Was lange währt ...

Von Adrian Franke
13. Juli 201616:18
John Elway führte die Denver Broncos fünf Mal in den Super Bowl - und gewann zwei Titelgetty
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John Elway hat die Denver Broncos 2015 zum Super Bowl geführt - wieder einmal. Als einer der größten Quarterbacks aller Zeiten machte er einst nach dem Draft-Drama aus den Broncos einen Super-Bowl-Anwärter und überwand sein Trauma, als kaum noch jemand damit gerechnet hatte. Seine Geschichte ist die eines Iron Mans, eines Multi-Talents. Und die eines Mannes, dessen Bauchgefühl ihn nur ein Mal richtig täuschte.

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"Es ist an der Zeit für mich, ein neues Kapitel zu beginnen. Ich kann es physisch einfach nicht mehr - und das zu sagen, ist nicht leicht."

Tränen waren in Elways Augen, als er - nach zunächst ausgiebigem Scherzen - vor Denvers versammelter Medienlandschaft sein Karriereende verkündete. Die Stimme brach ihm mehrfach weg, er schien fast selbst überrascht von den eigenen Emotionen.

Trotzdem brauchte er nur einen kurzen Moment, ehe er, die Stimme noch immer einige Oktaven zu hoch, scherzend ins Mirko schluchzte: "Gibt es sonst irgendwelche Fragen?"

Dann brachen alle Dämme. Elway musste sich wiederholt sammeln, ehe er seine Danksagungen raus brachte. Er wusste, und wiederholte es mehrfach, dass er nicht mehr in der Lage war, das Spiel so zu spielen, wie er es sein ganzes Leben lang getan hatte. Es war eine schmerzhafte Erkenntnis. Eine Tatsache, der sich gerade Elway noch nie hatte stellen müssen.

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Kreuzbandriss? Kein Problem!

Für den gemeinen Profi bedeutete ein Kreuzbandriss Ende der 70er-Jahre meist das Karriereende. So war die Sorge groß, als Elways mit Spannung erwartete letzte High-School-Saison nach vier Spielen aufgrund der schweren Knieverletzung vorzeitig beendet war. Eine Kreuzband-OP war längst kein Routine-Eingriff, doch für Elway galten andere Gesetze.

Zwar war die Football-Saison für den Teenager gelaufen, erstaunlicherweise gab ihm sein Arzt allerdings nur einen Monat nach der Verletzung grünes Licht für Baseball-Training. Complex berichtete später gar, dass Elways Knie seine komplette Profi-Karriere über niemals chirurgisch repariert wurde. Dieser Ruf als Iron Man sollte ein Mosaikstein im beeindruckenden Gesamtbild eines der größten Quarterbacks aller Zeiten werden.

Das Trauma beginnt im College

Football wurde John Elway in die Wiege gelegt. Sein Vater Jack war ein Football-Coach, was unweigerlich zahlreiche Umzüge zur Folge hatte - bis sich die Elways schließlich bei Los Angeles niederließen. Nach furioser High-School-Karriere blieb die Westküste auch im College seine Heimat, Elway wählte Stanford - und brach fast alle relevanten Conference-Passing-Rekorde.

Gleichzeitig aber bildete sich über dem besten College-Quarterback des Landes ein Schatten, der ihn noch lange begleiten sollte: Trotz herausragender Leistungen wollte es Elway einfach nicht gelingen, sein Team in ein Bowl-Game zu führen.

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Symptomatisch war sein letztes College-Jahr 1982. Ein Sieg gegen California musste für die Bowl-Teilnahme her. Stanford lag mit 17:19 zurück, 4. Down und 17 an der eigenen 13-Yard-Line. Zwei Minuten vor dem Ende. Elway hielt sein Team mit einem tollen 29-Yard-Pass im Spiel und vier Sekunden vor dem Ende verwandelte Mark Harmon das entscheidende Field Goal - so dachten jedenfalls alle.

Denn was dann passierte war an Kuriosität kaum zu überbieten: California trug den folgenden Kick-Off mit mehreren Querpässen - darunter zwei als mögliche Vorwärtspässe kontrovers diskutierte Zuspiele - zum Touchdown zurück. Die bereits aufs Feld gestürmte Band wurde über den Haufen gerannt und Elway tobte: "Das war eine Beleidigung für College Football. Ich wollte nicht, das es so endet. Jetzt muss ich für immer damit leben."

Großes Drama am Draft Day

Zumindest seinen Draft-Status beeinflusste das nicht. Elway ging als Top-Prospect in den 1983er Draft, in dem unter anderem Eric Dickerson, Jim Kelly und Dan Marino zu haben waren. Allein: Die als erstes wählenden Baltimore Colts waren so gar nicht der Traum des jungen Quarterbacks.

Elway teilte den Colts mit, dass er nicht für sie spielen und im Zweifelsfall eher in den Baseball zurückkehren würde, wo er im College bereits regelmäßig in der Minor League aufgelaufen war. Der Hauptgrund für seine Colts-Abneigung war Head Coach Frank Kush, der mit seinen Spielern extrem hart umging - bis hin zu gnadenlosen Boot Camps in der Wüste.

Baltimore ließ sich nicht beirren, Geschäftsführer Ernie Accorsi wählte Elway mit dem ersten Pick. Später am Abend rief Elway Accorsi an, entschuldigte sich und versicherte ihm, dass sich schon alles klären würde, sobald die Wogen geglättet sind. Accorsi ging daraufhin zu Colts-Besitzer Robert Irsay. Aber der hatte genug.

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Irsay befürchtete, dass er den Pick komplett verlieren könnte und an Trade-Interessenten mangelte es nicht. Elways Wunsch, an der Westküste zu spielen, wollte Irsay nicht erfüllen und somit waren San Diego, Seattle oder Los Angeles vom Tisch. Stattdessen erhielt Denver den Zuschlag.

Aller Anfang ist schwer

Damit war Colorado im Ausnahmezustand. Lokalzeitungen eröffneten eigene Spalten mit dem Titel "The Elway Watch", jeder wollte den College-Superstar mit dem unglaublich starken Wurfarm und der sensationellen Athletik sehen.

Aber selbst für Elway, der sich den Job in der ersten Saison mit Steve DeBerg teilen musste war aller Anfang schwer. Die Broncos gewannen nur vier von Elways zehn Starts und 14 Interceptions leistete sich der Rookie in elf Spielen. Elways Probleme waren so offensichtlich, dass Coach Dan Reeves öffentlich zugab, es sei ein Fehler gewesen, Elway so früh einzusetzen. Doch das sollte sich ändern.

Im Regular-Season-Finale um die Playoffs ging es - ausgerechnet - gegen die Colts. Baltimore lag zu Beginn des Schlussviertels mit 19:0 in Führung, die Postseason schien verloren. Dann versprühte Elway seine Magie: Mit drei Touchdown-Drives im Schlussviertel drehte er die Partie, Denver zog in die Playoffs ein und nach Saisonende wurde Konkurrent DeBerg an die Tampa Bay Buccaneers abgegeben.

Die Zukunft der Broncos lag endgültig in den Händen von John Elway.

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Die 1984er Saison bot daraufhin schon ein ganz anderes Bild. Elway führte Denver zu 13 Siegen und kletterte die Quarterback-Leiter nach oben. "Er macht Dinge, die ich noch nie gesehen habe", ächzte Raiders-Cornerback Lester Hayes nach einer Pleite gegen die Broncos bei ESPN, "und ich habe jede Menge Film".

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In den Playoffs aber dauerte es bis 1986, ehe er erstmals die Chance auf den ganz großen Wurf erhielt: Im AFC Championship Game gegen Cleveland lag Denver 13:20 zurück, als Elway zu einem sensationellen Drive, bis heute schlicht als "The Drive" bekannt, ansetzte.

Fünf Minuten und zwei Sekunden brauchte er, um die Broncos in 15 Plays 98 Yards zum Ausgleich das Feld runter zu führen. Vor fassungslosen Browns-Fans legte er zum Ausgleich auf, Denver gewann in der Overtime und Elway war dem ersten Titel so nah wie noch nie.

Allein, gegen New York war nichts zu holen: Ein klar besseres Giants-Team schlug die Broncos mit 39:20. Der Anfang einer dramatischen Super-Bowl-Serie war gemacht.

"In der Fötus-Haltung zusammengerollt"

Es war das beständigste Thema in Elways Karriere: Er hatte nie die ganz großen Mitspieler. Nur der Gunslinger aller Gunslinger Brett Favre hat mehr Sacks eingesteckt (525) als Elway (516) und oft hatte Elway gar keine andere Wahl, als das Spiel an sich zu reißen und dabei allerhand Risiko einzugehen.

Elways Frau Janet fasste das Jahre später in der Sports Illustrated so treffend zusammen: "Meine Erinnerung an Johns Karriere beinhaltet auch immer dieses Bild: Ich, vor dem Fernseher in der Fötus-Haltung zusammengerollt auf dem Boden mit den Händen vor den Augen, während meine Freundinnen mir erzählen, was auf dem Platz passiert."

Das Super-Bowl-Trauma

Und so bastelte Elway an seiner Hall-of-Fame-Karriere. Sonntag für Sonntag ließ er Pass-Rusher ins Leere laufen und donnerte den Ball mit selten erlebter Kraft und Präzision das Feld runter.

Elway, der einst verriet, dass er Defensive Ends nicht nur hört, sondern auch auf deren Schatten achtet, um ihnen auszuweichen, gelang es im Alleingang, Denver von einem der seit Jahren schwächsten Teams der Liga zu einem konstanten Titelanwärter zu formen.

Trotzdem wurde er für die Kritiker zunehmend angreifbar, denn Elways Talent alleine reichte nicht, um Denver den Titel zu bringen. Die Broncos verloren auch 1987 im Super Bowl, dieses Mal gab es nach eigener 10:0-Führung eine 10:42-Ohrfeige gegen Washington. Weitere zwei Jahre später wurde es gegen San Francisco noch deutlicher, Joe Montana und Co. fertigten Denver mit 55:10 ab.

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Dieser Stachel saß tief. Als Elway das Feld mit seiner Frau verließ, fauchte er, wie ESPN berichtete, in Richtung der Fotografen-Schar: "Könnt ihr einen Mann nicht in Frieden schmollen lassen?" Für die Medien war er jetzt ein gefundenes Fressen, das sich nur allzu einfach in eine Schublade stecken ließ: Der spektakuläre Quarterback, der den ganz großen Wurf - im übertragenen Sinn - einfach nicht schafft.

Neuanfang mit Shanahan

In den drei Jahren nach dem Debakel gegen San Francisco erlebten Elways Broncos ihr größtes Tief. Siege waren plötzlich keine Garantie mehr und die Beziehung zwischen dem Star-Quarterback und Coach Dan Reeves bröckelte. Nach der abermals enorm enttäuschenden 1992er Saison musste Reeves gehen.

Über den neuen Coach Wade Phillips erhielt zunächst eine Offense mit vermehrt kurzen, schnellen Pässen Einzug und es wurde noch besser, als Elways langjähriger Freund, Mentor Mike Shanahan, 1995 für Phillips übernahm. Elway, inzwischen 35 Jahre alt, stellte vor jener Saison klar: "Es herrscht so ein Stigma rund um die Spieler, die den Titel nie gewonnen haben. Es ist nicht fair, aber ich weiß, dass es so ist. Es würde mich freuen, noch eine Chance zu bekommen."

Sein Wunsch sollte ihm erfüllt werden: Zwei Jahre nach Shanahans Amtsantritt war Denver zurück im Super Bowl, gegen Green Bay wollte Elway endlich sein Trauma überwinden. Die Zeit spielte längst gegen ihn, niemand wusste, ob er nochmals eine Chance bekommen würde. Elway kämpfte, er forderte seine Mitspieler, er ging mit großem Beispiel voran - inklusive des berühmten Helikopter-Sprungs.

Die Broncos gewannen mit 31:24. John Elway hatte endlich seine Lombardi-Trophäe und Broncos-Eigentümer Pat Bowlen, der Elway im Spätherbst seiner Karriere endlich eine gute Defense hatte zur Seite stellen können, wollte sich nicht mehr beherrschen. Bei der Zeremonie auf dem Feld schnappte er sich das Mikrofon und brüllte: "Ich will nur eines sagen, nur vier Wörter: Das ist für John!"

"Wie eine große Erlösung"

Elway sollte ihn ein Jahr später nochmals in Ekstase versetzen. Dieses Mal dominierte er Gegner Atlanta, wurde zum Super-Bowl-MVP ausgezeichnet und verriet anschließend der Sports Illustrated: "Ich hätte nie gedacht, dass es noch besser kommen könnte als letztes Jahr. Man hätte es nicht perfekter planen können. Kein Wind und warmes Wetter während dem Spiel und jetzt regnet es - wie eine große Erlösung."

Drei Jahre vorher, als Denvers 1996er Saison wieder einmal dramatisch geendet hatte und für viele Elways letzte Chance dahin war, hatte seine Zwillingsschwester Jana angerufen. Den ganzen Abend über hatte Elway seine Gefühle kontrolliert, doch als er die Stimme seiner Schwester hörte, brach es aus ihm heraus. Zum ersten Mal weinte er vor seinen vier Kindern, denn, wie er dem Fortune verriet: "Ich wusste, dass mir die Zeit davonläuft."

All das war jetzt vergessen. Doch mit dem Football war er längst noch nicht fertig.

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Man könnte die Geschichte hier beenden. Elway machte 1998 Schluss, als amtierender Champion und Super-Bowl-MVP. Die nackten Zahlen wurden ihm alleine nie gereicht, Elways Magie lag in seiner Coolness, seiner Präsenz, seinem Willen, seiner Athletik, seiner Kanone von einem Arm.

Er war in brenzlichen Situationen ein Instinktspieler, in der bestmöglichen Auslegung. "Wenn ich gespielt habe, hatte ich immer ein Bauchgefühl mit wem und für wen ich spielen wollte. Ich habe auf meinen Bauch gehört", verriet er Fortune.

Zumindest neben dem Platz war das jedoch nicht immer der richtige Rat: Vor dem Duell mit den Redskins 1989 aß er mit dem Präsidenten im Weißen Haus - und bezahlte seine Wahl mit einem ausgedehnten Toiletten-Aufenthalt. "Gehacktes Rind auf Toast", berichtete Elway Jahre später, "ich habe es seither nicht mehr gegessen".

Dem Football blieb er nicht ansatzweise so lange fern.

Die schwerste Zeit

Zunächst aber musste er die schwierigste Zeit seines Lebens hinter sich bringen. 2001 starb Elways Vater infolge eines Herzinfarkts, 2002 Schwester Jana nach längerem Kampf gegen den Lungenkrebs. Elway hatte noch alle Hebel in Bewegung gesetzt, um seiner Zwillingsschwester in Stanford die bestmögliche Behandlung zu geben.

Und so stürzte sich Elway in die Arbeit. Im Juni 2002 verkündete er die Geburt des Arena-League-Teams Colorado Crush - es sollte die perfekte Schule für die NFL werden. Das Team spielte eine desolate erste Saison und plötzlich musste Elway Freunde entlassen. Später sprach er von der "größten Lernphase meines Lebens". Kurz vor seinem Tod hatte Elways Vater ihn noch zu Pre-Draft-Meetings mitgenommen und ihm wichtige Lektionen über die Team-Zusammenstellung erteilt.

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Broncos-Eigentümer Pat Bowlen, der Elway bereits in der Arena League genauestens beobachtet hatte, machte Ende 2010 Nägel mit Köpfen. Nur wenige Tage, nachdem er sich mit Elway zum Essen getroffen hatte, wurde sein ehemaliger Quarterback als Vizepräsident in einer exponierten Geschäftsführer-Rolle eingestellt. Seither hat er, erst über Peyton Manning, dann über eine dominante Defense, zwei Super-Bowl-Teilnehmer und darunter einen Super-Bowl-Champion geformt.

"Wow - ich werde langsam alt"

Dabei betont Elway selbst stets: "Um ein Football-Team zusammenzustellen, das um den Titel mitspielen kann, brauchst du auch immer ein wenig Glück." Der Sieg im Super Bowl über die Carolina Panthers machte Elway, der sich als knallharter Verhandlungspartner etabliert hat, zum ersten Menschen überhaupt, der den Super Bowl als Spieler und als Geschäftsführer gewonnen hat.

So lebt er auch heute noch das stressige NFL-Leben, wenn auch aus ganz anderer Perspektive. Er kann dem Team am Sonntag nach dem Kick-Off nicht mehr helfen und in seinem tiefsten Herzen will er das womöglich auch gar nicht mehr.

"Der ganze Druck ist weg", sagte der erleichterte 38-Jährige damals 1998 am Tag nach seinem Rücktritt zu seiner Frau und fügte laut ESPN hinzu: "Ich kann nicht glauben, wie glücklich ich bin."

Das neue Kapitel, das er nach seiner Profi-Karriere beginnen wollte, ist jedenfalls längst in vollem Gange. Und doch merkt selbst Elway zumindest manchmal den eisernen Griff der Zeit. 2014 wurde er Großvater und musste einmal tief durchatmen. "Das ist etwas", gab Elway mit seinem charakteristischen Grinsen zu, "wo ich sage: Wow - ich werde langsam alt."

John Elways Karriere im Statistik-Überblick