Ein derartiges Verletzungspech sieht man auch in der NFL nicht alle Tage. Chargers-Fans können ein Lied davon singen, auch die Dallas Cowboys waren in der vergangenen Saison diesbezüglich nicht gerade von Fortuna verwöhnt. Doch was mit Minnesota in den vergangenen vier Wochen passiert ist, sucht seinesgleichen.
Da verletzte sich Starting-Quarterback Teddy Bridgewater so schwer, dass schon über seine Einsatzchancen 2017 spekuliert wird. Der nächste Franchise-Spieler überstand nicht einmal Week 2 - Adrian Peterson musste im Spiel gegen die Green Bay Packers vorzeitig verletzt raus.
Seit Wochenbeginn ist klar: Der Running Back wird operiert, eine Zwangspause von mehreren Monaten steht dem inzwischen 31-Jährigen bevor. Und fast schon beiläufig verkündete Coach Mike Zimmer wenig später, dass Starting Left Tackle Matt Kalil aufgrund einer Hüftverletzung auf die Injured-Reserve-Liste kommt. "Matt zu verlieren ist hart für uns. Er ist ein großartiger Leader", betonte Guard Alex Boone. "Aber das Spiel muss weitergehen."
Der letzte Satz passt genau in die Philosophie seines Coaches. Kurz nach der Bridgewater-Verletzung, die ganz Minnesota für mehrere Tage in eine Schockstarre versetzte, stellte sich ein sichtlich emotionaler Zimmer vor die versammelte Presse und erklärte, dass der Ausfall seines Quarterbacks nicht als Entschuldigung verwendet werden wird. Am Mittwoch verkündete er im Zuge der Peterson-Hiobsbotschaft: "Wir müssen uns auf Carolina vorbereiten. Ich erwarte, dass die Spieler so auftreten, wie ich es immer von ihnen erwarte."
Der Star ist die Defense
Zimmer erlaubt es niemandem, nachzulassen oder gar nach Ausreden zu suchen. Und doch schwebt eine Frage über all dem - wie viele Rückschläge kann ein Team verkraften, ehe es seinen - berechtigten - Status als Super-Bowl-Contender verliert?
Bisher jedenfalls war die Marschroute klar: Die Defense ist der unangefochtene Star dieses Teams und trug die Vikes prompt mit zwei Touchdowns zum Auftaktsieg in Tennessee, nur um eine Woche später die Packers-Offense, die zugegebenermaßen ihre ganz eigenen Probleme hat, auf 14 Punkte zu halten.
Hier ist die gute Nachricht aus Vikings-Sicht: Defensiv sind nach wie vor alle Säulen mit dabei und Minnesota hat alle Möglichkeiten, zum Saisonende eine Top-3-Defense und insbesondere eine der besten Fronts der Liga zu stellen. Die Vikings haben defensiv einen der talentiertesten Kader überhaupt, von Everson Griffen über Danielle Hunter, Harrison Smith und Eric Kendricks bis hin zu Anthony Barr, Linval Joseph und Co. Mit sieben Turnovern führt Minnesota die Liga nach zwei Spielen an, Tackle Sharrif Floyd allerdings fällt jetzt nach einer Knie-OP ebenfalls rund sechs Wochen lang aus.
Aber zumindest hier gab es am Donnerstag auch gute Nachrichten von der Krankenstation: Cornerback Xavier Rhodes konnte nach seiner Knieverletzung wieder trainieren, gegen Panthers-Receiver Kelvin Benjamin wäre der physische Cornerback enorm wichtig. "Wir werden tun, was wir nur können, um die Offense in eine gute Position zu bringen", betonte Defensive End Brian Robison laut der St. Paul Pioneer Press. "Hoffentlich können wir weiter Turnover kreieren. Wir sind sehr selbstbewusst und wissen, dass wir uns noch verbessern können."
Petersons Autorität fehlt
Doch so gut die Defense auch weiterhin sein mag, und unter Zimmer ist genau davon auszugehen - die Offense muss auch nach den beiden Siegen zum Auftakt zumindest kritisch hinterfragt werden. Minnesota steht nach zwei Spielen bei 1,9 (!) Rushing-Yards pro Versuch und damit fast ein komplettes Yard hinter dem zweitschwächsten Team Los Angeles (2,7 Yards pro Run).
Adrian Peterson verzeichnete im Schnitt weniger als ein Yard vor dem ersten Gegner-Kontakt, kurzum: Die Vikings hatten, trotz der im Frühjahr verpflichteten Verstärkungen für die Offensive Line, elementare Probleme im Run-Blocking. Football Outsiders führt Minnesota in seinem System, das unter anderem Gegner-Stärke, Spiel-Situation, Down und Yards bis zum nächsten First Down berücksichtigt, nach zwei Spielen im Run-Blocking abgeschlagen auf dem letzten Platz.
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Und dennoch darf die Bedeutung von Peterson für die Offense nicht unterschätzt werden. Sam Bradford, der bei seinem ersten Start im Vikings-Trikot gegen Green Bay alle Experten überraschte, brachte es am Mittwoch auf den Punkt: "Wenn Adrian auf dem Platz ist, stellt jeder die Box zu und versucht, den Run zu stoppen. Das gibt uns Outside viele Eins-gegen-Eins-Duelle. Darüber hinaus macht es unser Play-Action-Spiel deutlich effektiver: Wenn Defenses ihn loslaufen sehen, halten sie kurz inne. Wir werden jetzt schauen müssen, wie Defenses künftig gegen uns spielen."
Petersons Präsenz alleine gab dem Running Game der Vikings, so ineffektiv es bisher auch war, eine gewisse Autorität. Ohne den Superstar im Backfield und mit dieser Offensive Line, die in Pass-Protection nur sehr bedingt besser aussah, erwarten den verletzungsanfälligen Bradford womöglich schwere Spiele - und das geht gleich am Sonntag gegen Carolinas Elite-Front los.
Turner schraubt an der Offense
Damit bleiben zwei entscheidende Fragen rund um Minnesotas Offense: Kann Jerick McKinnon, der von Zimmer bereits zum Starter ernannt wurde und der im vorletzten Jahr seines Rookie-Vertrages jetzt zeigen darf, dass er für eine größere Rolle bereit ist, den Vikings im Run Game womöglich gar eine neue Dimension geben? Als Inside-Runner kommt er natürlich nicht an Peterson ran, doch bringt er seinerseits eine große Explosivität und Qualitäten im Passing Game mit. Mehr Tight Ends als Blocker könnten zudem helfen.
Darüber hinaus muss Offensive Coordinator Norv Turner die Offense angleichen - etwas, das er schon jetzt begonnen hat. Turners Offense zeichnet sich eigentlich durch lange Routes und tiefe 5- oder gar 7-Step-Drops aus. Bridgewater hatte damit seine liebe Mühe, zum einen weil er einen soliden, aber keinen idealen Deep Ball hat, zum anderen aber auch, weil die Line dafür nicht gemacht war.
Trotzdem hatten die Vikings 2015 bei nur acht Prozent der Pässe einen klaren 3-Step-Drop, meist ließ sich Bridgewater deutlich tiefer fallen. Gegen die Packers am vergangenen Sonntag schnellte diese Zahl auf 43 Prozent hoch. Die Konsequenz daraus: In Week 2 legte Bradford die fünftschnellste Wurf-Zeit (2,4 Sekunden pro Dropback) auf - und dennoch stand er bei 48,6 Prozent seiner Pässe unter Druck, der Ligahöchstwert.
Übersetzung: Trotz eines deutlich schnelleren Passing Games hielt die O-Line nicht - und auch wenn Kalil bislang schwach war: Der neue Left Tackle T.J. Clemmings dürfte nicht weniger Probleme bekommen.
Bleibt Bradford fit?
Dennoch wird Bradford diese Offense jetzt, gemeinsam mit Stefon Diggs, tragen müssen. Der Receiver besticht bislang in dieser Saison mit seinem guten Route Running und seinen verlässlichen Händen, so dass er rein vom Stil her mitunter bereits Vergleiche zu Antonio Brown erhält.
Dafür muss der Ex-Eagles-Quarterback aber vor allem eines schaffen: hinter dieser Line gesund bleiben. "In meinen Augen ist er ein großartiger Passer und trifft sehr gute Entscheidungen", schwärmte Turner bereits in der Minneapolis Star-Tribune. "Diese Kombination suchst du bei einem guten Quarterback."
Und trotz alledem ist, das wurde spätestens über die vergangenen Wochen klar, noch nicht Bridgewater und auch nicht mehr Peterson das Gesicht dieses Teams. Mike Zimmer ist das Gesicht der Vikings. Es wird an ihm liegen, zu verhindern, dass es Minnesota, nach dem Verlust mehrerer Schlüsselspieler und wenn die ersten Niederlagen kommen, so ergeht, wie den Cowboys im Vorjahr: Dallas brach nach einem 2-0-Start komplett ein.
Nach dem Sieg über die Packers könnten die Vikes gegen Carolina das nächste, noch deutlich größere Ausrufezeichen setzen.