Unprofessionell. Das war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf ging, als die McDaniels-Absage an Indianapolis offiziell war. Am Mittwoch hätte er als neuer Head Coach vorgestellt werden sollen, die Colts hatten wenige Stunden vorher offiziell verkündet, dass man sich mit McDaniels geeinigt habe. Der hatte sogar schon Telefonate mit möglichen Assistenten geführt und Jobs in seinem Colts-Trainerstab angeboten, ehe er Indy mit diesem Scherbenhaufen zurückließ.
Teams auf Head-Coach-Suche, die den Coordinator eines Super-Bowl-Teams verpflichten wollen, sind ohnehin in einer schwierigen Position: Der Vertrag darf erst nach dem Super Bowl unterschrieben werden, der ganze Prozess, auch was den Trainerstab und die interne Kommunikation und Arbeit angeht, wird im Vergleich zu den anderen Teams auf Trainersuche deutlich verlangsamt. Das öffnet die Tür für das Desaster, vor dem Indianapolis jetzt steht: unverschuldet als letztes Team ohne Head Coach, wieder bei Null anfangend.
Nicht, dass die Colts McDaniels mit dem jetzigen Wissen noch als Head Coach haben wollten. Doch diese Tatsache macht das Verhalten McDaniels' und das Vorgehen der Patriots nicht weniger unprofessionell.
Die unerklärlich späte Erkenntnis der Patriots
Über mehrere Wochen - so die übereinstimmenden Berichte - hatte New England die Situation um McDaniels intern gelinde gesagt ignoriert. Im Team war bekannt, dass McDaniels mit den Colts verhandelte und jeder wusste, wie diese Gespräche immer weitere Fortschritte machten. Und jeder wusste, welche Qualitäten McDaniels mitbringt und was man an ihm hat. Hier hat sich nichts verändert.
Trotzdem machten die Pats erst einmal - gar nichts. Bis nach dem Super Bowl, als Team-Besitzer Robert Kraft und mutmaßlich auch Bill Belichick selbst das Gespräch mit McDaniels suchten. Innerhalb der vergangenen 48 Stunden überzeugten sie McDaniels kurzerhand davon, doch in New England zu bleiben.
Das Timing und das Vorgehen der Patriots ist dabei völlig unverständlich und, man muss es wiederholen, unprofessionell. Wenn man McDaniels halten will, gelangte man zu dieser Erkenntnis nicht erst nach dem Super Bowl.
Warum also nicht vorzeitig das Gespräch suchen? Warum McDaniels nicht früher zumindest signalisieren, dass man ihn gerne weiterhin haben will - und so möglicherweise dessen Einigung mit den Colts verhindern? So kommt man nicht umhin, gerade mit der alten Rivalität zwischen Krafts Patriots und den Colts im Hinterkopf, einen deutlichen Beigeschmack festzustellen.
McDaniels Absage: unprofessionell und vielsagend
Und natürlich ist es auch unprofessionell von McDaniels selbst. Wenn seine Entscheidung für Indianapolis auf derart wackligen Füßen stand, warum sie dann treffen? Gerade McDaniels müsste aus seinem Debakel als Head Coach der Broncos - wo er unter anderem riesige zwischenmenschliche Defizite im Umgang mit seinen Spielern und Assistenztrainern an den Tag legte - doch gelernt haben, wie wichtig es ist, dass die Situation für ihn als Coach auch exakt passt.
Gleichzeitig lässt seine Absage tief blicken, gerade in Kombination mit seiner Head-Coach-Vorgeschichte. McDaniels muss bewusst sein, dass er nach dieser Aktion jetzt zumindest für einige Franchises in puncto Head-Coach-Suche ein rotes Tuch ist und komplett von deren Liste gestrichen wird.
Vor allem beim Head Coach sind Teams besonders auf charakterliche und zwischenmenschliche Eigenschaften fixiert, mitnichten muss der beste Scheme-Architekt auch der beste Head Coach sein. Menschenführung in Kombination mit Stabilität sind hier mit die obersten Job-Anforderungen und exakt die Qualitäten, die bei McDaniels nach dem Broncos-Intermezzo am meisten in Frage standen. Diese Fragezeichen werden sich jetzt um ein Vielfaches multiplizieren. Es ist ein Schritt, der ihm in der NFL viele Türen verschließen wird.
Belichicks Erbe zu verlockend?
Und das führt auch zum Fazit: Die Patriots haben seinen Vertrag finanziell aufgehübscht, keine Frage. Doch kann das niemals der einzige Grund gewesen sein, warum McDaniels plötzlich bleiben will, sich und seinen Ruf dafür so in die Schusslinie setzt und eine Chance auf einen Head-Coach-Posten mit einem Franchise-Quarterback in Andrew Luck in Position liegen lässt. In Indianapolis hätte er wohl kaum am Hungertuch genagt. Das wäre nicht nur unglaublich kurzfristig gedacht, es wäre schlicht dumm.
Hier muss mehr dahinter stehen - und was könnte dieses "mehr" sein? Auch wenn es offenbar keine schriftliche Garantie gibt, muss, wenn man es logisch betrachtet, das perspektivische Belichick-Erbe eine Rolle spielen. Anders ist diese späte 180-Grad-Drehung und die Tatsache, dass McDaniels seine künftigen Job-Aussichten ligaweit aufs Spiel setzt, nach dem Gespräch mit Kraft zumindest nicht logisch zu erklären.
Sollte dem so sein, wäre seine Entscheidung noch immer hochgradig egoistisch, unprofessionell und eiskalt. Aber sie wäre in diesem Rahmen zumindest aus McDaniels' Perspektive erklärbar.