Mit 13 Sekunden auf der Uhr bekommen die Eagles den Ball zurück. Es steht 24:24 in Week 3 gegen die New York Giants und Brad Wing hat gerade einen Punt mehr seitlich als vorwärts ins Seitenaus befördert. Carson Wentz hat also an der eigenen 48 die Chance auf einen Last-Second-Erfolg.
Bei First Down gelingt wenig, da keiner offen ist. Doch Wentz, nun in seinem zweiten Jahr, feuert den Ball weise ins Aus und hat noch sieben Sekunden auf der Uhr. Bei Second Down findet der junge QB dann Neuzugang Alshon Jeffery nahe der Seitenlinie. Der steigt schnell auf die Linie und stoppt die Uhr an der gegnerischen 43. Noch eine Sekunden. Decision Time für Head Coach Doug Pederson: Field Goal mit einem Rookie-Kicker oder Hail Mary? Es wird das Field Goal und Jake Elliott drischt das Leder aus 61 Yards durch die Stangen. Sieg für die Eagles!
Die Eagles stehen vor ihrer Bye-Week bei 8-1 und der Last-Second-Triumph über den Division-Rivalen in Week 3 war so etwas wie eine Initialzündung für das junge Eagles-Team, das im Vorjahr nach einem Traumstart von 3-0 noch eine 7-9-Bilanz verbucht hatte. Dieses Mal bekam es schon in Week 2 einen Dämpfer von den Kansas City Chiefs (20:27) verpasst. Week 3 lieferte aber den Nachweis, dass 2017 anders laufen könnte - die nötige Nervenstärke scheint vorhanden.
Vieles wurde gesagt und geschrieben im immer kritischen Philadelphia. Ist Pederson kompetent genug für einen Head-Coach-Posten? Welcher Wentz ist der echte - der vom Beginn der Saison 2016 oder der vom enttäuschenden Ende? Und was ist eigentlich die Identität dieses Teams insgesamt? Wo geht's hin?
Nach nunmehr neun Spielen haben wir erste Antworten auf diese Fragen. Und nahezu alle fallen positiv aus. Ja, Pederson scheint zu wissen, was er tut. Mit Glück gewinnt man in der Regel nicht acht von neun Spielen in der NFL.
Philadelphia Eagles: Carson Wentz verbessert sich auf ganzer Linie
Letzteres hat aber auch entscheidend mit Wentz und dessen Entwicklung zu tun. Nachdem er seine Rookie-Saison furios begonnen hatte, ließ er analog zu seinem Team massiv nach. In diesem Jahr jedoch steigerte er seine Produktion deutlich und hat schon jetzt mehr Touchdowns (23) als im gesamten Vorjahr (16) auf dem Konto. Auch in allen anderen relevanten Statistiken ist er auf Kurs, diese klar zu übertreffen.
Einzig seine Completion Percentage ist um knapp zwei Prozent auf 60,5 gesunken, was jedoch nicht weiter tragisch erscheint. Sein Spiel hat sich weiterentwickelt. Er wirkt nun viel kompetenter bei den Pre-Snap Reads und trifft auch weisere Entscheidungen. Sinnbild dafür: sein Wurf ins Aus in der Schlussphase von Week 3. Im Vorjahr hätte er wahrscheinlich eher versucht, irgendetwas zu erzwingen. Nun sieht er die Situation auf dem Feld klarer.
Auffällig ist auch, dass Wentz effizienter läuft. Bereits nach neun Spielen hat er 211 Yards auf dem Konto, 2016 waren es insgesamt 150. Ein Grund dafür dürfte sein, dass er nun in bestimmten Phasen mehr Platz hat, weil die Defenses sich mehr auf Coverage konzentrieren müssen - ein klarer Effekt des neuaufgesetzten Receiving Corps, das im letzten Jahr noch einer Lachnummer glich.
Besonders Alshon Jeffery ist hier zu nennen. Der Ex-Bears-Receiver ist die große Nummer-eins-Option, die im Vorjahr - wie in den Jahren zuvor auch schon - schmerzlich vermisst wurde. Nun hat Jeffery bei weitem keine herausragenden Zahlen bis zu diesem Zeitpunkt der Saison - er steuert im Grunde in allen Kategorien auf Career-Lows zu - doch mit fünf Touchdowns belegt er Platz zwei seines Teams.
Philadelphia Eagles: Nelson Agholor als erster Profiteur
Mehr noch: Jeffery, der einen Einjahres-Vertrag für knapp neun Millionen Dollar unterschrieben hat, um sich nach verletzungsbedingt schwacher Saison für einen langfristigen Deal zu empfehlen, macht seine Kollegen besser. Defenses konzentrieren sich hauptsächlich auf ihn, weshalb weniger Aufmerksamkeit auf andere gelegt wird.
Erster Profiteur davon ist sicherlich Nelson Agholor, der in den letzten zwei Jahren die Erwartungen in ihn nicht erfüllen konnte. Nun steht er nicht mehr im Fokus und blüht auf - nach drei Touchdowns in zwei Jahren hat er nun auch schon fünf. Seine Yard-Totals der ersten zwei Spielzeiten hat er ebenfalls schon klar übertroffen.
Die Top-Option für Wentz war indes bis jetzt Tight End Zach Ertz, der alle relevanten Receiving-Stats der Eagles anführt.
Was dem jungen QB das Leben überdies leichter macht, ist das explosive Laufspiel Phillys. Die Eagles laufen für die drittmeisten Yards pro Spiel und haben ihr ohnehin schon imposantes Backfield kurz vor der Trade Deadline nochmal verbessert: Mit Jay Ajayi kam einer, der schon bei den Dolphins im Vorjahr für Furore sorgte und bereits in seinem ersten Spiel für die Eagles einen 46-Yard-Touchdown erzielte und das Team mit 77 Yards auf dem Boden anführte.
Dabei ist er Stand jetzt nicht mal erste Option im Laufspiel mit dem menschgewordenen Bulldozer LeGarrette Blount noch vor ihm auf der Depth Chart. Zudem gibt es mit Wendell Smallwood und Corey Clement noch zwei fähige Change-of-Pace-Backs. Der Ausfall von Darren Sproles lässt sich daher verhältnismäßig leicht verkraften.
All das wird dadurch befeuert, dass die Offensive Line zu den besten in der Liga gehört. Allerdings ist dies auch eine der größten Sorgen im Hinblick auf die zweite Saisonhälfte, denn Left Tackle Jason Peters hat sich das Kreuzband gerissen und steht nicht mehr zur Verfügung. Und ob gerade er von Halapoulivaati Vaitai adäquat ersetzt werden kann, muss zumindest bezweifelt werden, zählt Peters doch zu den Besten seines Fachs.
Offensiv sind die Eagles aber für einen längeren Run in den Januar hinein gerüstet. Defensiv jedoch sind Zweifel angebracht.
Philadelphia Eagles: Ausfälle in der Defense Grund zur Sorge
Zum einen sind mit Cornerback Ronald Darby und Linebacker Jordan Hicks gleich zwei fähige Verteidiger schwer verletzt und im Falle von Hicks für den Rest der Saison verloren, zum anderen steht die Secondary unter Dauerbeschuss.
Gegen den Lauf lässt Philly im Schnitt nur 66,4 Yards zu - der mit Abstand beste Wert der NFL. Doch der täuscht, denn gegen kein Team werden weniger Läufe versucht als gegen die Eagles (166). Das wiederum ist auch ein Produkt der starken Offense, die die zweitmeisten Punkte im Schnitt erzielt. Teams müssen also gewissermaßen Feuer mit Feuer bekämpfen und finden sich häufig in Aufholjagden wieder. Da greift man eher zum zeitsparenden Pass als zum zeitintensiven Laufspiel.
Folgerichtig findet sich Philly beim Pass-Yard-Durchschnitt im hinteren Viertel der Liga wieder. Jedoch wird dies dadurch kompensiert, dass die Secondary schon elf Interceptions gefangen hat und damit Platz zwei der NFL belegt. Auch dies ist eine klare Steigerung für diese Truppe, denn gerade in dieser Hinsicht war Philadelphia in den vergangenen Jahren meist eher Mittelmaß. Ein weiterer Grund für die dennoch effektive Verteidigung, die nur 19,9 Punkte im Schnitt zulässt, ist der Pass Rush, der die sechstmeisten Sacks produziert (25).
Drei davon gingen bis jetzt aufs Konto von Chris Long. Der erfahrene Defensive End, der sein komplettes Gehalt wohltätigen Zwecken zur Verfügung stellt, mag zwar nur ein Rotationsspieler sein, doch bringt er sehr viel Erfahrung mit, spielt er doch seit zehn Jahren in der NFL. In der Kabine tritt er weiterhin als Leader auf und hilft damit den Kollegen auch außerhalb des Platzes zu wachsen.
Gewonnen haben die Eagles freilich noch nichts, schließlich ist noch viel Football zu spielen, doch die Aussichten auf Erfolg in der NFC East stehen gar nicht so schlecht. Schon jetzt hat man zweieinhalb Spiele Vorsprung auf den ärgsten Verfolger aus Dallas, dreieinhalb auf die Redskins, die man bereits zweimal besiegt hat.
Heftiges Restprogramm für die Eagles
Nach der Bye-Week empfängt Philly bereits die Cowboys, bevor das fast schon obligatorische Saisonfinale in Texas steigt. Ob aber Dallas in diesen Duellen mit Star-Running-Back Zeke Elliott wird planen können, steht noch in den Sternen. Sollte er fehlen, wäre dies ein weiterer - immenser - Vorteil für die Eagles.
Das weitere Restprogramm sieht für Philly dann vor allem noch schwierige Auswärtstrips nach Seattle und zu den Los Angeles Rams vor. Hinzu kommen Reisen zu den Giants und nach Oakland. Den Fuß vom Gas nehmen können sie also noch lange nicht in Philadelphia.
Blickt man darüber hinaus auf die Playoffs, dann lässt sich zumindest schon mal sagen, dass die Zusammensetzung der Mannschaft vielversprechend ist. Eine vielseitige Offensive, die auf das Laufspiel als Motor setzt und von einem breit aufgestellten Passspiel untermalt wird, hat seit jeher für gute Ergebnisse im Januar und vielleicht sogar Februar gesorgt. Zudem ist die Defensive opportunistisch genug, um auch gegen starke Gegner mitzuhalten.
Im Vorjahr ging die Saison aufgrund eines schwachen Mittelteils enttäuschend zu Ende, doch wenn die bisher gezeigten Leistungen und der positive Eindruck bestätigt werden, dann könnte mindestens die erste Playoff-Teilnahme seit 2013 unterm Strich zu Buche stehen. Angesichts der Gesamtverfassung der NFC wäre danach sicherlich noch sehr viel mehr möglich.