Als NFL-Vizepräsident für internationale Angelegenheiten ist Mark Waller so etwas wie die rechte Hand von Commissioner Roger Goodell. Am Rande des London-Spiels zwischen den Cincinnati Bengals und den Washington Redskins sprach SPOX mit dem 57-Jährigen über ein Regular Season Game in Deutschland, potenzielle Stadien und die Suche nach dem nächsten Moritz Böhringer. Außerdem verriet Waller, warum es mit einer London-Franchise sehr schnell gehen könnte - und was die NFL von der Premier League gelernt hat.
SPOX: Herr Waller, die NFL wird in Deutschland immer populärer. Wann werden wir endlich das erste Regular Season Game in Deutschland sehen?
Mark Waller: Ich wünschte ich könnte eine genauere Antwort geben, aber ich bin nicht sicher. Um ehrlich zu sein: Unser größtes Problem ist es, genügend Teams zu finden, die bereit sind ein Heimspiel ausfallen zu lassen. Wir haben bisher mit freiwilligen Teams wie den Jacksonville Jaguars gearbeitet, die ja ein Spiel pro Jahr in Großbritannien austragen. Außerdem müssen umziehende Teams ein Heimspiel pro Jahr abgeben, also derzeit etwa die Los Angeles Rams. Und wenn man einen Super Bowl austragen darf, muss man ebenfalls ein Heimspiel abtreten. Aber das reicht noch nicht aus, um überall dort zu spielen, wo wir auch gerne spielen würden. Ganz klar, wir würden auch gerne in Deutschland spielen. Ich bin übrigens sehr froh, dass wir bei den Medien in Deutschland große Fortschritte erzielt haben. Historisch gesehen war die Berichterstattung im Laufe der Saison nicht immer besonders ausführlich. Deshalb ergab es keinen Sinn, dort ein Spiel auszutragen, wenn die Fans den Rest der Saison nicht gut verfolgen konnten. Aber wie gesagt: Da hat es große Fortschritte gegeben. Wir arbeiten derzeit daran, die Spiele die uns zur Verfügung stehen, auf die Märkte zu verteilen, die gerne ein Spiel ausrichten würden.
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SPOX: Wenn es dann irgendwann soweit sei sollte: Gibt es eine bestimmte deutsche Stadt, die Sie im Auge hätten? Basierend auf der Stadiongröße und dem allgemeinen Interesse zum Beispiel.
Waller: Bis auf Berlin, wo das Stadion ein bisschen größer ist, sind die Stadien alle sehr ähnlich. Es gäbe also viele Städte, die ein Spiel austragen könnten. Wir haben sehr schöne Erinnerungen an die Städte, die damals Partien der NFL Europe ausgetragen haben, und in Frankfurt zum Beispiel gibt es eine große Fanbase. Das Schöne für uns ist also, dass es einige Städte gibt, in denen wir sehr erfolgreiche Spiele austragen könnten. Das Problem in Deutschland wäre es also nicht, einen passenden Spielort zu finden - es wäre im Gegenteil eine schwere Entscheidung.
SPOX: Aber wie Sie schon sagten: Die Konkurrenz ist groß. Was war letzten Endes ausschlaggebend dafür, dass Mexico City 2016 den Zuschlag bekommen hat? Am 21. November spielen dort die Oakland Raiders gegen die Houston Texans.
Waller: Man darf nicht vergessen, dass wir unser allererstes Regular Season Game außerhalb der USA 2005 in Mexico City ausgetragen haben. Seitdem war der Wunsch sehr groß, dass wir wiederkommen. Aus Sicht der USA gibt es große Synergien, wenn man sich den wachsenden hispanischen Markt in den USA und in Mexiko anschaut. Wenn man also ein Spiel in Mexiko austrägt, dann erreicht man damit auch die hispanische Fangemeinde in den USA. Das war für uns sehr wichtig. Ein weiterer Punkt ist auch der 50. Geburtstag des Aztekenstadions in diesem Jahr: Es war den Bestreibern sehr wichtig, zu diesem Jubiläum ein Spiel auszutragen. Und sie haben sehr viel Arbeit in ihr Stadion gesteckt.
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SPOX: Was denn genau?
Waller: Einmal haben sie die Kapazität deutlich verringert, sodass es kein Stadion für über 100.000 Zuschauer mehr ist. So ist es für die Fans ein besseres Erlebnis. Außerdem haben sie nur für dieses Spiel sehr gute temporäre Umkleidekabinen errichtet. Sie haben also sehr viel Arbeit geleistet, um uns zu ihrem 50. Geburtstag einladen zu können. Und wir wollten natürlich sehr gerne helfen.
SPOX: Das internationale Wachstum wird natürlich auch durch noch mehr internationale Spieler gesteigert werden. Was unternimmt die NFL, um mehr deutsche Spieler zu finden?
Waller: Wir haben in dieser Hinsicht im letzten Jahr einiges unternommen. Wir haben [Ex-Giants-Star] Osi Umenyiora nach London geholt, dort arbeitet er in unserem Büro daran, neue Spieler zu finden. Wir konzentrieren uns sehr stark auf das Scouting und die Entwicklung von Talenten. Deshalb hat Osi zum Beispiel auch das Talent von Moritz Böhringer erkannt, der ja dann von den Vikings gedraftet wurde. Wir haben also schon einiges unternommen, aber natürlich liegt auch noch viel Arbeit vor uns.
SPOX: Das ist keine leichte Aufgabe, oder?
Waller: Nein. Der Wunsch, großartige Athleten zu finden, die dann ihre Leistung in der NFL bringen, ist natürlich da. Die Realität ist, dass es sehr viele großartige Athleten gibt. Aber die meisten davon außerhalb der USA widmen sich einem anderen Sport. Und der Wechsel von einem anderen Sport zum Football ist nicht leicht, wie zum Beispiel Rugby-Spieler Jarryd Hayne herausfinden musste.
SPOX: Woran liegt das?
Waller: Es geht nicht nur um die athletischen Voraussetzungen. Unser Sport ist ein ganz anderer, die Lernkurve ist steil, das Playbook, die andere Kultur. Und natürlich auch der enorme Druck. Man spielt nur 16 Spiele im Jahr und jede Minute zählt. Es gibt nicht viel Platz für Fehler oder "learning by doing". Aber wir müssen unsere Anstrengungen in diesem Feld definitiv weiter ausbauen. Es gibt eine Menge Athleten, die in der NFL spielen könnten - und sollten.
SPOX: Gibt es Pläne, die NFL Europe zurückzubringen, um diese Talente zu fördern? Quasi als eine Art D-League?
Waller: Ich glaube nicht, dass es eine "Developmental League" außerhalb der USA geben wird - ob es eine in den USA geben wird, ist dann nochmal ein anderes Thema. Aus globaler Sicht liegt unser Fokus nicht spezifisch auf einer solchen Liga.
SPOX: Was wären denn Alternativen?
Waller: Eine Idee wäre es, den Combine zu nehmen und eine Art "internationalen Combine" zu schaffen, der darauf ausgelegt ist, potenzielle Crossover-Athleten zu finden. Athleten, die zum Beispiel Rugby spielen. Wir würden in einem solchen Combine prüfen, ob ihre Fähigkeiten übertragbar sind und ob diese Athleten das Potenzial haben, in die NFL hineinzuwachsen. Das wäre eine interessante Möglichkeit für uns und auch für interessierte Nationen, zum Beispiel in Kanada. Wir haben derzeit regionale Combines in den USA. Warum also nicht ein regionaler Combine in Kanada, der aber nicht zwangsläufig nur auf Kanadier beschränkt sein muss? Die Kombination aus Combine und anschließendem Training und Entwicklung ist für uns wahrscheinlich eine bessere Option als eine D-League im Ausland.
SPOX: Was natürlich auch alle interessiert: Wie sieht es mit einer NFL-Franchise in London aus? Wo stehen wir?
Waller: Es gibt mittlerweile eine gute Möglichkeit, den aktuellen Status zu veranschaulichen, und zwar Los Angeles. Wir waren über 20 Jahre nicht in L.A. vertreten und es fühlte sich nie so an, als würden wir wirkliche Fortschritte machen. Es wurde immer gesagt: Ist es nicht komisch, dass die NFL nicht im zweitgrößten Markt in den USA vertreten ist? Aber es gab keinen sichtbaren Fortschritt. Und dann kam der Punkt, an dem zwei oder drei Team-Besitzer sagten: Wir wollen ein Team in L.A. - und würden gerne dieses Team sein. An diesem Punkt ging plötzlich alles ganz schnell. Ich glaube, in Großbritannien wird das ganz ähnlich ablaufen.
SPOX: Worauf liegt Ihr Fokus?
Waller: Wir arbeiten sehr hart daran, den Markt zu erschließen. Es geht darum, neue Fans zu gewinnen, Stadien zu finden, unsere Beziehungen zu lokalen und nationalen Entscheidungsträgern zu verbessern. Wenn ein Team-Besitzer dann entscheiden wird, dass die Zeit reif ist, wird der Markt bereit sein, auch wenn man die Fortschritte von außen kaum sehen kann. Aber wenn der Schritt dann kommt, wird er sehr schnell vonstatten gehen. Schauen Sie sich L.A. an: Wenn man vor vier Jahren gesagt hätte, dass wir heute ein Team haben, das im Begriff ist, dort in ein neues Stadion zu ziehen, hätte niemand geglaubt, dass es so schnell gehen kann - schließlich ist viele Jahre überhaupt nichts passiert.
SPOX: Was sind derzeit die größten Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, bevor dieser Schritt kommt?
Waller: Die fundamentale Herausforderung ist die "Competitive Balance", also die sportliche Chancengleichheit: Könnte man ein Team in diesem Markt haben, trotz der vielen Reisen, die von Woche zu Woche und von Saison zu Saison nötig wären? Könnte man gleichzeitig einen wettbewerbsfähigen Kader beibehalten, wenn doch die Tatsache ist, dass man im dortigen Markt keine Spieler zur Verfügung hat? Wenn man also den Kader verbessern oder vergrößern wollte, dann müssten diese Spieler aus den USA kommen. Wie könnte man diese Chancengleichheit gewährleisten? Denn das ist das Schöne an unserer Liga: Alle 32 Teams haben die gleichen Chancen. Ein Team zu haben, dass aufgrund des Standortes nicht langfristig mithalten kann, wäre das Letzte, was wir wollen. Es war großartig zu sehen, dass die Colts zuerst hier in London und dann ohne Bye Week in der darauffolgenden Woche in den USA gespielt haben - und auch noch gewonnen haben. Das war ein Meilenstein für uns. Auf diesen Wettbewerbsaspekt konzentrieren wir uns derzeit.
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SPOX: Welches Team würde sich für Großbritannien besonders eignen? Ein etabliertes Team? Eine Neugründung - oder vielleicht gleich zwei? Wäre das hilfreich?
Waller: Meine Meinung ist: Wenn wir erst einmal ein Team dort haben, werden wir feststellen, dass ein zweites Team ebenfalls wünschenswert wäre. Auch im Sinne der Fans, sodass sie eine zweite Option haben und eine Rivalität entsteht. Ob es ein neues oder ein umziehendes Team sein wird, übersteigt meine Gehaltsklasse - das ist eine Entscheidung der Teameigner. Ich glaube, sie mögen 32 Teams. Diese Zahl funktioniert in vielerlei Hinsicht sehr gut, insbesondere im Hinblick auf den Spielplan. Aber das werden die Besitzer zu gegebener Zeit entscheiden.
SPOX: Könnte es ein Hybrid-Team geben, dass vier Spiele in London absolviert und vier in den USA? Wäre das zumindest kurzfristig die Lösung, die am einfachsten realisierbar wäre?
Waller: Das wäre auf jeden Fall realisierbar. Ich weiß auch gar nicht, ob das nur eine kurzfristige Variante sein muss. Das Schöne an solchen Innovationen ist ja: Man hat vorher keine Ahnung, ob es eine gute oder schlechte Idee ist. Daran haben wir intern auf jeden Fall auch schon gedacht. Wir haben viele Ideen durchgespielt.
SPOX: Die da wären?
Waller: Zum Beispiel acht Spiele mit 16 verschiedenen Teams. So würde man in London innerhalb von zwei Jahren jedes Team sehen können, was auch ein gutes Modell wäre. Ich selbst lande am Ende bei dem Gedanken, dass es für die Fans das Beste wäre, ein eigenes Team zu haben, das sie anfeuern können. Viele Teams in London zu sehen, ist schön und gut, aber letzten Endes möchte ich, dass die britischen Fans ihr eigenes Team haben, das sie anfeuern - und damit irgendwo auch gegen die anderen 31 amerikanischen Teams sind. Das Schöne am Sport auf dem globalen Level sind doch auch diese Rivalitäten, wie etwa im Ryder Cup. Der Gedanke, gegen die 31 amerikanischen Teams anzutreten, würde in Großbritannien sicherlich einige Fans mobilisieren.
SPOX: Eine Liga, die international extrem erfolgreich ist, ist die Premier League. Gibt es Dinge, die die NFL von der Premier League lernen kann?
performWaller: Wir lernen eine Menge von anderen Sportarten, und wir haben natürlich auch eine Menge von der Premier League gelernt. Es war uns zum Beispiel sehr wichtig, dass unsere Partien in London früher beginnen. Ursprünglich war um 18 Uhr Ortszeit Kick-Off.
SPOX: Warum lieber um 14.30 Uhr?
Waller: Wir haben gesehen, dass die Premier League so morgens in den USA und spät abends in China und ganz Asien zu sehen ist, alles am gleichen Tag. Global gesehen sind die europäischen Zeitzonen also ideal. Wenn man unsere Teameigner fragt - und einige besitzen ja auch Premier-League-Teams -, dann ist der große Erfolg der Premier League in Asien auch dadurch zu erklären, dass durch die Anstoßzeiten Fans dazu gewonnen wurden. Solche Dinge haben wir von der Premier League gelernt, oder auch wie sie ihren medialen Content global aufgestellt hat. Die EPL ist eine großartige Organisation, da schauen wir natürlich ganz genau hin.