte man den Celtics instinktiv einen Orden sowie eine Woche Pause gönnen, stattdessen sind es bloß ziemlich genau zwei Tage bis zur nächsten Aufgabe.
Und diese hat es in sich. Miami stand in der Postseason bisher zwar weniger im Fokus als Boston, das mit Brooklyn und den Bucks die namhafteren Teams eliminierte, während die Heat es mit miesen Hawks und einem enttäuschenden Sixers-Team zu tun hatten. Das spielt nun jedoch keine Rolle, den besagten Orden gibt es nicht. Und: Dass ihre Gegner so mies aussahen, hatte logischerweise auch mit den Leistungen der Heat zu tun.
Dem Net-Rating nach treffen die beiden besten Teams der bisherigen Playoffs aufeinander, in dieser Neuauflage von 2020, als die Heat sich in der Bubble in sechs Spielen das Final-Ticket sicherten. Beide Teams haben sich seither drastisch verändert, es ist daher eine der Fragen dieser Serie, wie aussagekräftig dieses Resultat auch jetzt noch ist.
Es ist bei weitem nicht die einzige. Bedenken wir, dass hier die beiden besten noch verbliebenen Defensiv-Teams der NBA aufeinandertreffen, wird es faszinierend zu sehen, wer wem welche Optionen nehmen kann, und wie der Konter ausfällt. Gerade bei den Heat wartet man im Prinzip schon die gesamte Saison über auf diesen Test.
Ihre Halbfeld-Offense galt und gilt als suspekt, nun bekommen die Heat es bei allem Respekt gegenüber Miami und dieser Version der Sixers erstmals in dieser Postseason mit einer richtig starken und vor allem vielseitigen Defense zu tun. Auf diese Faktoren wird es ankommen ...
Wen attackiert Tyler Herro?
Es ist keine zwei Jahre her, dass der Sixth Man of the Year in der Bubble seinen endgültigen Durchbruch schaffte. Damals schenkte er den Celtics in Spiel 4 37 Punkte ein, die 19 Punkte und 5 Rebounds im Schnitt, die er in dieser Serie auflegte, sind bis heute beides Career-Highs in einer Serie. Es ist aber fraglich, ob das noch einmal möglich sein wird.
Boston bot damals Kemba Walker und Brad Wanamaker im Backcourt auf, zwei Spieler, die defensiv eher schwer zu verstecken waren. Die Bigs, insbesondere Daniel Theis, spielten Drop Coverage, die Herro in die Karten spielte. Dieser liebt wenige Abschlüsse mehr als lange Zweier aus dem Dribbling, auch in dieser Spielzeit kamen 44 Prozent seiner Würfe aus der Mitteldistanz, in den Playoffs waren 22 Prozent seiner Würfe bis dato lange Zweier.
Boston muss ihm diese Abschlüsse jedoch nicht (mehr) geben. Marcus Smart ist der Defensive Player of the Year, Derrick White ist offensiv zwar ein rätselhafter Spieler, aber ebenfalls einer der besten Backcourt-Verteidiger und könnte von der Spielzeit her Herros Minuten spiegeln. Jaylen Brown sah in der Regular Season auch schon dieses Matchup.
Am Point of Attack können die Celtics also massiven Druck auf Herro ausüben, ganz anders als vor zwei Jahren. Selbst Payton Pritchard leistet hier mehr Gegenwehr als Walker oder Wanamaker. Und es geht ja nicht nur um die Guards. Bostons größere Spieler sind enorm switchable, gerade Al Horford bleibt elitär in dieser Hinsicht. Gedroppt wird nur sehr selten.
Philly übte ebenfalls großen Druck auf Herro aus und blitzte ihn regelmäßig, allerdings mit limitiertem Erfolg, da sich dadurch insbesondere für Jimmy Butler einige Freiräume eröffneten. Der beste Heat-Spieler liest unglaublich gut, wann er wie cutten muss, bisweilen hatte er gegen Philly aufgrund der "Angst" vor Herro auch einfach ein besseres Matchup. Das muss gegen Boston nicht der Fall sein.
Wer bekommt das Butler-Matchup?
Die drei besten noch verbliebenen Spieler in den Playoffs sind Jayson Tatum, Luka Doncic und Butler (Stephen Curry kann mit starken West-Finals ein Quartett eröffnen). Mr. Buckets hat bisher 28,7 Punkte und 5,4 Assists in der Postseason aufgelegt, kombiniert mit seinem weiterhin unglaublichen Gespür für Big Plays in der Defensive.
Gegen Atlanta und Philly sah er wieder aus wie "Bubble-Jimmy", einer der besten Spieler der NBA. Dabei hat Butler selbst ja etwas gutzumachen. Vor einem Jahr wurde Miami in der ersten Runde gesweept, nicht zuletzt deshalb, weil Giannis Antetokounmpo Butler komplett abmeldete. Nun hat Boston zwar keinen Giannis, aber die Liga hat von dieser Demontage durchaus Notiz genommen.
Das Playbook seither gegen Butler, wenn man es denn umsetzen kann (es können nicht so viele): Der 32-Jährige ist einer der kräftigsten Spieler der Liga. Länge kann ihm jedoch Probleme bereiten, die Mavericks demonstrierten das in dieser Spielzeit beispielsweise mal mit Maxi Kleber. Auch die Celtics haben hier gute Optionen, die ja in dieser Postseason auch schon Kevin Durant und Giannis vor Probleme gestellt haben.
Vielleicht wird es Tatum persönlich machen, naheliegender wäre indes wohl Game-7-Held Grant Williams, den Butler ziemlich sicher nicht vor sich herschieben kann. Apropos ziemlich sicher: Butler kann in der Postseason auf einmal wieder Dreier treffen. In der Regular Season nahm er 2 pro Spiel und traf 23 Prozent, in den Playoffs sind es 4,4 pro Spiel bei über 36 Prozent - nicht zum ersten Mal.
Boston wird ihm den Wurf voraussichtlich trotzdem geben, die Angst vor seinen Drives und der Fähigkeit, Freiwürfe zu ziehen, wird größer sein. Auch gegen die Bucks sanken die Celtics aus diesem Grund von mehreren Spielern ab, weil sie lieber den Weg für den besten gegnerischen Offensivspieler zumachen wollten. Kann Miami das bestrafen?
Heat vs. Celtics: Die Serie im Überblick
Spiel | Datum | Uhrzeit | Heim | Auswärts |
1 | 18. Mai | 2.30 Uhr | Miami Heat | Boston Celtics |
2 | 20. Mai | 2.30 Uhr | Miami Heat | Boston Celtics |
3 | 22. Mai | 2.30 Uhr | Boston Celtics | Miami Heat |
4 | 24. Mai | 2.30 Uhr | Boston Celtics | Miami Heat |
5* | 26. Mai | 2.30 Uhr | Miami Heat | Boston Celtics |
6* | 28. Mai | 2.30 Uhr | Boston Celtics | Miami Heat |
7* | 30. Mai | 2.30 Uhr | Miami Heat | Boston Celtics |
*falls nötig
Wer lässt wen offen stehen?
Miami wird viel Druck auf Tatum und Jaylen Brown ausüben, Boston vermutlich unter anderem auf Herro - das führt automatisch dazu, dass nicht jeder Offensivspieler einen Verteidiger auf den Füßen stehen haben kann. Das wird auf beiden Seiten in Kauf genommen. Miami wird voraussichtlich weder White noch Williams eng verteidigen (auch wenn Williams diesen Ansatz der Bucks in Spiel 7 bestrafen konnte), auch von Theis wird abgesunken werden, wenn er viele Minuten sieht.
Auf der Gegenseite ist das auch der Fall, mit dem Zusatz, dass auch die beiden besten Spieler der Heat nicht die großen Wurfspezialisten sind. Bam Adebayo wirft grundsätzlich keine Dreier, Butler hatten wir schon. Aber auch vor Victor Oladipo, Gabe Vincent oder P.J. Tucker werden die Celtics keine Angst haben.
In der derzeit fixen Rotation sind tatsächlich nur Herro und Max Strus richtig gefährliche Dreierschützen. Duncan Robinson könnte das beheben, aufgrund seiner defensiven Probleme haben die Heat aber wohl ein Stück weit das Vertrauen in ihn verloren. Kyle Lowry kann eigentlich auch werfen, es bleibt aber fraglich, ob er einsatzbereit ist.
Das kann ein Problem für die Heat werden. In der Regular Season nutzten sie unter anderem gerne Handoff-Aktionen mit Adebayo als Screener für Strus oder Robinson, gegen die Switch-Defense der Celtics wird es dafür aber nicht so viele Chancen geben. Eckendreier für Tucker wird es hingegen viele geben. Vielleicht braucht Miami die eine oder andere Grant-Williams-Performance vom 37-Jährigen, der gegen Philly immerhin 44 Prozent von draußen traf.
Es kann sonst leicht ein mathematisches Problem werden - was in den Semifinals bereits Milwaukee und Phoenix zum Verhängnis wurde. Boston nimmt viele Dreier, manchmal sogar zu viele, nur die Mavs nehmen in der Postseason anteilig mehr als die Celtics (43 Prozent ihrer Abschlüsse). Die Heat nehmen deutlich weniger Triples und lassen mehr zu - nur Milwaukee erlaubte in der Regular Season mehr.
Für die Heat spricht immerhin, dass sie defensiv flexibler sind als Milwaukee und wohl eher adjustieren können, wenn sie feststellen, dass Boston sie von Downtown abschießt. Wie sie selbst an einfache Punkte (und Dreier) im Halbfeld kommen werden, bleibt dennoch spannend.
Wer gewinnt das Possession-Game?
Ein klarer Vorteil der Heat gegenüber ihren bisherigen Gegnern. Miami holte viele Steals und viele Offensiv-Rebounds, gleichzeitig war die eigene Transition-Defense sehr gut und man ließ wenige zweite Chancen zu. Gut möglich, dass das auch gegen Boston teilweise funktioniert. Die Celtics sind bisweilen anfällig für Offensiv-Rebounds (siehe Spiel 5 gegen die Bucks), zudem ist ihr Ballhandling nicht elitär.
Und: Miami kann viel Druck auf den ballführenden Spieler ausüben. Wenn Lowry ausfällt, schadet das den Heat zwar offensiv, defensiv ist Vincent Stand jetzt aber eine bessere Option. Mit ihm, Oladipo und Tucker (Butler zudem als Free Safety in den Passwegen) kann Miami Smart, Tatum oder Brown über das ganze Feld verteidigen, was automatisch dazu führen dürfte, dass Boston langsamer in die eigene Offense kommt und Fehler entstehen.
Gerade Tatum fiel gegen Milwaukee zudem immer mal wieder dadurch auf, dass er sich nach ausbleibenden Calls lautstark beschwerte, statt zurückzulaufen. Das müssen die Heat nutzen, wenn er es nicht abstellt.
Wen biestet Bam?
Eine Schlüsselrolle kommt auch Adebayo zu. Defensiv sowieso - Bam ist der wohl beste Switch-Big der NBA, er wird auch gegen Tatum seinen Mann stehen müssen. Spannend wird sein, ob Erik Spoelstra versucht, ihn teilweise näher am Korb zu postieren, da sonst der Ringschutz fehlt, aber das ist das Gute an Bam: Im Prinzip lässt sich defensiv jedes Setup mit ihm spielen. Dass auf der Gegenseite der DPOY spielt, wird Adebayo womöglich noch zusätzlich anstacheln.
Er ist aber auch offensiv wichtig. Nochmal zurück zur Bubble - der beste Spieler der Conference Finals 2020 war weder Tatum noch Butler, sondern Bam. 22 Punkte, 11 Rebounds und 5 Assists legte er im Schnitt auf, es war die bisher mit Abstand beste Serie seiner Laufbahn. Einen nicht ganz unwichtigen Block gegen Tatum hatte er auch ...
Kann Bam daran anknüpfen? Nüchtern betrachtet hat er das seither offensiv nie getan, weder konstant in der Regular Season noch in den Playoffs. In der laufenden Postseason nimmt er bloß knapp neun Würfe pro Spiel, weniger als Strus und Oladipo (und natürlich Butler und Herro).
Es spricht für Bam, dass er Spiele trotzdem beeinflussen kann, insbesondere durch seine Defense. Es ist aber gut möglich, dass sein Team gegen Bostons Defense mehr von ihm braucht. Adebayo muss als Scorer respektiert werden, allein schon deshalb, weil dadurch auch seine Screens und Handoffs anders verteidigt werden müssen.
Vor zwei Jahren schaffte er das, weil er seine überlegene Physis und Athletik gewinnbringend einsetzen konnte. Bam hat noch immer nicht viele Finesse-Moves oder einen tollen Jumper, er glänzt offensiv eher, wenn er Bully-Ball spielen kann. Das konnte er damals gegen Theis und Enes Kanter, die fast alle Center-Minuten der Serie spielten.
Gegen Anthony Davis danach in den Finals konnte er es nicht. Gegen die Bucks vergangene Saison auch nicht. Gegen die Sixers auch nicht, nachdem Joel Embiid zurückkehrte. 23,5 Punkte legte er gegen DeAndre Jordan auf, 13 pro Spiel in den vier Spielen danach. Und gegen Boston?
Robert Williams ist fraglich und sicherlich nicht bei 100 Prozent, Horford ist alt und wirkte zum Ende der unheimlich zehrenden Bucks-Serie ein wenig müde. Grant Williams ist ein Hydrant, aber kleiner als Bam (und wird eventuell anderswo gebraucht). Überragende Verteidiger sind sie trotzdem allesamt.
Adebayo kann der X-Faktor dieser Serie sein. Vielleicht muss er das auch, wenn Miami diese Serie gewinnen will.
Was ist der Pick?
Miami hat sich zwei Vorteile erspielt, die nicht zu verachten sind: Den Heimvorteil in einem möglichen Game 7, haarscharf, weil sie zwei Siege mehr geholt haben als die Celtics. Und eine deutlich längere Pause vor dem Start dieser Serie, weil sie Philly bereits in Spiel 6 in der Nacht auf Freitag eliminierten.
Den insgesamt etwas besseren Eindruck hinterließ bisher trotzdem Boston. Selbst gegen die Hawks und Sixers erzielten die Heat im Halbfeld nur 93,4 Punkte pro 100 Ballbesitzen im Halbfeld, nur Atlanta, Chicago und Milwaukee waren in den Playoffs schlechter. Wenn die Celtics es schaffen, zweite Chancen zu limitieren, wird Miami offensiv Probleme haben. Dann wird sich auch die fehlende Kreativität von Lowry bemerkbar machen.
Die Heat wiederum werden Boston auch vor Probleme stellen - wenn die Celtics zu viel in Isolationen verfallen, wird es auch für sie schwierig. Die Celtics werden erneut darauf angewiesen sein, dass Rollenspieler offene Dreier treffen. Dafür wäre der Heimvorteil nett, aber am Ende nicht alles entscheidend.
Der Pick lautet: Celtics in 6.