Go Big or go Home!

Von Adrian Franke
24. Mai 201616:00
Die Running Backs rücken nach ligaweitem Tief inzwischen wieder stärker in den Fokusgetty
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Die Tennessee Titans kehren zu einem Oldschool-Ansatz zurück - und könnten damit dem Trend der Zeit einen Schritt voraus sein. In einem Spiel, das zunehmend von Pässen und Geschwindigkeit dominiert wird, wollen die Titans wieder mit einem Power-Running-Game punkten und so die neue Art der Defense ausnutzen. Ein Zahlenspiel made in New England.

Man konnte sich dem Eindruck nicht erwehren: Jon Robinson schien sich rechtfertigen zu müssen. Die Tennessee Titans hatten gerade Derrick Henry in der zweiten Runde gedraftet und damit nach Free-Agency-Verpflichtung DeMarco Murray innerhalb weniger Wochen erneut wertvolle Ressourcen in einen zweiten Power-Back gesteckt.

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Titans-Geschäftsführer Robinson stellte daher im MMQB klar: "Teams spielen inzwischen sehr viel Sub-Defense, also mit mehr Defensive Backs. Um das zu kontern, können wir ein "größeres" Spiel aufziehen und, wenn man so will, einige der kleineren Gegenspieler aus dem Weg räumen. Gleichzeitig verkürzt man die Spiele so und schränkt die Optionen auch für die gegnerische Offense ein."

Eine Strategie also, um simpel formuliert antizyklisch zu agieren und dem aktuellen Trend in der NFL einen Schritt voraus zu sein. Die Titans wollen den ligaweit enormen Fokus auf das Passspiel - zwölf Quarterbacks knackten 2015 die 4.000-Passing-Yard-Marke - ausnutzen. Es ist ein mehr als interessantes Experiment, eine Rückkehr zu den alten Football-Wurzeln. Und ein Zahlenspiel.

Der Aufstieg der Defensive Backs

Dass Football mehr und mehr vom Passing Game dominiert wird, ist längst kein Geheimnis mehr. Zahlreiche Regeländerungen über die letzten zehn Jahre haben den Receivern und die Quarterbacks deutlich mehr Freiräume gegeben, Spread-Elemente aus dem College mit Vier- und Fünf-Receiver-Sets erhalten seit Jahren auch Einzug in der NFL.

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Darauf mussten Defenses reagieren, und das schlägt sich auch rein personell nieder: Defenses setzen mehr und mehr Defensive Backs - also Cornerbacks und Safetys - ein. 2008 nutzten Teams fünf oder mehr Defensive Backs noch bei 43,4 Prozent der Plays. Diese Zahl stieg seither Jahr für Jahr kontinuierlich an und erreichte 2015 mit 63,4 Prozent ihren bisherigen Höhepunkt.

Übersetzung: Nickel- (fünf Defensive Backs gleichzeitig auf dem Platz) und Dime-(sechs DBs) Defenses sind die neue Basis geworden. Die Entwicklung geht weg von einer klaren Front Seven kombiniert mit vier DBs. Slot-Cornerbacks und Hybrid-Spieler, wie etwa Arizonas Safety Deone Bucannon, der letztlich Linebacker spielt, haben so enorm an Wert gewonnen. Es geht um Geschwindigkeit und Vielseitigkeit, immer im Hinterkopf die Frage: Kann ein Spieler covern?

Diese nahe an die Obsession gehende Fokussierung auf das Passspiel hat unter anderem dafür gesorgt, dass im Draft etwa ein Andrew Billings bis in die vierte Runde gefallen ist - ein sehr guter D-Line-Man, der seine Stärken aber in der Run-Defense hat. Diese Spielertypen haben schlicht an Wert verloren, und genau das öffnet die Tür für das Oldschool-Football-Experiment: Die Rückkehr zu physischer O-Line und effektivem Run Game.

Alles andere als tot

Passend dazu zunächst der Blick in die Vergangenheit. In die 2015er Regular Season, um genauer zu sein. Die Statistiken beweisen: Das Running Game ist alles andere als tot. Insgesamt neun Teams (Carolina, Buffalo, Seattle, Minnesota, Houston, Chicago, Cincinnati, Tampa Bay und Arizona) hatten über 450 Rushing-Versuche und vier Teams hatten mehr Rushing- als Passing-Versuche.

Zwei aus diesem Quartett beendeten die Saison unter den vier besten Teams, was Yards pro Run angeht: Die Buffalo Bills mit 4,8 Yards pro Lauf sowie die Minnesota Vikings (4,7). Die anderen beiden Offenses mit mehr Runs als Pässen? Die Seattle Seahawks sowie der amtierende NFC-Champion Carolina. Vor allem das Run Game der Panthers beeindruckte auch mit Power Blocking.

Es beweist, dass eine Offense, die um ein Running Game herum aufgebaut wird, nicht nur funktionieren kann - sie kann vielmehr auch dominant sein und einem Spiel genauso den Stempel aufdrücken wie eine Spread-Offense mit vielen schnellen Pässen wie etwa die der Patriots.

Zeit also für einen Blick ins Detail.

Mit Power und mit Pull

Eine "Exotic Smashmouth"-Offense hatte Titans-Coach Mike Mularkey bereits angekündigt, bevor sich die Titans im Draft Henry schnappten. Ähnlich wie auch die Dallas Cowboys will Tennessee seine Offense großzügig mit Power-Running-Elementen (keine Offense spielt ausschließlich Power- oder ausschließlich Zone-Blocking) spicken, um so mit physischem Run Game das Spiel zu diktieren.

Was aber bedeutet "Power Run Game" eigentlich? Im Gegensatz zum Zone-Run-Game haben die Offensive Linemen konkrete Gegenspieler zugeordnet und so will die Offense gezielt Überzahlsituationen für seine Blocker schaffen. Geht der Run also beispielsweise nach links, blocken der linke Tackle und der linke Guard häufig einen Gegenspieler gemeinsam. Von der rechten Seite kommt der Right Guard zu Hilfe - man spricht dabei von "Pulling" - und kümmert sich um den äußersten D-Liner. Ergänzt wird das oftmals noch durch einen blockenden Fullback, der direkt den Linebacker oder den Edge-Defender auf der Seite übernimmt. Auch ein Tight End kann als Edge-Blocker zusätzlich eingesetzt werden.

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Die Offense hätte dann also vier bis fünf Blocker links vom Center - in aller Regel ein eindeutiger numerischer Vorteil. Dieser Vorteil wird noch signifikanter, wenn die Defense in Nickel- oder Dime-Formationen spielt: Gegen die schnelleren, aber leichteren Defensive Backs haben O-Line-Men und Fullback entschieden leichteres Spiel und die ohnehin forcierten Überzahlsituationen der Offense können so für die Defense verheerend werden.

Das gilt umso mehr, wenn die Defense eine "Light Box" spielt, also nicht mehr als sechs Spieler in unmittelbarer Nähe zur Line of Scrimmage postiert. Ebenfalls eine regelmäßige Konsequenz aus Nickel- und Dime-Defenses, wenn Linebacker für Defensive Backs geopfert oder durch Hybrid-Spieler ersetzt werden.

Ein Rückfall in die 70er Jahre ist deshalb aber noch lange nicht zu befürchten.

Bei all den Oldschool-Gedanken darf gleichzeitig nicht außer Acht gelassen werden, dass sich im Jahr 2016 auch das Power Run Game an einigen neueren Trends orientieren wird. In anderen Worten: Formationen mit drei Tight Ends, einem Fullback und einem Running Back werden wir ab September wohl auch in Dallas oder Tennessee nicht sehen.

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Vielmehr gilt es, das Power Run Game mit etwa Drei-Receiver-Sets oder Shotgun-Formationen (der Quarterback ist vor dem Snap einige Schritte hinter dem Center postiert, der Running Back leicht versetzt dazu) zu vereinbaren - und zu seinem Vorteil zu nutzen. Ein Beispiel: One-Back-Power. Mit drei außen postierten Receivern schafft sich die Offense in aller Regel selbst eine 6- oder 7-Mann-Box. Ein Fullback ist hierbei nicht vorgesehen, lediglich ein blockender Tight End unterstützt den Laufspielzug.

Davon abgesehen gelten aber weiterhin die Power-Elemente. Sprich: Überzahl auf der zu blockenden Seite, ermöglicht durch den pullenden Guard und den Tight End. Sitzen die Blocks, zwingt man so im Idealfall einen tief postierten Safety, schnell viel Raum zu überbrücken um den Running Back zu tackeln.

Darüber hinaus kommt eine solche Kombination auch Quarterbacks wie Tennessees Marcus Mariota zugute. Mariota ist es gewohnt, aus der Shotgun heraus zu agieren und diese Formation bietet gleichzeitig die deutlich größere Gefahr eines Read-Option-Plays: Mariota könnte die Ballübergabe antäuschen und selbst mit dem Ei in der Hand loslaufen. Eine Variante, die für den Quarterback Under Center entschieden schwieriger ist.

Den Worten Taten folgen lassen

All die Theorie ist schön und gut, aber in wie weit sind Teams tatsächlich bereit, sich darauf einzulassen? Oder anders gesagt: Wird der neue Ansatz auch mit wertvollen (Draft-)Ressourcen unterstützt?

Die Antwort ist ein klares ja, was eine tatsächliche Umsetzung des Run-intensiven Ansatzes umso wahrscheinlicher macht. Die Cowboys können aktuell drei Erstrunden-Picks sowie Top-Talent La'el Collins in ihrer O-Line aufbieten und haben Anfang Mai den vierten Pick im Draft in einen Running Back investiert. Tennessee gönnte sich jetzt in zwei der letzten drei Jahre einen Tackle (Taylor Lewan, Jack Conklin) mit dem ersten eigenen Pick, das ungewöhnliche Murray-Henry-Tandem ist bekannt.

Und es beschränkt sich nicht nur auf diese Teams: Die Los Angeles Rams drafteten 2015 fünf O-Liner sowie Running Back Todd Gurley in der ersten Runde, nachdem sie sich 2014 bereits Tackle Greg Robinson Second Overall geschnappt hatten. Jacksonville gab Chris Ivory 32 Millionen Dollar über fünf Jahre, um T.J. Yeldon zu unterstützen, Lamar Miller soll für 26 Millionen Dollar über die nächsten vier Jahre Houstons Star-RB werden und Tampa Bay gab Doug Martin bis zu 35,7 Millionen über die nächsten fünf Jahre, damit der 27-Jährige bleibt. Der Mythos, wonach Teams die RB-Position nicht mehr wertschätzen, ist genau das - ein Mythos.

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In der diesjährigen Free Agency gingen zudem vier der Top-10-Deals (im Bezug auf garantiertes Geld) an O-Line-Men: Alex Mack, Kelechi Osemele, Brandon Brooks und Mitchell Schwartz. 2015 waren immerhin zwei O-Liner (Mike Iupati, Rodney Hudson) und ein Running Back (DeMarco Murray) in der Top-10. Ein Team das man hier 2016 im Auge behalten sollte sind die Oakland Raiders, ihrerseits verantwortlich für die Deals von Osemele und Hudson.

"Wir hatten ein großes Team"

"Meine Wurzeln liegen größtenteils bei den Patriots, wo ich zwölf Jahre lang war, und wir hatten ein großes Team. Wir hatten immer große, starke Running Backs - ob Corey Dillon, Laurence Maroney oder LeGarrette Blount. In der O-Line hatten wir Sebastian Vollmer, Nate Solder, Logan Mankins: Alles größere Jungs", fuhr Robinson seine Ausführung im MMQB fort.

Es ist unverkennbar, dass er diesen Ansatz jetzt auch auf seine Titans übertragen will, wenn auch in noch intensiverer Form. Die mutmaßlich daraus resultierende große Runs-pro-Spiel-Zahl rechtfertigt auch den Henry-Pick, der Ex-Alabama-Back sollte sich im Titans-Scheme schnell wohlfühlen.

Was bleibt ist unter dem Strich also ein spannendes Experiment: In wie weit wird das antizyklische Vorgehen in Kombination mit modernem Passspiel zur Erfolgsformel - und wie werden Defenses reagieren? Die kommende Saison wird Antworten liefern.

Der Spielplan der kommenden Saison im Überblick