Nichts als eine Illusion?

Pascal De Marco
03. November 201713:36
Die Tampa Bay Buccaneers stellen eine der statistisch besten Passing Offenses der Liga. Siege sind hingegen Mangelwaregetty
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Die Tampa Bay Buccaneers (2-5) sind das Team, das bislang womöglich am weitesten hinter den Erwartungen zurück geblieben ist, ohne großartige Verletzungssorgen seiner Star-Spieler beklagen zu müssen. Der Misserfolg scheint von jeder Ebene des Teams unterstützt zu werden. Die Franchise befindet sich in einer problematischen Situation und lechzt seit elf Jahren nach einem Playoffeinzug. Dieser wird aber wohl auch weiterhin auf sich warten lassen.

Nach Week 9 der vergangenen Saison standen die Bucs bei einer Bilanz von 3-5. Es folgte eine Kehrtwende, die man so keineswegs vermuten konnte. Tampa gewann sieben der letzten neun Saisonspiele und stellte in dieser Zeitspanne die beste Defensive der Liga. An den Playoffs scheiterte man nur um Haaresbreite.

Die Mannschaft schien nach dem ersten Saisonabschluss mit einer positiven Bilanz seit 2010 also endlich eine Basis kreiert zu haben, auf der man regelmäßig Football-Spiele gewinnen kann. Quarterback Jameis Winston ist der erste in der Geschichte der Liga, der in seinen ersten beiden Jahren für jeweils über 4000 Yards warf und auch der umworbene Coaching Staff blieb dem Piratenschiff im Rahmen einer verheißungsvollen Offseason treu.

In eben jener Offseason konnte Geschäftsführer Jason Licht der bereits talentierten Offense nämlich auch noch Speedster-Wideout DeSean Jackson, Erstrundenpick O.J. Howard (Tight End) und Wide Receiver Chris Godwin hinzufügen. Die Dokumentationsserie "Hard Knocks" tat dem Hype dabei keinen Abbruch, sondern hat für zusätzliche Aufmerksamkeit gesorgt.

Nur zwei Monate später kämpft Tampa Bay zur Halbzeitmarke der Saison jedoch um seine letzte Playoff-Chance. Bei den Bucs läuft es an allen Ecken und Enden schief!

Tampa-Bay-Buccaneers-Offense: Die Stat-Lüge

Wirft man einen Blick auf die Statistiken, so steht die Buccaneers-Offense mit 295,4 Passing Yards pro Partie auf dem zweiten Rang hinter den New England Patriots. In Sachen Total Yards liegt man mit 376,6 Punkten auf Rang vier. Zahlen, die zwar gut aussehen, allerdings den faden Beigeschmack haben, durch verzweifelte Aufholjagden in der zweiten Halbzeit unterstützt worden zu sein.

Aufholjagden, bei denen sich der Gegner auf die Verteidigung von Touchdowns konzentrierte und weniger auf die von First Downs. Aufholjagden, die Head Coach Dirk Koetter dazu zwangen, den Ball werfen zu lassen und nicht zu laufen. Tampas Rushing Offense ist mit 81,1 Yards pro Spiel die viertschlechteste der Liga. Die Bucs geraten zu häufig in Rückstand. Das jüngste Beispiel ist nicht allzu lange her.

Sonntag, 29. Oktober: Buccaneers vs. Panthers, Opening Drive:

  • First Down: Doug Matins Laufversuch wird an der Line of Scrimmage gestoppt.
  • Second Down: Winstons Pass auf DeSean Jackson verzieht knapp und landet im Seitenaus.
  • Third Down: Winston sucht erneut Jackson auf einer Slant Route. Der Pass ist zu hoch geworfen. Der Platz für das Play war da. Sie konnten ihn nicht nutzen - also wurde gepuntet.

Zum vierten Mal in den letzten fünf Spiel punteten die Bucs den Ball in ihrem ersten Drive zum gegnerischen Team.

Tampa Bay Buccaneers verschlafen den Start

Und das bei einer explosiven Offense, die mit der letztjährigen Falcons-Offense verglichen wurde. Eine Offense, die in der abgelaufenen Spielzeit neun First-Possession-Touchdowns erzielt hat. Die Bucs hingegen haben noch keinen einzigen auf dem Konto. Ein Problem, welches im Regime Koetters nicht neu ist. Seitdem er das Playcalling 2015 übernommen hatte (zunächst als Offensive Coordinator, dann als Head Coach), haben die Bucs drei Opening-Drive-Touchdowns erzielt. Der schlechteste Wert in der Liga.

Warum das so wichtig ist? Coaches, inklusive Koetter, predigen die Relevanz guter Starts - aus einem einfachen Grund: Teams, die früh scoren, gewinnen häufiger. Speziell wenn sie Touchdowns erzielen.

Laut Pro Football Reference haben seit 2015 diejenigen Mannschaften, die in ihrem Opening-Drive einen Touchdown erzielt haben, mehr als doppelt so häufig gewonnen, als dass sie verloren haben (183 Siege/89 Niederlagen, 67,2 Prozent). Bei einem Field Goal ist der Vorteil nicht ganz so gravierend, aber immer noch existent (105/90, 53,8 Prozent). Teams, die den Ball beim ersten Ballbesitz punteten, verloren häufiger (277/356, 43,8 Prozent). Um genauer zu sein rund viermal so häufig als Teams, die sechs Punkte auf das Scoreboard brachten.

Wir bleiben noch kurz im statistischen Bereich. Denn auch Carolina konnte im letzten Spiel nicht beim ersten Versuch punkten, ging jedoch mit einer Führung ins zweite Viertel. Ein Szenario, das noch schwieriger aufzuholen ist: Teams die seit 2015 nach 15 Minuten Spielzeit geführt haben, haben gut drei Viertel der Spiele gewonnen. Die Bucs haben in dieser Saison viermal nach dem ersten Viertel zurückgelegen. Viermal haben sie verloren.

Wie bereits erwähnt werden Mannschaften mit einem Rückstand berechenbar und anfällig für Fehler. Die Bucs haben in diesem Jahr während des ersten Viertels lediglich einen Turnover begangen, aber in den darauffolgenden Vierteln waren es zwölf - geteilter Höchstwert.

Evans, Jackson, Howard und Co. - ein Überangebot?

Warum kommt ein Team mit einer so talentierten Offense in derartige Schwierigkeiten? Ein Heisman-Trophy-Gewinner als Quarterback in seinem dritten Jahr in der NFL, der im dritten Jahr im selben Offensive-Scheme spielt. Zudem ist die Offense bislang relativ gesund geblieben. Ist es vielleicht die Vielzahl an Optionen, die Winston hat?

Tut sich Jameis schwer damit Entscheidungen zu treffen, weil er Angst davor hat, die Gefühle eines Spielers zu verletzen, der den Ball nicht bekommt? Im letzten Jahr waren Winstons Optionen Mike Evans, Tight End Cameron Brate und Back Jacquizz Rodgers. Nun ist Martin zurück, Howard und Jackson neu da und auch Receiver wie Adam Humphries und Rookie Godwin sehen Snaps. Neben Martin will Koetter den Ball außerdem auch noch in die Hände von Rodgers und Charles Sims legen.

Vielleicht ist das Playbook zu dick geworden. Die Offense ist in der Lage große Dinge zu leisten, häufig will man allerdings zu große Dinge leisten, bevor die Grundlage dazu geschaffen wird. Die Frage, "Wie können wir von hier aus sechs Punkte erzielen?", wird lieber gestellt, als "wie kommen wir von hier in eine Third-and-Short-Situation?". Bei First and Ten oder Second and Long scheint jede Route über mindestens zehn Yards das Feld hinunter zu gehen. Drag-, Crossing- und Level-Routes gibt es zu wenige.

Koetter spricht davon, eine 50-50-Offense aus Pass- und Laufversuchen etablieren zu wollen. Im ersten Viertel - wenn das Spiel also noch nicht verloren sein kann - passt man bislang aber 56 Mal bei 36 Laufversuchen. Selbst bei Third-and-Short Situationen waren es 26 Pass- und nur acht Laufversuche. Die Bucs sind ein eindeutiges Pass-First-Team und die Gegner sind darauf eingestellt.

Jameis Winston: Mal wie ein Favre, mal wie ein Cutler

Abgesehen vom Playbook aber spielt auch derjenige, der bei jedem Play den Ball berührt, zu unkonstant. Winston hat seit seiner Ankunft in der Liga 39 Interceptions geworfen. Nur Philip Rivers hat in diesem Zeitraum einen Pick mehr. In der aktuellen Saison sind es bislang sechs. Immerhin haben neun Quarterbacks mehr.

Winston bewegt sich auf einem schmalen Grad zwischen einem abgebrühten, listigen Playcaller und einem sorglosen. Er hat seine Completion-Percentage seit der Rookie-Saison kontinuierlich steigern können (2015 = 58,3 Prozent, 2016 = 60,8 Prozent, 2017 = 61,8 Prozent) und arbeitete neben der Präzision am Bewusstsein in der Pocket, sowie dem Vermeiden von Hits. Dinge, die die Interception-Zahlen herunterschrauben sollten.

Und doch sind die Fehler nicht von der Hand zu weisen. Er übersieht einfache Completions und starrt stattdessen seinen auserkorenen Receiver zu lange an. Er hat Probleme bei langen Pässen und gibt Receivern zu selten die Chance auf Yards nach dem Catch. Winston wird zu gierig und versucht Dinge zu forcieren. Er denkt manchmal zu viel über den möglichen Ertrag als über den möglichen Verlust nach.

In der Kabine genießt Winston für seine Leadership-Fähigkeiten Hochachtung. Motivationsansprachen, wie jene im Preseason-Spiel gegen die Jaguars, machen ihn zu einem Anführer, den sich jedes Team in seinen Reihen wünscht. Der 23-Jährige stellt eigentlich das Komplettpaket dar, bringt sich und das Team aber zu häufig selbst in Gefahr.

Buccaneers verhindern Big Plays - zu einem hohen Preis

Das allerdings sind nur die Probleme auf der einen Seite des Balles. Auf der defensiven Seite nämlich lassen nur drei Teams mehr Yards pro Partie zu als Tampa Bay. Die Passverteidigung ist die zweitschlechteste der Liga. Gegen den Lauf ließ man in Week 2 gegen die Bears gerade einmal 20 Yards zu, gegen die Cardinals waren es in Week 6 plötzlich 160 und gegen die Bills eine Woche später 173.

Die größte Problematik ist aber, dass die Bucs keinen Druck auf den gegnerischen Quarterback ausüben können. Mit sieben Sacks ist man abgeschlagen Letzter. Cam Newton hat zuletzt bei 32 Dropbacks nicht einen einzigen Hit durch den Bucs-Pass-Rush hinnehmen müssen. Bei Winston auf der Gegenseite waren es beispielsweise sieben. Leidtragender vom mangelnden Druck ist in erster Linie die junge Secondary.

Die wurde darauf getrimmt, sogenannte "Explosive Plays" zu verhindern. Diese wurden bei den Bucs als Pässe von mindestens 16 Yards und Runs für mindestens zwölf Yards kategorisiert. Letztes Jahr haben die Bucs sechs Plays für 50 Yards oder weiteren Raumgewinn abgegeben. Der fünftschlechteste Wert der Liga. In diesem Jahr gab es nur ein solches Play gegen sich - Ligabestwert. Das klingt zunächst nach einer Besserung, kommt allerdings zu einem hohen Preis.

Die Bucs spielen mit ihren Safeties häufig eine sogenannte Cover-2-Shell-Formation, in der Cornerbacks und Safeties für je ein Viertel des Feldes verantwortlich sind. Die Safeties positionieren sich dabei auf derselben Höhe, um den Quarterback zu verwirren und sich die Optionen offen zu halten, tief zu fallen und dem Cornerback auszuhelfen oder die sogenannte "Robber"-Rolle in der Zone zu übernehmen.

Dies resultiert darin, dass sich die jungen Cornerbacks in Vernon Hargreaves und Ryan Smith nicht darauf verlassen können, dass sie Hilfe von einem Safety bekommen, weil sie solange nicht wissen, wer die "Robber"-Rolle übernimmt, bis es dann eben passiert. Ohne die Gewissheit der Safety-Unterstützung müssen sie das komplette Geschehen vor sich behalten und können deshalb weitaus weniger aggressiv spielen. Das Resultat sind viele einfache Completions im Bereich von 10 bis 20 Yards.

Kicker-Debakel, Polemik und Hurricane Irma - Kommt die Kehrtwende?

Alles in allem ist bei den Bucs in diesem Jahr bislang nahezu alles schief gegangen, was schief gehen konnte. Die Kicker-Problematik, mit den Entlassungen von Roberto Aguayo und Nick Folk. Letzterer kostete mindestens einen Sieg. Die Unzufriedenheit von Neuzugängen, wie den Veteranen Chris Baker (DT) und Super-Bowl-Champion T.J. Ward (S), die mit ihren Rotations-Rollen unzufrieden sind und dies öffentlich äußerten. Und womöglich trägt auch Hurrikan Irma, der den Bucs eine Saison mit 16 Spielen in Folge ohne Bye Week beschert hat, eine Rolle.

Von einer Kehrtwende, wie man sie im letzten Jahr zustande gebracht hat, hört man derzeit nur in den obligatorischen Kabinen-Interviews mit den Spielern. Aber was sollten diese auch anderes sagen?

Was sind mögliche Lösungen in der misslichen Situation? Wie kommt eine Offense, die in der ersten Halbzeit durchschnittlich nur sieben Punkte erzielt, aber so großes Potenzial hat, endlich in die Gänge? Sollte Dirk Koetter das Playcalling abgeben, wie es Giants-Head-Coach Ben McAdoo zuletzt getan hat? Wo bekommen die Bucs eine defensive Identität her, wie jene, die sie letztes Jahr zu einem tollen Endspurt getragen hat? Oder basierte jegliche Erwartungshaltung nach der Offseason tatsächlich auf nichts anderem als einer Illusion?

Den Bucs steht als nächstes ein Duell mit einem der heißesten Teams der Liga an. Gelingt es der Defense erneut nicht, Druck auf den Quarterback auszuüben, so wird Drew Brees und seine Saints-Offense vermutlich für ein aus Buccaneers-Sicht bitteres Spektakel sorgen. Und dann sollte die so talentierte Offense lieber einen Weg finden, ihr Potenzial endlich auszuschöpfen - und das am Besten vom ersten Drive an!