Bevor Matt Ryan die Los Angeles Lakers mit einem spektakulären Buzzerbeater in die Verlängerung schoss, hatten nur Basketball-Nerds etwas von ihm gehört. Sein Weg in die NBA ist ungewöhnlich, vor nicht einmal zwei Jahren pflegte er bei Minusgraden Friedhöfe und fuhr Essen aus. Nun hofft er darauf, dass er nicht zu einem One-Hit-Wonder verkommt.
"Wir wollen, dass er jedes Mal wirft, wenn er den Ball bekommt. Wenn er auch nur einen Zentimeter Platz hat, soll er werfen. Die Fähigkeiten dazu hat er." Mit dieser Aussage, getroffen von LeBron James nach einem wilden Overtime-Sieg gegen die New Orleans Pelicans Anfang November, bezog sich der King nicht etwa auf einen hochbezahlten Co-Star, sondern einen den meisten unbekannten Spieler namens Matt Ryan.
Dieser hatte zuvor einen großen Anteil daran, dass die Lakers beim 120:117 den erst zweiten Saisonsieg im siebten Anlauf einfahren konnten. Nur noch 1,3 Sekunden waren auf der Uhr, als L.A. mit drei Punkten Rückstand einwarf, um die Verlängerung zu erzwingen. Austin Reaves fand Ryan auf der gegenüberliegenden Seite in der Ecke, im Rückwärtsfallen und gut verteidigt versenkte dieser den Dreier und schickte das Spiel in die Extrazeit. Dort setzten sich die Lakers durch.
Während Ryan im Nachgang vom "definitiv wichtigsten Wurf meines Lebens" sprach, freuten sich seine Kollegen für den 25-Jährigen, für den es erst die sechste Partie in der besten Basketballliga der Welt war. James zufolge habe "Sniper" Ryan trotz einiger Fehlwürfe zuvor (3/9 3FG) "nie den Fokus verloren" und immer an sich geglaubt, Russell Westbrook sagte: "Ich bin sehr, sehr glücklich für ihn. Es ist ein großartiger Moment zu sehen, wie sich seine Mühen ausgezahlt haben, wenn man seine Geschichte ein wenig kennt."
Diese Geschichte ist in der Tat alles andere als gewöhnlich und hat ihn im Gegensatz zu vielen seiner Mit- und Gegenspieler nicht auf direktem Wege in die NBA geführt. Stattdessen setzte sich schon im Frühjahr 2021, als die Coronapandemie auch den Basketball lahmlegte, für Ryan fort, was bereits zuvor kein gerader Pfad zum großen Ziel war.
Nach seiner Highschool-Zeit in New Rochelle/New York hatte ihn sein Weg ins College nach Notre Dame, Vanderbilt und Chattanooga verschlagen. Dass drei Colleges in seiner Vita stehen, hängt auch damit zusammen, dass er nirgendwo zu den ganz großen Stars zählte. In Notre Dame erhielt er in seiner Sophomore-Saison nur spärlich Spielzeit. In Vanderbilt musste er nach seinem Wechsel aufgrund der Transferregularien eine Saison aussetzen, spielte dann an der Seite vom jetzigen Celtic Aaron Nesmith und zog nach der Entlassung von Head Coach Bryce Drew weiter nach Chattanooga. "Ich wollte irgendwo hingehen, wo ich es den Leuten richtig zeigen kann", berichtete er im Rahmen eines Features für The Athletic.
Matt Ryan: Mit acht Schichten Kleidung auf den Friedhof
Tatsächlich schaffte er es dort, seine Produktion deutlich zu steigern. 88 Dreier versenkte er in nur 33 Partien, verdoppelte seinen Scoring-Average und spielte sich zumindest auf die hinteren Bereiche der Scoutinglisten. Klar war dennoch, dass er keine Chance haben wird, 2020 gedraftet zu werden. Frühzeitig spielte er mit dem Gedanken, in Übersee oder in der G-League Spielpraxis zu sammeln, ehe die Pandemie ein Engagement im Ausland erschwerte und die G-League lediglich eine verkürzte Saison auf dem ESPN-Komplex in Florida spielte. "Keine Chance", dass er hierzu eine Einleitung erhielt, stellte Ryan selbstreflektiert fest.
Stattdessen musste sich Ryan andere Möglichkeiten suchen, einerseits an seiner weiter anvisierten Basketballkarriere zu arbeiten und andererseits Geld zu verdienen, um über die Runden zu kommen. Zuweilen hatte er mehrere Jobs gleichzeitig, fuhr unter anderem für DoorDash und UberEats aus und betreute Grassroots-Basketballteams. Am meisten geprägt hat ihn allerdings seine Arbeit auf dem St. Joseph's-Friehdhof in Yonkers, der im Besitz seines Vaters ist.
Als Landschaftspfleger war er dort für unterschiedlichste Tätigkeiten zuständig. In der Nachweihnachtszeit entfernte er Kränze von den Gräbern, er mähte den Rasen, sammelte Blätter, säte Gräser oder wechselte die Erde. Seine Größe von gut zwei Metern machte sich sein Chef Frank Dietrich zunutze, um Äste an Stellen zu entsorgen, an die nur Ryan kam. Kurz nach 6 musste er das Haus verlassen, um pünktlich seinen Job antreten zu können, oft bei Minusgraden. "Ich hatte teilweise acht Schichten an Kleidern an", blickte er zurück und zeigte sich dankbar, dass er so flexibel arbeiten konnte, dass er immer wieder Basketballchancen wahrnehmen konnte.
Nach der Arbeit ging es stets für vier Stunden ins Gym, um an seinem Spiel sowie den körperlichen Grundlagen zu arbeiten. "Es war hart, ich kann das nicht genug betonen. Es war hart, ins Gym zu gehen, ohne zu wissen, wann ich wieder spielen kann." Insbesondere aufgrund seiner Wurfqualitäten habe er aber immer an seine Chance geglaubt.
Und diese Chance sollte kommen: Kurz vor dem Start der Summer League 2021 trudelte eine Einladung der Cleveland Cavaliers ein, in begrenzter Spielzeit legte er 11,3 Punkte auf und traf knapp die Hälfte seiner Dreier. Bei den Nuggets bestritt er das Training Camp, wurde aber noch vor Saisonbeginn entlassen. Er spielte in der Folge für die Grand Rapids Gold in der G-League und bestritt Qualifikationsspiele für das US-Team zur WM 2023. Der dortige Kader hat zwar in keinster Weise was mit dem zu tun, der letztlich bei der Endrunde an den Start gehen wird, stellte allerdings eine weitere Möglichkeit für Ryan da, sich zu beweisen.
US-Team, Celtics, Lakers: Ryans Weg in die NBA
Ende Februar 2022 klopften die Boston Celtics an, nachdem Ryan mit dem US-Team vor ein paar hundert Zuschauern gerade erst Mexiko geschlagen hatte. Statt nach Grand Rapids zum nächsten G-League-Spiel ging es nach Massachusetts. Nachdem er mit Celtics-Präsident Brad Stevens telefoniert hatte, habe er "geweint. Meine Familie hat geweint und als Coach Boylen (Jim Boylen betreute das US-Team; Anm. d. Red.) kam und sah, dass ich weinte, musste er auch weinen.
In Boston, wo er er später einen Two-Way-Contract erhalten sollte, verdiente er sich aufgrund seiner Arbeitseinstellung und seines Selbstvertrauens schnell den Respekt der Mitspieler, er jubelte Jayson Tatum, Jaylen Brown und Co. lautstark von der Bank aus zu. Beim ambitionierten Team reichte es dennoch nur für vier Berufungen in den Kader und einen Einsatz über 5:15 Minuten (3 Punkte, 1/5 3FG). Er habe "keine Zweifel", dass er einen Beitrag in der NBA leisten kann, sagte er im Sommer, als er im Vorbereitungskader der Kelten stand, sich dann aber über das Training Camp und die Preseason einen Platz im Aufgebot der Lakers erkämpfte.
Im ersten Saisonspiel beim Champion in San Francisco durfte er direkt 18 Minuten an der Seite von James und Anthony Davis mitwirken, auch in den folgenden Wochen erhielt er immer wieder Spielzeit, vorläufig gekrönt vom Buzzerbeater gegen die Pelicans. Ob es auf Dauer reichen wird, sich einen Platz in der NBA und dem kriselnden Starensemble aus L.A. zu erarbeiten, ist offen. Er spielt auf einem nicht garantierten Vertrag und kann bis Mitte Januar entlassen werden. Dass er das Vertrauen von Head Coach Darvin Ham hat, demonstrierte dieser jedoch, indem er in der Crunchtime einen Spielzug für ihn aufzeichnete.
"Ich wollte einfach, dass wir Matt in die Lage versetzen können, noch einen Wurf loszuwerden. Und habe gehofft, dass er reingeht", sagte Ham über seinen Scharfschützen, der sich trotz ungünstiger Position sicher war, dass der Ball im Netz landet, sobald er seine Füße richtig positioniert hatte. "Ich bin sehr dankbar. " Und nach dem "größten Wurf" seines Lebens hoffe er nun, dass das noch lange nicht das Ende ist.
Matt Ryan: Seine Statistiken für die Lakers
Saison | Spiele | Punkte | Dreierquote | Rebounds | MIN/GM |
22/23 | 8 | 5,5 | 41,4 Prozent | 1,5 | 14,3 |