NFL

Allen Widrigkeiten zum Trotz

Von Henning Schulz
Trotz allen Problemen ist die Stimmung bei den Miami Dolphins bestens
© getty

In einer Saison, in der eigentlich alles gegen sie lief, haben die Miami Dolphins zwei Spieltage vor Ende der regulären Saison immer noch gute Chancen, die Playoffs zu erreichen. Und das trotz Rassismus-Skandal und Verletzten-Misere.

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Um die Achterbahnfahrt der Dolphins-Saison passend zu beschreiben, muss man sich nur das Spiel am vergangenen Sonntag gegen die New England Patriots zu Gemüte führen. Die favorisierten Gäste hatten bereits mit 10:0 und wenige Minuten vor Schluss mit 20:17 geführt, bevor die Dolphins in einem Herzschlagfinale dank eines Goal Line Stands doch noch mit 24:20 triumphierten.

Mit einer Bilanz von 8-6 liegen sie nun nur aufgrund des verlorenen direkten Vergleiches hinter den Baltimore Ravens, die mit der gleichen Bilanz derzeit den letzten Wild-Card-Platz in der AFC innehaben. Das letzte Kapitel ist zwar noch nicht geschrieben - aber ein Happy End ist möglich.

Und darauf hatte vor wenigen Wochen noch niemand zu hoffen gewagt.

Rassismus-Skandal sorgt für negative Schlagzeilen

Der Tiefpunkt war in Week 10 erreicht. Erschüttert vom Rassismus-Skandal um Guard Richie Incognito und Tackle Jonathan Martin hatten die Dolphins eine peinliche 19:22-Niederlage gegen die bis dahin sieglosen Tampa Bay Buccaneers kassiert. Nach einem 3-0-Saisonstart lautete die Bilanz in Miami auf einmal nur noch 4-5, Besserung war nicht in Sicht. Zu stark waren die Auflösungserscheinungen im Team von Head Coach Joe Philbin.

Zur Erinnerung: Martin hatte Anfang November überstürzt das Team verlassen. Danach kam heraus: Er war von Guard Incognito rassistisch beleidigt und bedroht worden. Der Beschuldigte tat das als gutgemeinte Hilfe für den jungen Kollegen im harten NFL-Geschäft ab, aber beide hatten ihr letztes Spiel in dieser Saison absolviert.

Nachdem Martin über seinen Anwalt Telefonmitschnitte an Offizielle der Miami Dolphins übergeben hatte, wurde Incognito prompt suspendiert, während Martin erklärte, er werde nicht mehr für das Team spielen. Der Skandal erregte wochenlang die Öffentlichkeit: Es ging um Bullying, Rassismus, das Wort "N*gger", die Macho-Kultur in den Umkleidekabinen und eventuelle Versäumnisse der Trainer. Die übrigen 51 Spieler im Roster wurden intern befragt und mussten sich öffentlich erklären - ein Medien-Tornado zog über Miami hinweg.

Ausfälle müssen kompensiert werden

Nach der Niederlage gegen die Bucs schien das junge Miami-Team schwer erschüttert und meilenweit entfernt von einem Playoff-Platz. "Wir müssen alles intern untersuchen", kündigte Besitzer Stephen Ross damals Konsequenzen an, Philbins Job schien alles andere als sicher.

Was viele im Trubel übersahen: Durch die Ausfälle von Incognito und Martin verlor die ohnehin schon löchrige Offensive Line der Dolphins zwei Stützpfeiler. Resultat: QB Ryan Tannehill führt die Statistik mit 51 Sacks komfortabel an.

Zumal die Dolphins zusätzlich einige Rückschläge durch verletzte Spieler zu verkraften hatten. Bereits in der ersten Spielwoche hatte sich Starting Tight End Dustin Keller mit einem gerissenen Kreuzband für den Rest der Saison verabschiedet, später folgte Wide Receiver Brandon Gibson ebenfalls mit einer Knieverletzung.

"Irgendjemand muss es schaffen. Warum nicht wir?"

Allen widrigen Umständen zum Trotz: Das Team blieb positiv: "Dies ist ein guter Test", hatte Dolphins-Quarterback Ryan Tannehill bereits nach der Bucs-Pleite gesagt. "Ich sage nicht, dass es leicht wird. Ich sage nicht, dass es Spaß machen wird. Aber ich habe den Glauben an uns nicht verloren."

"Es muss noch jede Menge Football gespielt werden. November und Dezember werden entscheiden, wer weiterkommt", wusste auch Headcoach Joe Philbin. "Wir müssen aus unseren Fehlern lernen und uns besser vorbereiten und besser spielen."

Aus Durchhalteparolen wurde ein eiserner Wille: Der Niederlage in Tampa Bay ließen die Fins einen Sieg über die San Diego Chargers folgen, mit dem das Team zeigte, dass die Saison vielleicht doch noch nicht ganz verloren war. "Wir kämpfen uns da durch", bemerkte Offensive Tackle Tyson Clabo nach dem Erfolg über die Chargers. "Irgendjemand muss den letzten Wild-Card-Platz ja bekommen. Warum nicht wir?"

Stärker durch Widrigkeiten

Eine Woche später gab es zwar eine Last-Minute-Pleite gegen die Carolina Panthers, aber auch von der ließen sich die Dolphins nicht beirren und gewannen die folgenden drei Spiele: Mit 23:3 wurde zunächst der heimstarke Divisionsrivale New York Jets auseinandergenommen, bevor eine Woche später ein überzeugender 34:28-Sieg im Schnee bei den Pittsburgh Steelers folgte.

Der vorläufige Höhepunkt war aber der 24:20-Erfolg über die New England Patriots in der vergangenen Spielwoche, der erste Sieg nach zuvor sieben Niederlagen in Serie gegen die Pats. "Wir sind enorm gewachsen. Jeder von uns ist stärker geworden durch die Widrigkeiten, denen wir abseits des Feldes und auf dem Feld gegenüber standen", befand Tannehill.

Leistungssprung von Tannehill

Der Erfolg der Miami Dolphins diese Saison hat viele Namen, aber ganz oben auf der Liste stehen Tannehill und Philbin, beide in ihrem zweiten Jahr bei den Dolphins. Philbin schaffte es, sein Team wieder auf Football zu fokussieren, während der Rest des Landes noch über die Rassismus-Affäre diskutierte.

Tannehill steht inmitten einer steilen Entwicklung. Der 25-Jährige hat die Anzahl seiner geworfenen Touchdowns im Vergleich zur Vorsaison jetzt bereits beinahe verdoppelt (23 zu 12) und wird auch seine Total Yards deutlich verbessern (bisher 3627, 2012 waren es 3294).

Eine große Hilfe für den 25-Jährigen ist dabei sein Offensive Coordinator Mike Sherman, der ihn bereits am College bei Texas A&M gecoacht hatte. Und da er bis einschließlich 2010 am College noch hauptsächlich als Receiver eingesetzt worden war, befindet er sich derzeit in einer ganz anderen Lernphase als viele seiner jungen Quarterback-Kollegen, die sich hauptsächlich nur an die NFL gewöhnen müssen - während Tannehill immer noch viel zu lernen hat.

Zuletzt präsentierte der Signal Caller in starker Form: In den letzten fünf Partien konnte er sein Passer Rating jeweils steigern, zudem sammelte er fleißig Rushing Yards (135, fast zehn pro Versuch): "Ich entwickle mich immer noch weiter. Ich glaube, dass ich noch lange nicht am Ende bin." Es klingt fast wie eine Drohung.

Zweite Reihe springt in die Bresche

Auch die Spieler aus der zweiten Reihe, die für die verletzten Starter in die Bresche gesprungen sind, haben großen Anteil daran, dass die die Saison der Dolphins immer noch in den Playoffs enden kann. Hier sind vor allem Tight End Charles Clay, der bereits 684 Yards und 6 Touchdowns verbuchen konnte, sowie Wide Receiver Rishard Matthews (26 Catches in den letzten sechs Spielen) zu nennen.

Oder etwa Safety Michael Thomas, der erst wenige Tage vor dem Spiel gegen die Patriots aus der Training Squad der San Francisco 49ers verpflichtet worden war und bei seinem NFL-Debüt zwei Sekunden vor Spielende die entscheidende Interception gegen Tom Brady fing. "Ich wusste nicht einmal seinen Vornamen", lautete Defensive Tackle Jared Odricks schlichter Kommentar zum perfekten Einstand seines Teamkollegen.

Der Leistungssprung Tannehills ist auch auf die stark verbesserte Offensive Line zurückzuführen. GM Jeff Ireland tradete für Bryant McKinnie von den Ravens, zudem holte man Rookie Center Sam Brenner mehr oder weniger von der Straße. Philbin verpasste seiner wild durcheinandergewürfelten Line einen neuen Anstrich - und siehe da: Es läuft wieder. Auch in Sachen Rushing geht es aufwärts (fast 400 Yards in den letzten drei Partien).

Fehlende Erfahrung ist ein Problem

Perfekt läuft es natürlich trotzdem noch lange nicht. Die Affäre um Incognito und Martin schwelt weiter im Hintergrund, ersterer ist definitiv bis Saisonende suspendiert, obwohl ihn viele Teamkollegen öffentlich verteidigt hatten. Was genau passiert ist, ist weiter unklar, die Untersuchungen dauern an.

Tannehill ist immer noch zu oft auf der Flucht vor wütenden Linemen, die Defense eher Durchschnitt. Zudem ist das Team immer noch sehr unerfahren: Zu viele Partien gingen in den Schlussminuten noch verloren, so auch die Niederlage in Week 5 gegen die Baltimore Ravens, als deren Kicker Justin Tucker mit einem Field Goal 1:42 Minuten vor dem Ende den 26:23-Sieg perfekt machte.

"Wir waren nur ein paar Spielzüge vom Sieg entfernt", so Tannehill nach der bisher letzten Dolphins-Niederlage gegen Carolina. "Wir müssen einfach in der Lage sein, diese Spielzüge zu machen. Wenn unsere Defense so gut spielt wie heute, müssen wir einfach mehr Punkte erzielen."

Mit zwei Siegen in die Playoffs

Gesagt, getan: Der Niederlage gegen Carolina folgte die Siegesserie. Und jetzt sind die Playoffs plötzlich in Reichweite: Die Ravens sind noch vorn, aber dank der Niederlage der Bengals am Sonntag gegen die Steelers hat man es in der eigenen Hand.

Zwei Siege und die Dolphins sind durch - bei Partien gegen die Buffalo Bills (5-9) und die New York Jets (6-8) besteht eine sehr gute Chance auf die erste Postseason seit 2008. Mit einer Bilanz von 10-6 würde man auf jeden Fall vor entweder vor den Bengals (9-5) oder den Ravens landen, denn die spielen in Week 17 noch einmal gegeneinander.

Hätte man nur zwei der vier knappen Saisonpleiten nicht kassiert, so würden die Miami Dolphins jetzt mit den New England Patriots sogar um den Sieg der AFC East streiten. Klingt das vermessen? Wie auch immer: Sollten Tannehill und Co. nach einer solchen Saison tatsächlich noch die Playoffs erreichen, ist dem Team einiges zuzutrauen.

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