In der Schweiz gibt es einen etwas bösen Ausdruck, der oft verwendet wird: Wenn jemand wie ein Küchli aufgeht, hat er in kurzer Zeit viel zugenommen, sein Bauch wächst quasi mit der Schnelligkeit eines Kuchens im Ofen. In den USA hat der Ausdruck "Going like Kuechly" eine gegenteilige Bedeutung. Nämlich pure Dominanz, totale Power, harter Einsatz und verdienter Erfolg.
Es ist wahrlich selten, dass in einem so offensiv-orientierten Spiel wie in der NFL ein Verteidiger nach einem wichtigen Sieg so deutlich im Vordergrund steht. Aber im NFC Wildcard Game seiner Panthers hatte Luke Kuechly mal eben auch beschlossen, Geschichte zu schreiben.
Lehrbuch-Match gegen die Cardinals
Mit nur 78 (!) zugelassenen Yards fertigte Kuechlys Defense die Arizona Cardinals gnadenlos ab. Dauerdruck, Härte und Einsatz über die volle Spielzeit brachten den 27:16-Sieg. Dazu lieferte Kuechly zehn Tackles, eine Interception und den wichtigen Tip-Pass, der letztlich zum entscheidenden Ballgewinn führte.
"Er war phänomenal heute. Vor allem seine zweite Hälfte sollte in jedes Lehrbuch aufgenommen werden", forderte etwa Panthers-Coach Ron Riviera nach dem Spiel. Dabei ist der 52-Jährige nicht gerade dafür bekannt, seine Spieler in höchsten Tönen zu loben.
Bei Kuechly ist das scheinbar anders. Seit 2012 spielt er in der Liga. Die Zahlen sind über alle Zweifel erhaben. Er ist der beste Tackler der abgelaufenen Saison (153), Defensive Player of the Year und wurde natürlich für den Pro Bowl Ende Januar nominiert. Trotzdem: Die Nummer 59 der Panthers hatte lange mit Zweifeln und Kritik zu kämpfen.
Inflation statt Monster-Zahlen?
Rückblick: Drei Jahre lang dominierte Kuechly am Boston College die Spiele quasi nach Belieben. Rekord um Rekord (z.B. 191 Sacks) purzelte, und der Defender durfte sich über den Dick Butkus Award und die Jack Lambert Trophy (jeweils bester College-Linebacker) freuen.
Trotzdem gab es Zweifel an seiner NFL-Tauglichkeit. Sogar von höchster Stelle. Es sei Vorsicht geboten, weil Kuechlys Zahlen von Inflation geprägt seien, steht noch heute im offiziellen Scouting Report auf der NFL-Homepage.
Gegen deutlich schwächere Lines als seine Draft-Konkurrenten hätte Kuechly schließlich brillieren müssen, meinten mehrere Scouts und warfen auch kritische Fragen bezüglich seiner Athletik und Pass-Defense auf.
How to spell it?
Bezeichnend dafür war auch, dass sich NFL-Reporter Gregg Rosenthal nach dem Draft, bei dem Kuechly als 9. Pick zu den Panthers ging, erst einmal damit beschäftigte, wie sein Name überhaupt ausgesprochen werden muss. Den hat er im Übrigen von seinen deutschen Vorfahren (vermutlich Küchel oder Küchl), die schon vor vielen Generationen umgesiedelt waren.
Natürlich ist die Kombination mit "uech" in einem Namen für Amerikaner etwas verwirrend, trotzdem gab es schon ganz andere Spielernamen in der Liga. Mittlerweile wird er als "Keekly" ausgesprochen.
Der Rookie schwieg damals übrigens zu all diesen negativen Stimmen und dem Namensirrsinn. Er hat seine ganz eigene Art, sich zu fokussieren und Kritik zu begegnen: dunkle Stimme, bedachte Äußerungen, keine Kampfansagen. Kuechly ist ein Ruhepol, der nur beim Football explodiert. Reporter suchen ihr Glück deshalb lieber bei anderen Lautsprechern.
"Hey Luke, hast du Geld?"
Vorgestellt als Defense-Machine und Dominator verzog Kuechly kürzlich im Klub-eigenen Video-Interview keine Miene. "Es ist einfach nur eine große Ehre. Als kleiner Junge habe ich die Spiele verfolgt, jetzt stehe ich selbst mittendrin", sagte er mit sehr ruhiger und eher langsamer Stimme. Keine Spur von Überheblichkeit und Angeberei.
Das bestätigt auch sein ehemaliger Zimmerkollege. Der in Deutschland geborene Kasim Edebali war zusammen mit Kuechly auf dem Boston College und ist seit dieser Saison bei den Saints unter Vertrag.
"Es ist einfach Wahnsinn. Luke bringt ein Tackle und das ganze Stadien brüllt seinen Namen. Es ist großartig zu sehen, wie stark er spielt. Er ist einfach ein toller Kerl und für mich ist er immer noch der Freund, an dessen Tür ich klopfe und frage: 'Hey Luke, hast du etwas Geld, ich will was zu essen holen.'"
Power und IQ
Dafür lässt Kuechly auf dem Platz seiner Energie freien Lauf. Seine perfekten körperlichen Voraussetzungen gepaart mit hohem Defense-IQ machen es der gegnerischen Offense unglaublich schwer. "Man kann Kuechly eigentlich nicht aus dem Weg gehen, er ist überall", analysiert etwa Robert Mays in seiner NFL-Kolumne.
Und das ohne Anlaufschwierigkeiten. Gerade gegen die an Athletik und Schnellkraft deutlich stärkeren NFL-Stars zahlen Rookies oftmals Lehrgeld. Nicht so Kuechly. Zuerst wurde er Rookie of the Year, dann wurde er als zweitjüngster Defensive Player of the Year ausgezeichnet. Ein weiterer Grund dafür ist seine schier perfekte Kombination.
Trotz seiner unglaublichen Kraft ist der Linebacker noch immer beweglich genug, Lücken schnell zu schließen und auszuhelfen. Beweis dafür: Nur Alec Ogletree von den Rams blockte in der Regular Season mehr Pässe als Kuechly.
Hobby-Angler statt Feierbiest
Ansonsten geht der Mann aus Ohio abseits des Feldes neben all den Lautsprechern und Skandalnudeln der Liga nämlich eher verloren. Über ihn gibt es keine großen Storys, er bemüht sich auch gar nicht darum, große Aufmerksamkeit zu generieren.
Via "Twitter" schreibt Kuechly ab und zu Glückwünsche an (ehemalige) Kollegen und postet als absolutes Highlight mal ein Bild von einem Angel-Ausflug. Bodenständigkeit pur trotz 12-Millionen-Dollar-Vertrag über 4 Jahre.
Apropos Geld: Natürlich wird Kuechly spätestens nach Ablauf seines Rookie-Contracts in ganz andere Sphären aufsteigen. Wirkliches Interesse daran hat er aber noch nicht gezeigt. "Ich schaue nur auf meine Leistung und das nächste Spiel wird sehr, sehr hart", wehrte er nach seiner Gala-Leistung gegen die Cardinals sofort ab.
Damit hat er wohl Recht. Immerhin kommen jetzt die Seahawks mit Marshawn Lynch. Genau den rühmte Kuechly kürzlich im "SB"-Interview als den Spieler, der am schwersten zu tackeln sei. Der Running Back wird von Beginn an fest in Kuechlys Visier sein.
Noch kein Contender
Unabhängig vom Ausgang bleibt eines festzuhalten: Die Panthers scheinen gut für die Zukunft aufgestellt zu sein. Im Saison-Endspurt starteten bis zu sieben Rookies und machten ihre Sache sehr ordentlich. Dazu läuft nach der Saison der Vertrag von Quarterback Cam Newton aus.
Sollte seine Verlängerung gelingen, könnten die Cardiac Cats 2015 den nächsten Schritt nach vorne angehen. Dazu müsste man sich aber in der Offense deutlich steigern. Der Hunger ist jedenfalls spürbar: Seit der Gründung im Jahr 1993 wartet man noch auf den großen Titel.
Das weiß auch Kuechly. Was ihm trotz aller Stats fehlt, ist nämlich Team-Erfolg. Natürlich sind die Panthers seit seinem NFL-Debüt nie ein Contender gewesen. Bis zum Wochenende hatte Kuechly aber nur ein Playoff-Spiel (10:23 gegen die 49ers) erlebt. Immerhin: Gegen die Cardinals gelang jetzt zumindest der erste Postseason-Erfolg.
Gewinner der Saison
Aber selbst wenn gegen den amtierenden Champion am Wochenende die Saison vorbei sein sollte, Kuechly zählt schon jetzt zu den großen Gewinnern. Ein bisschen Freizeit will er sich gönnen, danach wieder hart an seinem Game arbeiten.
Und natürlich zwischendurch zum Angeln gehen. "Es beruhigt mich. Und ob ihr es glaubt, oder nicht: Es hat viel mit Football gemeinsam. Entscheidungen, Schnelligkeit und etwas Glück hängen vom Erfolg ab", meint er mit Blick auf sein großes Hobby.
Lederhose und Trachtenhut
Und bei aller Kompromisslosigkeit auf dem Rasen kann das Tackle-Monster privat auch über sich lachen. In einem Werbespot gibt er den verbissenen Angler, bei einem Halloween-Besuch für Kinder tauchte er in Lederhose und mit bayerischem Trachtenhut auf. Ein Tribut an seine Vorfahren aus Deutschland.
Aufgewachsen als zweiter von drei Söhnen schützt der Athlet (1,93 Meter, 110 Kilo) sein Privatleben, wo es nur geht. Die eine wichtige Sache kann er sich aber doch nicht verkneifen. "Nach meinem großen Fang, einem 25-Pfund-Lachs, bin ich jetzt der bester Angler in der Familie", verriet er vor einiger Zeit in einem "IMG-Interview".
Das Komplett-Paket Kuechly passt einfach. Sein smartes Auftreten und die überragenden Defense-Fähigkeiten werden sich die Panthers nächstes Jahr einiges kosten lassen. Mit ihrem Angebot werden sie aber nicht alleine sein. Man kann es sich schon jetzt vorstellen: Der Stapel mit Vertragsangeboten wird aufgehen wie ein Kuchen.
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