Vor dem Spiel waren sich durch die Bank weg alle einig: Wenn die Eagles dieses Spiel gewinnen wollen, dann muss die Defensive Line dominieren. Für die meisten war das schon ein sehr großes "wenn", ging es doch um das Duell eines vergleichsweise unerfahrenen Head Coaches, der auf seinen Starting-Quarterback, Left Tackle, Middle Linebacker und Running Back respektive Returner verzichten musste, gegen Tom Brady und Bill Belichick.
Und doch war es auf dem Papier die scheinbar größte Chance. Brady ohne Blitzing unter Druck setzen, das Spiel möglichst langsam machen und so den Rhythmus der Partie kontrollieren. Idealerweise würde das in einem Spiel mit wenigen Punkten resultieren, denn wie Ex-Giants-Center Shaun O'Hara bereits vor der Partie im SPOX-Interview gesagt hatte: Man will "in keinen Shootout mit Tom Brady geraten".
Mit dem eigenen Backup-Quarterback auf dem Feld noch viel weniger, und doch: Philadelphias Super-Bowl-Triumph kam in einem Duell mit Brady, das 1.151 Offense-Yards (NFL-Rekord) und 74 Punkte (zweithöchster Super-Bowl-Wert aller Zeiten) produzierte. In dem Brady als erster Quarterback in der Geschichte der NFL mit mindestens 500 Passing-Yards, drei Touchdown-Pässen und null Interceptions verlor. In dem sich New England eine Strafe leistete und kein einziges Mal puntete.
Und in dem Philadelphia als erstes Team aller Zeiten trotz über 600 zugelassener Yards gewann.
Eagles: Doug Pederson bleibt bei Fourth Down mutig
Der maßgebliche Grund dafür, dass Philadelphia den Super-Bowl-Titel auf diese Art und Weise feiern darf, war Head Coach Doug Pederson. Für Pederson, der die ganze Saison über schon eine kreative, vielseitige Offense mit vielen noch eher aus dem College bekannten Elementen kreiert hatte, war die Bühne nicht zu groß - im Gegenteil.
Auf der einen Seite hatte er einen fantastischen Game Plan entworfen: Nachdem sich die Patriots im Championship Game gegen Jacksonville gut auf die Pässe aus den Run Pass Options heraus eingestellt hatten, vertraute Pederson seiner Offensive Line und setzte hieraus primär auf den Run - so entstanden regelmäßig große Lücken.
Philadelphia bekam dann auch seine Offensive Linemen immer besser weg von der Line of Scrimmage. Ein zentraler Aspekt im Run-Blocking der Eagles. Pederson sagte zudem ganze 21 Play-Action-Pässe an, ein neuer Super-Bowl-Rekord; das gab Foles Sicherheit, zwölf davon brachte er für 118 Yards und einen Touchdown an den Mitspieler.
Auf der anderen Seite aber machte Pederson vor allem einen Fehler, den viele Coaches auch und gerade in der NFL nur zu gerne machen, nicht: Er wurde nicht ängstlich. Die Eagles, die ein eigenes Analytics-Team beschäftigen, um sich Unterstützung für die Play-Calling-Entscheidungen bei Third und Fourth Down zu holen, waren die ganze Saison über ungewöhnlich aggressiv insbesondere bei Fourth Down. Der Super Bowl war da keine Ausnahme.
Das Trick-Play: Der Touchdown-Pass zu Nick Foles
Zwei Szenen waren dabei nicht nur prägend für den Verlauf und den Ausgang der Partie, sondern auch symptomatisch für Pedersons Einstellung. 38 Sekunden vor der Halbzeitpause standen die Eagles noch eineinhalb Yards von der Patriots-Endzone entfernt. Fourth Down, bei eigener 15:12-Führung. Viele, viele NFL-Coaches hätten hier das Field Goal gewählt, um sich mit (vermeintlich) sicheren Punkten in die Halbzeitpause zu verabschieden. Nur kein Risiko eingehen, Jacksonville war das extremste Beispiel vor zwei Wochen.
Pederson hatte aber andere Pläne. Er wollte das Fourth Down ausspielen, und das nicht einfach mit einem Run oder einem Play-Action-Pass. Ein Trickspielzug sollte es sein. "Wir standen alle da und haben uns gefragt, welcher Call jetzt rein kommt und ob wir das Field Goal nehmen", verriet Center Jason Kelce anschließend. "Als das Play dann angesagt wurde - ich kann gar nicht sagen, wie aufgeregt jeder im Huddle war. Wir glaubten, dass es der perfekte Call war. So war Doug das ganze Jahr über. Er hat den Jungs weiter vertraut."
Und so gab es den direkten Snap zum Back, der an den Tight End übergab - und der fand Foles komplett ungedeckt in der Endzone. Touchdown. "Wir brauchten einfach den perfekten Moment für dieses Play. Und wir haben ihn gefunden", strahlte Pederson.
Die Eagles: Erfolg mit Aggressivität
"Aggressiv" wollte Philadelphias Head Coach bleiben, das hatte er dem Team im Vorfeld der Partie gesagt. "Auch, wenn wir in Führung liegen", verriet Tight End Zach Ertz. Mindestens so wichtig war diese Einstellung aber auch, als die Eagles schließlich doch ins Hintertreffen geraten waren. Brady hatte die Patriots zurück geführt und New England mit 33:32 die Führung übernommen. Die Eagles standen an der eigenen 45-Yard-Line wieder bei Fourth Down, fünfeinhalb Minuten vor dem Ende. Ein Yard fehlte.
Es wäre für die allermeisten Coaches eine Bilderbuch-Punt-Situation gewesen. Man hat ja genug Timeouts, die eigene Defense muss einen Stop schaffen und darf ja sogar ein Field Goal zulassen. Pederson aber wusste, dass er im Duell mit Belichick und Brady nicht der konservativere, der vorsichtigere Coach sein darf. Ein 2-Yard-Pass zu Ertz bescherte Philly das First Down, wenig später gelang der letztlich entscheidende Touchdown.
"Wir wussten, dass er dieses Fourth Down ausspielen würde. So hat er es das ganze Jahr über schon gemacht", erklärte Receiver Alshon Jeffery, der in der ersten Hälfte mit mehreren spektakulären Catches großen Anteil an den frühen Big Plays der Eagles hatte und Receiver-Kollege Nelson Agholor fügte hinzu: "Er hat uns die ganze Woche über erzählt, dass er aggressiv sein und alles dafür tun wird, dass wir den Fuß auf dem Gaspedal halten."
Insgesamt 26 Fourth Downs hatten die Eagles in der Regular Season ausgespielt, der ligaweit zweithöchste Wert. 17 davon erfolgreich, der Spitzenplatz. Der Super Bowl war dahingehend keine Überraschung - eher eine Bestätigung und möglicherweise ein Wink mit dem Zaunpfahl für viele von Pedersons Kollegen. "Wir haben gelernt", fasste es Defensive End Chris Long zusammen, "dass die Leute konservativer werden und nicht wissen, wann sie den Ball laufen und wann sie aggressiv sein müssen. Auf Doug trifft das nicht zu. Unsere Offense hat uns in der zweiten Hälfte getragen."
Der Super Bowl als Beginn einer Eagles-Dynastie?
Das war auch der Verdienst von Foles selbst. Der profitierte zwar vom Play-Calling und den Waffen um sich herum, doch lieferte Foles nach seiner Gala im Championship Game gegen die Vikings abermals eine sehr gute Partie an. Er bewegte sich gut in und außerhalb der Pocket, traf Würfe in enge Fenster und leistete sich kaum Fehler. Das macht ihn für die Eagles sehr wertvoll: Einerseits als Versicherung, sollte Carson Wentz infolge seines Kreuzbandrisses zum Start der kommenden Saison doch nicht bereit sein.
Andererseits möglicherweise aber auch als Trade-Option - starke Auftritte in den Playoffs lassen Teams gerne mal den Geldbeutel für Quarterbacks öffnen. Doch ob mit Foles als Versicherung oder mit zusätzlichen Draft-Picks in der Hinterhand, Eagles-Fans dürfen guter Dinge sein, dass sie nicht abermals 50 Jahre auf einen Super-Bowl-Titel warten müssen.
Mit Carson Wentz ist der wichtigste Baustein auf dem Platz - der Franchise-Quarterback - gegeben. Säulen des Teams wie Ertz, Agholor, Fletcher Cox, Brandon Graham, Ronald Darby, Brandon Brooks oder Lane Johnson sind allesamt noch jung oder in ihrer Prime, selbst Malcolm Jenkins und Jason Kelce sind beide erst 30 Jahre alt.
Alshon Jeffery hatte bereits Anfang Dezember eine vorzeitige Vertragsverlängerung unterzeichnet, Agholor wirkt im Slot wie ein anderer Spieler, Corey Clement hat sich nicht erst im Super Bowl für weitere Aufgaben empfohlen und Darren Sproles kommt nach seiner Verletzung zurück. Die Defensive Line ist tief und individuell herausragend aufgestellt - wenngleich das im Super Bowl entgegen aller Prognosen so richtig nur beim dann aber mitentscheidenden Sack-Fumble zu sehen war - und im Cornerback-Corps gibt es jede Menge Talent.
Nick Foles und das "Philly Special"
Kurzum: Die Eagles, die philosophisch betrachtet auch weiter in die Offensive und die Defensive Line investieren werden, sind mehr als glänzend aufgestellt.
Philly hat etwas, das eine Erfolgsbasis für viele Jahre sein kann und der Traum zahlreicher Franchises ist: Einen jungen Franchise Quarterback in Kombination mit einem Head Coach, der gezeigt hat, dass er auch auf der denkbar größten Bühne nicht coacht, um nicht zu verlieren - sondern um zu gewinnen. Ein auf den ersten Blick feiner, aber doch elementarer Unterschied.
"Wollt ihr wissen, wie wir den Spielzug nennen", grinste Pederson dann auf seiner Pressekonferenz noch, angesprochen auf den Trick-Play-Touchdown zu Foles. Die Antwort? "Philly Special."