Offenbar haben sich die Boston Celtics in den Trade-Poker um Kevin Durant eingeschaltet und machen den Suns, Heat und Raptors im Werben um den zweifachen Finals-MVP Konkurrenz. Doch ergibt ein Deal für Boston wirklich Sinn? Die Celtics hätten eine Menge zu gewinnen - aber auch eine Menge zu verlieren.
Kevin Durant im Celtics-Grün, das ist keine neue Fantasie in Beantown. Schon als die Traditionsfranchise die Saison 2006/07 mit der zweitschlechtesten Bilanz der Association beendete - und damit mit den zweitbesten Chancen auf den ersten Pick im Draft 2007 -, malten sich manche KD in Boston aus.
Das Glück in der Draft Lottery war den Kelten aber nicht hold, Boston fiel auf Position 5 im Draft zurück, die Fans waren am Boden zerstört. Es entging ihnen die Chance auf entweder Greg Oden - der Nr.1-Pick, der aufgrund von Verletzungsproblemen floppte - oder eben Durant, der stattdessen in Seattle seine Hall-of-Fame-Karriere begann.
Im Nachhinein konnten die Celtics-Fans mit den Resultaten wohl trotzdem gut leben. Nr.5-Pick Jeff Green wurde noch am Draft-Abend gemeinsam mit Wally Szczerbiak und Delonte West für Ray Allen eingetauscht, wenige Woche später folgte der Trade für Kevin Garnett und 2008 schließlich die Championship Nummer 17.
Auf dem Weg zu Titel Nummer 18 sollte beziehungsweise könnte erneut Durant eine Rolle spielen. Sollte, weil er auch in der Free Agency 2016 ein Ziel des Rekordchampions (gemeinsam mit den Lakers) war. Boston bekam ein Meeting in den Hamptons, doch KD entschied sich bekanntermaßen anders.
Könnte, weil das Front Office um Teampräsident Brad Stevens den zweifachen Finals-MVP und zwölffachen All-Star nun angeblich schon wieder auf dem Zettel hat. Die Celtics haben sich nach Infos von Adrian Wojnarowski (ESPN) und Shams Charania (The Athletic) in die Trade-Gespräche mit den Brooklyn Nets eingeschaltet.
Auf das erste Angebot (Jaylen Brown, Derrick White, ein Draft-Pick) folgte der erste Konter (Brown, Marcus Smart, mehrere Picks und einen Rotationsspieler), doch aktuell sollen die Gespräche laut Brian Windhorst (ESPN) erstmal wieder ruhen. Es bleibt die Frage: Sollten die Celtics wirklich einen Blockbuster-Trade für Durant einfädeln? SPOX beleuchtet das Für und Wider.
Kevin Durant zu den Celtics? Das spricht für einen Trade
Es geht letztlich um die Frage: Präferiere ich eine kurzfristig höhere Chance auf die Championship oder ein längerfristiges Titelfenster mit nicht ganz so guten - aber immer noch guten - Aussichten auf den ganz großen Wurf?
Durant ist die Antwort für den ersten Teil dieser Frage. Die Celtics haben in der abgelaufenen Saison die Finals erreicht, waren nur zwei Siege vom Titel entfernt - doch die letzte Hürde, in diesem Fall die Warriors, war zu hoch. Mit KD an der Seite von Jayson Tatum dürfte Boston dem großen Ziel nochmal etwas näher sein.
Nicht mal die größten Celtics-Fans würden wohl anzweifeln, dass Durant im Vergleich zu Brown der bessere Spieler ist. Trotz der langen Pause nach seinem Achillessehnenriss 2019 kam der 33-Jährige bärenstark zurück. In den ersten Saisonmonaten der vergangenen Spielzeit galt er sogar als einer der Favoriten im frühen MVP-Rennen. Am Ende standen hervorragende Statistiken von 29,9 Punkten, 7,4 Rebounds und 6,4 Assists bei Shooting-Splits von 52/38/91.
Zugegeben: Er stand in der vergangenen Saison aufgrund einer Knieverletzung nur 55-mal auf dem Court. Doch wenn er fit bleibt, bekommen die Celtics für mindestens zwei bis drei Jahre einen der auch heute noch absolut besten Spieler der Welt. Selbst wenn Boston Brown und Smart abgeben müsste, könnte ein großes Lineup wie folgt aussehen: Brogdon, Tatum, Durant, Horford und Rob Williams mit White, Gallinari, Grant Williams und Pritchard von der Bank. Welcher Gegner hätte davor nicht Respekt?
gettyCeltics: Zwingt die Brown-Situation Boston zum Trade?
Hinzu kommt: Langfristiger Erfolg (in diesem Fall mit dem Kern Tatum, Brown, Smart) ist in der NBA niemals garantiert, Championship-Banner hängen dafür für immer. Es gibt ein Szenario, in dem Brown die Ostküste bereits in zwei Jahren, in der Blüte seiner Karriere verlässt.
Dann läuft sein aktueller Vertrag aus, der Guard hatte im Anschluss an seinen Rookie-Vertrag für weniger als das Maximum und für nur vier Jahre verlängert (dabei handelt es sich NICHT um eine Designated Rookie Extension, daher könnte er problemlos zu den Nets getradet werden und dort an der Seite von Ben Simmons spielen).
Brown wird ziemlich sicher die Free Agency 2024 testen, da eine vorzeitige Vertragsverlängerung nur zu geringeren Bezügen möglich ist und daher für ihn keinen Sinn ergibt. Schon öfters fiel sein Name in Trade-Gerüchten der Celtics, könnte er sich dann also womöglich anderweitig umschauen? Für Boston könnte das ein Grund sein, ihn schon jetzt in einem Paket für Durant einzutauschen.
Gleichzeitig verringert sich dadurch sein Trade-Wert, da er eben nur noch zwei Jahre gebunden ist (Durants Vertrag läuft noch vier Jahre für 198 Millionen Dollar). Brooklyn wird also darauf bestehen, einen weiteren Spieler und mehrere Picks zu bekommen. Die Celtics können in der Theorie die eigenen Erstrundenpicks in 2025, 2027 und 2029 sowie Pick-Swaps in 2024 und 2026 auf den Tisch legen - beziehungsweise eine Auswahl davon.
All diese Picks plus Brown wird Boston nicht opfern. Doch für bessere Chancen auf den Titel könnte es sich lohnen, einen Teil der Zukunft für einen sofortigen Durant-Boost zu opfern. Es bliebe aber auch ein enormes Risiko.
Kevin Durant zu den Celtics? Das spricht gegen einen Trade
Auf diesen einen Spieler, der die Titelchancen in den Himmel treibt, haben die Celtics in der jüngeren Vergangenheit schon öfters gehofft. Da waren Gordon Hayward, Kemba Walker und allen voran natürlich Kyrie Irving. Doch während diese Experimente mal mehr mal weniger nach hinten losgingen, wuchs der junge Kern des Teams bis hin zu der Mannschaft, die nun einen Finals-Run hinlegte.
Der Franchise-Eckpfeiler ist Tatum (24 Jahre), doch direkt dahinter hat Brown (25) auch auf größter Bühne bewiesen, dass er ein fähiger Co-Star ist. Smart (28) rühmt sich mit Ehren des Defensive Player of the Year und gilt als das Herz und die Seele der aktuellen Celtics. Boston verfügt über einen jungen, hochklassigen Kern, der im Laufe der vergangenen Saison eine Chemie aufgebaut hat und nur noch besser werden sollte.
Mit einem Durant-Trade würde sich alles verändern. Kurzfristig vielleicht zum Guten, wie auf der ersten Seite beschrieben, vielleicht aber auch zum Schlechten. Bei all den sportlichen Qualitäten bringt KD eben die Fragezeichen hinter seinem Alter (im September wird er 34) und seiner Krankenakte mit. Wie lange kann er wirklich noch auf dem Niveau einer Nr.1- oder Nr.2-Option eines Titelanwärters agieren? Wie oft kann er für Boston jede Saison wirklich auf dem Court stehen?
Auch wenn die Chancen mit Durant in den nächsten ein, zwei Jahren steigen, Garantien für eine Championship gibt es eben auch nicht. Für einen alternden Superstar, der dem eigenen Franchise-Star das Scheinwerferlicht zu stehlen droht, die langfristige Zukunft zu torpedieren, könnte in drei, vier Jahren schmerzhaft werden. Oder spätestens dann, wenn Durant unzufrieden wird, den nächsten Wechsel forciert und die Celtics mit (fast) leeren Händen dastehen. Von daher hängt für Boston viel davon ab, wie hoch der Preis für einen KD-Trade am Ende tatsächlich sein würde.
Boston Celtics mit Jaylen Brown: Nur Grund für Optimismus
Doch selbst der Verlust von Brown birgt Gefahren. In Celtics-Fankreisen genießt er enorme Beliebtheit, er ist der erste Spieler, der aus der Wagenladung Picks aus dem Pierce/Garnett-Trade zu einem Star heranwuchs. Er hat sich auch abseits des Parketts zu einem Leader gemausert, hat sich mit seinem sozialen Engagement ein Standing in der Stadt erarbeitet.
Er selbst konnte bei all den neuerlichen Trade-Gerüchten nur mit dem Kopf schütteln. Dass Brown nicht besonders glücklich mit den Medienberichten sein dürfte, ist nur logisch. Andererseits kennt er das Business, der Boston Herald versuchte, die Spekulationen sogar bereits in ein Lob für den All-Star von 2021 umzuwandeln.
Es spreche doch für die Qualität des Spielers, wenn er als zentraler Gegenwert für Durant gesehen wird, soll eine Brown-nahe Quelle erklärt haben. Und weiter: "Er liebt es in Boston. Er war zwei Spiele entfernt vom Gewinn einer Championship. Er ist glücklich und freut sich darauf, zurückzukommen."
Auch die Celtics sollten mit einer "Rückkehr" von Brown nach dem Sommer glücklich sein. Die Franchise hat nach dem überraschenden Turnaround in der Vorsaison allen Grund für Optimismus. Nicht nur wegen des angesprochenen, vielversprechenden Kerns. Darüber hinaus wurde das Team mit dem Trade für Brodgon und der Verpflichtung von Gallinari in der Tiefe verstärkt. Nicht umsonst galt der Finalist als einer der heimlichen Gewinner der Free Agency.
Trade-Gerüchte um KD nach Boston: Alles nur ein Strohfeuer?
Wie es nun im Durant-Poker weitergeht, bleibt weiterhin komplett offen. Auch wenn Boston laut Charania nun eine "reale Gefahr" für die restlichen Interessenten darstellt, muss das noch lange keinen baldigen Vollzug bedeuten. Ganz im Gegenteil. Alle Berichte besagen, dass eine Einigung nicht unmittelbar bevorstehe.
Nets-GM Sean Marks wird sich Zeit lassen, womöglich bis zum Training Camp oder darüber hinaus. Vielleicht hofft er immer noch auf einen Durant-Verbleib, ein komplettes Nets-Team mit Durant, Kyrie Irving, Ben Simmons sowie den sinnvollen Offseason-Verstärkungen (Royce O'Neale, T.J. Warren) müsste man wohl im Titelrennen auf dem Schirm haben. Aber: Bislang soll KD von seiner Trade-Forderung nicht abgerückt sein, selbst die Option eines Streiks wird von Charania nicht ausgeschlossen.
Womöglich sollen die nun durchgesickerten Celtics-Gerüchte nur als eine Art Strohfeuer dienen, um den Preis für Durant hochzutreiben und die Suns, Heat oder Raptors zu besseren Angeboten zu animieren. Getreu dem Motto: Schaut her, wir könnten sogar Jaylen Brown bekommen. Was habt ihr zu bieten?
Im Boston-Szenario würde Brooklyn einen der besten Spieler der Welt zu einem direkten Konkurrenten traden, wo doch eigentlich das Ziel ist, auch ohne KD oben mitzuspielen. Vielleicht werfen die Nets diese Bedenken aber auch über Bord, wenn sie ihre Finger tatsächlich an Brown kriegen könnten. Aktuell stellt er den individuell bestmöglichen Gegenwert dar.
So oder so, für Durant, Brown und die restliche NBA-Welt heißt es wohl erstmal: weiter warten.