Zehn Jahre hat es gedauert, doch nun stehen die New England Patriots wieder ganz oben. Ganz Boston feiert seine Helden: Quarterback-Legende Tom Brady, der es seinen Kritikern zeigt. Einen genialen Offensive Coordinator, der Seattles gefürchtete Defense überwindet. Und einen unwahrscheinlichen Helden in letzter Minute. Die Dämonen der Vergangenheit sind besiegt - und von "DeflateGate" spricht niemand mehr.
Er konnte nicht hinschauen.
Vier Touchdowns hatte Tom Brady aufgelegt, gegen diese knallharte Seahawks-Defense. MVP-würdig. Das Team im letzten Viertel mit einem präzisen Pass nach dem anderen trotz 14:24-Rückstand noch auf die Siegerstraße gebracht. Aber dann war er machtlos, saß auf der Bank, die Arme ohnmächtig in den Schoß gelegt, die Haare schweißnass.
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Als ein Pass von Russell Wilson seinem Receiver Jermaine Kearse irgendwie doch noch in die Arme fiel, war Seattle nur noch fünf Yards vom Sieg entfernt, wenig später nur noch einen einzigen. Brady ein Bild der Ohnmacht. Man habe sich bereits darauf vorbereitet, wieder aufs Feld zu gehen, um mit einem Field Goal die Verlängerung zu erzielen, verriet Sebastian Vollmer der "dpa".
Pure Freude
Doch dann folgte der verhängnisvolle Pass von Wilson, der in den Armen von Malcolm Butler landete - und niemand jubelte so schön wie Brady! Der Mann mit den drei Titeln, den MVP-Awards, den Rekorden, der Supermodel-Frau, er hüpfte auf und ab wie ein Schuljunge. "Ich habe gleich nach der Interception zu Tom hingeschaut", sagte Offensive Coordinator Josh McDaniels, "und ich werde seinen Gesichtsausdruck nie vergessen. Diese pure Freude zu sehen." Als sei es sein erste Championship gewesen.
Während sich die Seahawks nun die traumatisierenden "Was wäre, wenn"-Fragen stellen müssen ("Was haben sie sich nur dabei gedacht? Manchmal habe ich das Gefühl, dass diese Coaches so clever sind, dass sie sich selbst austricksen", feixte Brandon Browner), die den Pats aus den letzten zwei Super-Bowl-Pleiten noch so geläufig sind, darf der Champion aus Boston endlich wieder jubeln. Und sich bei den Helden des Abends bedanken.
Mit Montana gleichgezogen
Der unumstrittene Mann im Rampenlicht, natürlich: Thomas Edward Patrick Brady Junior. Mit dem vierten Titel schwingt er sich auf in die Riege von Terry Bradshaw und seinem Idol Joe Montana, den er früher selbst im Stadion angefeuert hatte. Er ist der Golden Boy, der sich doch ganz dem Sport verschrieben hat. Mit 37 ist er so fit wie nie, es bleibt wohl noch einige Zeit, um die verbliebenen Bestmarken zu knacken - seine eigenen und die der früheren Legenden.
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Auch er richtete seinen Blick an diesem Abend in die Vergangenheit: Einige Monate zuvor hatte man die Pats - und ihn - schon abgeschrieben, nach der deutlichen Niederlage gegen Kansas City. Zu alt, nicht mehr gut genug, mit Jimmy Garoppolo sitzt sein Nachfolger ja schon neben ihm auf der Bank. "Jedes Team geht seinen Weg", so Brady. "Viele hatten den Glauben an uns schon verloren. Aber wir haben zusammengehalten. Wir sind stark geblieben."
SPOX"In mir steckt noch jede Menge Football"
Jetzt ist der Titel da, der so ersehnte vierte Ring. Und mit ihm kommen die Lobeshymnen. "Bill (Belichick) und Tom sind die beste Coach-Quarterback-Kombination aller Zeiten", jubelte etwa Patriots-Besitzer Robert Kraft, der die beiden im Angesicht von "Deflate-Gate" eisern verteidigt hatte. Und Receiver Julian Edelman sagte einfach: "Tom is the best ever."
"The best ever?" Brady ist vielleicht der einzige, der sich um die ewige Diskussion, wer denn dieses Mäntelchen verdient, nicht einschaltet. Der Grund ist ganz einfach: Noch ist schließlich lange nicht Schluss. Bis 45 wolle er spielen, hatte er unlängst erklärt. Und so wurde auch die Frage nach seinem Vermächtnis im Angesicht des Triumphs beiseite gewischt: "In mir steckt noch jede Menge Football."
McDaniels knackt die Legion of Boom
Neben Brady war es vor allem der Mann, der ihn in Szene setzte. Kaum einer verdiente sich in diesen 60 Minuten derartige Lorbeeren wie McDaniels, der schlicht und ergreifend eine taktische Meisterleistung ablieferte. Wo die Broncos im vergangenen Jahr noch spektakulär daran gescheitert waren, einen effektiven Gameplan gegen Seattle zu entwickeln, hatte er das perfekte Rezept parat.
Kaum Laufspiel gegen die beinharte Front, dafür ein ums andere Mal der kurze Pass in den freien Raum der Zone Defense. Ein paar Yards, Tackle, aufstehen, noch ein paar Yards, zu Boden gehen, aufrappeln, und wieder ein paar Yards. Shane Vereen aus dem Backfield, Danny Amendola, Julian Edelman - McDaniels verschaffte ihnen die Lücken.
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"Wir wussten, dass die Running Backs gegen ihre Zone Defense eine Menge Bälle fangen würden", so der 38-Jährige. "Die Passfenster gegen diese Defense sind so schmal, man muss sie bewegen, in Coverage zwingen." Resultat: 159 Yards Raumgewinn after the catch. "Man muss sicherstellen, dass sie immer einen Gegenspieler jagen, und dann muss jemand in eben diesen freien Raum vor der Secondary laufen."
So neutralisierte man die gefürchtete Legion of Boom weitgehend, beraubte sie zu weiten Teilen ihrer Stärke. Und so zwang man sie ab und an doch in Manndeckung - ein gefundenes Fressen für Rob Gronkowski. "Wir waren sehr geduldig. Wir haben die wenigen sich uns bietenden Möglichkeiten für Gronk genutzt." Die nächste Stelle als Head Coach für McDaniels, sie dürfte nach dieser Partie nur noch Formsache sein.
Butler lässt Brady staunen
Der Moment des Abends gehörte einem Rookie. Einem Cornerback, der vor fünf Jahren bei "Popeye's" noch fritierte Hähnchenschenkel serviert hatte, der nicht gedraftet wurde. Und der sich dann, vor den Augen der gesamten Sportwelt, Ricardo Lockette den Schneid abkaufte und die Interception zum Sieg sicherstellte. Und in der Kabine dann von Bob Kraft um ein Erinnerungsfoto gebeten wurde.
Auch für Butler war der Abend eine Achterbahnfahrt. Der nominell dritte Corner war erst beim 32. Snap zum ersten Mal ins Spiel gekommen, und hatte kurz vor dem Ende den Catch von Kearse nicht verhindern können. "Neun von zehn Malen ist der Ball weg - und als ich hinschaue, fängt er ihn irgendwie. Das war einfach nur niederschmetternd."
Doch der 24-Jährige, der erst im Mai bei den Pats unterschrieben hatte, bleibt dran. Er hat seine Hausaufgaben gemacht, erkennt das geplante Pick Play der Seahawks - und weiß, dass er das Ziel ist. "Er wusste bestimmt, dass ich ein Rookie bin, und wer würde einen Rookie nicht testen wollen? Ich war bereit." Der Rest ist Geschichte. "Unglaublich", staunte Brady später, "ich konnte es nicht glauben."
Schluss mit Spygate, Schluss mit DeflateGate
Nicht nur in Glendale, Arizona, wurde am 1. Februar 2015 gefeiert, auch in Boston und im Umland regierte das Delirium. In einer Region, in der man zuletzt mit Titeln verwöhnt wurde - auch die Red Sox und Bruins ließen in den letzten Jahren mehrere Titelbanner aufsteigen - ist Football eben doch die Nummer eins. "Return to Glory" titelte der "Boston Globe", in Kürze wird man die Trophäe mit einer Parade und den berühmten "Duckboats" gebührend feiern.
Schließlich ist sie auch Wasser auf den Mühlen der Fans, die sich stets dem Vorwurf gegenübersahen, man könne mit sauberen Mitteln nicht triumphieren. "Seit Spygate nichts mehr gewonnen", war das geflügelte Wort - das ist nun vorbei.
Deflate-Gate? Das wird wohl nur eine Randnotiz bleiben. "Nun, wir haben [gegen die Colts] mit 45:7 gewonnen, und heute mit 28:24 - und niemand hat die Bälle angefasst", so der sichtlich zufriedene Kraft. Die Untersuchung der Liga läuft zwar weiter, wenn man jedoch die generelle Inkompetenz der NFL in Bezug auf interne Ermittlungen bedenkt - von den sich ständig widersprechenden neuesten Meldungen ganz zu schweigen -, dürfte diese still und leise im Sande der Offseason verlaufen. Handfeste Beweise wird es kaum geben, und an einem befleckten Champion niemand im Büro von Roger Goodell wirklich Interesse haben.
Ereignisreiche Offseason
Dennoch werden die nächsten Monate ganz und gar nicht langweilig. Wie bei jedem Titelträger werden die Coordinator und Coaches extrem begehrt sein, diese Lücken gilt es zu schließen. Zudem sind die Verträge einiger Leistungsträger ausgelaufen: Darrelle Revis, Safety Devin McCourty, Shane Vereen, Kicker Stephen Gostkowski müssen gehalten oder adäquat ersetzt werden, die Veteranen Vince Wilfork und Jerod Mayo sind zwar immer noch gut, aber gleichzeitig sehr teuer.
Was auch immer mit dem Team geschieht: Mit den Pats wird auch 2015 wieder zu rechnen sein - vor allem dank Brady. Das Team ist perfekt auf seine Stärken (schnelle Drops, präzise kurze Pässe mit viel Tempo) perfekt zugeschnitten, sodass die Negativerscheinungen seiner bald 38 Jahre minimiert sind. Trainer Belichick und das hervorragende Front Office erinnern an die San Antonio Spurs - und die spielen bekanntlich auch schon seit 15 Jahren um den Titel mit. Fortsetzung folgt.
Wobei jetzt natürlich erst einmal gefeiert wird. Um es mit den Worten von Brandon Browner zu sagen: "Wer heute Nacht schläft, bekommt eine Geldstrafe aufgebrummt."
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