Disclaimer: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 18. Mai 2015 auf SPOX. Unitas wäre am heutigen 7. Mai 85 Jahre alt geworden, dafür wurde der Artikel überarbeitet und wird zu Unitas' Ehrentag nochmal präsentiert.
Es war ein kalter, ungemütlicher Dezembertag in New York City. Ein eisiger Wind jaulte durch die Häuserschluchten der Stadt und der Boden im altehrwürdigen Yankees-Stadion war betonhart durch den Frost der vergangenen Tage. Sechs Fumbles und eine Interception im dort ausgetragenen Championship-Game waren auch Folge der widrigen Bedingungen.
Und dennoch hatte das Spiel nur wenige Stunden nach seinem Ende einen markanten Namen, der bis heute jedes Mal ehrfurchtsvoll genannt wird, wenn es um das Endspiel der 1958er Saison geht: "The greatest game ever played." Das großartigste Spiel aller Zeiten. Ein Name ist dabei genauso untrennbar mit dem Spiel verbunden, wie dessen Titel: Johnny Unitas.
Der Held und die einfache Erklärung
Da die New York Giants noch kein eigenes Stadion hatten, mussten sie und die Baltimore Colts auf das Yankees-Stadion ausweichen. Es war eine Zeit, als Football von den Menschen als College-Amateur-Sport erachtet wurde und der Profi-Football noch in den Kinderschuhen steckte. Baseball war die unangefochtene Nummer Eins. Doch das sollte sich ändern.
Zweieinhalb Minuten waren im kalten Yankees-Stadion noch zu spielen, die Giants führten mit 17:14. Der Ball lag an der Colts-14-Yard-Line. Immer wieder fand Unitas, der einen vier Kilo schweren Protektor trug, um drei gebrochene Rippen zu schützen, seine Receiver, versprühte absolute Zuversicht und führte sein Team in die Red Zone, wo das Field Goal die Verlängerung brachte.
Es war die erste Overtime in einem Championship-Game und für viele Zuschauer ein komplettes Novum, denn im College-Football gab es selbst in den Bowl-Games keine Overtime. Und Unitas war noch längst nicht fertig: Nachdem die Giants punten mussten, marschierten die Colts, angetrieben von ihrem Quarterback und Running Back Alan "The Iron Horse" Ameche, 80 Yards das Feld runter und gewannen das bislang dramatischste Titel-Endspiel.
Der Grundstein für America's Game war damit gelegt und der Held schnell gefunden. Unitas hatte sein Team als cooler Anführer scheinbar unbeeindruckt von Kulisse oder Spielsituation zum Sieg geführt und mit einem spektakulären langen Pass zu Hall-of-Fame-Receiver Raymond Berry beim entscheidenden Drive für die Szene des Spiels gesorgt. Unitas' simple Erklärung: "Nichts ist gefährlich, wenn du weißt, was du machst."
Johnny Unitas: harte Stadt, harte Kindheit
In gewisser Weise könnte man dieses Statement auf das ganze Leben des 1933 in die Arbeiterklasse Pittsburghs geborenen Unitas übertragen. Sein Vater Leon starb, als Johnny gerade fünf Jahre alt war und hinterließ seine Frau mit vier Kindern. Unitas' Mutter Helen, die genau wie Leon litauische Wurzeln hatte, arbeitete in zwei Jobs, um die Kinder durchbringen zu können.
Es war ein harter Alltag für die Familie und der Sport diente als willkommene Ablenkung. Schon als Zwölfjähriger träumte Unitas von der Football-Karriere und entsprechend konnte er es kaum erwarten, für seine kleine, katholische St. Justin's High School aufzulaufen.
Unitas spielte Halfback und Defensive End, bis er schließlich in seinem vorletzten Schuljahr den verletzten Starting-Quarterback ablöste - und er wusste genau, was er tat. Der Teenager gab den Startplatz nicht mehr her und mehrere Colleges zeigten Interesse. Doch der Weg sollte einmal mehr nicht ohne Stolperfallen und Schlaglöcher verlaufen.
Der schwere Weg ins College
Notre Dame erachtete Unitas als zu schmächtig, auch Indiana lehnte dankend ab. Pittsburgh bot ihm schließlich ein Stipendium an, doch Unitas fiel durch den Aufnahmetest. So war es schon fast alternativlos, als sich der Quarterback endlich für Louisville entschied. Unitas schnappte sich bis zur Saisonmitte seinen Platz in der Startelf, spielte sowohl Quarterback, als auch Safety, und packte über die ersten beiden Jahre 20 Kilo drauf. Außerdem wuchs er noch mehrere Zentimeter.
Trotz einiger Verletzungen in den folgenden beiden Jahren beendete Unitas, der im letzten Schuljahr seine langjährige Freundin Dorothy heiratete, so seine College-Saison zwar ohne Titel, aber als Schul-Rekordhalter was Passing-Yards und Passing-TDs angeht. Vor allem seine tiefen Pässe waren bei Defensive Coordinators gefürchtet.
Keine Chance in Pittsburgh
Der Weg in die NFL sollte dennoch nicht wirklich leichter werden, als vier Jahre zuvor die Suche nach einem College. Die Pittsburgh Steelers wählten Unitas im Draft 1955, den die zwölf Teams damals noch in 30 Runden austrugen, zwar in der neunten Runde, wirklich überzeugt waren die Bosse aber nicht. Intern herrschte vermehrt die Meinung, dass Unitas nicht intelligent genug sei, um eine Profi-Offense aufs Feld zu bringen. Unitas wurde wieder entlassen, ehe er überhaupt auch nur in einem Preseason-Spiel hätte auflaufen können.
"Für die meiste Zeit haben sie so getan, als wäre ich überhaupt nicht da", berichtete er später und Art Rooney Jr., Teil der langjährigen Steelers-Eigentümer-Familie, gab zu: "Bei den Wurfübungen ertönte manchmal die Pfeife, bevor John überhaupt dran gewesen war." Doch die Familie, Unitas hatte inzwischen bereits ein Kind, musste ernährt werden und so ging es nach Bloomfield, New Jersey, wo er als Gabelstaplerfahrer sein Geld verdiente.
Doch seine große Leidenschaft gab Unitas nie auf. Er startete bei den Bloomfield Rams, deren Platz so schlecht war, dass vor Spielen Öl und Wasser auf dem Platz verteilt wurde, um zu verhindern, dass die Partie komplett im Staub verschwand. "Sie nannten es halb-professionellen Football. Aber eigentlich war es ein Sandkasten, in dem sich ein paar Jungs unter der Bloomfield Bridge umgehauen haben", grinste Unitas Jahre danach. Sechs Dollar erhielt der Quarterback, der auch Safety und Punter spielte, pro Partie.
Über den Sandkasten zu den Colts
Es sollte sich als die richtige Entscheidung entpuppen, denn Unitas' Karriere im Sandkasten blieb nicht unbemerkt. Die Baltimore Colts luden ihn zu einem Probetraining ein - und sollten ihn für viele Jahre nicht mehr gehen lassen. Mit einem unerwartet starken Training überzeugte Unitas die Verantwortlichen und erhielt Anfang 1956 einen Vertrag.
Seine einfache Erklärung: "Ich war immer davon überzeugt, dass ich Profi sein kann. Ich habe auf meine Fähigkeiten vertraut, das muss man einfach. Wenn du selbst nicht an dich glaubst, wer wird es denn dann tun?" Doch bei seinem Profi-Debüt hatte er die eigene Devise offenbar vergessen: Im vierten Saisonspiel gegen die Chicago Bears brach sich Starting-QB George Shaw das Bein, Unitas kam rein.
Der erste Pass wurde abgefangen und zum Touchdown zurückgetragen, beim zweiten Snap vermasselte er den Handoff und die Bears schnappten sich das Ei. Doch der Horror-Start sollte kein Vorgeschmack werden. "Der wichtigste Aspekt bei Unitas war, dass er wirklichen Hunger hatte", betonte sein Colts-Trainer Weeb Ewbank: "Das war ein Junge, der unbedingt Erfolg haben wollte und so lange darauf gewartet hat."