NFL

Ein Künstler, Bolo Tie & der Anti-Romo

Von Sven Kittelmann
Philip Rivers trifft mit den Chargers am Wochenende auf die Denver Broncos
© getty

Seit dem die Steelers 2005 den Fluch brachen und als erster Sixth Seed in der NFL den Super Bowl gewannen, werden die Underdogs nur noch selten unterschätzt. Wenn die San Diego Chargers am Sonntag zum Divisional Game der NFL zu den Denver Broncos (So., 22.40 Uhr im LIVE-TICKER) reisen, sind die Rollen auf dem Papier zwar klar verteilt: Denver geht als Nummer eins der AFC in das Heimspiel, die Chargers qualifizierten sich als Letzter kurz vor Toresschluss für die Playoffs. Aber: Es gibt gute Gründe für San Diego, hoch erhobenen Hauptes in die Rocky Mountains zu fahren.

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1. Der Chargers-Sieg in der regulären Saison

Nach drei Spielminuten in Week 15 waren die Playoff-Chancen der Chargers klinisch tot - weitere 57 Minuten später hatten die Wiederbelebungsversuche des Teams jedoch gefruchtet: Mit einem 27:20 hatte San Diego den Broncos die einzige Heimniederlage der Saison beigebracht und damit die eigenen Chancen auf die Playoffs aufrechterhalten.

Dabei hatten die Chargers nur jenes uralte Rezept aufgewärmt, das die Coaches der Peyton-Manning-Gegner von jeher gerne benutzen: Haltet ihn vom Ball fern. In nackten Zahlen ausgedrückt überließen sie Manning nur 22 Minuten lang den Ball, hielten die Broncos damit weit unter deren Punkteschnitt und zermürbten unter besonderer Mithilfe von Running Back Ryan Mathews, der alleine 29 Mal den Ball bekam, die gegnerische Defense.

Ein weiterer Pluspunkt, der zum größeren Ballbesitz führte, war die Effektivität beim Third Down. Sechs von zwölf Versuche waren erfolgreich, Rivers selbst führte die NFL in dieser Saison mit einer Quote von 49 Prozent an. Zweiter in dieser Kategorie ist Peyton Manning - eindeutiges Zeichen dafür, dass die Chargers ihr altes Anti-Manning-Rezept wieder aufwärmen sollten.

Doch Obacht: "Das war eines dieser Spiele, in dem wir nicht unser Bestes gegeben haben", so Broncos-Linebacker Wesley Woodyard in der "Denver Post". "Das wird einmal passieren. Aber kein zweites Mal."

2. San-Diego-Coach Mike McCoy

Dass ein Aufeinandertreffen mit einem alten Coach nicht unbedingt positiv sein muss, weiß man nicht erst seit der Super-Bowl-Niederlage der Oakland Raiders im Januar 2003 gegen die Tampa Bay Buccaneers, als Ex-Coach Jon Gruden seinen Nachfolger Bill Callahan auscoachte. Und so droht den Broncos durch Ex-Offensive-Coordinator Mike McCoy Ungemach.

Der jetzige Head Coach der Chargers hatte von 2009 bis Anfang letzten Jahres die Geschicke der Denver-Offensive geleitet und laut Broncos-Coach John Fox einen "verdammt guten" Job gemacht. Sein Playbook musste McCoy in vier Jahren immer wieder ändern, hatte er schließlich mit Kyle Orton, Tim Tebow und Manning drei unterschiedliche Quarterbacks unter seiner Aufsicht.

Anpassungskünstler McCoy

Am bemerkenswertesten dürfte dabei die Anpassung an Tebow gewesen sein, der mit seinen wundersamen Comebacks zwar immer wieder für Schlagzeilen sorgte, aber aufgrund seiner limitierten Quarterback-Techniken per Playbook im Zaum gehalten werden musste.

McCoy löste diese Aufgabe perfekt und verhalf Denver nicht nur zum Playoff-Einzug, sondern auch zum Sieg in den Wildcard Playoffs gegen die Steelers. Für diese "Mühen" wurde McCoy mit Peyton Manning belohnt, für den er sein Playbook wieder öffnen durfte.

Die bei Tebow gezeigte Anpassungsfähigkeit an die Situation zeigte McCoy auch in diesem Jahr - sei es im zweiten Spiel der regulären Saison gegen die Broncos oder am letzten Wochenende gegen die Cincinnati Bengals. So ließen die Chargers Rivers nur 16 Mal werfen und zerlegten die Bengals-Defensive mit deren gefürchtetem Pass-Rush sozusagen im Vorbeilaufen: 40 Mal liefen die Chargers und machten dabei 4,9 Yards im Schnitt gut.

3. Philip Rivers Erfolgsbilanz

Tony Romo und Philip Rivers haben fast gleiche Karrierestatistiken aufzuweisen. Was die beiden Quarterbacks jedoch unterscheidet, ist der Erfolg in den beiden letzten NFL-Monaten Dezember und Januar. Während Romo dort bisweilen schon im Winterschlaf scheint, dreht Rivers dann erst so richtig auf. Wie in dieser Saison, in der er es inklusive dem Bengals-Spiel auf eine Bilanz von 6-1, elf Touchdowns und drei Interceptions bringt.

Rivers Erfolg in diesem Winter trägt zudem stark die Handschrift McCoys, der seinem Quarterback eines eingeimpft hat: Ruhe bewahren! Die Defensive lesen! Dann die Offensive Line daraufhin schulen. "Sie haben Rivers die Möglichkeit gegeben, Erfolg zu haben", lobte Cincinnatis Michael Johnson.

Auch Chargers-Tight-End Antonio Gates bestätigte die bedachtere Herangehensweise seines Quarterbacks: "Es geht ihm nicht immer nur darum, zu werfen. Er wusste das ganze Spiel über, welcher Spielzug uns Erfolg bringen könnte."

4. Peyton Mannings Kaltwetter- und Playoff-Bilanz

Peyton Manning hat die beste reguläre Saison eines NFL-Quarterbacks mit 55 Touchdowns und knapp 5500 Yards hinter sich. Doch in den Playoffs reichte es für Manning oft nicht, wie nicht nur die 9-11-Bilanz und das schnelle Playoff-Aus im letzten Jahr gegen die Baltimore Ravens belegen. Da hilft es ihm kaum, dass er nach dem 51:28 gegen die Tennessee Titans seinen Kritikern via Radiosender "KOA" riet, sich ihre Aussagen über seine Spielschwächen bei kaltem Wetter "dorthin zu stecken, wo die Sonne nicht scheint".

Denn sein größtes Manko ist immer noch der einsame Super Bowl-Ring an seinem Finger: Sein ewiger Rivale Tom Brady hat drei, sein kleiner Bruder Eli zwei - genau wie Ben Roethlisberger. Was nützen Erfolge in der regulären Saison mit vier Touchdowns und 51 Punkten, wenn es in den entscheidenden Spielen immer hakt?

Statistisch gesehen fällt Mannings persönliche Playoff-Bilanz mit 32 Touchdowns bei 21 Interceptions sogar besser aus als die der meisten Quarterbacks. Doch nach den eigenen hohen Standards sind diese Zahlen eben nur Durchschnitt.

Eine weitere Bilanz spricht gegen Manning und für die Chargers und Rivers an diesem Sonntag: In zwei Playoff-Duellen mit Manning und den Colts gewann San Diego. "Hat Rivers Linebacker gespielt? War er in der Defensive?", verwies Ex-Coach Brian Billick beim "NFL Network" diese Rivers vs. Manning-Statistik allerdings ins Reich der unbrauchbaren Fakten.

5. Philadelphia-Streak und Bolo Tie

Die NFL wäre übrigens nicht die NFL wenn es nicht noch eine sehr obskure Statistik gäbe, die für einen Sieg der Chargers in Denver spricht: Die vier letzten Super Bowl-Sieger seit den Saints 2010 haben in ihrer Erfolgssaison das jeweils erste Heimspiel der Philadelphia Eagles für sich entschieden. So könnte das glückliche 33:30 in der zweiten Woche in Philadelphia für San Diego das beste aller Omen gewesen sein.

Und dann wäre da noch Rivers Siegesoutfit, das seit geraumer Zeit in den USA für Schlagzeilen sorgt. Der in Alabama geborene Quarterback tritt seit dem Sieg in Denver im Dezember gerne mit Cowboys-Stiefeln und einer Bolo Tie, auch Cowboy-Krawatte genannt, vor die Kameras. Mittlerweile bekommt Rivers, der dieses Outfit aufgrund von McCoys Lockerung des Dresscodes - T-Shirt und Jeans sind bei den Chargers zu offiziellen Auftritten nun ebenfalls erlaubt - wählte, sogar Bolo Ties von den Fans geschickt.

Nur eines ist klar: Auch nach einem Playoff-Sieg in Denver wird man zumindest Coach McCoy nicht im Erfolgsoutfit seines Quarterbacks sehen. "Jeder hat seinen eigenen Stil", antwortete McCoy ausweichend gegenüber "10news.com" auf die Frage, ob ihm die Bolo Tie gefalle.

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