New Englands Offense ist kompliziert. Wahnsinnig kompliziert sogar. "Ein Hybrid aus verschiedenen Systemen. Sehr komplex. Aber wenn man die Spieler hat, die es gut ausführen können, ist es das beste System", erklärte Brian Hoyer - aktuell in seiner zweiten Amtszeit als Backup-Quarterback der Patriots, bereits vor einer Weile.
Schon vor dem vergangenen Super Bowl hatte Ex-Patriots-Tackle Sebastian Vollmer gegenüber SPOX berichtet: "Was man von anderen Spielern hört, die von anderen Teams kommen, ist, dass die Offense irgendwie anders ist, beispielsweise von der Terminologie her. Dazu kommen die Option Routes. Dafür müssen Receiver und Quarterback voll auf der gleichen Wellenlänge sein. Das kann kompliziert sein."
Kompliziert, komplex, schwierig - wer sich eine Weile mit der NFL beschäftigt, wird diese Attribute rund um die Patriots-Offense früher oder später aufschnappen. Kein Team lässt heute noch einfach nur einen Offense-Stil - wie etwa die West Coast Offense, der die San Francisco 49ers in der Ära von Bill Walsh, Joe Montana und Jerry Rice zu Berühmtheit verholfen haben - spielen. Jedes Team verwendet eine Mischform, die Philadelphia Eagles mit ihrer Mixtur aus West Coast und Option Offense sind da keine Ausnahme.
Die Patriots sind hier das extremste Team, und das ist ein elementarer Grund dafür, dass New England immer wieder in engen Spielen dominiert und über die Jahre in der Lage war, seine Offense unter anderem von einer Downfield-Offense mit Randy Moss über die 2-Tight-End-Offensive mit Gronkowski und Hernandez hin zu der Slot-Kurzpass-Offensive um Gronk und Edelman sowie der Mixtur aus Kurzpass- und Downfield-Offense heute zu entwickeln.
Die Patriots und das Erhardt-Perkins-System
Zwei Säulen sind dabei ganz zentral: Einerseits die individuelle Klasse von Tom Brady - und andererseits die Qualitäten des Offensiv-Schemes. New Englands Offense basiert auf dem Erhardt-Perkins-System, welche vor allem auf Flexibilität und verschieden zusammengestellte Route-Kombinationen statt einzelner Laufwege oder bestimmter Routes setzt.
Ersteres ist das, was einem schnell ins Auge springt, wenn man sich Patriots-Spiele anschaut. New England spielt, vereinfacht gesagt, die gleichen Formationen mit beliebigen Spieler-Gruppierungen. So können sich vier Wide Receiver und ein Tight End auf die gleiche Art und Weise aufstellen und den gleichen Spielzug ausführen, wie zwei Receiver, ein Tight End, ein Running Back und ein Fullback - um nur eine von unzähligen Kombinationsmöglichkeiten zu nennen.
Das ist die erste große schematische Herausforderung, die auf Defenses gegen die Patriots zukommt. Man muss in der Lage sein, sich einerseits von den verschiedenen Personnel-Gruppierungen in Kombination mit Pre-Snap-Motion nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Andererseits muss man es auch beherrschen, die entsprechend richtigen Matchups zu finden, und das häufig aus einem No-Huddle-Ansatz heraus - sprich ohne die Möglichkeit, mal eben einen Linebacker durch einen Cornerback zu ersetzen oder dergleichen.
Das führt bereits zu vielen der individuellen Mismatches, die New England besser als jedes andere Team immer und immer wieder kreiert beziehungsweise forciert. Im Erhardt-Perkins-System haben darüber hinaus bestimmte Route-Kombinationen - beispielsweise der Laufweg des Slot- und des Outside-Receivers auf der linken Seite - einzelne Namen. Wenn Brady im Huddle also, neben der Protection-Formulierung, etwas wie "72 Ghost/Tosser" sagt, dann wissen die Receiver einerseits, auf welcher Seite sie sich aufstellen müssen, und andererseits, welches ihr Laufweg ist. Das macht auch Umstellungen an der Line of Scrimmage deutlich effizienter.
New Englands Offense: Option Routes und Komplexität
Die Folge aus alledem: Der Quarterback erhält von der Defense bereits vor dem Snap verschiedene Formationen und Reaktionen - ohne dass er an seinen Reads etwas ändern muss. Die Patriots können die gleichen Plays mit unterschiedlichstem Personal und unterschiedlichste Plays aus dem gleichen Personal heraus laufen. Das macht die Offense einerseits so komplex auch für die eigenen Spieler, andererseits aber auch so tödlich für Defenses, insbesondere aus dem No-Huddle-Ansatz heraus.
Die Route-Kombinationen, die New England verwendet, passen sich dabei voll an das eigene Personal an und sind nicht in irgendeiner Weise streng geprägt. Das hat die starken Wandlungen in den vergangenen Jahren ermöglicht und gibt der Patriots-Offense immer wieder ein neues Gesicht und New England ist sehr gut darin, Defenses mit vermeintlich identischen Plays auf dem falschen Fuß zu erwischen.
Zu all diesen Aspekten kommen dann noch die Option Routes. Hier ist die Abstimmung zwischen dem Quarterback und den Wide Receivern elementar, was die Offense für neue Receiver so anspruchsvoll macht. Insbesondere in der Mitte des Feldes nutzt New England dieses Mittel, der Receiver entscheidet dabei während er seine Route läuft je nachdem wie die Defense reagiert, in welche Richtung er an einem bestimmten Punkt läuft.
Brandin Cooks und das Patriots-Downfield-Game
Vergleicht man die diesjährige Offense mit der Vorjahres-Edition, dann fällt vor allem ein Element auf: Das Downfield-Passing-Game ist deutlich präsenter. Der Trade für Brandin Cooks in Kombination mit dem Kreuzbandriss von Julian Edelman in der Preseason hat hier seine Wirkung nicht verfehlt.
Die Pats verzeichneten in der Regular Season 7,9 Yards pro Pass (Rang 3 hinter den Saints und den Chiefs), Bradys Pässe flogen im Schnitt mit 9,4 Intended Air Yards (wie weit er den Ball also durchschnittlich warf), was unter Quarterbacks mit mindestens 250 Pässen den siebten Platz bedeutete - vor etwa Matt Ryan (9 IAY), Cam Newton (8,8), Tyrod Taylor (8,7) oder Jared Goff (8,5).
Mit durchschnittlich 2,7 Sekunden zwischen Snap und Wurf bewegte sich Brady auch wieder in anderen Sphären als in den vergangenen Jahren. Zum Vergleich: Quarterbacks wie Alex Smith (2,67), Matthew Stafford (2,65), Drew Brees (2,58) oder Ben Roethlisberger (2,56) bekamen den Ball deutlich schneller weg. Brady war dabei der mit Abstand beste Quarterback der Liga gegen Pressure und blieb trotz der gestiegenen Anzahl an langen Pässen vergleichsweise akkurat.
Die Play-Designs sind dabei auffällig häufig darauf ausgerichtet, Cooks in Eins-gegen-Eins-Situationen zu bringen - und der schnelle Receiver schlägt daraus Kapital. Ein Beispiel ist das Big Play zu Cooks im Spiel gegen die Jets: Via Pre-Snap-Motion erkennt Brady, dass es sich mutmaßlich um Cover-3 handelt. Damit weiß er, dass er Cooks ein vorteilhaftes Matchup geben kann, indem die Underneath-Route und die gegenüberliegende Outside-Route den tiefen Safety zögern lassen. Das Resultat ist eine lange Completion.
Doch hat in Ergänzung zu den langen Pässen quasi das Gegenteil einen zentralen Posten übernommen: Die Rolle der Running Backs.