NFL

Derrick Coleman: Fast perfekt

Von Sven Kittelmann
Derrick Coleman (r.) ist der erste gehörlose Offensivspieler der NHL
© getty

Das Lernen des Playbooks, Videodstudien der Gegner: um es in der NFL zu etwas zu bringen, muss man hart arbeiten. Derrick Coleman von den Seattle Seahawks ist als Gehörloser noch mehr gefordert als andere - und hat sich bereits ein Stück weit etabliert.

Cookie-Einstellungen

Es gibt einen Grund, warum sich NFL-Headcoaches beim Ansagen der Spielzüge ihre laminierten Spielpläne vor den Mund halten: Lippenleser könnten an der Seitenlinie des Gegners stehen. Bei den Gegnern der Seattle Seahawks dürfte diese Vorsichtsmaßnahme noch mehr angebracht sein, steht dort mit Derrick Coleman doch ein Running Back auf dem Feld, der des Lippenlesens mächtig ist - allerdings nicht freiwillig. Coleman ist gehörlos.

Coleman, der zwar hauptsächlich als Fullback eingesetzt wird, aber auch so manches Mal als Tailback, also "echter" Running Back Aufstellung nimmt, ist der erste gehörlose Offensivspieler der Liga. Bonnie Sloane, der 1973 für die St. Louis Cardinals spielte, war Defensive Lineman, ebenso wie Kenny Walker von den Broncos (1991/92). Coleman nimmt ohne Hörgeräte nur schemenhaft Geräusche wahr. Mit ihnen kann er die Worte hören, muss aber zur Unterstützung meist die Lippen des Gegenübers lesen.

Mit den Hörgeräten gibt es auf dem Feld ein Problem: "Sie sind wie Mikrophone, sie nehmen alles auf", so Coleman, der sich im College bei den UCLA Bruins erst an die Lautstärke der großen Football-Stadien gewöhnen musste, gegenüber "NBC".

Seit Dezember 2012, nachdem er im Frühjahr ungedraftet von den Minnesota Vikings geholt worden, dort aber noch vor der regulären Saison entlassen worden war, ist er bei den Seahawks unter Vertrag und musste seine Mitspieler dabei zunächst an seine Gehörlosigkeit gewöhnen. Heute wissen vor allem die Quarterbacks - im Huddle steht Coleman dicht neben ihnen - sich immer mit dem Gesicht zu ihm hinzustellen, damit er die Spielzugansage mitbekommt. Und wenn nicht? "Wenn ich es nicht verstehe, dann sage ich schon Bescheid", so Coleman gegenüber dem "Bellingham Herald".

Geht nicht, gibt es für Coleman nicht. Ohnehin gäbe es für ihn nur ein Motto, wie er beim Auftritt in einer Gehörlosenschule den Kindern mit auf den Weg gab: "Wenn jemand sagt, dass ich etwas nicht kann, dann sage ich nur: Schau, wie ich das mache!"

"Lesen" wie ein Quarterback

Sein selbstbewusstes Auftreten hat Coleman von seinen Eltern gelernt. Die brachten ihm schnell bei, die Gehörlosigkeit nicht als Entschuldigung zu benutzen. Und so lernte er für seinen Sport Kniffe und Tricks, um seine vermeintliche Schwäche zu kompensieren. Da er den Snap Count des Quarterbacks nicht hört, kann er tatsächlich erst reagieren, wenn der Ball in Bewegung ist. Das dies funktioniert, beweist seine persönliche Statistik: Gerade einmal einen False Start kreideten ihm die Referees in dieser Saison an.

Kritisch wird es bisweilen, wenn der Quarterback ein Audible, das den Spielzug an der Line of Scrimmage ändert, ausruft. Denn dann steht Coleman im Normalfall dahinter. Dann muss er, genau wie der QB vor ihm, statt der Lippen die Situation und die gegnerische Defensive "lesen", um etwaige Fehler zu minimieren.

Coleman lässt eigene Gehörlosigkeit vergessen

Die Gehörlosigkeit fordert von Coleman natürlich Anpassungen. Er verbringt viel Zeit damit, sich Spielzüge, den Snap Count und die eigenen sowie die Aufgaben der anderen Offensiv-Spieler einzuprägen. Und: Er muss immer dafür sorgen, dass seine Hörgeräte im Spiel funktionieren - mit der Überprüfung der Batterien und einem zweiten Skullcap, das er sich über die Ohren zieht.

"Ich vergesse ganz oft, dass er gehörlos ist", so Seattles Running Back Coach Sherman Smith in der "Seattle Times". "Ich mache eigentlich nichts anders. Manchmal spreche ich etwas lauter in den Meetings, wenn ich hinter ihm sitze."

In dieselbe Kerbe hatte Jahre zuvor bereits Bruins-Coach Rick Neuheisel geschlagen, als er gegenüber "ESPN" erklärte, niemand bemerke mehr, dass Coleman nicht hören könne. Neuheisel berichtete auch von einem Vorteil: "Er kann sagen, was man selbst in 35 Yards Entfernung an der Seitenlinie gesagt hat."

Dies wäre natürlich ein großer Vorteil, hätten nicht ausgerechnet die Spieler der Gehörlosen Universität Gallaudet Bisons im 19. Jahrundert das Huddle eingeführt, um zu verhindern, dass die Gegner ihre Handsignale sehen können. Das Abdecken der Lippen durch die Coaches bremst einen möglichen Vorteil des Lippenlesers ebenso aus.

Harter Arbeiter und fleißiger Student des Spiels

Einen echten Vorteil kann sich Coleman allerdings in fremden Stadien verschaffen. "Als Freshman (erstes Jahr im College, Anm. d. Red) habe ich die Hörgeräte in Oregon einfach ausgestellt", erklärte Coleman "ESPN". "Der einzige Nachteil war, dass ich die Pfiffe der Referees nicht gehört habe. Aber vielleicht macht einen das sogar stärker, wenn man einfach immer weitermacht."

Stärker - da sind sich ehemalige und derzeitige Coaches und Mitspieler einig - macht ihn eben seine Arbeitseinstellung und der Willen, sein Handicap nicht zum Problem werden zu lassen. "Ich kann mich nicht oft genug wiederholen, was für ein harter Arbeiter er ist", sagt etwa Vikings-Running Backs Coach James Saxon gegenüber "NBC". "Er macht niemals denselben Fehler zweimal. Und wenn er doch mal einen Fehler macht, fragt er sofort, wie er ihn abstellen kann."

Dies kommt indes nicht allzu häufig vor: Nur einmal in vier Jahren UCLA, so Bruins-Quarterback Kevin Prince, habe Coleman einen Fehler gemacht und sei in die falsche Richtung gelaufen. "Ansonsten war er perfekt", zitierte "ESPN" Prince. "Einfach unglaublich."

Das Glück des Tüchtigen

Dass sich die harte Arbeit für Coleman auszahlt hat, beweisen die College-Statistiken mit 1780 Yards und elf Touchdowns in seiner Zeit bei den Bruins und in der NFL, der Platz im 53-Mann-Roster, 56 Receiving Yard bei sieben von sieben Gelegenheiten und die Einsätze als feste Größe der Special Teams.

Seinen vorläufigen Höhepunkt als Profi hat er jedoch eher dem Zufall zu verdanken: Beim 37:7 gegen die New Orleans Saints stand er nach einem Pass von Russell Wilson auf Tight End Kellen Davis goldrichtig. Der Ball wurde nämlich nicht von Davis gefangen, sondern prallte von dessen Gesichtsgitter ab. Coleman fing den Pass geistesgegenwärtig ab und sprang die restlichen anderthalb Yards in die Endzone.

Ob Davis mit zwei Bewachern im Gegensatz zum besser postierten Coleman überhaupt den Touchdown gemacht hätte, ist fraglich - und so wurden die Seahawks wie auch ihr gehörloser Running Back mit dem Glück des Tüchtigen belohnt.

Die NFL im Überblick

Artikel und Videos zum Thema