Im Draft am kommenden Donnerstag verfügen die Orlando Magic über das erste Auswahlrecht. Letztmals war dies 2004 der Fall, als ein gewisser Dwight Howard den Weg nach Florida fand. Was als Liebesbeziehung begann, endete in einem unschönen Abgang. Aus dem Superman wurde Dwightmare, der nie wieder an seine Leistungen anknüpfen konnte. Die Gründe hierfür sind auch im turbulenten Werdegang des Big Man zu finden.
"Plötzlich wurde ich vom Good Guy zum Teufel. Ihr könnt das nicht verstehen. Ich wünsche es keinem, das durchzumachen, was ich durchgemacht habe." In einem bemerkenswerten Feature von Sports Illustrated blickte ein äußerst aufgeräumter Dwight Howard 2017 auf seine Laufbahn zurück und versuchte eine Frage zu beantworten: Was ist nur aus dem Superman geworden, der zwischen 2007 und 2012 der dominante Spieler auf der Center-Position war?
Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht, aber viele Ansätze, die ein Bild von einem Sportler zeichnen, dem all die Dinge, die während seiner Zeit in der NBA auf ihn hereinprasselten, über den Kopf wuchsen. Vor allem, weil sein tiefer Glaube ihn zuvor vor der weiten und ach so gefährlichen Welt beschützt hatte. Und diese Versäumnisse mussten später aufgeholt werden.
Die Jugend von Howard war geprägt von Bibelstunden, Kirchenbesuchen in der Fellowship of Faith in East Point/Georgia und Gebeten. Von seinen Eltern wurde er in eine Privatschule, die Southwest Atlanta Christian Academy geschickt, dort erzählte er seinen Altersgenossen stolz, dass er als NBA-Spieler dafür sorgen wird, dass die Silhouette im NBA-Logo mit einem übergroßen Kreuz erweitert wird.
Zumindest die Sache mit dem NBA-Spieler sollte überhaupt kein Problem sein: Auch dank seiner Körpergröße von weit über zwei Metern bereits in der neunten Klasse, kombiniert mit einer beeindruckenden Schnelligkeit, dominierte er die Gegenspieler. Als Senior an der High School legte er beim Gewinn der Staatsmeisterschaft 25 und 18 auf, beim McDonald's All-American 2004 wurde er gemeinsam mit J.R. Smith zum Co-MVP gewählt, Orlando griff an Eins zu.
"Dein Auftrag ist es, den Basketball als Plattform für Gottes Ruhm zu verwenden", gab der Pastor in der Fellowship of Faith Howard in frühen Jahren mit auf den Weg - eine Haltung, durch die der Übergang in die beste Basketballliga der Welt einem Kulturschock gleich kam. So luden die gestandenen NBA-Spieler Tony Battie und Steve Francis Howard nur ein einziges Mal in einen Club ein, nachdem er ihnen zuvor berichtet hatte, dass Gott im Badezimmer zu ihm gesprochen hat. Sie hatten Angst, sie würden ihn verderben.
Dwight Howard: 2008 stand er noch über LeBron
Howard, als Rookie nach eigener Aussage noch Jungfrau, wandelte seine Isolation und seinen Ärger in Energie um, verbrachte unzählige Stunden im Kraftraum und entwickelte sich zu jenem Spieler, den die Magic-Fans am liebsten für immer in Erinnerung behalten hätten: Double-Double-Maschine, Abo-All-Star, bester Verteidiger der Liga, spektakulärer Dunker und vor allem derjenige, der Orlando 2009 in die Finals führte.
2008 hatte Howard mehr Werbeverträge als LeBron James, der in der Folge schnell zu DEM Gesicht der Liga werden sollte. 2012 sammelte Howard 3,1 Millionen All-Star-Votes, ein Rekord, der erst 2019 von eben jenem James gebrochen werden sollte. Und mit welchem Spieler sollte eine Franchise laut einer GM-Umfrage von NBA.com 2009 einen Neuaufbau starten? Platz 1: LeBron, Platz 2: Howard.
Einen genauen Zeitpunkt, an dem das "echte" Leben abseits des Glaubens Howard einholte, kann er nicht nennen: "Ich kam aus einer kleinen Box, in der mich jeder vor der großen Welt schützen wollte. Aber als ich sie endlich betreten hatte und mich umschaute, wollte ich alles erleben." Dementsprechend fällt seine Antwort auf die Frage, ob er den Rat seines Pastors befolgte, mit "Ja und Nein" aus.
gettyDwight Howard: "Ich habe mich geschämt"
Schon in Magic-Tagen hatte er mit der Cheerleaderin Royce Reed einen unehelichen Sohn (es sollten vier Kinder mit vier unterschiedlichen Frauen in sechs Jahren folgen), was zu einem handfesten Streit mit seinen strenggläubigen Eltern führte. "Ich war bereit dafür, alles auszuprobieren. Ich hatte so viel über diese Stripclus gehört, also lasst uns feiern wie die älteren Jungs. Du bist jung, du bist im Fernsehen und all diese wunderschönen Frauen kommen zu dir."
Nach der Geburt von Kind Nummer eins habe er sich "geschämt, weil ich so viel darüber gesprochen hatte, ein Christ zu sein, meinen Glauben der gesamten Welt offenbarte - und hier stand ich plötzlich, mit einem unehelichen Kind". Seine Eltern hätten über ihn geurteilt, er habe sich gefühlt, "als sollte ich mich nicht einmal mehr in der Öffentlichkeit aufhalten, weil mich jeder als Heuchler gesehen hat". Was er dachte? "Ich brauche die Beziehung zu Gott nicht mehr. Und das hat jede Menge Schmerz verursacht."
Hinzu kam, dass er viele Millionen verlor, da er von Freunden und Arbeitskollegen ausgenutzt wurde. Eine sechsstellige Summe für eine Limousine oder eine siebenstellige für einen Privatjet - keine Seltenheit. "Sie wussten: Dwight ist abgelenkt, er passt nicht auf. Daraus können wir Profit ziehen. Was ich daraus gelernt habe: Was du neben dem Feld machst, wirkt sich auf das aus, was du auf dem Feld tust. Ich habe mein Selbstvertrauen verloren."
Dwight Howard: Skittles, Honey Buns und McDonald's
Sportlich endete die Ära bei den Magic unrühmlich: Nach dem frühen Playoff-Aus 2011 forderte Howard einen Trade, es gab Verhandlungen mit den Lakers, Nets und Mavericks. Letztlich blieb er ein weiteres Jahr, ehe es nach der nächsten Erstrundenpleite nach L.A. ging. Nach dem Trade von den Magic folgten bis heute insgesamt sieben weitere Wechsel (gleich dreimal landete er bei den Lakers, für die er auch in der vergangenen Saison auflief) und "arbeitete" weiter an seinem Ruf, der ihm bis heute vielerorts den Namen Dwightmare einbrachte.
Mitverantwortlich für die Entlassungen von Head Coach Stan Van Gundy und GM Otis Smith in Orlando, die Franchise im Stich gelassen, bei den Lakers mit seinen Teamkollegen nicht zurecht gekommen, keinen vollen Einsatz gezeigt und dann nach nur einem Jahr zu den Rockets weitergezogen - so der nicht ganz unberechtigte Vorwurf der Kritiker. "Davon habe ich mich in vielerlei Hinsicht nie erholt."
Berühmt-berüchtigt ist das schwierige Verhältnis zu Kobe Bryant, der immer wieder die Arbeitsmoral des Big Man anprangerte und ihn später als "Teddy-Bär" bezeichnete - zwar nett gemeint, aber ein klarer Hinweis auf dessen Softness. 2012 erlitt er während einer Trainingseinheit eine Panikattacke, wonach er einem schockierten Ernährungsberater offenbarte, dass er süchtig nach Skittles und Honey Buns sei.
Über Jahre verzehrte er 5.000 Kalorien am Tag, zuhause hatte er sogar eine Skittles-Maschine. Während einer Saison sah sein Ritual vor Spielen so aus: McDonalds, zwei Double-Cheeseburger, eine große und eine kleine Portion Pommes, ein Erdbeer-Schokoladen-Milchshake und eine große Cola.
Dwight Howard: Der Spaß am Spiel geht komplett verloren
Besonders schwierig war und ist für ihn der Wandel des modernen Big Man, der im Idealfall werfen oder zumindest über ein ausgeprägtes Post-Up-Spiel verfügen soll. In Houston wurde Letzteres versucht, mit überschaubarem Erfolg. Auch war die Beziehung zu Franchise-Star James Harden nicht die Beste.
"Wenn ich etwas nicht mag, tendiere ich dazu, mich abzuschotten, meine Kopfhörer aufzuziehen und alles zu ignorieren. Ich rede nicht über Dinge. Das war in L.A. so und in Houston auch. Ich hätte besser kommunizieren sollen", sagte Howard und bezeichnete sich als "Einzelgänger". Viele würden behaupten, die Meinung anderer sei ihm egal. "Sie lügen."
Als er 2015 - der Spaß am Spiel hatte ihn völlig verlassen - sogar über das Karriereende nachdachte, kam Howard zur Erkenntnis, dass dies nichts an seinen Problemen ändern wurde. Stattdessen wandte er sich an einen Pastor, über zehn Stunden pro Woche schüttete er diesem sein Leid aus und setzte sich mit all jenen Personen, die seinen Lebensweg (negativ) begleitet hatten, intensiv auseinander. Mit seinen Eltern sprach er sich aus, stellte aber gleichzeitig klar, dass das Verhältnis künftig distanzierter ausfallen müsse. "Das war hart. Sie haben es nicht verstanden."
Howard räumt sein Leben auf: Bald "Farmer Dwight"?
Eine sportliche Renaissance gelang Howard nicht mehr, wenngleich er nach einer weiteren Double-Double-Saison 2017/18 mit den Hornets für die Lakers und Sixers zumindest ein brauchbarer Spieler in reduzierter Rolle war und 2020 sogar mit L.A. Champion wurde. Auch abseits des Basketballfeldes scheint Howard immer mehr im Reinen mit sich zu sein.
2017 erwarb er eine 2,8 Quadratkilometer große Farm im Norden Georgias, wo er Kühe, Schweine und auch Esel hält. Nach dem Karriereende sieht er sich als "Farmer Dwight". Auf seinem Anwesen in Suwanee baut er unter anderem Gemüse an - alles organisch. Die Produkte sollen im Supermarkt landen, Studenten sollen sein Grundstück für Bildungszwecke besuchen.
Und seine Kinder? Die leben zwar allesamt bei ihren Müttern, doch Howard bemüht sich um eine bestmögliche Beziehung. In der Offseason wird regelmäßig gemeinsam Urlaub gemacht. "Es ist eine schwierige Situation, ich hätte verantwortungsvoller sein müssen. Ich habe versagt", blickt Howard mit Reue zurück. "Aber ich werde auf keines der Kinder blicken und es als Fehler ansehen. Sie sind alle ein Segen für mich."